CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2020; 82(S 01): S52-S61
DOI: 10.1055/a-1057-8799
Originalarbeit
Eigentümer und Copyright ©Georg Thieme Verlag KG 2020

Qualitätsmessung mit Routinedaten im Pflegeheim am Beispiel Dekubitus

Pressure ulcer in German Nursing Homes: Quality Assessment Using Claims Data of Statutory Health and Long-Term Care Insurance
Susann Behrendt
1   Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fachbereich Pflege, Berlin
,
Antje Schwinger
1   Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fachbereich Pflege, Berlin
,
Chrysanthi Tsiasioti
1   Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fachbereich Pflege, Berlin
,
Kai Stieglitz
1   Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fachbereich Pflege, Berlin
,
Jürgen Klauber
2   Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Geschäftsführung, Berlin
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Susann Behrendt
WIdO, Pflege, Rosenthaler Straße 31
10178 Berlin

Publication History

Publication Date:
04 February 2020 (online)

 

Zusammenfassung

Ziel Obwohl Routinedaten des Gesundheitswesens Teil der gesetzlichen Qualitätssicherung in der SGB-V-Versorgung sind, finden sie keinen Eingang in die Qualitätsmessung in der Langzeitpflege (SGB XI). Routinedaten der GKV und SPV liefern jedoch wertvolle Informationen zur Ergebnisqualität der Versorgung in Pflegeheimen. Die routinedatenbasierte Qualitätsmessung im Pflegeheim ist kaum erforscht und entsprechende Basisarbeit in der Sekundärdatennutzung geboten. Dies betrifft neben dem Datenlinkage ebenso neue Operationalisierungswege für pflegenahe Qualitätsindikatoren und deren Risikoadjustierung für faire Heimvergleiche. Am Beispiel des Dekubitus-Auftretens im Pflegeheim entwickelt der Beitrag einen routinedatenbasierten Qualitätsindikator und diskutiert Potenziale und methodische Herausforderungen.

Material und Methoden Die Analyse basiert auf Daten aller elf AOK Kranken- und Pflegekassen (2015) und umfasst 31% der Pflegeheime in Deutschland. Die Operationalisierung des im Heim erworbenen Dekubitus bezog ICD-10-Diagnosen und Arzneimitteldaten zu Verbandsstoffen ein. Die Eignung von Abrechnungsdaten zu dekubitusspezifischen Hilfsmitteln wurde in diesem Zusammenhang ebenso getestet. Die Risikoadjustierung orientierte sich an der Qualitätssicherung mit Routinedaten im Krankenhaus (QSR). Der Berechnung der Standardized Morbidity Ratio, der Relation von beobachteter und angesichts der Risikostruktur des Heimes erwarteter Dekubitus-Rate je Heim, lag eine logistische Regression mit robusten Standardfehlern zugrunde.

Ergebnis und Schlussfolgerungen 2015 trat bei 7,2% der Bewohner mindestens ein Dekubitus im Pflegeheim neu auf. Es zeigten sich deutliche Qualitätsunterschiede zwischen den Einrichtungen. In der Gesamtschau ist die routinedatenbasierte Messung des Dekubitus-Auftretens im Pflegeheim machbar und kann in Form von Ergebnisqualitätsindikatoren zu Versorgungstransparenz und -evaluationen im Pflegeheim beitragen. Informationen im Rahmen der Einschätzung der Pflegebedürftigkeit sowie der novellierten gesetzlichen Qualitätsmessung eröffnen routinedatenbasierten Qualitätsindikatoren in der Langzeitpflege künftig neue Wege der Operationalisierung von pflegenahen Aspekten.


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Abstract

Objective Although administrative data on health care in Germany are part of legal quality assurance in hospital care, they are not part of quality assessment in long-term care. However, claims data of German statutory health and long-term care insurance provide valuable information on outcome quality in nursing homes. Claims data-based quality measurement in nursing homes has hardly been researched and basic work in secondary data analysis is required. This involves the claims data linkage of both statutory health and long-term care insurance as well as new ways of operationalization for quality indicators and their risk adjustment for fair facility comparisons. Using the example of pressure ulcer (PU) occurrence in nursing homes, this study develops a claims data-based quality indicator and discusses potentials and methodological challenges.

Methods The analysis is based on administrative data from eleven statutory health and long-term care insurance funds (AOK, 2015). The dataset covers 31% of German nursing homes. The operationalisation of PU acquired within the facility included ICD-10 diagnoses, and prescriptions on dressings. Relevance and validity of claims data on PU-specific aids were also checked in this context. Our risk adjustment strategy followed the one already established by the claims data-based QSR (Quality assurance of inpatient health-care). The Standardized Morbidity Ratio was based on logistic regression with robust standard errors.

Results and conclusion In 2015, 7.2% of the nursing home residents had at least one PU incident within the facility. The outcome quality considerably varied between facilities. Overall, claims data-based measurement of PU occurrence as outcome quality indicator is feasible for inpatient long-term care and can contribute to transparency and evaluation of care in nursing homes. Information derived from an assessment of care dependency as well as within the amended legal quality assurance system for long-term care may offer new opportunities for routine data-based quality indicators in nursing homes.


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Einleitung

Die Nutzung von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung steht seit Jahren auf der Agenda der externen gesetzlichen Qualitätssicherung im Krankenhaus. In der Pflegeversicherung, die nach 10 Jahren Pflegenoten-Kritik auf dem Prüfstand ist, zeigt sich hingegen ein ganz anderes Bild: Hier ist der Einsatz von Routinedaten auch im Rahmen der aktuellen Novellierung weiterhin nicht vorgesehen. Zwar wird es perspektivisch neben den Qualitätsprüfungen vor Ort Indikatoren zur Messung der Ergebnisqualität im Pflegeheim geben. Diese basieren jedoch auf Eigendokumentationen der Einrichtungen und betrachten lediglich pflegenahe (SGB XI-) Versorgungsaspekte [1]. Medizinische und sektorenübergreifende Bereiche werden ausgeblendet – und damit ein Stück Versorgungsrealität für die multimorbiden, betagten Bewohner (siehe auch [2] [3]). Demgegenüber bieten Routinedaten der Sozialversicherungsträger die Chance, die Qualitätsmessung in der stationären Langzeitpflege zu stärken, da sich auf ihrer Basis die pflegerische und medizinische Versorgung erfassen lässt. Für das Setting Pflegeeinrichtung, in dem ärztliche, therapeutische und pflegerische Akteure und Prozesse ineinandergreifen, ist dies von erheblicher Bedeutung. 2012 forderte auch der Sachverständigenrat für die Entwicklung im Gesundheitswesen die Nutzung von Routinedaten für die Qualitätssicherung in der Pflege [4].

Das routinedatengestützte Qualitätsassessment und -reporting für die vollstationäre Langzeitpflege ist dennoch von einer Etablierung weit entfernt. International sind die USA mit dem Nursing Home Compare-System zwar Vorreiter beim Qualitätsreporting über Pflegeheime; jedoch werden auch hier erst seit 2017 Sekundärdaten, d. h. personenbezogene Medicare-Abrechnungsdaten für den Outcome-Qualitätsindikator zu Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohnern (Kurzzeitpflege) einbezogen [5]. In Deutschland existiert Forschung in diesem Bereich quasi nicht. Eine Ausnahme stellt die Studie von Przylog et al. (2016) zum Zusammenhang von Verletzungen und Pflegenoten der Einrichtungen unter Verwendung von Abrechnungsdaten einer gesetzlichen Krankenkasse dar [6]. Gleichwohl ist die Qualitätsmessung mittels Abrechnungsdaten der medizinischen Leistungserbringung in Deutschland und international seit vielen Jahren Forschungsfeld und Praxis (u. a. [7] [8] [9] [10] [11]).

Vor diesem Hintergrund entwickelt der Beitrag am Beispiel Dekubitus eine routinedatenbasierte, indikatorgestützte Messung von Ergebnisqualität im Pflegeheim und testet diese empirisch. Betagte Pflegebedürftige sind durch ihr Alter, ein geschwächtes Immunsystem und ihre Multimorbidität als besonders gefährdete Risikogruppe für Dekubitus einzustufen. Dennoch ist die Erkrankung keine „schicksalhafte Begleiterscheinung des Alters“ [12], sondern gilt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Präventionsmaßnahmen als in der Regel vermeidbar [13] [14]. In Ausnahmefällen, in denen ein Dekubitus nicht vermeidbar ist, geht dies zumeist auf eine veränderte Prioritätensetzung in der Versorgung bspw. von palliativ versorgten, bettlägerigen Menschen zurück [15] [16]. Der Beitrag schließt mit den methodischen Herausforderungen des Verfahrens sowie den Perspektiven, die sich künftig durch die novellierten Prüfinstrumentarien ergeben.


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Methodik

Daten und Stichprobe

Grundlage der Indikatorentwicklung zum Dekubitus-Auftreten im Pflegeheim ist eine Analyse von anonymisierten AOK-Abrechnungsdaten der Kranken- und Pflegekassen der Jahre 2014 und 2015 ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Datengrundlage für die Entwicklung des Qualitätsindikators zur Dekubitusentstehung im Pflegeheim. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin. 1Pflegestufen und EA gemäß Definition nach §45a SGB XI vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (d. h. vor Pflegestärkungsgesetz II). 2Die Bildung der Studienpopulation erfolgte quartalsbezogen. Die Selektion erfasste im ersten Quartal des Jahres 2015 ausschließlich jene AOK-Versicherte (≥60 Jahre), die im Januar (d. h. im ersten Monat des Quartals) Leistungen für die vollstationäre Dauerpflege nach §43 SGB XI in Anspruch nahmen. Bei den Quartalen II bis IV wurde analog vorgegangen (Referenzmonate: April, Juli, Oktober).

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Operationalisierung des Indikators zum Dekubitus-Auftreten im Pflegeheim

Eine Operationalisierung des Auftretens eines Dekubitus im Pflegeheim ausschließlich mittels ärztlich dokumentierter Diagnosen wurde als nicht zielführend erachtet. Rund ein Zehntel (9,2%) der Pflegeheimbewohner im Durchschnitt der Quartale (n=172 531; Bewohneranzahl im Durchschnitt der Quartale) wiesen hier mindestens eine als gesichert dokumentierte Vertragsarztdiagnose Dekubitus (ICD-10-GM: L89*) auf. Ein systematischer Review zur Epidemiologie von Dekubitus in Deutschland kommt demgegenüber auf Basis von 25 Primärerhebungen auf einen Prävalenz-Range von 2,7% bis 6,7% und auf eine Inzidenz in Höhe von 3,1% [17]. Dem MDS-Bericht zur Qualität in der stationären Pflege (2018) zufolge erkrankten 3,9% der Bewohner im Jahr 2016 an Dekubitus ([18]).

Die Sekundärdatenforschung im Gesundheitswesen belegt hinreichend, wie wichtig eine interne Validierung ist, um die Abrechnungsdiagnose zu bestätigen [19] [20] [21]. Eine valide Identifizierung der an Dekubitus im Pflegeheim erkrankten Bewohner als Outcomevariable ist Voraussetzung für eine belastbare Qualitätsmessung. Die vorliegende Analyse betrachtete aus diesem Grund neben der vertragsärztlichen Diagnose Dekubitus, inwieweit der zusätzliche Einbezug von dekubitusspezifischen Leistungsziffern, konkret die Verordnungen von Verbandsmaterial im Rahmen der Wundversorgung ([Tab. 1]) sowie dekubitusspezifische Hilfsmittel gemäß Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) [14] [22] eine belastbare Schätzung der Erkrankungshäufigkeit unterstützen kann. Inhaltlich ausschlaggebend für die Auswahl der Verbandsmaterialien war die internationale Leitlinie zur Prävention und Behandlung von Dekubitus des National sowie des European Pressure Ulcer Advisory Panel zusammen mit der Pan Pacific Pressure Injury Alliance (NPUAP/EPUAP/PPPIA). Hinzugezogen wurden zudem die Informationen des Expertenstandards zur Dekubitusprophlyaxe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege ([13]).

Tab. 1 Verbandsmaterial für die Wundversorgung bei Dekubitus – einbezogene Produktgruppen nach PZN-Klassifikation zur Identifizierung der Dekubitusfälle auf Routinedatenbasis. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin.

PZN-Klassifikation: Gruppe

Schaumverbände feinporig

Superabsorber/Vlieskompresse mit Superabsorber

Hydrokolloide normal

Alginate

Folien/semipermeable Transparentfolien

Hydrogel

Hydrofaser/-fiber/Aquafaser

Aktive Wundauflagen

Aktivkohleverbände

Hydrokolloidähnliche Wundauflagen

Wundspülungen konserviert

Honig-Produkte

Hydrophobe Wundauflagen

Saugspülkörper zur Nasstherapie

Sonstige Wundauflagen

Produkte zur Unterstützung der Wundreinigung

Moderne Post-OP-Verbände

Wundauflagen aus feuchter Zellulose/Sonstige Wundauflagen

Hautschutzpräparate

Produkte für Spalthautentnahmestellen

Bei Dekubitus Kategorie II ist leitlinienkonform zwingend ein Wundverband erforderlich. Maßnahmen der Druckentlastung sind bei Bedarf durch druckverteilende Hilfsmittel zu ergänzen. Während eine vertragsärztliche gesicherte Dekubitusdiagnose und eine entsprechende Hilfsmittelverordnung innerhalb eines Quartals bei lediglich 1,4% der Stichprobe auftrat, führte der Algorithmus aus vertragsärztlicher gesicherter Diagnose und Verbandsverordnungen innerhalb desselben Quartals zur plausiblen Dekubitus-Prävalenz von 4%. Dies trifft den Prävalenzbereich der oben referierten Studie und des MDS-Berichts [17] [18]. [Abb. 2] zeigt den finalen Indikator „Anteil der Bewohner mit neu aufgetretenem Dekubitus je Pflegeheim“ (kurz: Dekubitus-Indikator). Um lediglich jene Ereignisse zu erfassen, die in den Pflegeeinrichtungen neu auftreten, schärfte ein Inzidenzkriterium die routinedatenbasierte Definition von Dekubitus im Pflegeheim.

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Abb. 2 Operationalisierung des Indikators zum Dekubitus-Auftreten im Pflegeheim. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin.
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Abb. 3 AOK-Versicherte Bewohner (2015) und belegte Plätze1 im Pflegeheim im Vergleich. Quelle: AOK-Daten 2015. 1Bei dieser Information handelt es sich um ein Merkmal aus den Pflegetransparenzberichten stationär. Für jedes Pflegeheim ist darin dokumentiert, wie viele belegte Plätze in der vollstationären Pflege an dem Tag des Berichts vorhanden waren. Verwendet wurde hierfür der je Pflegeheim aktuell vorliegende, d. h. letzterstellte Bericht (rückblickend vom Jahr 2015). So beziehen sich die Daten in der Regel auf 2015.

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Risikoadjustierung

Faire indikatorgestützte Qualitätsvergleiche zwischen Pflegeeinrichtungen bedürfen der Berücksichtigung der über die Pflegeheime unterschiedlich verteilten Risiken für das Indikatorereignis in der Bewohnerschaft. Dabei geht es um die nicht von der Einrichtung selbst beeinflussbaren Faktoren ([23] [24] [25]). Ein weit verbreitetes Verfahren der Risikoadjustierung für Qualitätsindikatoren ist die multivariate logistische Regression ([5] [23] [26] [27] [28] [29]). Mit ihr lassen sich multiple Risikofaktoren flexibel in ein Modell einbeziehen und so der multifaktoriellen Bedingung von Ereignissen, hier der Dekubitusgenese, Rechnung tragen.

Die Auswahl dekubitusrelevanter Risikofaktoren erfolgte leitliniengestützt [14]. Die Herausforderung bestand hierbei in der validen Übersetzung der in [Tab. 2] gelisteten Einflussfaktoren auf Routinedatenbasis. Der Pflegeheimbewohner war von der jeweiligen Erkrankungsgruppe (Einflussfaktor) betroffen, sofern er eine ambulant-ärztliche gesicherte Diagnose aus der Erkrankungsgruppe in zwei unterschiedlichen Quartalen (M2Q) oder mindestens eine stationäre Haupt-/Nebendiagnose (Entlassung; M1K) im Jahr 2015 aufwies.

Tab. 2 Einflussfaktoren auf die Dekubitusgenese für eine routinedatenbasierte Adjustierung des Indikators. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin nach NPUAP 2014 [14].

Risikofaktoren Dekubitusgenese

→Merkmale auf Routinedatenbasis

Alter

Geburtsjahr

Geschlecht

m, w

Diabetes mellitus1

ICD-10-GM: E10, E11, E12, E13, E14

Mobilitätseinschränkungen1

ICD-10-GM: G81, G82, G83, M24, M24.5, M26, M62, M96.8, R26.3, R40, R46, S14, S24, Z74, Z74.0, Z99, Z99.3

Aktivität

subsumiert unter Pflegestufe und Mobilitätseinschränkung

Sensorik/Parkinson1

ICD-10-GM: G20, R20, G50, G60, G61, G62, G63, G64

Malnutrition1

ICD-10-GM: E41, E43, E44, E46, R63.3, R64

Dehydration1

ICD-10-GM: E86

Feuchtigkeit/Inkontinenz1

ICD-10-GM: R32, R39.3, R39.4, R15

Hautzustand

nicht abbildbar

Kategorie I Dekubitus

bereits vorliegende Dekubiti werden ausgeschlossen

vorhandener Dekubitus

bereits vorliegende Dekubiti werden ausgeschlossen

erhöhte Körpertemperatur

nicht abbildbar

eingeschränkte Sauerstoffversorgung Haut/Durchblutung

nicht abbildbar

Blutwerte: erhöhtes C-reaktives Protein, Lymphopenie, niedriges Albumin und Hämoglobin

nicht abbildbar

ethnische Zugehörigkeit

nicht abbildbar

allgemein schlechter Gesundheitszustand

Pflegestufe I, II, III, III + Härtefalle und eingeschränkte Alltagskompetenz (Demenz) als Surrogat für viele Aspekte wie Mobilität, Aktivität und allgemeiner Gesundheitszustand

Die Operationalisierung der Risikofaktoren Inkontinenz, Diabetes mellitus, Malnutration und eingeschränkte Mobilität orientierte sich an jenen Diagnosesets, welche das IQTIG im Rahmen des gesetzlichen QS-Verfahrens Dekubitusprophylaxe bei der Risikoadjustierung der im Krankenhaus neu aufgetretenen Dekubiti einbezieht [30]. Zur besonderen Berücksichtigung der geriatrietypischen Multimorbidität wurden diese Listen um Diagnosecodes der sogenannten geriatrietypischen Merkmalskomplexe für Mobilitätseinschränkungen/Immobilität, Sensorik-Störungen, Inkontinenz sowie Malnutration ergänzt [31]. Für den Risikofaktor „allgemein schlechter Gesundheitszustand“ wurde die Pflegestufe sowie das Vorliegen einer eingeschränkten Alltagskompetenz nach §45a SGB XI (vor PSG II; in der Regel einer Demenz, kurz: EA) als Surrogat angesetzt. Beide Aspekte stehen für die Pflegebedürftigkeit des Bewohners und beschreiben das Ausmaß körperlicher, geistiger und psychischer Beeinträchtigungen sowie dem daraus resultierenden Unterstützungsbedarf. Faktoren wie Hautzustand und erhöhte Körpertemperatur sind nicht Bestandteil des ICD-10 bzw. der medizinischen Leistungsabrechnung und damit auf dieser Datengrundlage nicht abbildbar.

Eine multiple logistische Regression (stepwise backwards) modellierte die Eintrittswahrscheinlichkeit der Zielvariable „mindestens ein neu aufgetretener Dekubitus im Pflegeheim in 2015“ (ja/nein) auf Bewohnerebene in Abhängigkeit der dekubitusspezifischen Risikostruktur. Die standardisierte Morbiditätsrate (SMR) setzte darauffolgend den beobachteten Anteil der Bewohner mit mindestens einem Dekubitus in Relation zum – angesichts der Risikostruktur – erwarteten Wert. Jedes Pflegeheim erhielt so einen individuellen Score, der sich relational an einer über alle Pflegeheime vergleichbaren Risikostruktur orientierte. Dieses logistische Modell mit robusten Standardfehlern stellt eine Alternative zum logistischen Mehrebenenmodell dar. Beide Modelle geben korrekte Standardfehler wieder, jedoch beschreiben die geschätzten Koeffizienten inhaltlich verschiedene Aspekte [32]. Bei einem logistischen Mehrebenenmodell handelt es sich um konditionale Effekte, also innerhalb von Pflegeheimen (subjektspezifische Effekte), dagegen werden in einem logistischen Regressionsmodell population-averaged (durchschnittliche Effekte) bzw. marginale Wahrscheinlichkeiten berechnet, in die beide Varianzen innerhalb und zwischen Pflegeheimen mit in die Schätzung einfließen. Mehrebenenanalysen ermöglichen eine vollständige Betrachtung auf allen Analyseebenen, wo hingegen in einem Modell, das marginale Wahrscheinlichkeiten berechnet, ausschließlich die Regressionskoeffizienten von inhaltlichem Interesse sind. Dabei wird für die Interpretierbarkeit der Effekte die Abhängigkeitsstruktur methodisch korrigiert. Für die vorliegenden Analysen standen die marginalen Effekte im Fokus und aufgrund dessen wurde das konventionelle logistische Modell mit robusten Standardfehlern als methodisches Verfahren ausgewählt [32].


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Ergebnisse

Studienpopulation

Die Studienpopulation umfasst 31,0% (n=3 459) der Pflegeheime mit vollstationärer Dauerpflege und 27,6% (n=215 863) aller Pflegeheimbewohner im Referenzjahr 2015 in Deutschland [33]. Knapp drei Viertel der betrachteten Pflegebedürftigen sind Frauen. Die Altersgruppe der über 80-Jährigen ist mit 75,4% am stärksten besetzt. Rund zwei Drittel der Bewohner gelten als schwer- bzw. schwerstpflegebedürftig (Pflegestufe II bzw. III). Eine EA (primär Demenz) lag bei 69,3% der Bewohner vor. [Tab. 3] unterstreicht die Strukturähnlichkeit der Studienpopulation und der bundesweiten Pflegeheimbewohnerschaft gemäß Pflegestatistik. Deutliche Abweichungen finden sich bei der Trägerschaft und Heimgröße als Konsequenz der Einschlusskriterien (mindestens 30 AOK-Versicherte je Einrichtung -> deutlich weniger kleine und weniger private Pflegeheime).

Tab. 3 Merkmale der Studienpopulation. Quelle: AOK-Daten 2015, Pflegestatistik 2015 (Statistisches Bundesamt 2017).

Stichprobe

Pflegestatistik 2015

Pflegeheimbewohner im Durchschnitt der Quartale 2015 in %

Frauen

74,8

73,3

Alter in Jahren

 60–70

6,2

6,9

 70–80

18,2

20,5

 80+

75,6

72,6

Pflegestufe1

 0

0,8

2,0

 I

37,0

38,1

 II

41,7

39,8

 III + Härtefälle

20,5

20,1

eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in % 1

69,3

73,0

Pflegeheimbewohner im Jahr 2015 in %

verstorben

23,4

Verweildauer im Pflegeheim in Monaten

 mittlere Verweildauer

9,6

 25. Perzentil

9,2

 75. Perzentil

10,1

Pflegeheime im ersten Quartal 2015 in %

Träger

 öffentlich

5,1

4,8

 freigemeinnützig

61,5

53,0

 privat

32,8

42,2

Größe

 31–50 Plätze

3,4

27,9

 51–150 Plätze

86,4

66,1

 151+ Plätze

10,3

6,0

1Pflegestufen und EA gemäß Definition vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im PSG II

Im Schnitt über alle Einrichtungen belegten AOK-Versicherte die Hälfte (49%) der belegten Plätze je Einrichtung (einrichtungsbezogene Information der Pflegetransparenzberichte stationär, bezogen auf den Berichtstag). [Abb. 3] zeigt jedoch auch, dass dieser Anteil zwischen den Pflegeheimen variiert.


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Indikator zum Dekubitus-Auftreten im Pflegeheim

Gemäß Indikatordefinition traten im Jahr 2015 bei 7,2% der Bewohner (Studienpopulation, n=215 863) mindestens ein Dekubitus im Pflegeheim neu auf. Dies ist deutlich höher als die bei Operationalisierung berechnete Häufigkeit von 4,0% auf Basis der Bewohnerzahl im Durchschnitt der Quartale (n=172 531) und damit auch der zeitpunktbezogenen Prävalenz im aktuellen MDS-Bericht. [Abb. 4] zeigt die erhebliche Variation des Indikatorwerts im Einrichtungsvergleich. Neben Pflegeheimen ohne derartige Dekubitusfälle waren bei 25% der Einrichtungen zwischen 9,8 und 27,5% der Bewohnerschaft betroffen (4. Quartil). Damit erkrankten im auffälligen Quartil mehr als doppelt so viele Bewohner an Dekubitus wie im unauffälligen ersten Quartil.

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Abb. 4 Bewohner mit mindestens einem neu aufgetretenen Dekubitus über die Pflegeheime hinweg. Quelle: AOK-Daten 2015.

Im Rahmen der Adjustierung dieser Ergebnisse mittels multipler logistischer Regression mit robust geschätzten Standardfehlern verblieben final die in [Tab. 4] gelisteten Einflussfaktoren im Modell. Mit Ausnahme der Altersgruppe der Männer von 60 bis 69 Jahre ergab sich für alle Merkmale ein statistisch signifikanter Zusammenhang zur abhängigen Variable „mindestens ein neu aufgetretener Dekubitus im Pflegeheim“ (ja/nein) ([Tab. 4]). Das Vorliegen der Einflussfaktoren (außer EA) erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Neuauftreten von Dekubitus im Jahresverlauf. Am stärksten ließ sich dies für die Pflegestufe III (inklusive der Härtefälle) feststellen: Hier war im Falle einer Schwerstpflegebedürftigkeit des Bewohners das Risiko für dieses Ereignis mehr als vervierfacht im Vergleich zu einem Bewohner mit Pflegestufe 1 (OR=4,61 (4,36–4,88 CI, 95%)), bei Vorliegen einer EA um etwa 30% reduziert (OR=0,68 (0,65–0,71 CI, 95%)).

Tab. 4 Risikoadjustierung Dekubitus: Ergebnisse der logistischen Regression. Quelle: AOK-Daten 2015.

p-Wert

Odds Ratio (OR, 95% CI)

OR

2,50%

97,50%

Frauen

60–69 Jahre a

70–79 Jahre

** 

1,15

1,00

1,31

80–89 Jahre

***

1,25

1,11

1,42

90+ Jahre

***

1,43

1,26

1,63

Männer

60–69 Jahre

n.s.

1,14

0,97

1,33

70–79 Jahre

***

1,31

1,14

1,50

80–89 Jahre

***

1,35

1,18

1,54

90+ Jahre

***

1,55

1,34

1,80

Pflegestufe

I a

II

***

2,69

2,56

2,84

III inklusive Härtefälle

***

4,61

4,36

4,88

Eingeschränkte Alltagskompetenz (primär Demenz)

***

0,68

0,65

0,71

Einschränkungen der Mobilität und Aktivität

***

1,35

1,30

1,40

Malnutrition

***

1,42

1,35

1,49

Dehydration

***

1,23

1,18

1,29

Parkinson/Sensorik

***

1,22

1,17

1,27

Diabetes mellitus

***

1,29

1,24

1,34

Inkontinenz/Feuchtigkeit

***

1,36

1,31

1,41

Intercept

0,02

0,02

0,02

*** p<0,001; **  p<0,05; a als Referenzkategorie der Variable Pflegestufe bzw. der Kombinationsvariable Alter und Geschlecht in der logistischen Regression ausgeschlossen* Zusätzlich wurde im Modell die bewohnerindividuelle Verweildauer im Pflegeheim im Jahr 2015 kontrolliert. Die Daten wurden einer logistischen Regression mit Schätzung robuster Standardfehler unterzogen.

Knapp die Hälfte aller Einrichtungen (46,0%) wies mehr Bewohner mit neu aufgetretenem Dekubitus auf als angesichts der Risikostruktur zu erwarten wäre (SMR >1), 7,2% der Pflegeheime mindestens doppelt so viele Bewohner. Das pflegeheimübergreifende Spektrum an Indikatorwerten bleibt auch nach Berücksichtigung der dekubitusspezifischen Risikostruktur breit (SMR – 1. Quartil: <0,6; 2. Q.: 0,6–0,8; 3. Q.: 0,9–1,3; 4. Q.: 1,4–4,5). Einige Einrichtungen veränderten jedoch ihre Position auf der x-Achse. Für jede fünfte Einrichtung ergab sich ein Quartilshift (20,2% von 3 459 Pflegeheimen), und davon mehrheitlich um genau ein Quartil (+1 Quartil: 51,0%; −1 Quartil: 48,1%; +/−2 Quartile: 0,9%).


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Diskussion

Die routinedatenbasierte Messung des Dekubitus-Auftretens im Pflegeheim ist, das zeigt die vorliegende Arbeit, machbar. Der Anteil der Bewohner mit mindestens einem in der Einrichtung neu aufgetretenen Dekubitus variiert erheblich zwischen den Einrichtungen. Die hier ermittelte routinedatenbasierte Versorgungsprävalenz von Dekubitus war konform mit jener eines aktuellen systematischen Reviews zur Epidemiologie des Dekubitus in Deutschland und speziell auch in der stationären Langzeitpflege [17]. Ebenso trifft dieses Ergebnis die Häufigkeit des aktuellen MDS-Berichts (4,0% im Jahr 2015 vs. 3,9% im Jahr 2016; [18]). Unter anderen aufgrund der geringen Stichprobengröße im Rahmen der MDK-Einrichtungsprüfung sind diese Dekubitus-Häufigkeiten im MDS-Bericht jedoch nicht als Validator der vorliegenden Daten zu verwenden. Auch eine Forschungsgruppe der Charité Berlin berechnete in der Langzeitstudie „Pflegeprobleme in Deutschland“ für 2011 eine ähnliche Prävalenz von 3,8% (roh; Grad 1–4) in 50 deutschen Pflegeheimen (3 759 Bewohner) [34]. Die Dekubitus-Raten der Einrichtungen reichten in selbiger Untersuchung von 0% bis 13,6% der Pflegeheimbewohner. Gleichwohl ist zu beachten, dass die externe Validierung der Dekubitus-Inzidenz im Pflegeheim durch einen fehlenden Goldstandard erschwert ist. Das Spektrum an Inzidenzraten variiert primär in Abhängigkeit von den betrachteten Schweregraden, der Art und Anzahl der Einrichtungen und des Erhebungsverfahrens.

Die Vorteile ebenso wie die Limitationen von Routinedaten des Gesundheitswesens für Fragen der Versorgungsforschung, insbesondere im GKV-Kontext, sind hinlänglich beschrieben [20] [35]. So ist eine Einteilung in Schweregrade/Kategorien auf Basis vertragsärztlicher Abrechnungsdiagnosen (vierstelliger ICD-10-Code) auch hier nicht realisierbar – fast die Hälfte (46,2%) der Dekubitus-Diagnosen waren unspezifisch kodiert (L89.9). Diese fehlende Differenzierung ist nicht unproblematisch: Dekubitus Schweregrad 1 beschreibt die nicht wegdrückbare Rötung und ist damit recht unspezifisch. Dementsprechend verzichten viele Studien auf diesen Schweregrad bzw. weisen Raten für Schweregrad 1 bis 4 und für Schweregrad 2 bis 4 aus [17] [34] [36] [37]. Der Aufgriff von Dekubitus mittels Diagnose plus ärztlicher Verordnung hydroaktiver Verbandsmaterialien in der vorliegenden Arbeit mindert diese Einschränkung jedoch, da Wundverbände in der Regel erst ab Schweregrad 2 erforderlich sind [13] [14]. Allerdings gilt zu beachten: Dass in Pflegeheimen Dekubiti, aufgegriffen durch Diagnose und Verbandsverordnung, messbar sind, ließe sich auch als (positiver) Hinweis werten, dass eine Versorgung stattfindet. Demgegenüber treten in Einrichtungen ohne entsprechende Dekubitus-Behandlung (d. h. ohne Verordnungen von Verbandsmaterial bei dokumentierter Diagnose Dekubitus) gemäß Indikatorfalldefinition scheinbar keine Fälle auf.

Eine weitere Limitation der Routinedatenanalyse bezieht sich auf das Inzidenzkriterium des Indikatorfalls: um ausschließlich die im Pflegeheim neu aufgetretenen Dekubiti zu erfassen, schloss die Falldefinition alle Bewohner mit einer Krankenhaus-Diagnose Dekubitus im Vorquartal aus. 14,5% der Bewohner mit inzidentem Dekubitus wiesen jedoch eine derartige Krankenhausdiagnose im Quartal des Indikatorfalls auf. Hier ist aufgrund des Quartalsbezugs der Vertragsarztdaten die zeitliche (und damit ggf. ursächliche) Abfolge von Krankenhaus- und ambulant-ärztlicher Diagnose Dekubitus nicht zu bestimmen. Gleichwohl zeigt dieser Anteilswert, dass ein Ausschluss jener Bewohner mit einem Krankenhausaufenthalt im Dekubitus-Quartal ebenso zu einer Verzerrung, nämlich zum Ausschluss der gerade vulnerablen Personen, führen würde. Wie scharf die Abgrenzung zum Entstehungsort Krankenhaus erfolgen soll, bleibt letztlich Frage des konkreten Verwendungskontexts des Indikators.

Vor dem Hintergrund der – mit wenigen Ausnahmen – erklärten Vermeidbarkeit der Dekubiti (siehe hierzu u. a. [38] [39] [40], verweisen die Indikatorergebnisse auf einen erheblichen Optimierungsbedarf im Hinblick auf die Dekubitusprophylaxe. Die trotz Adjustierung bestehende Varianz der Indikatorwerte über die Pflegeheime hinweg ebenso wie das geringe Pseudo-R2 des Regressionsmodells von 0,1 legt nahe, dass andere (strukturelle und Performanz-) Parameter des Pflegeheimsettings das Dekubitus-Auftreten in der Langzeitpflege beeinflussen. Dass 80% der Pflegeheime trotz Berücksichtigung des Risikoprofils im Quartil des unadjustierten Indikatorwerts verbleiben, unterstützen diese Sicht. Die Studienlage u. a. zu kulturellen, organisatorischen und personalseitigen Bedingungsfaktoren für die Dekubitusgenese im Pflegeheim ist dicht (u. a. [40] [41] [42] [43]. Zu prüfen ist zum anderen, inwiefern das Modell um weitere bewohnerbezogene Merkmale zu ergänzen ist. Castle et al. (2010) gibt zu bedenken, dass Faktoren wie Malnutration und Dehydration, vorliegend Bewohnercharakteristikum, durchaus auch als Prozessparameter zu verstehen sind [44]. Darüber hinaus gibt es unbekannte Risikofaktoren des Dekubitus (siehe [13] [41], relevante, jedoch nicht routinedatenbasiert abbildbare Faktoren wie Vitalparameter [45] und schließlich nicht adjustierungsrelevante, von den Akteuren der Versorgung beeinflussbare, Faktoren [46] [47] [48] [49]. Die Adjustierungsmethodik ist eines der Kernthemen im Rahmen der routinedatenbasierten Qualitätsmessung. Neben der Ausgestaltung des einzubeziehenden Risikofaktorensets auf inhaltlich-fachlicher Ebene ist es erforderlich, sich mit den multivariaten Verfahren der Risikoberücksichtigung auseinanderzusetzen und dabei neben Verfahren der logistischen und Poisson-Regression Nutzungskontext, Mehrwert und Limitationen von hierarchischen Modellen zu reflektieren und damit unter anderen nicht nur relevante Unterschiede der Bewohnerstruktur, sondern ebenso bspw. der Pflegeheimgrößen zu berücksichtigen.

Die Erfassung der Ergebnisqualität im Pflegeheim unter Rückgriff auf versichertenbezogene Abrechnungsdaten der Kranken- und Pflegekassen ist demgegenüber vielversprechend: In Abgrenzung zu den zeitpunktbezogenen Qualitätsprüfungen durch die Prüfdienste der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (Medizinische Dienste der Krankenversicherung, MDK) bzw. der Privaten Krankenversicherung (PKV) sowie zu den Eigendokumentationen der Pflegeheime (künftig einmal bzw. 2-mal jährlich; [1] ermöglichen Routinedaten der GKV den Aufgriff aller sukzessiv im Jahr abgerechneten Fälle und damit eine deutliche Fallzahlerhöhung je Qualitätsindikator. Da jedes vierte Pflegeheim in Deutschland weniger als 30 Bewohner betreut, hat die Fallzahl-Prävalenz-Problematik (kleine Einrichtungen und seltene Ereignisse) hier eine erhebliche Bedeutung [3]. Vor dem Hintergrund der Entbürokratisierungsdebatte und des Personalmangels in der Pflege haben routinedatenbasierte Indikatoren zur Ergebnisqualität im Pflegeheim darüber hinaus den entscheidenden Vorteil, mit keinen zusätzlichen Dokumentationspflichten verbunden zu sein.

Fazit

Die routinedatenbasierte, indikatorgestützte Messung der Ergebnisqualität in der stationären Langzeitpflege steht am Anfang. Der hier ausgearbeitete Indikator Dekubitus ist insofern Prototyp, die Ausformulierung weiterer pflege- und gesundheitsbezogener Indikatoren und die Prüfung weiterer pflegebezogener bzw. pflegerelevanter Datenquellen müssen folgen. Zur Validierung der Vertragsarztdiagnosen von Pflegebedürftigen ist der Einbezug verfügbarer Hilfsmittelinformationen dabei naheliegend, da diese u. a. im Kontext pflegerelevanter Einschränkungen (Inkontinenz, Mobilitätseinschränkungen) verordnet werden. Auf bestehende Problemlagen (keine individuelle Verordnung, Heterogenität aufgrund des kassenindividuellen Vertragsgeschehens) wurde im Beitrag hingewiesen. Ebenso denkbar ist die stärkere Nutzung von Informationen aus der Pflegebegutachtung gemäß §18 SGB XI, um die pflegerischen Bedarfslagen über den Pflegegrad hinaus zu erfassen. Das Neue Begutachtungsassessement (NBA) zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit liefert mit den 6 Modulen ein detailliertes Bild über die Fähigkeiten im Bereich Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte [50]. Ferner bieten die ab 2019 novellierten Verfahren und Instrumente der Qualitätsprüfungen durch den MDK bzw. den Prüfdienst der PKV neue Möglichkeiten der Validierung von Indikatorwerten. Das Dekubitus-Auftreten ist dabei einer von 10 Indikatoren der externen gesetzlichen Qualitätssicherung in der Pflege [1].

Routinedatenbasierte Ergebnisindikatoren in der Langzeitpflege – in Kombination mit den im Rahmen einer novellierten Qualitätsmessung und -darstellung in der Langzeitpflege erhobenen Daten – eröffnen ferner neue Perspektiven für die Versorgungsforschung. Eine Frage fokussiert den Zusammenhang zwischen Ergebnisqualität und Personalausstattung. Ebenso ließen sich mit Indikatoren einrichtungsintern oder -übergreifend Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung im Pflegeheim evaluieren. Um dieses erhebliche Potenzial zu nutzen, sollte ergänzend die wissenschaftliche Nutzung der Daten der novellierten Qualitätssicherung in der Pflege ermöglicht werden. Das aktuelle Gutachten, konzeptionelle Basis der Neuerung, sieht dies für pflegeepidemiologische und Qualitätsfragen zumindest vor.


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Interessenkonfllikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Susann Behrendt
WIdO, Pflege, Rosenthaler Straße 31
10178 Berlin


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Abb. 1 Datengrundlage für die Entwicklung des Qualitätsindikators zur Dekubitusentstehung im Pflegeheim. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin. 1Pflegestufen und EA gemäß Definition nach §45a SGB XI vor Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (d. h. vor Pflegestärkungsgesetz II). 2Die Bildung der Studienpopulation erfolgte quartalsbezogen. Die Selektion erfasste im ersten Quartal des Jahres 2015 ausschließlich jene AOK-Versicherte (≥60 Jahre), die im Januar (d. h. im ersten Monat des Quartals) Leistungen für die vollstationäre Dauerpflege nach §43 SGB XI in Anspruch nahmen. Bei den Quartalen II bis IV wurde analog vorgegangen (Referenzmonate: April, Juli, Oktober).
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Abb. 2 Operationalisierung des Indikators zum Dekubitus-Auftreten im Pflegeheim. Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin.
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Abb. 3 AOK-Versicherte Bewohner (2015) und belegte Plätze1 im Pflegeheim im Vergleich. Quelle: AOK-Daten 2015. 1Bei dieser Information handelt es sich um ein Merkmal aus den Pflegetransparenzberichten stationär. Für jedes Pflegeheim ist darin dokumentiert, wie viele belegte Plätze in der vollstationären Pflege an dem Tag des Berichts vorhanden waren. Verwendet wurde hierfür der je Pflegeheim aktuell vorliegende, d. h. letzterstellte Bericht (rückblickend vom Jahr 2015). So beziehen sich die Daten in der Regel auf 2015.
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Abb. 4 Bewohner mit mindestens einem neu aufgetretenen Dekubitus über die Pflegeheime hinweg. Quelle: AOK-Daten 2015.