Mara-Lena Cibis
Carolin Wackerhagen
Zu Beginn des neuen Jahres möchten wir an dieser Stelle wieder die meistzitierten
Arbeiten unserer Zeitschrift küren und würdigen. Deutlich standen dabei die Fragen
einer menschenwürdigen und patientenorientierten Psychiatrie im Vordergrund und erneut
waren es Arbeiten zum Thema Vermeidung von Zwang in der Psychiatrie, die auf den vorderen
Plätzen landeten. Wir freuen uns zudem, dass wir diesmal ausnahmslos Publikationen
würdigen können, die in Erstautorschaft von jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftlern eingereicht wurden.
Offene Türen
Mara-Lena Cibis und Carolin Wackerhagen von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin und Kolleginnen
und Kollegen untersuchten in der mit Abstand am meisten zitierten
Originalarbeit
des 44. Jahrgangs, ob offene Stationstüren Aggressivität und Zwangsbehandlung reduzieren
und Auswirkungen auf Entweichungsraten haben. Retrospektiv konnten sie relevante Daten
einer Akutstation an der Berliner Charité vor und nach der Türöffnung auswerten und
zeigen, dass bei offenen Stationstüren signifikant weniger aggressive Übergriffe und
Zwangsmedikationen auftraten und sich das Entweichungsrisiko nicht erhöhte [1].
Vermeidung von Zwang aus Patientenperspektive
Auf dem zweiten und dritten Platz finden sich gleich zwei Arbeiten, die die Betroffenenperspektive
auf Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie und die Möglichkeiten ihrer Vermeidung in den
Blick nehmen.
Kolja Heumann, Thomas Bock und Tania M. Lincoln berichteten in ihrer Arbeit von den
Ergebnissen einer quantitativen deutschlandweiten Online-Befragung von Psychiatrieerfahrenen
zu Erfahrungen mit Zwangsmaßnahmen und deeskalierenden Strategien [2]. Die Arbeit beschreibt das Spektrum von Zwang vermeidenden Strategien in der psychiatrischen
Versorgungspraxis und zeigt, dass die Befragten eine Vielzahl milderer Maßnahmen als
potenziell hilfreich einschätzen, um Zwangsbehandlungen zu vermeiden und sie das Scheitern
deeskalierender Maßnahmen vor allem strukturell gegründet sehen.
Juliane Mielau und Jasmin Altunbay sowie Kolleginnen und Kollegen von der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie der Charité werteten teilstrukturierte Interviews mit
90 Patienten in Berliner Kliniken aus und gingen der Frage nach, welche Interventionen
die Patientinnen und Patienten selbst präferieren und welche Möglichkeiten zur Vermeidung
von Zwang sie im Stationssetting sehen [3]. Sie konnten zeigen, dass strukturelle Maßnahmen, wie ein größeres Angebot an Einzeltherapien,
Verbesserungen im Hinblick auf Personalschlüssel, Ausbildung und Kommunikation sowie
räumliche Rückzugsmöglichkeiten aus Patientensicht wirksame Präventionsmöglichkeiten
darstellen.
Das Thema Zwang in der psychiatrischen Versorgung bleibt virulent und die Möglichkeiten
und Grenzen präventiver Maßnahmen werden weiter diskutiert [4]. In der Psychiatrischen Praxis erschien eine ganze Reihe weiterer Arbeiten dazu
[5]
[6]
[7].
Wir gratulieren den Autorinnen und Autoren ganz herzlich!