Einleitung
Ärzte können sich, je nach gewünschtem Umfang der Kooperation, zu einer Berufsausübungsgemeinschaft
(im Folgenden: BAG) oder zu einer Organisations- bzw. Praxisgemeinschaft zusammenschließen.
In beiden Fällen liegt dem Zusammenschluss ein zivilrechtlicher Gesellschaftsvertrag
zugrunde. Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, während die Gesellschaft
von den verbliebenen Gesellschaftern fortgeführt wird, stellt sich in der Regel die
Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Ausscheidende eine Abfindungszahlung
von der Gesellschaft verlangen kann. Häufig ist zu dieser Thematik im Gesellschaftsvertrag
eine Regelung vorzufinden. Der Zweck einer solchen Zahlung besteht darin, den Ausscheidenden
angemessen am Gesellschaftsvermögen teilhaben zu lassen. Unter den Begriff des „Vermögens“
ist neben dem materiellen Wert auch der sog. Goodwill zu fassen, d. h. der immaterielle
oder ideelle Wert der von der Gesellschaft betriebenen Praxis. Auch diesbezüglich
wird der Ausscheidende ggf. abgefunden, wenn er zum Goodwill der Praxis durch seine
Mitarbeit etwas beigetragen hat. Jedoch wird ein der Abfindung vergleichbarer Zahlungsanspruch
unter Umständen auch dann begründet, wenn die Gesellschaft insgesamt aufgelöst wird.
Das Landgericht Bielefeld hatte im vergangenen Jahr zu entscheiden, wie sich die Verteilung
des Goodwills darstellt, wenn eine von mehreren Radiologen als Gesellschaft bürgerlichen
Rechts (im Folgenden: GbR) betriebene Mammographie-Screening-Gesellschaft aufgelöst
wird. In diesem Beitrag sollen zunächst die grundsätzlichen Voraussetzungen, unter
denen ein Gesellschafter im Falle der Auflösung der Gesellschaft oder seines Ausscheidens
eine Zahlung im Hinblick auf den Goodwill der Praxis verlangen kann, im Überblick
dargestellt werden. Dabei werden auch die Unterschiede im Hinblick auf die verschiedenen
ärztlichen Kooperationsformen aufgezeigt. Im Anschluss werden die wesentlichen Aussagen
und Folgen der Entscheidung des Landgerichts Bielefeld dargelegt.
Zugrundeliegender Sachverhalt
Zugrundeliegender Sachverhalt
In dem der Entscheidung des LG Bielefeld[1] vom 09.08.2018 zugrundeliegenden Sachverhalt betrieben mehrere Radiologen neben
einer radiologischen BAG eine Gesellschaft zur Durchführung des Mammographie-Screenings,
in welcher ausschließlich Leistungen der Brustkrebsfrüherkennung nach der Anlage 9.2
BMV-Ä erbracht wurden. In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht hatten sich die Radiologen
als GbR gemäß §§ 705 ff. BGB mit dem Zweck zusammengeschlossen, ärztliche Leistungen
im Rahmen des Mammographie-Screenings zu erbringen. Die Arbeitsteilung unter den dort
tätigen Ärzten erfolgte in der Weise, dass eine Ärztin die Genehmigung als sog. Programmverantwortliche
Ärztin (im Folgenden: PVA) nach § 4 Anlage 9.2 BMV-Ä innehatte, während ein Teil der
übrigen Gesellschafter die erstellten Screening-Aufnahmen befundete.
Mammographie-Screening-Gesellschaft – BAG oder Praxisgemeinschaft?
Mammographie-Screening-Gesellschaft – BAG oder Praxisgemeinschaft?
Es wird für die nachfolgende Betrachtung unter Abwandlung des tatsächlichen Ausgangsfalls
davon ausgegangen, dass die Facharztpraxis in vertragsarztrechtlicher Hinsicht als
BAG geführt wurde.
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ließ das Gericht die Frage offen, ob es sich
um eine BAG oder eine Organisations- bzw. Praxisgemeinschaft handelte und vertrat
die Auffassung, dass es auf die Differenzierung zwischen Praxisgemeinschaft und BAG
für die Beurteilung des Ausgleichsanspruchs im zugrundeliegenden Fall nicht ankomme,
da der Gesellschaftsvertrag jedenfalls davon ausgehe, dass es ein immaterielles Vermögen
der Gesellschaft gebe. Um diesen Streitpunkt nicht zu vertiefen, wurde für die hiesige
Betrachtung eine BAG als die gelebte Kooperationsform zugrunde gelegt, auch wenn im
entschiedenen Sachverhalt gleichwohl manches für die Annahme einer Praxisgemeinschaft
sprach. Der Fall zeigt schließlich einmal mehr, wie wichtig der Abschluss eines eindeutig
formulierten Gesellschaftsvertrages ist.
In dem schriftlich abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag dieser GbR hieß es unter anderem
(Hervorhebungen durch die Verfasser):
„Am materiellen und ideellen Gesellschaftervermögen […] sind die Gesellschafter zu gleichen Teilen wie folgt beteiligt“.
Der Gesellschaftsvertrag beinhaltete in den darauffolgenden Bestimmungen auch Regelungen
bezüglich des Ausscheidens und der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters
hinsichtlich des immateriellen Praxiswertes, des sog. Goodwill, je nach dessen Beteiligung
am Gesellschaftsvermögen. Eine Differenzierung vor dem Hintergrund, dass die Tätigkeiten
der PVA sowie der Befunder sich inhaltlich unterscheiden, nahm der Gesellschaftsvertrag
in Bezug auf die Abfindungsregelung nicht vor, sodass alle drei Ärzte jedenfalls nach
vertraglicher Konzeption im Falle ihres Ausscheidens hinsichtlich der Abfindungszahlung
gleich zu behandeln waren. Keine Regelung enthielt der Gesellschaftsvertrag hingegen
für den Fall der Auflösung und eine dann vorzunehmende Auseinandersetzung der Gesellschaft.
Aufgrund interner Differenzen kündigte die PVA den Gesellschaftsvertrag ordentlich
in wirksamer Weise. Die übrigen Gesellschafter folgten dem und sprachen jeweils mit
Wirkung zum selben Zeitpunkt wie die PVA eine außerordentliche Anschlusskündigung
aus wichtigem Grund in ebenfalls wirksamer Weise aus. Sie begründeten diesen Schritt
damit, dass eine Zweckerreichung der Gesellschaft, d. h. die Erbringung von Leistungen
des Mammographie-Screenings, ohne das Vorhandensein einer oder eines PVA nicht mehr
möglich sei. Die Befunder wie auch die PVA gingen infolgedessen übereinstimmend davon
aus, dass die GbR aufgelöst worden war. Sie setzten sich also zunächst hinsichtlich
des materiellen Wertes der Praxis auseinander. Die PVA führte ihre Tätigkeit anschließend
in neuer Praxis fort und nutzte dabei das gesamte digitale Patientenarchiv der vormaligen
GbR für ihre dortige Tätigkeit als PVA weiter.
Im Zuge der Auseinandersetzung eines (etwaigen) immateriellen bzw. ideellen Wertes
der aufgelösten GbR nahmen die ehemaligen Mitgesellschafter die PVA in Anspruch und
klagten auf eine Ausgleichszahlung.
Entstehung von Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlungsansprüchen
Entstehung von Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlungsansprüchen
Ein Abfindungsanspruch eines Gesellschafters einer GbR kann immer dann entstehen,
wenn dieser durch seine Mitarbeit zum ideellen Wert des von der Gesellschaft betriebenen
Unternehmens tatsächlich etwas beigetragen hat und seine Gesellschafterstellung endet.
Zur Beendigung der Gesellschafterstellung kann es auf verschiedenen Wegen kommen.
Zum einen kann eine Gesellschaft vollständig aufgelöst werden, zum anderen kann ein
Gesellschafter aus einer Gesellschaft ausscheiden, wenn diese von den übrigen Gesellschaftern
fortgesetzt wird. Im letzteren Falle wird im Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel
vereinbart sein, welche die Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern
vorsieht.
Ausgleich bei Auflösung der Gesellschaft
Ist im Gesellschaftsvertrag keine Fortsetzungsklausel vorgesehen, sodass mit der Kündigung
eines Gesellschafters die Gesellschaft aufgelöst wird (vgl. §§ 723 Abs. 1 S. 1, 726
Abs. 1 BGB), so ist das Gesellschaftsvermögen unter den Gesellschaftern zu verteilen,
wie es in § 730 Abs. 1 BGB heißt (Hervorhebungen durch die Verfasser):
„Nach der Auflösung der Gesellschaft findet in Ansehung des Gesellschaftsvermögens die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt, sofern nicht über das Vermögen
der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist.“
Unter den Begriff des Gesellschaftsvermögens fallen zum einen die Sachwerte (materielles
Vermögen) als auch darüber hinaus ein der Gesellschaft ggf. zukommender immaterieller
bzw. ideeller Vermögenswert (der sog. Goodwill). Grundsätzlich ist hinsichtlich beider
Vermögensbestandteile demnach die Liquidation unter den Gesellschaftern vorzunehmen.
Der Kern des Auflösungsverfahrens ist in § 734 BGB geregelt. Dieser sieht vor, dass
nach Abzug der gemeinschaftlich bestehenden Schulden und Rückgewährung der von den
Gesellschaftern geleisteten Einlagen ein ggf. verbleibender Überschuss in dem Verhältnis
der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter anteilig auszuzahlen
ist. Demnach folgt daraus ein Ausgleichsanspruch des einzelnen Gesellschafters gegen
die Gesellschaft. Dieser erstreckt sich, wie aus der vorstehenden Differenzierung
der möglichen Vermögensbestandteile ergibt, konsequenterweise auch auf das immaterielle
Vermögen der Gesellschaft.
Das Verfahren der Liquidation richtet sich gemäß § 731 S. 1 BGB nach den Vorschriften
der §§ 732 ff. BGB, soweit keine anderweitige vertragliche Regelung der Gesellschafter
vorliegt. Zu beachten ist im Rahmen dessen, dass im Hinblick auf die verschiedenen
Ansprüche gegeneinander eine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen ist, in die sowohl
alle Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter als auch jene der Gesellschafter
gegen die Gesellschaft sowie der Gesellschafter untereinander aus dem Gesellschaftsverhältnis
aufzunehmen sind.[2] Der Anspruch ist in dem Moment zur Zahlung fällig und durchsetzbar, in dem die Abschlussbilanz
festgestellt und das Auflösungsverfahren damit beendet ist.[3] Ein derartiger Ausgleichsanspruch entsteht grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft,
wobei davon Ausnahmen anerkannt sind. So können beispielsweise die Gesellschafter
gemäß § 731 S. 1 BGB übereinstimmend eine gewisse Form der Auseinandersetzung vereinbaren,
z. B. dass einer von ihnen das gesamte Gesellschaftsvermögen übernimmt, während die
anderen von diesem abgefunden werden.[4]
Im Falle der Auflösung der Gesellschaft richtet sich der Ausgleichsanspruch nach alledem
nach den Vorschriften der §§ 730, 733, 734 BGB.
Abfindung bei Ausscheiden eines Gesellschafters unter Fortführung der Gesellschaft
Diese Regelungen gelten in dem Fall, dass die Gesellschaft nach dem Ausscheiden eines
der Gesellschafter von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, gemäß § 738 Abs. 1
S. 2 BGB entsprechend. Die Sätze 1 und 2 des § 738 BGB haben den Wortlaut (Hervorhebungen
durch die Verfasser):
„Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wächst sein Anteil am Gesellschaftsvermögen
den übrigen Gesellschaftern zu. Diese sind verpflichtet, dem Ausscheidenden die Gegenstände,
die er der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, nach Maßgabe des § 732 zurückzugeben,
ihn von den gemeinschaftlichen Schulden zu befreien und ihm dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn
die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre.“
Der ausscheidende Gesellschafter hat gegen die fortgesetzte Gesellschaft demnach einen
Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 S. 2 BGB.
Durchsetzungssperre im Hinblick auf Einzelansprüche während Auseinandersetzung
Durchsetzungssperre im Hinblick auf Einzelansprüche während Auseinandersetzung
Im Rahmen dieses Auseinandersetzungsverfahrens bzgl. des Gesellschaftsvermögens sind
nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Besonderheiten im Hinblick auf die Geltendmachung
einzelner Ansprüche zu beachten. Damit ein absehbares Hin und Her wechselseitig geltend
gemachter Ansprüche vermieden wird, ist für die Dauer des Liquidationsverfahrens grundsätzlich
eine sog. Durchsetzungssperre vorgesehen. Das bedeutet, dass für die Dauer der Liquidation,
d. h. beginnend mit der Auflösung der Gesellschaft bis zur Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz,
eine Geltendmachung einzelner Ansprüche, auch im Rahmen einer Leistungsklage, ausgeschlossen
ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) führt hierzu aus:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats führt die Auflösung einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts ebenso wie das Ausscheiden eines Gesellschafters grundsätzlich
dazu, dass ein Gesellschafter die ihm gegen die Gesellschaft und die Mitgesellschafter
zustehenden Ansprüche nicht mehr selbständig im Wege der Leistungsklage durchsetzen
kann (Durchsetzungssperre). Diese sind vielmehr als unselbständige Rechnungsposten
in die Schlussrechnung aufzunehmen, deren Saldo ergibt, wer von wem noch etwas zu
fordern hat.“
[5]
Ausnahmen sind ist von diesem Grundsatz allerdings nach der Rechtsprechung beispielsweise
dann zulässig, wenn die Vertragsbestimmungen zumindest im Wege der Auslegung nach
Sinn und Zweck erkennen lassen, dass im Einzelnen bestimmte Ansprüche (mithin z. B.
auch Ausgleichs- bzw. Abfindungsansprüche) selbst im Falle der Auflösung der Gesellschaft
ihre Selbstständigkeit behalten sollen[6] oder wenn feststeht, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch dem Anspruchsteller
in jedem Fall zusteht[7].
Sonderfall: Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlung bei Freiberuflerunternehmen
Sonderfall: Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlung bei Freiberuflerunternehmen
Besonderheiten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung des immateriellen Wertes
einer Gesellschaft ergeben sich insbesondere bei Freiberuflerunternehmen. In der Regel
ist bei diesen eine Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlung nämlich nicht vorgesehen. Die
Auseinandersetzung einer GbR aus Freiberuflern erfolgt vorrangig zum einen durch sog.
Realteilung, d. h. die Teilung der vorhandenen Sachwerte, also materiellen Werte.
Zum anderen geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine weitere Teilhabe des einzelnen
Gesellschafters bzw. des Ausscheidenden am immateriellen Wert des Unternehmens dadurch
gewährleistet ist, dass für ihn eine realistische Möglichkeit besteht, den aufgebauten
Mandantenstamm weiter für sich zu nutzen (dazu sogleich).
Der BGH hat im Falle einer Rechtsanwaltskanzlei hierzu eindeutig entschieden:
„[N]ach der ständigen Rechtsprechung des Senats [sind] die Teilung der Sachwerte und
die Einräumung der rechtlich nicht begrenzten Möglichkeit, um die bisherigen Mandanten
zu werben, die sachlich nahe liegende und angemessene Art der Auseinandersetzung einer
Freiberuflersozietät. Wird so verfahren, kann eine weitergehende Abfindung grundsätzlich
nicht beansprucht werden.“
[8]
Dies gilt für das Ausscheiden eines Gesellschafters wie die Auflösung der Gesellschaft
gleichermaßen.[9] Die Möglichkeit, um die Mandantenbeziehungen zu konkurrieren, kann (vor allem im
Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters) insbesondere dadurch eingeschränkt sein,
dass eine nachvertragliche Wettbewerbsklausel im Gesellschaftsvertrag vorhanden ist,
die eine solche Konkurrenztätigkeit des Ausscheidenden zum Schutz der Gesellschaft
unterbindet.[10]
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist laut BGH
„nicht schon dann veranlasst, wenn das Werben eines Gesellschafters um die bisherigen
Mandaten aus tatsächlichen Gründen weniger aussichtsreich erscheint und im Ergebnis
weniger erfolgreich ist als das Werben der Mitgesellschafter“
[11],
sondern im Einzelfall allenfalls dann zu machen (Hervorhebungen durch die Verfasser),
„wenn schon infolge einer besonderen Gestaltung der Zusammenarbeit in der Sozietät
ein gravierendes Chancenungleichgewicht besteht.“
[12]
Ein solches gravierendes Chancenungleichgewicht liegt nach der Definition des BGH
dann vor,
„wenn die sozietätsinterne Aufgabenzuteilung einem der Gesellschafter den Zugriff
auf den Mandantenstamm erheblich erschwert, obwohl er durch die Erfüllung der ihm
zugewiesenen Aufgaben wesentlich zum Aufbau des Mandantenstamms beigetragen hat.“
[13]
Für die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Abfindungsanspruch auch bei Freiberuflern
besteht, ist also nach vorstehenden Grundsätzen die gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung
im Einzelfall zunächst unter der Fragestellung in den Blick zu nehmen, ob (im Falle
des Ausscheidens eines Gesellschafters) eine Wettbewerbsklausel im Vertrag enthalten
ist, die eine nachvertragliche konkurrierende Berufstätigkeit des Gesellschafters
zum Schutze der fortgesetzten Gesellschaft einschränkt und somit den grundsätzlichen
Anwendungsbereich eines Abfindungsanspruchs zur Wahrung der Interessen dieses Gesellschafters
eröffnet. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, kann ein Abfindungsanspruch zu gewähren
sein, wenn der ausscheidende Gesellschafter auf andere Weise durch die gesellschaftsvertraglichen
Bestimmungen daran gehindert ist, den durch ihn aufgebauten Mandantenstamm für sich
zu nutzen.
Es ist daraus ersichtlich, dass das Bestehen eines Ausgleichs- bzw. Abfindungsanspruchs
gegen ein Freiberuflerunternehmen demnach mit der Einschränkung der Chance des Gesellschafters
korreliert, aus den durch die eigene Tätigkeit mit aufgebauten Mandantenbeziehungen
für sich nach Auflösung der Gesellschaft bzw. nach dem Ausscheiden weiter Gewinne
zu realisieren.
Gegenstand des Goodwills und Abfindung im Falle von Arztpraxen
Gegenstand des Goodwills und Abfindung im Falle von Arztpraxen
Wendet man die vorstehenden Grundsätze nun auf die Situation von Arztpraxen an, bestehen
folgende Besonderheiten: Bei einer Arztpraxis ist als wesentlicher wertbildender Faktor
des Goodwills grundsätzlich vor allen Dingen der von den Gesellschaftern gemeinsam
aufgebaute Patientenstamm anzusehen. Entscheidend ist jedoch, dass dieser auch der
Praxis als solcher, die zivilrechtlich entweder als GbR (§§ 705 ff. BGB) oder als
Partnerschaftsgesellschaft (gemäß § 1 PartGG; im Folgenden: PartG) gegründet sein
wird, zuzurechnen ist. Denn andernfalls kann von einem der Gesellschaft verbleibenden
Anteil am immateriellen Gesellschaftsvermögen, den der Ausscheidende bzw. die Gesellschafter
erarbeitet haben, nicht die Rede sein. Die höchstrichterliche Rechtsprechung differenziert
in diesem Zusammenhang folgerichtig nach den Grundsätzen des Berufs- und Vertragsarztrechts
zwischen einer BAG und einer Praxisgemeinschaft.[14]
Eine Kooperation im Rahmen einer Praxisgemeinschaft verfolgt lediglich das Ziel, die
vorhandene Praxisinfrastruktur einschließlich des nichtärztlichen Personals gemeinsam
zu nutzen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV), jedoch die vertragsärztliche Tätigkeit in jeder
Hinsicht unabhängig von den anderen Ärzten zu erbringen. Die Praxisgemeinschaft tritt
der Kassenärztlichen Vereinigung (nachfolgend: KV) – anders als im Falle einer vertragsarztrechtlich
genehmigungsbedürftigen BAG (§§ 33 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 3 S. 1 Ärzte-ZV) – gegenüber
nicht als „ein“ bzw. „der“ Vertragsarzt auf, sondern jeder der in der Praxisgemeinschaft
(lediglich organisatorisch) verbundenen Vertragsärzte weiterhin für sich. Die ärztlichen
Leistungen werden folglich von jedem der vertragsärztlich zugelassenen Ärzte gegenüber
der KV selbst abgerechnet, wohingegen in einer BAG auch die Abrechnung der erbrachten
Leistungen unter einer gemeinsamen Rechtspersönlichkeit, nämlich jener der BAG, erfolgt.[15]
Demnach kann von einem gemeinsamen Patientenstamm im Grundsatz nur bei einer BAG gesprochen
werden. Der Goodwill wird nur dort Vermögensbestandteil der Praxis als solcher, nämlich
der BAG. Bei einer lediglich als einer Art Organisationsgemeinschaft gegründeten Praxisgemeinschaft
verbleibt der jeweils von den Praxispartnern aufgebaute Goodwill bei den Gesellschaftern
selbst. Das zeigt sich insbesondere – unter Ergänzung der obigen Abgrenzungskriterien
der Vertragsarztkooperationsformen – daran, dass in der Praxisgemeinschaft gerade
keine freie Arztwahl besteht, wie dies im Gegensatz hierzu bei einer BAG der Fall
ist.[16] Die Patienten werden also in einer Praxisgemeinschaft ersichtlich nur von jeweils
einem Arzt behandelt, sodass jeder Arzt seinen eigenen Patientenstamm hält. Hieraus
folgt insbesondere, dass es einen gemeinsamen Patientenstamm in einer Praxisgemeinschaft
nicht geben kann. Gibt es jedoch keinen gemeinsamen Patientenstamm, so ist auch ein
immaterieller Wert im Sinne eines Patientenstamms der Praxisgemeinschaft als solcher
nicht inhärent.[17]
Es folgt aus alledem, dass einer Praxisgemeinschaft schon kein ihr eigener Goodwill
zukommen kann, welcher beim Ausscheiden eines Gesellschafters anteilig abgefunden
werden müsste oder auch nur könnte.
Kommt einer BAG jedoch ein Goodwill zu, so kann die Mitnahme des vom Ausscheidenden
aufgebauten Teils des Patientenstamms der BAG einen angemessenen Ausgleich des Goodwills
der Praxis darstellen,
„wenn die Möglichkeit der Weiterbehandlung für den Ausscheidenden realistisch ist
und die medizinische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz der Partner annähernd
vergleichbar ist.“
[18]
Auch hier zeigt sich wiederum, dass für einen Abfindungsanspruch insoweit kein Raum
ist, wie die tatsächliche Möglichkeit für den einzelnen Gesellschafter weiterbesteht,
vom Patientenstamm der BAG selbst zu profitieren. Die Mitnahme eines Teils der Patienten
ist jedenfalls nach der Rechtsprechung bei der Bemessung des Abfindungsanspruchs zu
berücksichtigen, um insoweit eine ggf. unangemessen hohe Abfindung zu vermeiden.[19]
Entscheidung des LG Bielefeld: Zahlungspflicht der PVA
Entscheidung des LG Bielefeld: Zahlungspflicht der PVA
Das LG Bielefeld hat im Hinblick auf den anfangs geschilderten Sachverhalt entschieden,
dass den klagenden Mitgesellschaftern ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung aus
§ 730, 733, 734 BGB gegen die PVA in Ermangelung einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen
Regelung betreffend die Auflösung der Gesellschaft zustehe. Der Anspruch könne, so
das Landgericht, ausnahmsweise auch außerhalb der Auseinandersetzungsbilanz einzeln
geltend gemacht werden, da der geltend gemachte Anspruch in jedem Fall bestehe (vgl.
obige Ausführungen hierzu).
Eine Teilung der Sachwerte der Praxis allein erachtete das Gericht als nicht ausreichend,
da es den klagenden Mitgesellschaftern in der konkreten Situation verwehrt gewesen
sei, um den bestehenden Patientenstamm der Praxis mit der beklagten PVA zu konkurrieren.
Hierin erkannte das Gericht das oben genannte „gravierende Chancenungleichgewicht“
der Gesellschafter hinsichtlich der Nutzung des Patientenstamms aufgrund einer sozietätsinternen
Aufgabenzuteilung. Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen aus:
„Dabei ist es dem Kläger […] aufgrund der Besonderheiten der Übernahme des Versorgungsauftrags
für das Versorgungsgebiet durch die Beklagte als programmverantwortliche Ärztin verwehrt,
um den bestehenden Patientenstamm mit der Beklagten im Rahmen dieses Versorgungsauftrages
zu konkurrieren. Auch ha[t] der Kläger […] die [ihm] zugewiesenen Aufgaben erfüllt
und [seinen] Beitrag im Rahmen der gesellschaftsvertraglichen Aufgabenzuweisung geleistet.“
Es stellt demnach entscheidend darauf ab, dass die Beklagte allein den Versorgungsauftrag
als PVA in dem Versorgungsgebiet der (später aufgelösten) Gesellschaft wahrgenommen
hat. Daraus resultiert der Umstand, dass die PVA allein den Goodwill der Praxis nach
deren Auflösung für sich hat weiternutzen können, was sich auch daran zeigt, dass
diese schließlich sämtliches digitales Patientenmaterial zur Weiternutzung übernommen
hat. Eine Nutzung des Patientenstammes der Praxis (auch) durch die Mitgesellschafter,
die eben nicht den entsprechenden Versorgungsauftrag als PVA wahrnehmen, ist somit
vor dem Hintergrund der Vorgaben der Anlage 9.2 des BMV-Ä ausgeschlossen.
Daran zeigt sich, dass sich eine Einschränkung, den Patientenstamm weiter zu nutzen,
eben nicht lediglich aus vertraglicher Vereinbarung oder aus etwaigen fachlichen oder
sozialen Kompetenzunterschieden der Ärzte (wie oben dargestellt), sondern auch aus
vertragsarztrechtlichen Genehmigungspflichten ergeben kann.
Ob die Befunder, wie das erkennende Gericht angenommen hat, tatsächlich wesentlich
zum Goodwill der Praxis etwas beitragen konnten, mag sicherlich – wie auch andere
Streitpunkte[20] – diskussionswürdig sein. Denn so ließe sich durchaus vertreten, dass der ideelle
Wert der Gesellschaft allein in der Person der PVA entstehen konnte, da nur sie zur
Durchführung der für das Mammographie-Screening wesentlichen Leistungen berechtigt
war. Daraus würde letztlich folgen, dass die Befunder, die schon rechtlich daran gehindert
waren, die Tätigkeit des PVA auszuüben, auch nicht wesentlich zum Goodwill der Praxis
etwas beitragen konnten. Eine Klärung dieser Rechtsfragen unterblieb aufgrund einer
Erledigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Vergleiches in der Berufungsinstanz.
Fazit
Der Ausgleichs- bzw. Abfindungsanspruch soll die Beteiligung der Gesellschafter nicht
nur am materiellen, sondern auch am immateriellen Vermögen der Gesellschaft im Falle
der Auflösung dieser oder aber des Ausscheidens einzelner Gesellschafter aus der fortgesetzten
Gesellschaft sicherstellen. Von einem Gesellschaftsvermögen kann bei Arztpraxen grundsätzlich
nur dann ausgegangen werden, wenn diese als BAG geführt werden. Haben die Gesellschafter
in den vorgenannten Fällen der Beendigung der Gesellschafterstellung die unbeschränkte
Möglichkeit, die bisherigen Patienten weiter zu behandeln, besteht für einen weitergehenden
Ausgleich bzw. eine weitergehende Abfindung hinsichtlich des immateriellen Wertes
des Gesellschaftsvermögens grundsätzlich keine Grundlage.
Ein Zahlungsanspruch kommt demgegenüber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die
Möglichkeit der Weiternutzung des Patientenstamms der Gesellschaft eingeschränkt ist.
Vor allem besondere vertragliche Gestaltungen, wie etwa nachvertragliche Wettbewerbsklauseln,
bedeuten eine solche Einschränkung der realen Patientenweiterbehandlungschance. Daneben
kann diese Chance jedoch auch durch die fachlichen oder sozialen Kompetenzen der die
Zahlung beanspruchenden Ärzte gemindert sein oder aber – wie die Entscheidung des
LG Bielefeld gezeigt hat – dadurch, dass aufgrund der Wahrnehmung eines vertragsarztrechtlichen
Versorgungsauftrages (etwa den als PVA) eine Weiterbehandlung der Patienten lediglich
durch bestimmte Ärzte rechtlich zulässig ist, weshalb diese den Patientenstamm vollständig
übernehmen. Derjenige Arzt, der im Falle einer Kündigung absehbar den gesamten Patientenstamm
einer BAG übernehmen wird, muss sich dann ggf. auf Zahlungsansprüche der übrigen Gesellschafter
hinsichtlich des Goodwills der Gesellschaft einstellen.
Prof. Dr. Peter Wigge
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Fachanwalt für Medizinrecht
Philip Steuwer
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