Neurologie up2date 2020; 3(03): 243-256
DOI: 10.1055/a-1011-6634
Immunvermittelte und erregerbedingte Erkrankungen des ZNS

Neuroborreliose

Rick Dersch
,
Sebastian Rauer
 

Die Lyme-Borreliose ist die häufigste Zoonose Deutschlands. Bei 3 – 15 % der betroffenen Patienten kommt es zu neurologischen Manifestationen. Im klinischen Alltag bestehen hinsichtlich des Managements der Neuroborreliose oft beträchtliche Unsicherheiten. Der Beitrag fasst den aktuellen Wissensstand zur Klinik, Diagnostik und Therapie der Neuroborreliose zusammen.


#

Abkürzungen

ACA: Acrodermatitis chronica atrophicans
ASI: Antikörper-spezifischer Index
ASI: Antikörperspezifitätsindex
Bb: Borrelia burgdorferi s. l.
CXCL13: C-X-C motif chemokine 13
DEET: Diethyltoluamid
EIA: Enzymimmunoassay
ELISPOT: Enzyme-linked Immunospot Assay
FSME: Frühsommermeningoenzephalitis
HWK: Halswirbelkörper
Ig: Immunglobulin
LTT: Lymphozytentransformationstes
LWS: Lendenwirbelsäule
PCR: Polymerase Chain Reaction

Einleitung

Die Lyme-Borreliose ist die häufigste Zoonose Deutschlands. Neurologische Manifestation kommen bei 3 – 15 % aller Patienten mit Borreliose vor und sind nach dermatologischen Manifestationen die häufigste Form der Borreliose [1] [2]. Im klinischen Alltag bestehen bezüglich der Diagnose, der Therapie und des Verlaufs der Neuroborreliose oft beträchtliche Unsicherheiten. Grund dafür sind u. a. eine Vielfalt von oftmals nicht wissenschaftlich begründeten Informationen und Berichten über chronische Verläufe einer Borreliose trotz durchgeführter antibiotischer Therapie sowie die fälschliche Annahme, dass sich eine Lyme-Borreliose vor allem durch vielfältige unspezifische Symptome äußert. Der vorliegende Übersichtsartikel stellt den aktuellen Wissensstand zur Klinik, Diagnostik und Therapie der Neuroborreliose zusammen [3].

Fallbeispiel

Fall 1

Anamnese

52 Jahre alter Patient, seit wenigen Tagen subakut stärkste nächtlich betonte Lumboischialgien mit Ausstrahlung in den linken Fuß, passend zum Dermatom L5. Kein sensibles oder motorisches Defizit.

Zunächst Aufnahme in der Orthopädie bei immobilisierenden Rückenschmerzen, die sich auch auf Diclofenac, Flupirtin und Tramadol nur unzureichend besserten.

Diagnostisches Vorgehen

Ein MRT der LWS zeigte einen unauffälligen Befund ohne Anhalt für eine mechanische Affektion spinaler Wurzeln. Es erfolgte eine konsiliarische neurologische Vorstellung mit Liquoruntersuchung. Hier zeigten sich ein entzündliches Liquorsyndrom mit 96/μl Zellen (lymphozytär betontes Zellbild mit Nachweis von aktivierten B-Lymphozyten), Gesamteiweiß 1700 mg/l, Albuminquotient 23,1. Weiters zeigten sich eine positive Borrelienserologie im Serum, im Liquor findet sich ein positiver Antikörperspezifitätsindex für Borrelien (27,0). In der Nachanamnese berichtete der Patient von einem Zeckenstich im Bereich des Nackens vor wenigen Wochen.

Therapie

Eine antibiotische Therapie mit 2 g Ceftriaxon i. v. wird begonnen, worunter sich die Symptomatik deutlich besserte. Die analgetische Therapie konnte im Verlauf ganz abgesetzt werden. Nach einer Woche erfolgte eine Verlaufspunktion, hier wurde ein Rückgang der Zellzahl auf 37/μl gefunden. Die Antibiotika wurden für insgesamt 21 Tage gegeben, der Patient war im Verlauf symptomfrei.

Diagnose

Frühmanifestation einer Neuroborreliose mit Bannwarth-Syndrom.


#

Übertragung und Erreger

Die Lyme-Borreliose wird durch Zeckenstiche übertragen, in Europa durch Schildzecken der Art des Gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus). Die Saugdauer der Zecke muss in der Regel mehrere Stunden andauern (im Tierversuch > 12 Stunden), um den Erreger zu übertragen.

Merke

In Deutschland ist nach einem Zeckenstich bei ca. 5 % der Betroffenen mit einer Serokonversion und bei ca. 1 % mit einer manifesten Erkrankung zu rechnen.

In über 50 % der Fälle mit klinisch apparenter Borreliose bleibt ein Zeckenstich selbst unbemerkt.

Die Erreger der Borreliose sind Spirochätenbakterien des Borrelia-burgdorferi-sensu lato-Komplexes. Es existieren verschiedene Genospezies mit unterschiedlicher geografischer Verteilung. In Nordamerika kommt ausschließlich B. burgdorferi sensu stricto vor, während in Europa zusätzlich B. afzelii, B. bavariensis, B. garinii und B. spielmanii humanpathogenes Potenzial haben. B. burgdoferi sensu stricto, B. afzelii, B. bavariensis und B. garinii verursachen alle mit ähnlicher Häufigkeit neurologische Manifestationen einer Borreliose. B. afzelii findet sich dagegen deutlich gehäuft bei Hautmanifestationen im Vergleich zu den anderen Spezies. Die Spezies B. spielmanii wurde bislang nur aus Hautisolaten nachgewiesen [4].


#

Epidemiologie

Nach Erhebungen des Robert Koch-Institutes liegt die Inzidenz der Lyme-Borreliose (über alle Manifestationen hinweg) in Deutschland bei ca. 49/100000. Die Inzidenz der Neuroborreliose ist mit ca. 1/100 000 deutlich niedriger [5]. Dies deckt sich mit Daten aus anderen europäischen Ländern (Norwegen und Niederlande [6] [7]).

Es besteht eine hohe Seroprävalenz für borrelienspezifische Antikörper bei gesunden Personen (ca. 5 – 20 %). Diese steigt mit höherem Lebensalter an [8]. Je nach individueller Zeckenexposition (beruflich oder durch Freizeitaktivitäten bedingt) kann diese jedoch deutlich höher ausfallen (bis zu 34 %).


#

Prophylaxe

Merke

Wird ein Zeckenstich bemerkt, so sollte die Zecke rasch entfernt werden. Die Übertragungswahrscheinlichkeit der Borrelien nimmt mit längerer Saugdauer zu.

Eine prophylaktische Behandlung mit Antibiotika nach Zeckenstichen wird in Deutschland nicht empfohlen. Das Risiko einer klinisch manifesten Infektion durch Borrelien ist nach einem Zeckenstich sehr gering und steht nach Expertenmeinung in keinem sinnvollen Verhältnis zu Nebenwirkungen bzw. Resistenzentwicklung durch übermäßigen Antibiotikagebrauch [9]. Die entfernte Zecke braucht mangels therapeutischer Konsequenzen nicht auf Borrelien untersucht zu werden.

Praxis

Tipp

Repellenzien wie Diethyltoluamid (DEET) scheinen eine abweisende Wirkung gegen Zecken zu haben, haben aber nur eine kurze Wirkdauer. Bei stark exponierten Personen kann Permethrin-imprägnierte Kleidung einen Teilschutz vor Zeckenbefall darstellen [10].


#

Klinik

Neurologische Manifestationen

Klinisch werden je nach Dauer der Symptome Früh- und Spätmanifestationen unterschieden. Zu den neurologischen Frühmanifestationen zählen die Polyradikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom) sowie die aseptische Meningitis (mit und ohne Hirnnervenlähmung). Spätmanifestationen äußern sich typischerweise als Enzephalomyelitis.

Frühmanifestationen treten innerhalb ca. 4 – 6 Wochen nach einer Infektion auf (ca. 98 % der Neuroborreliosefälle). Spätmanifestationen sind insgesamt sehr selten und treten mehrere Wochen bis Monate nach der Infektion auf.


#

Frühmanifestationen

Bannwarth-Syndrom (Polyradikuloneuritis)

Das Bannwarth-Syndrom beschreibt eine schmerzhafte Polyradikuloneuritis spinaler Nerven häufig in Kombination mit Hirnnervenparesen.

Merke

Das Bannwarth-Syndrom stellt die häufigste Manifestation der Neuroborreliose insbesondere im Erwachsenenalter dar [11].

Hirnnervenbeteiligungen sind bei 60 % der Patienten zu finden. Klassischerweise ist hierbei der N. facialis betroffen (ca. 80 %), häufig auch mit einer bilateralen Hirnnervenparese. Beteiligungen anderer Hirnnerven sind möglich, jedoch deutlich seltener [11]. Hirnnervenparesen können auch als zunächst einziges Symptom einer Neuroborreliose vorliegen.

Praxis

Tipp

Bei Vorliegen einer isolierten peripheren Fazialisparese sollte daher grundsätzlich eine Neuroborreliose abgegrenzt werden.

Der radikuläre Befall äußert sich zunächst typischerweise mit intensiven, brennenden, nächtlich betonten Schmerzen, welche nur unzureichend auf periphere Analgetika ansprechen. Im Verlauf treten als Zeichen der weiteren radikulären Schädigung Paresen und Parästhesien im gleichen Dermatom auf. Die Symptome können beidseits auftreten, sind aber häufiger asymmetrisch zu finden. Bei Befall cervikaler Spinalnerven sind einseitige Zwerchfellähmungen sowie bei Befall thorakaler Spinalnerven Bauchwandparesen berichtet worden [12] [13].


#

Meningitis

Eine subakute Meningitis mit und ohne Hirnnervenbeteiligung ist die bei Kindern häufigste Manifestation der Neuroborreliose, kann aber auch im Erwachsenenalter auftreten [2] [11] [14]. Typischerweise treten Symptome wie Fazialisparese, Kopfschmerzen, diskrete Nackensteifheit, Irritabilität und akuter Abfall der Leistungsfähigkeit auf.

Fallbeispiel

Fall 2

Anamnese

44 Jahre alte Patientin mit subakuten Kopf- und Nackenschmerzen starker Intensität mit Fieber bis 39,0 °C. Kurz zuvor bemerkte sie ein Erythema migrans in der rechten Kniekehle, jedoch keinen Zeckenstich.

Diagnostisches Vorgehen

Im Liquor 13 Zellen/μl (lymphozytär mit aktivierten B-Lymphozyten), Gesamteiweiß 557 mg/l, Albuminquotient 7,5. Die Borrelienserologie war im Serum positiv für IgM, im Liquor jedoch negativ. Eine FSME-Serologie war negativ.

Therapie

Es wurde eine Behandlung mit Ceftriaxon i. v. begonnen. Hierunter kam es in den ersten Tagen zunächst zu einer Verschlechterung mit beidseitiger Fazialisparese, sodass die Therapiedauer auf 21 Tage erweitert wurde. Eine Verlaufsliquorpunktion ergab eine Zellzahl von 12 Zellen/μl sowie nun auch im Liquor nachweisbare borrelienspezifische Antikörper mit positivem ASI für IgG (1,5). Eine Fazialisneurografie brachte den Nachweis einer ausgeprägten axonalen Schädigung beidseits.

In der klinischen Verlaufsuntersuchung 2 Jahre später zeigten sich die Fazialisparesen erfreulicherweise vollständig zurückgebildet, auch ohne Synkinesien.

Diagnose

Frühmanifestation einer Neuroborreliose mit leichtem meningitischem Syndrom und bilateraler Fazialisparese.


#
#

Spätmanifestationen

Spätmanifestationen treten subakut Wochen bis mehrere Monate nach einer Infektion auf (ca. 2 % der Neuroborreliosefälle).

Enzephalomyelitis

Klinisch stehen subakute spinale Symptome mit spastisch-ataktischer Gangstörung, Miktionsstörungen sowie Hypästhesien mit sensiblem Niveau im Vordergrund [15]. Selten treten kortikale Symptome (wie z. B. Wesensänderung, Aphasie, epileptische Anfälle) als Zeichen einer enzephalitischen Beteiligung hinzu.

Fallbeispiel

Fall 3

Anamnese

63-jährige Patientin mit über ca. 5 Monate langsam progredienter, linksbetonter spastisch-ataktischer Gangstörung, diskreter Dranginkontinenz.

Diagnostisches Vorgehen

Klinisch fielen eine Schwäche der Kniestrecker und Fußheber links, deutlich gesteigerte Reflexe beider Beine im Vergleich zu den Armen sowie ein positiver Babinski-Reflex links auf. Ein MRT der Wirbelsäule zeigte ein flaues Myelopathiesignal auf Höhe HWK 4 – 7. Eine Liquoruntersuchung ergab eine lymphozytäre Pleozytose (102 Zellen/μl) sowie den Nachweis borrelienspezifischer Antikörper im Liquor mit positivem ASI für IgM und IgG (3,5 bzw. 6,2).

Auf Nachfrage wurde seitens der Patientin ein Zeckenstich am linken Oberarm ca. 4 Monate vor Beginn der Symptomatik erwähnt, ein Erythema migrans wurde nicht erinnert.

Therapie und Verlauf

Eine Behandlung mit Ceftriaxon über 21 Tage führt zu einer Stabilisierung der Symptomatik. Eine Liquorpunktion nach Abschluss der antibiotischen Therapie zeigt eine deutliche Reduktion der Liquorzellzahl (11 Zellen/μl). Es verblieb jedoch auch im weiteren Verlauf eine spastisch-ataktische Gangstörung, Gehen ist nur mithilfe eines Rollators möglich.

Diagnose

Spätmanifestation einer Neuroborreliose mit Myelitis.


#

Borrelieninduzierte zerebrale Vaskulitis

Im Rahmen einer Neuroborreliose kann es sehr selten zu einer erregerassoziierten Vaskulitis der intrakraniellen Gefäße kommen. Die Inkubationsdauer ist dabei letztlich unklar. Symptome treten akut im Rahmen von zerebralen Ischämien auf. In bildgebenden Verfahren und in der Duplexsonografie der hirnversorgenden Gefäße sind vaskulitische Veränderungen an intrazerebralen Gefäßen nachweisbar, das vertebrobasiläre Stromgebiet scheint insgesamt häufiger betroffen zu sein. Die Prognose wird wesentlich durch die Lokalisation und Ausdehnung der ischämischen Areale bestimmt [16].


#

Neuritis peripherer Nerven/Polyneuropathie

Eine Inflammation peripherer Nerven im Sinne einer symmetrischen, beinbetonten Polyneuropathie ist im Rahmen der dermatologischen Spätmanifestation einer Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) beschrieben. Ohne Hautbeteiligung ist eine solche Polyneuropathie als Manifestation einer Lyme-Borreliose in Europa extrem selten. Aufgrund der hohen Seroprävalenz borrelienspezifischer Antikörper in der gesunden Bevölkerung ist der Nachweis dieser Antikörper bei Patienten mit beinbetonter peripher symmetrischer Polyneuropathie eher als Koinzidenz und nicht als kausaler Zusammenhang zu werten [17]. Daher ist der Nachweis von borrelienspezifischen Antikörpern im Serum bei Patienten mit einer beinbetonten, symmetrischen Polyneuropathie nicht beweisend für eine Borrelieninfektion als Ursache der Polyneuropathie.


#
#
#

Diagnostik und Falldefinition

Der direkte Erregernachweis (Kultur bzw. PCR) bei einer Borreliose ist aufgrund der niedrigen Sensitivität dieser Verfahren sehr schwierig [19]. Die Diagnose einer Neuroborreliose sollte daher nicht, wie in der Mikrobiologie sonst üblich, anhand des Erregernachweises, sondern anhand international konsentierter Falldefinitionen auf der Basis der vorliegenden klinischen und labordiagnostischen Befunde gestellt werden (s. [Tab. 1]).

Tab. 1

Falldefinition der Neuroborreliose (nach [9]).

Mögliche Neuroborreliose (Verdachtsfall, bedarf weiterer Abklärung)

Wahrscheinliche Neuroborreliose

Gesicherte Neuroborreliose

typische neurologische Symptome (s. o.)

+

Antikörper gegen Bb im Serum

+

Liquorbefund nicht vorliegend/nicht durchgeführt

+

Abgrenzung anderer Ursachen

wie mögliche Neuroborreliose

+

entzündliches Liquorsyndrom (Pleozytose, Blut-Liquor-Schranken-Störung, intrathekale Immunglobulinsynthese)

wie wahrscheinliche Neuroborreliose

+

borrelienspezifische Antikörperproduktion im Liquor (positiver ASI für IgG und/oder IgM)

oder

positiver Nachweis in Kultur oder PCR aus dem Liquor

Abkürzungen: ASI = Antikörperspezifitätsindex, Bb = Borrelia burgdorferi s. l., Ig = Immunglobuline

Merke

Im Falle einer möglichen Neuroborreliose sollte der Verdacht grundsätzlich über eine Liquoruntersuchung überprüft werden.

Serologie

Die Borrelienserologie erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst wird als Suchtest ein Enzymimmunoassay (EIA) durchgeführt, positive und grenzwertige Befunde werden anschließend in einem Bestätigungstest (Immunoblot) überprüft [19]. Eine serologische Untersuchung sollte nur bei einem konkreten klinischen Verdacht durchgeführt werden (typische klinische Manifestationen), da ansonsten der prädiktive diagnostische Wert sehr gering ist [19]. Bei der Interpretation positiver serologischer Befunde muss die hohe Seroprävalenz in der Allgemeinbevölkerung beachtet werden.

Merke

Eine positive Borrelienserologie ohne borreliosetypische Symptomatik ist als alleiniger Befund nicht geeignet zur Diagnosestellung einer Borreliose und sagt nichts über eine Behandlungsbedürftigkeit aus.

Nach erfolgter antibiotischer Therapie können IgG-Antikörpertiter (in bis zu 10 % der Fälle aber auch IgM) langfristig persistieren. Der Titer kann im Verlauf abfallen oder auch ansteigen und ist somit nicht zur Kontrolle des Therapieansprechens geeignet. Ein IgM-Titer kann persistieren, fehlen oder nur sehr kurz auftreten und ist deshalb im Unterschied zu seiner Rolle beispielsweise bei der Diagnostik einer akuten FSME bei der Neuroborreliose nicht hilfreich zur Beurteilung der Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung. Eine Therapiekontrolle mittels einer Verlaufsserologie ist daher in der Regel nicht sinnvoll.

Eine Wiederholung der Serologie kann dann sinnvoll sein, wenn der starke Verdacht auf eine Neuroborreliose besteht (typische Klinik, Liquorpleozytose) und eine Borrelienserologie initial negativ war und die Symptomatik insgesamt erst sehr kurz besteht. Hier kann eine Serokonversion bei der Diagnosestellung helfen. Bei immunkompetenten Patienten mit Symptomen über einen Zeitraum von mehr als 2 Monaten schließt ein negativer Serum-Borrelien-Antikörpertest eine Neuroborreliose aus [19].

Eine durchgemachte Borreliose hinterlässt trotz persistierender Antikörpertiter in der Regel keine bleibende Immunität [20].


#

Liquoruntersuchung

Im Liquor zeigt sich typischerweise eine lymphozytäre Pleozytose mit 6 – 800 Zellen/μl. In der Liquorzytologie finden sich aktivierte Lymphozyten und Plasmazellen, welche manchmal mit malignen Zellen verwechselt werden können [21]. Das Gesamteiweiß ist in der Regel erhöht (Median 1300 mg/l, Spannweite 500 – 3300 mg/l, bei Spätmanifestationen auch höhere Werte bis über 7000 mg/l möglich), ebenso ist der Albuminquotient erhöht als Zeichen einer Blut-Liquor-Schranken-Störung (Mittelwert 29 × 10 – 3, Spannweite 8 × 10 – 3 - 58,4 × 10 – 3) [21] [22].

Intrathekale Immunglobulinsynthesen sind typisch bei der Neuroborreliose und bei fast allen Patienten nachzuweisen. Bei Frühmanifestationen überwiegt eine intrathekale IgM-Synthese (begleitend auch geringe IgG-Synthese), bei Spätmanifestationen stehen eine ausgeprägte intrathekale IgG- und IgA-Synthese im Vordergrund [21] [22]. Die Liquorpleozytose gilt, anders als ein positiver borrelienspezifischer Antikörpernachweis, als Anhalt für eine behandlungsbedürftige Infektion und bildet sich unter antibiotischer Therapie im Verlauf mehrerer Wochen zurück.

Für die Falldefinition der gesicherten Neuroborreliose ist der Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese gefordert [9] [19] [21] [23]. Hierfür wird der Antikörper-spezifische Index (ASI) als Vergleich der borrelienspezifischen Antikörperkonzentrationen in Liquor und Serum unter Berücksichtigung der jeweiligen Immunglobulinkonzentrationen in beiden Kompartimenten verwendet. Ein ASI von mindestens 1,5 (in manchen Laboren 2,0) zeigt eine spezifische intrathekale Synthese an [21] [23].

Eine intrathekale borrelienspezifische Antikörpersynthese kann nach antibiotischer Therapie viele Jahre persistieren und ist ohne gleichzeitig vorhandene Pleozytose im Liquor kein Marker für eine bestehende Infektion bzw. für Behandlungsbedürftigkeit. Der borrelienspezifische ASI kann auch unter Therapie im Verlauf ansteigen (häufig als Artefakt bei im Verlauf gebesserter Schrankenfunktion) und ist daher nicht als Verlaufsparameter eines Therapieerfolges geeignet.

Polymerasekettenreaktion (PCR) und Kultur

Eine positive PCR auf Borrelien-DNA oder eine positive Kultur aus dem Liquor kann die Diagnose einer Neuroborreliose stützen; bei allerdings geringer Sensitivität von 10 – 30 % sind beide Verfahren in der klinischen Routinediagnostik wenig hilfreich [19]. In speziellen klinischen Situationen, z. B. bei Vorliegen einer Immundefizienz, kann die PCR sinnvoll sein.

Die Sensitivität der PCR und der Kultur ist in hohem Maße von der Erfahrung und Qualität des Labors abhängig und sollte in begründeten Fällen daher vorrangig an Spezial- und Referenzlabors durchgeführt werden [9].


#

CXCL13

Der Nachweis des Chemokins CXCL13 im Liquor ist eine vielversprechende Methode in der Diagnostik der Neuroborreliose. CXCL13 vermittelt die Chemotaxis von Lymphozyten in das Liquorkompartiment. Im Liquor von Patienten mit Neuroborreliose ist CXCL13 deutlich erhöht, insbesondere schon in sehr frühen Phasen der Erkrankung. CXCL13 zeigt eine Sensitivität von 96 % sowie eine Spezifität von 94 % [24]. Der hohe negativ-prädiktive Wert von nahezu 100 % macht den Nachweis von CXCL 13 im Liquor im Rahmen einer Ausschlussdiagnostik bei klinisch unklaren Fällen wertvoll [25]. Unter antibiotischer Therapie fällt der CXCL13-Spiegel im Liquor ab. Zu beachten ist jedoch, dass CXCL13 auch bei anderen subakut verlaufenden Erkrankungen wie z. B. Neurosyphilis oder zerebralem Lymphom erhöht sein kann [26].


#
#

Nicht empfohlene diagnostische Verfahren

Neben der Serologie und dem direkten Erregernachweis gibt es mehrere nicht allgemein akzeptierte Verfahren, die von wissenschaftlich orientierten Ärzten und Labormedizinern nicht empfohlen werden [9] [19] [27] [28] (s. Infobox Hintergrundinformation).

Hintergrundinformation

Im Rahmen einer Neuroborreliose nicht empfohlene diagnostische Verfahren

  • Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten

  • PCR aus Serum und Urin

  • Lymphozytentransformationstests (LTT)

  • Enzyme-linked Immunospot Assay (ELISPOT)

  • Xenodiagnose

  • Visual Contrast Sensitivity Test (Graustufentest, das Erkennen von Grautönen durch den Patienten soll indirekte Hinweise auf ein nicht näher spezifiziertes Neurotoxin von Borrelien geben)

  • Nachweis sog. L-Formen oder Sphäroblasten

  • Nachweis von Immunkomplexen

  • CD57-positive/CD3-negative Lymphozytensubpopulation

  • serologische Schnelltests

Diese Einschätzung in den bisherigen Leitlinien wird durch eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit bestätigt [28]. Hierbei wurden insgesamt 40 Studien zu unterschiedlichen unkonventionellen diagnostischen Verfahren zusammengetragen und bewertet. Für den im Rahmen der Borreliose häufig zur Diagnostik angewendeten Lymphozytentransformationstest (LTT) als Nachweis einer zellulären Immunantwort wurden insgesamt 10 Studien eingeschlossen. Letztlich zeigten sich bei allen verfügbaren Studien deutliche methodische Mängel mit hohem Biasrisiko. So wurde z. B. die Diagnose der Borreliosepatienten in insgesamt 6 der vorhandenen Studie nicht anhand der international konsentierten Falldefinition getroffen, die Tests waren in 2 Studien nicht standardisiert durchgeführt worden, und in 4 Studien wurden unterschiedliche Grenzwerte in der Beurteilung der Testergebnisse verwendet. Klare Aussagen zu Sensitivität und Spezifität aufgrund klinischer Studien können für den LTT also nicht getroffen werden, dieser Test sollte daher nicht in der Diagnostik der Lyme-Borreliose zum Einsatz kommen.

Auch für weitere kontrovers diskutierte Verfahren wie die Lymphozytentypisierung für CD57 (natürliche Killerzellen), ELISPOT, Xenodiagnose, Antigennachweis aus Körperflüssigkeiten, Dunkelfeldmikroskopie sowie kommerzielle serologische Schnelltests zeigten in der systematischen Übersicht keine valide Daten sowie deutliche methodische Mängel in den verfügbaren Studien, sodass diese Verfahren in der Diagnostik der Lyme-Borreliose nicht verwendet werden sollten.


#
#

Therapie

Therapieindikation

Bei Patienten, bei denen die Kriterien einer wahrscheinlichen und gesicherten Neuroborreliose zutreffen, besteht die Indikation zur antibiotischen Behandlung.

Bei Vorliegen einer möglichen Neuroborreliose (Liquorbefund nicht vorliegend oder unauffällig) sollte zunächst neben einer obligatorischen Liquordiagnostik eine weitere Differenzialdiagnostik durchgeführt werden. Bei ausbleibendem Nachweis einer anderen Erkrankung und fortbestehendem Verdacht kann im Einzelfall unter Nutzen-Risiko-Abwägung eine Antibiotikabehandlung eingeleitet werden.

Therapie

Behandlungsdauer

Für die antibiotische Behandlung von Frühmanifestationen (Polyradikuloneuritis, Meningitis) wird eine Therapiedauer von 14 Tagen empfohlen. Bei Spätmanifestationen (Enzephalomyelitis) wird wegen der oftmals verzögerten Beschwerderückbildung eine längere Therapiedauer von 14 – 21 Tage angeraten.

Die Behandlungsdauer in den verfügbaren klinischen Studien lag zwischen 10 und 14 Tagen, wobei hier hauptsächlich Patienten mit Frühmanifestationen eingeschlossen wurden. Zu unterschiedlichen Therapiedauern bei disseminierter Borreliose zeigte eine finnische randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie mit insgesamt 145 Patienten (davon 79 % mit Neuroborreliose) keinen Vorteil einer antibiotischen Therapie über 21 Tage hinaus [29]. Eine weitere randomisierte kontrollierte Studie zum Vergleich einer Behandlung mit Doxycyclin für 2 Wochen im Vergleich zu 6 Wochen wird derzeit in Norwegen durchgeführt; Ergebnisse werden für Herbst 2020 erwartet [30].

Bezüglich der Therapie der seltenen borrelieninduzierten zerebralen Vaskulitis liegen ausschließlich Daten aus unkontrollierten Fallserien vor. Analog zur Behandlung anderer erregerassoziierter zerebraler Vaskulitiden wird hier neben einer antibiotischen Therapie oft eine Behandlung mit Kortikosteroiden und Thrombozytenaggregationshemmern durchgeführt.


#

Präparate

Merke

Betalaktamantibiotika (Penicillin G, Ceftriaxon und Cefotaxim) und Doxycyclin sind in randomisierten kontrollierten Studien zur Behandlung der Neuroborreliose als wirksam befunden worden.

Nach einem systematischen Review der Autoren besteht dabei zwischen der Therapie mit Betalaktamantibiotika intravenös (Ceftriaxon, Cefotaxim und Penicillin G) und Doxycyclin oral kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich neurologischer Restsymptome [35]. Die nach der S3-Leitlinie Neuroborreliose empfohlenen Therapieschemata sind in [Tab. 2] dargestellt.

Tab. 2

Antibiotikatherapie der Neuroborreliose (nach [9]).

Präparat

Dosierung Erwachsene

Dosierung Kinder (Dosis/k g/Tag)

Dauer (Tage)

Frühmanifestationen

Doxycyclin

2 – 3 × 100 m g/Tag oral

ab 9. Lebensjahr 4 mg (maximal 200 mg)*

14

Cefriaxon

1 × 2 g/Tag i. v.

50 mg

14

Cefotaxim

3 × 2 g/Tag i. v.

100 mg

14

Penicillin G

4 × 5 Mio. IE/Tag i. v.

200 – 500000 IE

14

Spätmanifestationen

Ceftriaxon

1 × 2 g/Tag i. v.

50 mg

14 – 21

Cefotaxim

3 × 2 g/Tag i. v.

100 mg

14 – 21

Penicillin G

4 × 5 Mio. IE/Tag i. v.

200 – 500000 IE

14 – 21

Doxycyclin

2 – 3 × 100 m g/Tag oral

ab 9. Lebensjahr 4 mg (maximal 200 mg)[*]

14 – 21

Die genannten Präparate können prinzipiell alternativ eingesetzt werden; die optimale Therapiedauer ist ungeklärt.

Doxycyclin darf in der Schwangerschaft und bei Kindern unter 9 Jahren nicht gegeben werden.

* Nach Abschluss der Zahnschmelzbildung.


Eine zwischenzeitlich neu erschienene offene randomisierte kontrollierte Studie aus Finnland [32] zeigt ebenfalls keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich der Symptomatik der Patienten nach Behandlung mit Betalaktamantibiotika intravenös (Ceftriaxon) oder Doxycyclin oral. In dieser bislang größten randomisierten kontrollierten Studie zur Therapie der Neuroborreliose wurden insgesamt 210 Patienten mit möglicher und gesicherter Neuroborreliose eingeschlossen und offen zu einer Therapie mit entweder Doxycyclin 2 × 100 mg oral über 4 Wochen oder Ceftriaxon 2 g über 3 Wochen intravenös randomisiert. Als primärer Endpunkt wurde der subjektive Gesundheitszustand der eingeschlossenen Patienten anhand einer visuellen Analogskala von 0 – 10 bewertet. Nach 4 und 12 Monaten zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen, die Behandlung mit Doxycyclin war der Behandlung mit Ceftriaxon gleichwertig. Insgesamt zeigte nach Therapie die überwiegende Mehrheit der Patienten keine auf die Neuroborreliose zurückzuführenden Beschwerden mehr.

Cave

Bei einer Behandlung mit Doxycyclin ist auf eine gleichzeitige Einnahme von Milch oder Milchprodukten bzw. auch auf aluminiumhaltige Antazida oder Magnesium zu verzichten, da die Aufnahme des Wirkstoffes dadurch vermindert wird. Dies kann dann zu scheinbarem Therapieversagen führen.

Therapie

Präparate

  • Ceftriaxon

  • Cefotaxim

  • Penicillin G

  • Doxycyclin

Aufgrund der Datenlage ist keiner der genannten Substanzen eine klare Präferenz zu geben. Die die Wahl des Antibiotikums sollte unter Abwägung individueller Patientenaspekte erfolgen (z. B. Allergien, Alter, Schwangerschaft, Applikationsweise und -frequenz).

Zu anderen Antibiotika oder weiteren Substanzen, wie z. B. Makroliden, Carbapenemen, Chinolonen oder Hydroxychloroquin, liegen keine klinischen Studien zur Behandlung der Neuroborreliose vor. Wegen unklarer Wirksamkeit sowie ungünstigem Nebenwirkungsprofil sollten diese Substanzen (insbesondere Makrolide und Hydroxychloroquin) daher nicht in der Behandlung einer Neuroborreliose verwendet werden.

Eine retrospektive Kohortenstudie mit 51 Patienten mit Fazialisparese aufgrund einer Neuroborreliose zeigt Hinweise auf ein statistisch signifikant schlechteres Behandlungsergebnis unter zusätzlicher Steroidbehandlung im Vergleich zu antibiotischer Monotherapie [33]. Da in diese Studie ein selektiertes Patientenkollektiv eingeschlossen wurde und die Verlaufsuntersuchungen nicht standardisiert erfolgten, sind die Ergebnisse mit Zurückhaltung zu interpretieren und stellen keine Grundlage für generelle Therapieempfehlungen dar. Dennoch sollte das Ergebnis der Studie Anlass sein, bei der Behandlung einer vermuteten idiopathischen Fazialisparese mit Steroiden die Differenzialdiagnose eines Bannwarth-Syndroms abzugrenzen.


#

Verträglichkeit

Bezüglich der Sicherheitsaspekte und Nebenwirkungen zeigte sich in einer Metaanalyse [35] der verfügbaren Daten kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Doxycyclin und Betalaktamantibiotika.


#

Besonderheiten bei Kindern

Für die Behandlung der Neuroborreliose bei Kindern stehen deutlich weniger methodisch hochwertige Studien zur Verfügung [34]. Auch für die Behandlung der Neuroborreliose bei Kindern zeigt sich zwischen der Therapie mit Betalaktamantibiotika intravenös (Ceftriaxon, Cefotaxim und Penicillin G) und Doxycyclin oral kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich neurologischer Restsymptome.

Therapie

Präparate

Betalaktamantibiotika und Doxycyclin sind daher prinzipiell in der Behandlung der Neuroborreliose bei Kindern und Erwachsenen als gleichwertig anzusehen. Zu beachten ist, dass Doxycyclin bei Kindern unter 8 Jahren wegen der noch nicht abgeschlossene Zahnschmelzbildung nicht gegeben werden darf.


#
#

Prognose

Die Prognose der Neuroborreliose ist nach antibiotischer Therapie in der Regel günstig, im Langzeitverlauf nach Therapie zeigen sich in Fall-Kontroll-Studien keine Unterschiede zwischen Patienten mit gesicherter und behandelter Neuroborreliose im Vergleich zu gesunden Kontrollen hinsichtlich Fatigue, Lebensqualität, Depression und Kognition [31] [36]. Bei der Mehrzahl der Patienten mit behandelter Neuroborreliose (insbesondere bei Frühmanifestationen) sind Fatigue, Depression und eingeschränkte Lebensqualität nicht häufiger als in der Normalbevölkerung [31].

Bei Patienten mit Spätmanifestationen einer Neuroborreliose zeigen sich dagegen häufiger trotz suffizienter antibiotischer Therapie verbleibende Restsymptome (bis zu 40 %; [15]). Diese sind angesichts des therapiebebedingten Rückganges der Liquorpleozytose einhergehend mit einem Sistieren der Krankheitsprogression nicht als chronische Infektion zu werten, sondern sind Folge des bereits eingetretenen irreversiblen Parenchymschadens im Sinne einer Defektheilung. Diese, insbesondere bei spinalen Manifestationen, können zu Einschränkungen der Lebensqualität führen [31].

Chronische Verläufe trotz antibiotischer Behandlung und unspezifische Beschwerden

Einzelne Autoren halten das Vorliegen einer chronischen Borreliose im Sinne einer persistierenden Infektion trotz einer regelgerecht durchgeführten antibiotischen Behandlung für möglich [37] [38]. Für diese postulierten chronischen Infektionen werden teilweise morphologische Varianten von B. burgdorferi diskutiert, die den Erregern eine Persistenz trotz antibiotischer Behandlung erlauben [39]. In solchen Fällen werden seitens dieser Autoren monatelange antibiotische Behandlungen zum Teil mit mehreren Präparaten durchgeführt [37]. Basierend auf der vorhandenen Studienlage ist die Annahme einer chronischen Infektion trotz regelgerechter antibiotischer Therapie jedoch abzulehnen.

Merke

In den kontrollierten klinischen Studien zur antibiotischen Therapie der Neuroborreliose gibt es keinen Anhalt für Therapieversager [35].

Eine Studie mit aufwendiger Methodik (PCR und Kultur/Mikroskopie aus Liquor von insgesamt 4 (!) geplanten Lumbalpunktionen pro Patient im Behandlungsverlauf) zeigte bei Patienten mit persistierenden unspezifischen Symptomen trotz antibiotischer Therapie keinen klinischen und labordiagnostischen Anhalt für eine persistierende Infektion mit B. burgdorferi [40]. Für das Vorliegen von morphologischen Varianten von B. burgdorferi als vermeintliche Ursache persistierender Symptome nach antibiotischer Therapie gibt es nach einem systematischen Review der verfügbaren Literatur ebenso keine Evidenz [39].

Zur Behandlung von Patienten mit nach einer behandelten Borreliose bestehenden persistierenden unspezifischen Beschwerden wie Fatigue oder kognitiven Einschränkungen liegen 4 randomisierte placebokontrollierte Studien vor, die keinen Anhalt für einen Nutzen einer zusätzlichen antibiotischer Therapie in diesen Fällen zeigen [4] [40] [41] [42]. Des Weiteren zeigte eine aufwendige randomisierte placebokontrollierte Studie zur langfristigen antibiotischen Behandlung von Patienten mit unspezifischen Beschwerden und vermeintlicher Borreliose ohne vorangehende klare neurologische Symptome keinen Nutzen bezüglich der Lebensqualität sowie der Kognition [43] [44].

Praxis

Tipp

Bei Patienten mit unspezifischen Symptomen sollte eine weitere sorgfältige Differentialdiagnostik hinsichtlich anderer behandelbarer Ursachen sowie eine symptomorientierte Behandlung erfolgen.

Kernaussagen
  • Die Erreger der Borreliose sind Spirochätenbakterien des Borrelia-burgdorferi-sensu lato-Komplexes.

  • In Deutschland ist nach einem Zeckenstich bei ca. 5 % der Betroffenen mit einer Serokonversion und bei ca. 1 % mit einer manifesten Neuroborreliose zu rechnen.

  • Die Übertragungswahrscheinlichkeit der Borrelien nimmt mit längerer Saugdauer der Zecke zu. Deshalb sollten Zecken so rasch wie möglich entfernt werden.

  • Frühmanifestationen treten innerhalb ca. 4 – 6 Wochen nach einer Infektion auf (ca. 98 % der Neuroborreliosefälle); hauptsächlich als Polyradikuloneuritis (Bannwarth-Syndrom) und aseptische Meningitis. Spätmanifestationen sind insgesamt sehr selten und treten mehrere Wochen bis Monate nach der Infektion auf.

  • Die Diagnose einer Neuroborreliose sollte anhand international konsentierter Falldefinitionen auf der Basis der vorliegenden klinischen und labordiagnostischen Befunde gestellt werden; dabei wird unterschieden zwischen der möglichen, der wahrscheinlichen und der gesicherten Neuroborreliose.

  • Wenn die Kriterien einer wahrscheinlichen oder gesicherten Neuroborreliose erfüllt sind, besteht die Indikation zur antibiotischen Behandlung; dabei sind Betalaktamantibiotika und Doxycyclin zur Behandlung der Neuroborreliose als wirksam befunden worden.

  • Die Prognose der Neuroborreliose ist nach Antibiotikabehandlung in der Regel günstig.

  • Bei weiterhin bestehenden neurologischen Einschränkungen (Kognition, Fatigue) hat sich eine langfristige Antibiotikagabe nicht bewährt; hier sollte symptomorientiert behandelt werden. Bei Restsymptomen nach Encephalomyelitis durch gesicherte LNB keine weitere Differentialdiagnostik erforderlich


#
#

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Rick Dersch, Freiburg.


#
#

Autorinnen/Autoren


Sebastian Rauer

Zoom Image

Prof. Dr. med., Facharzt für Neurologie. 1984–1990 Studium der Humanmedizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 1991–1992 Arzt im Praktikum an der Neurologischen Universitätsklinik Ulm. 1992–1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Immunologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsklinik Freiburg. Seit 1995 Neurologische Universitätsklinik Freiburg. Seit 2010 leitender Oberarzt. Schwerpunkte: Neuroimmunologie, Neuroinfektiologie, paraneoplastische neurologische Erkrankungen, Liquordiagnostik, Leitlinienentwicklung.


Rick Dersch

Zoom Image

PD Dr. med., Facharzt für Neurologie. 2004–2011 Studium der Humanmedizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seit 2011 tätig an der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg. 2014–2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Cochrane Deutschland, Freiburg. Schwerpunkte: Neuroimmunologie, Neuroinfektiologie, Liquordiagnostik, evidenzbasierte Medizin.

Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen

Forschungsförderung erhalten: ja, von einer anderen Institution; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderen Institution; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: ja, von einer anderen Institution; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): ja; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.

Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Rick Dersch
Klinik für Neurologie und Neurophysiologie
Universitätsklinikum Freiburg
Medizinische Fakultät
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Breisacher Straße 64
79106 Freiburg

Publication History

Article published online:
12 August 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


Zoom Image
Zoom Image