Einleitung
Die erste moderne elektronische Zigarette („E-Zigarette“) wurde 2003 in China patentiert,
und seit 2006 werden diese Geräte zunehmend global vermarktet [1]
[2]. Besonders in den USA haben E-Zigaretten mittlerweile nennenswerte Marktanteile,
auch bei Jugendlichen, erobert, und erfolgreiche Firmen, wie das kalifornische „Juul
Labs“, das die „Juul“ E-Zigarette vermarktet, werden auf Firmenwerte im zweistelligen
Milliardenbereich geschätzt (in US-Dollar). Mittels E-Zigaretten können nicht nur
Nikotin-haltige E-Liquids inhaliert werden (sog. „vaping“), sondern auch Tetrahydrocannabinol
(THC)-haltige Flüssigkeiten (auch „dabbing“ genannt). THC-haltige Präparate können
sowohl auf offiziellem Wege in US-amerikanischen Bundesstaaten, in denen Marihuana
legal ist, als auch illegal über den Schwarzmarkt erworben werden. Diverse Studien
zeigen allerdings, dass letztere oft mit verschiedenen Substanzen gestreckt werden,
z. B. mit Vitamin-E-Acetat [3]
[4]. Die Inhalation von Vitamin-E-Acetat wird als Hauptursache für den seit Sommer 2019
in den USA sprunghaften Anstieg von E-Zigaretten- und Vaping-assoziierten akuten Lungenschädigungen
(„EVALI“) verantwortlich gemacht. Dem klinischen Teil mit dem Thema EVALI wird eine
generelle Einführung zum Thema E-Zigaretten und deren Inhaltsstoffe vorangestellt.
Aufbau und Funktionsweise von E-Zigaretten
Aufbau und Funktionsweise von E-Zigaretten
Primäre Aufgabe von E-Zigaretten ist es, den Suchtstoff Nikotin in ein Aerosol zu
bringen, welches anschließend vom Nutzer wie bei herkömmlichen Zigaretten (dort als
Rauch) inhaliert wird. Einer der Vorteile von E-Zigaretten soll sein, dass der Nutzer
deutlich geringeren Mengen von bekannten Giftstoffen ausgesetzt ist, als sie beim
Verbrennen von Tabak entstehen (z. B. Teer, Blausäure, Formaldehyd). In englischer
Fachliteratur werden E-Zigaretten auch als „Electronic Nicotine Delivery System (ENDS)“
bezeichnet [2]. Trotz Änderungen am Design und der Größe von E-Zigaretten seit 2003 ist die grundsätzliche
Funktionsweise aller E-Zigaretten gleich ([Abb. 1]): Eine nikotinhaltige und aromatisierte Flüssigkeit – auch „E-Liquid“ genannt –
ist in einem (oft manuell nachfüllbarem) Reservoir oder Container in Kontakt mit einem
Docht aus Baumwolle und/oder Kunststoff, der dadurch konstant mit E-Liquid getränkt
ist und durch eine Heizwendel geführt wird ([Abb. 1]). Die Heizwendel wird durch Knopfdruck, oder automatisch bei Detektion von Unterdruck
durch Ziehen am Gerät, aktiviert und somit erhitzt. Hierdurch verdampft die Flüssigkeit,
und es bildet sich ein Aerosol, das per Zug am Mundstück auf direktem Weg in den Rachen
und anschließend in die Atemwege des Nutzers gelangt. Durch diesen Aufbau ähnelt die
Nutzung dieser Geräte herkömmlichem Zigarettenrauchen, insbesondere wenn die Heizwendel
durch simples Ziehen am Mundstück automatisch aktiviert wird.
Abb. 1 Links: typische E-Zigarettenkartusche mit sichtbarem (ungetränktem) Docht. Die Heizwendel
befindet sich innerhalb des metallischen Zylinders. Rechts: Schema der prinzipiellen
Funktionsweise von E-Zigaretten, E-Liquid in Gelb.
Nikotin-Abgabe von E-Zigaretten
E-Zigaretten hatten zunächst einen gravierenden Nachteil: Die absolute Nikotin-Menge
pro Zug, die das Gehirn des Nutzers via Lunge und Blut erreicht, war in herkömmlichen
Zigaretten nach wie vor höher und damit verbunden auch der „Nikotin-Kick“ im Gehirn,
der u. a. durch freigesetztes Dopamin ausgelöst wird [5]. Um die Nikotin-Zufuhr pro Zug zu erhöhen, wurden immer leistungsstärkere Modelle
entwickelt, welche allgemein als 2. und 3. Generation bezeichnet werden ([Abb. 2]). Ähnelten E-Zigaretten der 1. Generation meist herkömmlichen Zigaretten in Größe
und Form, so wuchsen in der 2. und 3. Generation sowohl die Batteriegröße (generell
der untere Teil der in [Abb. 2] abgebildeten Geräte) als auch die Größe des E-Liquid-Reservoirs, da mehr produziertes
Aerosol (und damit absolut mehr Nikotin) auch mehr konsumierte Flüssigkeit bedeutete.
Physikalisch gesehen, bedeutet eine höhere Leistung, dass sich die Heizwendel schneller
und stärker aufheizt, wobei sich die Leistung (in Watt, W) aus der elektrischen Spannung
der Batterie (in Volt, V) und dem Widerstand der Heizwendel (in Ohm, Ω) berechnen
lässt: Leistung [W] = (Spannung [V])2/Widerstand [Ω].
Abb. 2 Evolution von E-Zigaretten von ca. 2003 – 2019 und Angaben zum Leistungsausstoß, typischen
Nikotingehalt sowie der Form des Nikotins.
Eine logische Alternative zur Erhöhung der Nikotin-Zufuhr pro Zug wäre eine erhöhte
Nikotin-Konzentration in dem zu verdampfenden E-Liquid selbst. Allerdings erzeugt
Nikotin einen bitteren Geschmack und reizt die Atemwege beim Inhalieren, weswegen
E-Zigaretten der 1. bis 3. Generation meist nur 0,3 – 2,4 Gewichts-% (von hier an
%) Nikotin enthielten, in seltenen Fällen bis zu 3,6 % ([Abb. 2]). Schon bei einer Konzentration von 2,4 % wird Nikotin von Nutzern als stark irritierend
und scharf wahrgenommen [6]. Der entscheidende „Durchbruch“ in dieser Hinsicht gelang der kalifornischen Firma
Juul Labs, die in ihrer ab 2015 in den USA vermarkteten „Juul“ E-Zigarette (engl.
Wortspiel mit „jewel“ – dt. Juwel) die Nikotin-Konzentration auf 5,9 % Nikotin heraufsetzen
konnte, ohne dass das generierte Aerosol zu bitter oder reizend auf den Nutzer wirkte.
Juul Labs nutzt zu diesem Zweck statt dem „freien“ (basischen) Nikotin eine Mischung
aus Nikotin und Benzoesäure, die zusammen ein sog. Nikotinsalz (Nikotinbenzoat; [Abb.3]) bilden. Dies ist dieselbe Form, in der Nikotin auch im Tabak vorkommt. Nikotinsalze
haben einen geringeren pH-Wert als „freies“ Nikotin und sind daher weniger irritierend
und bitter. Zudem ist Nikotinbenzoat flüssig und nicht fest und verdampft selbst bei
Erhitzung als Gemisch und nicht als zwei Einzelstoffe [7]. Weiterhin gibt Juul Labs in ihrem Patent über Nikotinsalzformulierungen an, dass
die Nikotin-Blutkonzentration in Probanden nach einem Zug ihres Produktes (mit 5 %
Nikotin) ähnlich hoch ist wie nach dem Zug an einer herkömmlichen Zigarette (Pall
Mall) und damit deutlich höher als nach einem Zug an einer herkömmlichen E-Zigarette
mit „freiem“ Nikotin und dementsprechend geringerer Nikotin-Konzentration (2 %) [8].
Abb. 3 (a) „Freies“ Nikotin, das durch zwei tertiäre Stickstoff (N)-Atome basisch reagiert
(pH > 8) und (b) Nikotinsalz, bestehend aus einfach ionisiertem Nikotin (+) und Benzoesäure (–) (pH < 6).
Juul E-Zigaretten sind sog. geschlossene Systeme, da die Kartuschen (genannt „Pods“)
nicht nachfüllbar sind und nach der Nutzung ersetzt werden müssen. Ein US-amerikanischer
Pod (daher die Bezeichnung „Pod devices“ in [Abb. 2]) enthält ca. 0,7 g E-Liquid. Dies reicht laut Juul für ca. 200 Züge und enthält
dieselbe Menge Nikotin wie eine Packung Zigaretten. Allerdings enthalten die in Deutschland
seit Ende 2018 vermarkteten Juul E-Zigaretten nur ca. 1,8 % Nikotin und damit nur
rund ein Drittel des Nikotingehalts der US-amerikanischen Produkte (5 %). Die 2014
verabschiedete und 2016 in Kraft getretene EU-Richtlinie für Tabakerzeugnisse (engl.
„TPD“ [9]) beschränkt die in der EU vermarkteten E-Liquids auf eine maximale Nikotinkonzentration
von 20 mg/ml (da die Dichte von E-Liquids > 1 g/mL ist, entsprechen 20 mg/mL ca. 1,8 %).
Eine Variante des Vapings ist das „Dabbing“, bei dem ein Aerosol eingeatmet wird,
was durch Erhitzen von sehr zähen Substanzen gebildet wird, die THC oder Cannabidiol
enthalten (z. B. Haschischöl).
Inhaltsstoffe von E-Liquids
Inhaltsstoffe von E-Liquids
Zwar ist die Aufnahme von Nikotin das Hauptziel der E-Zigaretten-Nutzung, doch machen
Nikotin sowie die zugesetzten Aromastoffe nur einen Bruchteil der Masse von E-Liquids
aus. Generell werden zwei Trägerstoffe zur E-Liquid-Herstellung genutzt: Propylenglykol
(PG) und Glycerol (VG für „Vegetable Glycerol“). Diese beiden Stoffe machen oft 80 – 99 %
der Masse von E-Liquids aus, und Inhaltsstoffangaben auf E-Liquids beschreiben oft
nur die verhältnismäßigen Anteile dieser beide Stoffe zueinander sowie „Nikotin“,
„Benzoesäure“ (falls vorhanden), und den recht undefinierten Inhaltsstoff „Aromen“.
Als Beispiel sei Juul E-Liquid genannt, welches PG/VG im Verhältnis 30 /70 (in %)
enthält, wobei andere beliebte Mischungen meist zwischen 100/0 und den genannten 30/70
liegen. Ein noch höherer Anteil von Glycerol ist eher selten, da Glycerol sehr zäh
und eine honigartige Konsistenz hat, und somit schwierig anzumischen ist. Mehrere
Studien haben nachgewiesen, dass eine zu starke Erhitzung von E-Liquids dazu führt,
dass Propylenglykol und Glycerol bekannte Giftstoffe freisetzen, wie z. B. Formaldehyd
und Acrolein [10]
[11]. Dies hat dazu geführt, dass viele der modernen E-Zigaretten automatisch die Temperatur
der Heizwendel überwachen und diese bei Überhitzung (ca. 220 °C) automatisch ausschalten.
Eine solche Funktion ist jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben und somit auch nicht
zwangsläufig in jeder E-Zigarette integriert.
Unter dem Sammelbegriff „Aromen“ verbergen sich Hunderte von chemischen Verbindungen,
die oft für charakteristische Aromen verantwortlich sind, wie z. B. Vanillin (Vanille-Aroma),
Benzaldehyd (Kirsch-/Mandelaroma), Zimtaldehyd (Zimtaroma) oder Isoamylacetat (Bananenaroma).
Weiterhin kommen auch ätherische Öle zum Einsatz (z. B. aus Minze, Gewürznelken, etc.),
deren genaue Komposition nicht exakt bekannt ist und die von Produkt zu Produkt sehr
unterschiedlich sein können, sowie weitere Aromastoffe, die nicht pur, sondern als
Lösung und somit in Lösungsmitteln verkauft werden. Als Beispiel sei Vanille-Extrakt
genannt, das generell als Ethanol-Lösung erhältlich ist [12].
Weiterhin zeigen neue Studien, dass es zu chemischen Reaktionen in E-Liquids kommen
kann, z. B. zwischen aldehydischen Aromastoffen wie dem weit verbreitet genutzten,
süßlichen Aromastoff Vanillin und den Trägerstoffen Propylenglykol oder Glycerol [13]
[14]
[15]. Diese Reaktion findet schon bei Raumtemperatur statt, und die neugebildeten sog.
Acetal-Verbindungen unterscheiden sich in ihren Eigenschaften von den Reagenzien,
aus denen sie gebildet wurden (hier: Vanillin und Propylenglykol), z. B. durch ein
erhöhtes Irritationspotenzial gegenüber Atemwegszellen [16]. Infolgedessen ist die genaue Komposition von E-Liquids oft unklar, und selbst die
detaillierte Inhaltsstoffangabe, die für Hersteller in der EU im Gegensatz zur USA
meldepflichtig ist [17], hilft nicht, einen genauen Überblick über die Stoffe zu gewinnen, denen sich ein
E-Zigaretten-Nutzer aussetzt, sowie die potenzielle Gefahr durch deren Inhalation
abzuschätzen. Hierzu wäre eine chemische Analyse des E-Liquids direkt vor der Nutzung
bzw. des Aerosols notwendig, da die einzelnen enthaltenen Substanzen miteinander reagieren
und so neue Substanzen entstehen können [16].
Inhalationsrisiken
Während der Nutzung von E-Zigaretten (engl. „to vape“, dt. „dampfen“) inhalieren Nutzer
eine Vielzahl von Stoffen, deren Anzahl von der Komplexität der Geschmacksrichtung
des E-Liquids abhängig ist: Z. B. kann „Menthol“-Aroma durch das Zusetzen von einem
einzigen Stoff (Menthol) kreiert werden, andererseits existieren komplexe Geschmacksrichtungen
wie „Knuspriger Kuchen mit Zitronencreme und Baiser“, für die eine Vielzahl von Aromastoffen
vonnöten ist. Die meisten der zugesetzten Aromastoffe haben eines gemeinsam: Sie sind
oft anerkannte Lebensmittelzusatzstoffe, die von Expertengremien im behördlichen Auftrag
oder internationalen Organisationen wie der WHO nach verschiedenen Kriterien auf ihre
Sicherheit evaluiert worden sind. Beispiele hierfür sind die „European Food Safety
Authority“ (EFSA), die „US Food and Drug Administration“ (FDA) in Zusammenarbeit mit
der „Flavor Extract Manufacturers Association“ (FEMA) sowie das „UN/WHO Joint Expert
Committee on Food Additives“ (JECFA). Diese Evaluationen berücksichtigen meist jedoch
nur die Aufnahme durch den Magen-Darm-Trakt bzw. eine Gesamtexposition ohne Berücksichtigung
des Expositionsweges. Die Inhalation des E-Liquid-Aerosols, und damit der zugesetzten
und als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassenen Aromastoffen, ist daher nicht zwangsläufig
unproblematisch. Ein Beispiel hierfür ist das unten diskutierte Vitamin-E-Acetat (auch
Tocopherylacetat), ein dickflüssiges, öliges Provitamin: Vitamin-E-Acetat ist ein
Nahrungsergänzungsmittel und kann problemlos über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen
werden, wird jedoch bei Inhalation verdächtigt, EVALI auszulösen [3]. Des Weiteren muss beachtet werden, dass typische E-Zigaretten-Nutzer > 100 Züge
regelmäßig über den Tag hinweg inhalieren (eine herkömmliche Zigarette entspricht
ca. 10 – 15 Zügen), was bedeutet, dass neben möglichen akuten Effekten auch chronische
Effekte der Inhaltsstoffe von E-Liquids untersucht werden müssen.
Obwohl dieser Übersichtsartikel keine detaillierte Analyse der Hunderten von Stoffen,
die in E-Liquids genutzt werden, leisten kann, so sollen doch einige wichtige Stoffe
im Folgenden diskutiert werden. Darüber hinaus seien interessierte Leser auf weitere
Literaturquellen verwiesen [18]
[19]
[20].
Die Trägerstoffe Propylenglykol und Glycerol machen den Großteil von E-Liquids aus,
oft > 85 % der Gesamtmasse. Beide produzieren beim Erhitzen problematische Stoffe,
wie die Carbonylverbindungen Formaldehyd oder Acrolein. Die Menge der produzierten
Carbonylverbindungen ist generell proportional zum Leistungsausstoß der E-Zigarette
[21]. Andere Faktoren, wie die Aromastoffe im E-Liquid, können zudem ebenfalls eine Rolle
bei der Carbonyl-Entwicklung spielen [22]. Neben der Reaktivität von Propylenglykol und Glycerol stellt sich auch die Frage
nach deren direkten Effekten auf den Nutzer. Während Propylenglykol zwar reizend auf
Augen und Rachen wirken kann, ansonsten aber als relativ unschädlich angesehen wird
[18]
[19], ist die Lage bei Glycerol etwas komplexer: Zwei klinische Fallstudien aus den USA
und dem Vereinten Königreich beschreiben Fälle von Lipoidpneumonien, die die Autoren
auf Glycerol-Inhalation in E-Zigaretten zurückführten [23]
[24], und eine aktuelle Studie beschreibt den Befund einer Akkumulation von Lipid-beladenen
Makrophagen (jedoch nicht mit Glycerol) in Mäuselungen, die über 4 Monate chronisch
Propylenglykol-/Glycerol-Aerosol ausgesetzt wurden [25].
Für viele der Aromastoffe in E-Liquids existiert wenig oder gar keine Literatur bezüglich
deren Inhalationstoxikologie, weshalb mögliche Langzeitfolgen durch E-Zigaretten-Nutzung
gar nicht oder nur schwer abzuschätzen sind. Eine mögliche Quelle bieten Grenzwerte,
die zum Arbeitnehmerschutz entwickelt wurden, wie der MAK (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration)-
und BAT-Wert (Biologische Arbeitsstoff-Toleranzwert) in Deutschland, oder der WEEL-Wert
(„Workplace Environmental Exposure Level“) der US-amerikanischen „Occupational Alliance
for Risk Science“. Im Folgenden sind einige bekanntermaßen problematische Aromastoffe
aufgeführt.
Diacetyl (2,3-Butandion; Butteraroma) kann bei Inhalation zu einer Bronchiolitis obliterans
führen [11], welche im Englischen auch als „popcorn lung disease“ bezeichnet wird, nachdem mehrere
Arbeiter einer Popcorn-Fabrik nach Diacetyl-Exposition erkrankten [26]. Zimtaldehyd (Zimtaroma) wirkt bei Inhalation reizend auf Rachen und Atemwege [27], reagiert mit den E-Liquid-Trägerstoffen Proyplenglykol und Glycerol zu neuen Verbindungen
[16] und beeinträchtigt die mitochondriale Funktion sowie den Zilienschlag von Bronchialepithelzellen,
und somit die Abwehrfunktion dieser Atemwegszellen [28]. Einige Aromastoffe, wie z. B. Benzaldehyd (Kirsch-/Mandelaroma), Menthol, Eugenol
(Gewürznelkenaroma), (R-)Limonen (Zitrusaroma), Gingerol (Ingweraroma), Ethylvanillin
(Vanillearoma), Vanillin Propylenglykol-Acetal (Reaktionsprodukt aus Vanillin und
Propylenglykol), aktivieren Ionenkanäle wie TRPA1 oder TRPV1 der Schmerzrezeptoren
und haben somit eine reizende Wirkung auf die Atemwege [16]
[20]. Zwar sind diese Stoffe auch Bestandteil von Nahrungsmitteln, dort jedoch in geringeren
Konzentrationen, und sie werden nicht als Aerosole eingeatmet. Eine regelmäßige Reizung
der Atemwege durch Inhalation von E-Zigaretten-Aerosol und der darin enthaltenen reizenden
Stoffe kann somit möglicherweise zu Entzündungen der Atemwege und Asthma bronchiale
führen bzw. bei Patienten mit Asthma Asthmaanfälle auslösen [29]. Zusätzlich sind natürlich auch chronische Folgeschäden denkbar.
E-Zigaretten-Nutzung von US-amerikanischen Jugendlichen
E-Zigaretten wurden zunächst als Alternative für Tabakraucher beworben. Allerdings
gab es schnell Bedenken, dass diese Geräte auch für Jugendliche verlockend sein könnten.
Dies wurde befördert durch das Angebot von Tausenden verschiedenen Geschmacksrichtungen
und der oft eleganten Optik, v. a. der „pod devices“ wie Juul (siehe [Abb. 2]). Derzeit sind in den USA Klagen gegen Juul mit dem Vorwurf eingereicht, dass ihre
Vermarktungsstrategie ab 2016 bis ca. 2018 vor allem auf Jugendliche zielte [30]. Die US-amerikanische FDA führt seit ca. 1999 jährliche nationale Befragungen zur
Nutzung von Tabak- und Nikotinprodukten in Schulen durch, die sog. „National Youth
Tobacco Survey“ (NYTS, Nationale Umfrage zur Tabaknutzung von Jugendlichen). Neueste
Zahlen [31]
[32] zeigen sowohl einen stetigen Rückgang von Nutzern herkömmlicher Zigaretten (Stand
2019: ca. 6 % aller Schüler der 9. – 12. Klassen), gleichzeitig aber einen rapiden
Anstieg der E-Zigaretten-Nutzung, speziell seit der Einführung von Juul Ende 2015
([Abb. 4]). Stand 2019 nutzten 27,5 % und damit > 5 Mio. US-amerikanische Schüler der 9. – 12. Klassen
E-Zigaretten in den 30 Tagen vor der Befragung (2018: ca. 3,6 Mio). Hiervon gaben
ca. 1 Mio. Jugendliche an, E-Zigaretten täglich zu nutzen [32]. Weiterhin gaben > 50 % der jugendlichen E-Zigaretten-Nutzer an, Juul-Geräte zu
nutzen. Die favorisierten Geschmacksrichtungen waren „fruchtig“, „Menthol/Mint“ und
„Desserts“. Weitere Studien unterstützen dies: Süße und fruchtige Aromen sowie Menthol/Mint
dominieren, wohingegen das Tabak-Aroma bei Jugendlichen überwiegend unbeliebt ist
[32]
[33]
[34]. Vor dem Hintergrund von stetig fallenden Zahlen von US-amerikanischen jugendlichen
(Zigaretten-)Rauchern ist mit den steigenden E-Zigaretten-Nutzungszahlen die Sorge
verbunden, dass sich dieser Trend umkehrt [35].
Abb. 4 E-Zigaretten-Nutzung von US-amerikanischen Schülern der Klassen 6 – 8 (Middle School)
und Schülern der Klassen 9 – 12 (High School) in Prozent laut nationaler Umfrage der
„US Food and Drug Administration“ (FDA) [31].
Laut der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten, noch nicht abgeschlossenen
DEBRA-Studie („Deutsche Befragung zum Rauchverhalten“) [36] liegt die Prävalenz der aktiven E-Zigaretten-Nutzer in Deutschland bei ca. 2 % (www.debra-study.info, Abfrage November 2019) bzw. laut Drogenbericht der Bundesregierung im Jahre 2019
für 14- bis 17-Jährige bei unter 1 % [37].
Ausbruch der „E-Zigaretten-Epidemie“ 2019
Ausbruch der „E-Zigaretten-Epidemie“ 2019
Mitte 2019 traten in den USA erste Fälle einer mysteriösen Erkrankung von ansonsten
gesunden Jugendlichen auf, die mit progressiver Dyspnoe, Müdigkeit und Hypoxämie stationär
behandelt werden mussten. Zwei von insgesamt fünf Patienten mussten intubiert und
mechanisch beatmet werden, und bei vier der Patienten zeigten CT-Scans bilaterale
Milchglastrübungen [38]. Die einzige Verbindung zwischen diesen Fällen war, dass alle Patienten E-Zigaretten
nutzten. Schnell häuften sich ähnliche Berichte aus einer Vielzahl von US-Bundesstaaten,
wobei unklar blieb, welcher Bestandteil von E-Zigaretten oder E-Liquids für das Krankheitsbild
verantwortlich war. Diese Frage ist bis heute nicht abschließend geklärt. Das US-amerikanische
„Center for Disease Control and Prevention“ (CDC) begann daraufhin, nationale Fallzahlen
zu kompilieren und zu erforschen, was der Grund für das nun als „Ausbruch“ bezeichnete
Krankheitsgeschehen sei. Die „E-Zigaretten-Epidemie“ erfuhr aus vielschichtigen Gründen
zudem eine außerordentliche mediale Aufmerksamkeit, so bietet z. B. die New York Times in ihrer Online-Ausgabe eine gelungene optische Übersicht über den derzeitigen Stand
der vom CDC veröffentlichten epidemiologischen Daten an (s. Abschnitt zur Epidemiologie)
[39]. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ähnliche Fälle, allerdings in geringerer Fallzahl,
auch aus dem Vereinigten Königreich (UK) [23] und Japan [40] bekannt sind. Im Folgenden soll der aktuelle Stand der Forschung zum mittlerweile
„EVALI“ genannten Krankheitsbild präsentiert werden („e-cigarette, or vaping, product use associated lung injury”, E-Zigaretten- oder Vaping-assoziierte Lungenschädigung) [41].
E-Zigaretten- oder Vaping-assoziierte Lungenschädigung – EVALI
E-Zigaretten- oder Vaping-assoziierte Lungenschädigung – EVALI
Definition EVALI
Der Begriff EVALI wurde vom CDC geprägt und wird auch in dieser Übersichtsarbeit verwendet
[41]. Das CDC hat für Surveillance-Zwecke eine Falldefinition des schweren EVALI entwickelt
und hierfür festgelegt, dass dann von einem EVALI auszugehen ist, wenn Patienten 1.)
innerhalb der letzten 90 Tage vor Symptombeginn E-Zigaretten oder andere Vaping- oder
Dabbing-Produkte genutzt haben, 2.) pulmonale Verschattungen bzw. Milchglastrübungen
in der thorakalen Bildgebung vorliegen und 3.) der Ausschluss alternativer Diagnosen,
insbesondere infektiologischer Erkrankungen, erfolgte (Details siehe [Tab. 1]) [42]. Diese Definition wurde jedoch explizit nur für die gesundheitsbehördliche Überwachung
entwickelt und soll nicht für die klinische Diagnose verwendet werden.
Tab. 1
CDC-Falldefinition [42] des schweren EVALI vom 30. August 2019, genutzt ebenfalls von Layden et al. [38]
Bestätigt
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Ausschluss einer pulmonalen Infektion zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung: Zu den Mindestkriterien
gehören negatives Panel auf respiratorische Viren, Influenza-PCR oder -Schnelltest.
Alle anderen klinisch indizierten Untersuchungen auf Infektionskrankheiten der Atemwege
müssen negativ sein, so z. B. Urinantigen auf Streptococcus pneumoniae und Legionella, Sputumkultur bei produktivem Husten, Kultur einer bronchoalveolären Lavage, Blutkultur,
ggf. Ausschluss opportunistischer Atemwegsinfektionen bei HIV.
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Wahrscheinlich
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Nachweis einer pulmonalen Infektion mittels Kultur oder PCR, aber das behandelnde
Team ist der Ansicht, dass dies nicht die alleinige Ursache des zugrunde liegenden
Prozesses der Atemwegserkrankung ist ODER der Ausschluss einer pulmonalen Infektion
ist nicht (vollständig) erfolgt (Untersuchungen wurden nicht durchgeführt) und das
behandelnde Team glaubt, dass dies nicht die alleinige Ursache des zugrunde liegenden
Prozesses der Atemwegserkrankung ist.
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# Vaping wurde definiert als die Verwendung einer elektronischen Vorrichtung (z. B.
elektronisches Nikotinabgabesystem, elektronische Zigarette, E-Zigarette, Vape(s), Vape Pen, Dab Pen oder andere Vorrichtung) und Dabbing als die Verwendung einer Vorrichtung zum Erhitzen
von Substanzen zur Erzeugung eines Aerosols/Rauchs, in beiden Fällen zum Inhalieren
von Substanzen wie Nikotin, Marijuana, Tetrahydrocannabinol (THC), THC-Konzentrate,
Cannabidiol (CBD), synthetische Cannabinoide und Aromen.
Epidemiologie und Demografie der EVALI
Das CDC unterhält eine Webseite, auf der epidemiologische Daten aus den USA zu EVALI
wöchentlich aktualisiert werden [43]. Stand Dezember 2019 wurden dem CDC 2291 hospitalisierte EVALI-Fälle gemeldet [43]: 68 % der Patienten mit EVALI waren männlichen Geschlechts im medianen Alter von
24 Jahren (Spannweite zwischen 13 und 78 Jahren). 15 % der Patienten waren unter 18
Jahre alt. 83 % der Patienten berichteten die Nutzung von THC-haltigen Produkten sowie
61 % von Nikotin-haltigen Produkten. Von den 2291 Patienten mit EVALI sind bisher
48 verstorben, was einer Letalität von 2,1 % entspricht. Während der Gipfel der Inzidenz
bei jungen Männern liegt, versterben vor allem Patienten fortgeschrittenen Alters
an EVALI. So beträgt das mediane Alter der an EVALI Verstorbenen 52 Jahre (Spannweite
zwischen 17 und 75 Jahren).
Auf europäischer Ebene werden Daten zu EVALI aktuell durch die Europäische Beobachtungsstelle
für Drogen und Drogensucht erhoben, Ergebnisse liegen bisher noch nicht vor.
Klinisches Bild der EVALI
In den 3 publizierten Fallserien sind Symptome, Befunde und Verlauf der Patienten
mit EVALI überraschend einheitlich (Kurzzusammenfassung s. [Tab. 2]) [38]
[44]
[45]: Die Symptome des schweren EVALI umfassen typischerweise respiratorische Symptome
wie Atemnot, unproduktiver Husten, pleuritische Schmerzen, systemische Symptome wie
Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie und Fatigue sowie gastrointestinale Beschwerden
wie Übelkeit und Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall [38]
[42]
[44]
[45]. Regelhaft erhobene Befunde waren: Tachypnoe, Hypoxämie unter Raumluft [44], Leukozytose mit Prädominanz neutrophiler Granulozyten, erhöhtes C-reaktives Protein
(CRP) und erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit. Radiologisch lagen in über 90 % der
Fälle bilaterale Verschattungen im Röntgen-Thorax, bzw. bilaterale Milchglastrübungen,
teils mit Konsolidierungen, im CT-Thorax vor. Zytologisch können in der bronchoalveolären
Lavage (BAL) neutrophile Granulozyten und Lipid-beladene Makrophagen in variierender
Häufigkeit nachgewiesen werden. Histopathologisch zeigte sich eine akute Lungenschädigung,
d. h. ein diffuser alveolärer Schaden oder eine organisierende Pneumonie [46]
[47]. Das Schädigungsmuster wurde meist als eine chemisch-toxische Pneumonitis sowie
seltener als eine Lipoidpneumonie eingeordnet [47]. Auf die radiologischen, histologischen und zytologischen Befunde soll im Folgenden
detaillierter eingegangen werden.
Tab. 2
Kurzzusammenfassung des klinischen Bildes von EVALI.
Symptome
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Befunde
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In der größten Fallstudie zu EVALI wurden über 90 % der Patienten mit EVALI in ein
Krankenhaus und ca. die Hälfte auf einer Intensivstation aufgenommen [38]
[41]. Diese Patienten wurden initial bis zum Ausschluss einer bakteriellen Genese der
Erkrankung zumeist mit einer antibiotischen Medikation behandelt. Über 90 % der Patienten
wurden mit einer systemischen Glukokortikoid-Therapie behandelt [38]
[44]
[45], wobei in 65 % – 82 % der Fälle über eine klinische Besserung nach Therapiebeginn
berichtet wurde [38]
[41]. Randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien zur Behandlung von Patienten mit EVALI
wurden bisher nicht publiziert. Die Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz
richtete sich nach deren Schweregrad und reichte von einer Sauerstoffsupplementation
über die Intubation mit mechanischer Beatmung bis hin zu einer extrakorporalen Membranoxygenierung
(ECMO) [29]. Eine klinische Verbesserung trat üblicherweise nach 24 – 72 Stunden ein [44]
[45] und die Entlassung aus dem Krankenhaus erfolgte nach 6 – 10 Tagen [38]
[41]
[45]. Die Letalität liegt nach derzeitigem Stand bei ca. 2,1 % [38]
[42].
Limitierend ist anzumerken, dass vermutlich ein ausgeprägter Publikationsbias vorliegt,
da überwiegend schwere Verläufe mit konsekutiver Hospitalisierung erfasst wurden.
Unklar ist, wie viele Personen möglicherweise an einem „milden“ EVALI erkrankt sind,
da von einem Kontinuum der Schwere des EVALI auszugehen ist. Insgesamt dürfte bisher
nur die Spitze des Eisberges der „Morbidität des EVALIs“ bekannt und publiziert sein.
Schädigungsmuster und Histologie der EVALI
Ein spezifischer histologischer Befund der EVALI wurde bisher nicht identifiziert,
jedoch sind die zwei häufigsten publizierten Schädigungsmuster die einer chemisch-toxischen
Pneumonitis [38] und einer Lipoidpneumonie [23]
[44]
[48]. Weiterhin wurden Einzelfälle einer organisierenden Pneumonie [49]
[50], diffusen alveolären Hämorrhagie [51], akuten eosinophilen Pneumonie [52], Spontanpneumothorax [53], exogen allergischen Alveolitis [54] und Status asthmaticus [29] berichtet; auf diese wird in dieser Übersichtsarbeit jedoch aufgrund ihrer solitären
Inzidenz nicht weiter eingegangen.
Histopathologische Befunde zeigen typischerweise das Bild einer akuten Lungenschädigung,
d. h. eines diffusen alveolären Schadens oder einer organisierenden Pneumonie, teilweise
lag auch ein Mischbild dieser beiden Muster vor. Gelegentlich konnte das Lungenschädigungsmuster
auch nicht näher klassifiziert werden [38]
[46]
[47]. Eine organisierende Pneumonie ist gekennzeichnet durch Granulationsgewebe in den
Alveolen, bzw. terminalen Atemwegen (sog. Massonkörper), welche sich aus Fibroblasten
und Myofibroblasten sowie Kollagen zusammensetzen. Eine akute fibrinöse Pneumonitis
mit hyalinen Membranen ist charakteristisch für einen diffusen Alveolarschaden [46]. In einer histologischen Fallserie von 17 Patienten mit EVALI wurde weiterhin schaumige
Makrophagen (s. nächster Abschnitt) beobachtet sowie eine meist prominente Neutrophilie
beschrieben [38]
[47].
Zytologie der Bronchoalveolären Lavage bei EVALI
Zwei Befunde wurden regelhaft in zytologischen Untersuchungen der BAL bei Patienten
mit EVALI erhoben: eine Vermehrung der neutrophilen Granulozyten sowie schaumige bzw.
Lipid-beladene Makrophagen. Die Neutrophilie in der BAL war sehr variabel ausgeprägt,
so lag der Prozentsatz an neutrophilen Granulozyten der BAL-Zellen bei 10 – 90 % [38]
[45]
[55]. In Anbetracht der theoretisch denkbaren Differenzialdiagnose einer akuten eosinophilen
Pneumonie ist weiterhin berichtenswert, dass eosinophile Granulozyten in keinem nennenswerten
Umfang gefunden wurden und scheinbar in der Pathogenese der EVALI keine relevante
Rolle spielen. Schaumige Makrophagen wurden hingegen fast immer in der BAL sowie auch
im Lungengewebe von Patienten mit EVALI identifiziert [44]
[55]. Die schaumigen Makrophagen von EVALI-Patienten stellten sich in der „Oil Red O“
oder der Sudanfärbung als Lipid-beladene Makrophagen dar. Die relative Häufigkeit
der Lipid-beladenen Makrophagen (25 – 75 %) sowie die Intensität der Lipidfärbungen
variierten jedoch von Fall zu Fall stark [38]
[44]
[55]. Bislang ist unklar, ob die Lipiddepositionen aus den inhalativ zugeführten Stoffen
entstammen oder durch einen veränderten Lipidmetabolismus der Makrophagen – im Sinne
einer Phospholipidose – entstehen [25]
[42]. Auch ist ungeklärt, ob der Nachweis von Lipid-beladenen Makrophagen integral für
die Pathogenese der EVALI und somit klinisch relevant ist oder nur einen Marker der
Exposition gegenüber Öl- und Fett-haltigem Aerosol oder Rauch darstellt [42]
[55].
Mittels zu Forschungs- bzw. Überwachungszwecken asservierter BAL gelang es der CDC,
den Nachweis von Vitamin-E-Acetat mittels Massenspektrometrie zu führen (siehe unten)
[3].
Bildgebung der EVALI
Zwar wurde über unterschiedliche radiologische Schädigungsmuster im Rahmen der EVALI
berichtet, es lässt sich jedoch ein relativ typisches Muster aus den Fallserien herauslesen
[56]: Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Infiltrationen zumeist im Röntgen-Thorax,
jedoch immer im CT-Thorax nachweisbar sind. In den 3 publizierten Fallserien fielen
im Röntgen-Thorax bilaterale infiltrative Verschattungen auf. Im CT-Thorax zeigen
sich diese zumeist als diffuse, bilaterale Milchglasverschattungen, häufig auch mit
subpleuraler Aussparung. Bei vielen Patienten zeigen sich zudem Konsolidierungen und
Atelektasen in den basalen Abschnitten, die dem Bild eines ARDS entsprechen. Gelegentlich
wurde auch über das Auftreten von nodulären oder „tree-in-bud“-Infiltrationen berichtet,
vermutlich immer dann, wenn eine zusätzliche Schädigung im Bereich der distalen Atemwege
vorlag [38]
[45]. Zudem wurde bei Patienten mit EVALI selten über ein Pneumomediastinum, einen Pneumothorax
oder einen Pleuraerguss berichtet [38]
[53]; eine direkte Schädigung der Pleura lässt sich in der Regel jedoch nicht nachweisen.
Eine Reduktion der Hounsfield-Einheiten (< – 30 HU) in den Zonen mit Infiltraten,
die durch die Fettanreicherung zustande kommt und als pathognomonisch für die klassische
Lipoidpneumonie gilt, kann bei EVALI vorliegen, ist bei den allermeisten Patienten
jedoch nicht in diesem Ausmaß nachzuweisen [57].
Inhalatives Vitamin-E-Acetat als potenzieller Auslöser der EVALI
Anfang November 2019 gelang es der CDC, einen ersten potenziellen Auslöser der EVALI
zu identifizieren [3]: Von August bis Oktober 2019 wurde BAL-Material von 29 Patienten aus 10 verschiedenen
US-Bundesstaaten mit EVALI nach Konsum THC-haltigen E-Liquids durch die bundesstaatlichen
Gesundheitsbehörden gesammelt und anschließend zentral von der CDC mittels Isotopenverdünnung-Massenspektrometrie
analysiert. In allen 29 BALs wurde Vitamin-E-Acetat, in 23 von 28 Proben THC oder
dessen Metabolite sowie Nikotinmetabolite in 16 von 26 Proben nachgewiesen. Dies ist
somit die erste Studie, die Vitamin-E-Acetat am Ort der primären Schädigung in biologischen
Proben von EVALI-Patienten nachgewiesen hat [3].
In einer aktuellen Studie aus Minnesota wurden von EVALI-Patienten eingereichte (illegale)
THC-haltige E-Liquids untersucht und Vitamin-E-Acetat in 11 der 12 Fälle nachgewiesen
[4]. Weiterhin wurden in dieser Studie die Inhaltsstoffe der durch die Behörden konfiszierten
THC-haltigen E-Liquids aus den Jahren 2018 (10 Proben) und 2019 (20 Proben) miteinander
verglichen: Keine der Proben von 2018 – also vor dem Ausbruch der EVALI-Erkrankungen
– enthielt Vitamin-E-Acetat, jedoch alle 20 Proben von 2019 – dem Jahr des EVALI-Ausbruchs
[4]. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass – zumindest in Minnesota – die Nachweise
von Vitamin-E-Acetat in THC-haltigen E-Liquids mit dem Ausbruch der EVALI-Erkrankungen
assoziieren.
Die FDA unterhält auf ihrer Homepage weiterhin eine Übersicht über die Laborergebnisse
von E-Liquids, die von Patienten mit CDC-Fallnummer eingereicht wurden [58]: Stand Dezember 2019 wurden 545 E-Liquid-Proben von 70 Patienten untersucht (d. h.,
in der Regel mehrere Kartuschen und somit Proben pro Patient): In 80 % wurde THC nachgewiesen,
von denen wiederum 77 % Vitamin-E-Acetat enthielten, in Konzentrationen zwischen 23 %
und 88 %. Weiterhin enthielten 32 % der THC-haltigen Proben auch Triglyceride (Lipide),
die bei Inhalation ebenso problematisch seien können.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Nachweis einer spezifischen Substanz (wie
Vitamin-E-Acetat) in Proben von an EVALI erkrankten Patienten nur einen ersten, wichtigen
Schritt darstellt [58]. Die Frage der Kausalität bleibt bisher unbeantwortet. So wurden o. g. BAL-Proben
seitens der CDC nur auf eine Handvoll Substanzen getestet: mittelkettige und langkettige
Triglyceride, Erdöldestillate, Terpene, Cannabinoide, Nikotin und Vitamin-E-Acetat
[3], jedoch nicht auf andere Substanzen, und es ist denkbar, dass es weitere Auslöser
der EVALI gibt. Weiterhin wurden BALs gesunder Probanden bzw. gesunder Nutzer THC-haltiger
E-Liquids bisher nicht untersucht.
Kommentar
Als Abschluss dieser Übersichtsarbeit folgt nun ein Kommentar mit unserer persönlichen
Einschätzung, der zur Diskussion anregen soll:
Erfreulicherweise ist es bisher nicht zu einem Ausbruch an EVALI-Erkrankungen in Deutschland
gekommen, was möglicherweise daran liegt, dass die Nutzung von THC-haltigen E-Liquids
bzw. Haschischöl weniger üblich ist und diese somit auch nicht mit „natürlich“ erscheinenden
Stoffen wie Vitamin-E-Acetat oder Kokosöl gestreckt werden. Da Marihuana in den USA
in 11 Staaten frei verkäuflich und in 33 Staaten auf Rezept zu erhalten ist, scheint
die Verlockung groß, durch dessen „Export“ als verarbeitetes THC-haltiges E-Liquid
bzw. Haschischöl in die Bundesstaaten, in denen THC illegal ist, schnelles Geld zu
verdienen. Der Gewinn kann durch eine Streckung weiter maximiert werden, und was liegt
näher, als ein „Vitamin“ mit ähnlicher Konsistenz (Vitamin-E-Acetat) hierfür zu nutzen.
An dieser Stelle möchten die Autoren allerdings auch erwähnen, dass THC-Öl und mögliche
Streckmittel wie Vitamin-E-Acetat nicht alleine für den EVALI-Ausbruch in den USA
verantwortlich gemacht werden können; schließlich sind auch Fälle von EVALI bekannt,
in denen keine THC-haltigen E-Liquids, sondern ausschließlich Nikotin-haltige E-Liquids
genutzt wurden, und es sind auch Fälle über die USA hinaus, z. B. in UK und Japan,
beschrieben worden [23]
[40]. Langzeitdaten zu den gesundheitlichen Risiken – speziell nach Inhalation – der
anderen Inhaltsstoffe in E-Zigaretten, von denen es Hunderte gibt, sind bisher nicht
existent. Zudem ist die rechtliche Lage in den USA so, dass weder eine Lizenz zum
Anmischen von E-Liquids benötigt wird noch muss der FDA oder dem Konsumenten mitgeteilt
werden, welche Stoffe im E-Liquid verarbeitet wurden. Die rechtliche Situation unterscheidet
sich in Deutschland insofern, dass Hersteller eine Inhaltsangabe an die zuständige
Behörde übermitteln müssen. Darüber hinaus existieren in Deutschland einige Anforderungen
an Inhaltsstoffe von E-Liquids, z. B. dürfen diese nicht karzinogen, mutagen, oder
fortpflanzungsgefährdend (CMR) sein oder gesundheitlichen Nutzen suggerieren. Zwar
sind einige wenige Stoffe auch explizit verboten, wie das o. g. Diacetyl, jedoch gibt
es darüber hinaus keine Regelungen bezüglich des Zusatzes der großen Anzahl von Aromastoffen,
deren Inhalationstoxikologie oft unbekannt ist [59]. Anders ist die Lage bei herkömmlichen Zigaretten, die EU-weit seit 2016 überhaupt
keine anderen Inhaltsstoffe mehr enthalten dürfen, welche ein „charakterisierendes“
Aroma verleihen – und selbst Menthol-Zigaretten werden ab 2020 verboten sein. Das
Verbot charakterisierender Aromen erfolgte u. a. auch, um Tabakprodukte nicht durch
den Zusatz von süßlichem Aroma für Jugendliche attraktiver zu machen; insofern ist
es unklar, wieso ähnliche Regelungen nicht auch für E-Zigaretten gelten, schließlich
enthalten diese ebenso den Suchtstoff Nikotin. Selbst wenn der Verkauf von aromatisierten
E-Liquids verboten würde (wie bereits in 8 US-amerikanischen Bundesstaaten geschehen),
ist davon auszugehen, dass selbst angemischte E-Liquids mit fragwürdiger Reinheit
und unklarer Zusammensetzung weiterhin inhaliert und zu Erkrankungen führen können.
Anleitungen hierzu sind im Internet weit verbreitet.
Sollten Langzeitstudien bestätigen, dass E-Zigaretten tatsächlich harmloser als herkömmliche
Zigaretten sind, so dürfen diese jedoch ausschließlich für Raucher von herkömmlichen
Zigaretten als Ersatz empfohlen werden, nicht jedoch der breiten Bevölkerung. In den
USA hat die Verfügbarkeit von süßlichen E-Liquids bereits dazu geführt, dass eine
„neue Generation“ Nikotin-Süchtiger durch ein Produkt kreiert wurde, das vorgeblich
dazu konzipiert wurde, Raucher mit Nikotin zu versorgen, ohne dass diese dabei den
freigesetzten Giftstoffen aus verbranntem Tabak ausgesetzt sind (engl. „modified risk
product“).
Abb. 5 CT-Thorax-Aufnahme einer Patientin im jungen Erwachsenenalter mit EVALI nach Inhalation
von THC-haltigem E-Liquids mittels einer E-Zigarette. In einer von der Patientin bereitgestellten
Probe konnte Vitamin-E-Acetat nachgewiesen werden. Man beachte die bilaterale Milchglasverschattung
mit subpleuraler Aussparung, begleitet von einem rechtsseitig führenden Pleuraerguss.