Rechtliche Vorgaben
Verzichtet ein Vertragsarzt auf seine Vertragsarztzulassung zum Zwecke der Nachbesetzung,
so regelt § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V die Kriterien, auf deren Grundlage die Zulassungsgremien
die Auswahl zwischen mehreren Bewerbern zu treffen haben. Dies sind:
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die berufliche Eignung,
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das Approbationsalter,
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die Dauer der ärztlichen Tätigkeit,
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eine mindestens fünf Jahre dauernde vertragsärztliche Tätigkeit in einem Gebiet, in
dem der Landesausschuss nach § 100 Abs. 1 SGB V das Bestehen von Unterversorgung festgestellt
hat,
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ob der Bewerber Ehegatte, Lebenspartner oder ein Kind des bisherigen Vertragsarztes
ist,
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ob der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt
ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde,
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ob der Bewerber bereit ist, besondere Versorgungsbedürfnisse, die in der Ausschreibung
der Kassenärztlichen Vereinigung definiert worden sind, zu erfüllen,
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Belange von Menschen mit Behinderung beim Zugang zur Versorgung,
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bei medizinischen Versorgungszentren die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots;
dies gilt entsprechend für Vertragsärzte und Berufsausübungsgemeinschaften mit einem
besonderen Versorgungsangebot.
Der Standort, an dem die Versorgung erfolgen soll, spielt in dieser Aufzählung keine
Rolle, spezielle Versorgungsgesichtspunkte eher am Rande (siebtes und neuntes Kriterium).
Dies liegt darin begründet, dass § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V die Nachbesetzung einer bereits
an einem bestimmten Ort vorhandenen Vertragsarztzulassung regelt. Abweichend davon
gestaltet sich die Rechtslage dann, wenn eine Vertragsarztzulassung aufgrund einer
(partiellen) Entsperrung eines Planungsbereichs neu besetzt werden soll. Hier regelt
§ 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungsrichtlinien-Ärzte, dass weitere Kriterien von den
Zulassungsgremien zu prüfen sind, nämlich
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die bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des
Vertragsarztsitzes,
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sowie Versorgungsgesichtspunkte; z. B. Fachgebietsschwerpunkt, Feststellungen nach
§ 35 Bedarfsplanungsrichtlinien-Ärzte (z. B. Förderung bestimmter Versorgungsangebote).
Im Rahmen dieser Prüfung geht es also nicht darum, eine vorhandene Vertragsarztzulassung
mit dem bestgeeigneten Bewerber im Rahmen der vorhandenen Praxisstruktur nach zu besetzen,
sondern primär gestalterisch auf die Versorgung der Versicherten einzuwirken.
Welche Anforderungen sind insofern an den Sachvortrag der Bewerber zu stellen, inwieweit
müssen die Zulassungsgremien Sachverhaltsermittlung betreiben, um ihr Auswahlermessen
rechtssicher ausüben zu können und welche Kriterien kommen im Rahmen der Ausübung
eines solchen gestalterischen Ermessens in Betracht? Dass diese Fragen nicht einfach
zu beantworten sind, ergibt sich bereits daraus, dass die Sozialgerichte sich in mehreren
Entscheidungen mit diesen Fragen befassen mussten und das Auswahlermessen der Zulassungsgremien
als unzureichend ausgeübt beanstandet haben. Ein Blick in die einschlägige diesbezügliche
Rechtsprechung der Sozialgerichte erscheint daher lohnenswert.
Wohnortnahe Versorgung
In dem der Entscheidung des Sozialgerichts Marburg vom 16.03.2016, Aktenzeichen S 12
KA 170/15, zu Grunde liegenden Fall bewarben sich insgesamt zwölf Radiologinnen und
Radiologen auf eine, durch partielle Öffnung eines Planungsbereichs neu zu besetzende,
Vertragsarztzulassung im Fachgebiet Radiologie. Das Sozialgericht Marburg hat zunächst
klargestellt, dass die Schaffung größerer Planungsbereiche im Rahmen der Bedarfsplanung
für das Fachgebiet Radiologie und die Berücksichtigung von – lokalen – Versorgungsgesichtspunkten
keinen Widerspruch darstellen. Der Gesetzgeber habe ausweislich des Gesetzes zur Verbesserung
der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz
vom 20.12.2011, BGBl I 2011, 2983) die Sicherstellung einer flächendeckenden bedarfsgerechten
und wohnortnahen medizinischen Versorgung der Bevölkerung nicht aufgeben wollen. Hieran
knüpfe die Regelung in § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte an. Daher
seien bei der partiellen Öffnung von Planungsbereichen die von den Bewerbern auf die
neu zu besetzende Vertragsarztzulassung genannten Standorte nicht gleich zu gewichten;
ein Kriterium für die Neubesetzung einer derartigen Vertragszulassung sei auch, welcher
Standort am ehesten die wohnortnahe medizinische Versorgung der Bevölkerung gewährleiste.
Das hat zur Konsequenz, dass Zulassungsgremien – ähnlich wie bei Sonderbedarfszulassungen
– den Bedarf in der Umgebung des von dem jeweiligen Bewerber genannten Standorts ermitteln
müssen. Zwar kommt dem Zulassungsausschuss bei der Beurteilung eines solchen Versorgungsbedarfs
ein Ermessensspielraum zu. Die ordnungsgemäße Ausübung dieses Ermessens setzt aber
voraus, dass die Zulassungsgremien die für die Ausübung des Ermessens relevanten Anknüpfungstatsachen
vollständig ermittelt haben.
Hierzu gehört nicht nur die Erstellung einer Versorgungsanalyse, aus der sich ergibt,
wie viele Einwohner der Einzugsbereich des von dem jeweiligen Bewerber genannten Standortes
hat, sondern auch, inwieweit in diesem Einzugsbereich gehäuft – als Indiz für eine
unzureichende Versorgung – Kostenübernahmeanträge gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen
gestellt werden. Ermittelt werden muss weiterhin, in welchem Umfang Versicherte im
Einzugsbereich des von dem jeweiligen Bewerber geplanten Standorts im Rahmen einer
Ermächtigung (im Fall des Sozialgerichts Marburg für die Spezialisierung Kinderradiologie)
versorgt werden. Die Zulassungsgremien müssen sich im Rahmen ihrer Ermessensausübung
damit auseinandersetzen, ob nicht dem Radiologen, der über eine solche Ermächtigung
verfügt und der sich auf die neu zu besetzende Vertragsarztzulassung bewirbt, der
Vorrang vor den anderen Bewerbern einzuräumen ist. Bei der Feststellung der bereits
vorhandenen radiologischen Versorgung ist nicht nur zu berücksichtigen, wie viele
Versorgungsaufträge im Einzugsbereich des von dem jeweiligen Bewerber genannten Standorts
anfallen, sondern auch, in welchem Umfang bereits radiologische Leistungen im Rahmen
einer dort angesiedelten Nebenbetriebsstätte erbracht werden.
Spezielle Versorgungsgesichtspunkte
Im oben genannten Fall des Sozialgerichts Marburg war von einem der Bewerber geltend
gemacht worden, die Vorhaltung eines offenen MRT sei ein besonderer, zu berücksichtigender
Versorgungsgesichtspunkt. Dieser besondere Versorgungsgesichtspunkt sei auch deshalb
zu berücksichtigen, weil er aufgrund der Vorhaltung des offenen MRT viele Angstpatienten
habe, was sich auch in der Zahl der Kostenübernahmeanträge gegenüber den gesetzlichen
Krankenkassen niederschlage.
Das Sozialgericht Marburg hat zunächst in Frage gestellt, ob dem gesetzlich Versicherten
grundsätzlich einen Anspruch auf Versorgung mit einem offenen MRT zusteht, wenn in
vertretbarer Entfernung ein geschlossenes MRT zur Versorgung zur Verfügung steht.
Die Möglichkeit, besondere Patientengruppen mittels offenem MRT behandeln zu können,
sei jedenfalls keine fachliche Spezialisierung im Sinne eines besonderen Versorgungsgesichtspunkts,
sondern lediglich eine apparative Modernisierung. Dies komme schon darin zum Ausdruck,
dass Ärzte eine besonders vereinbarte Qualifikation zur Abrechnung einer mittels offenem
MRT durchgeführten Behandlung nicht benötigten und die Diagnostik im EBM nicht gesondert
ausgewiesen sei. Daraus folge, dass das offene MRT eine Behandlungsvariante sei, die
für die Patienten, insbesondere diejenigen mit klaustrophobischen Einschränkungen,
schonender und komfortabler sei; dies könne jedoch nicht als besonderer Versorgungsgesichtspunkt
im Rahmen der Auswahl auf eine neu zu besetzende Vertragsarztzulassung berücksichtigt
werden; schließlich bestehe die Möglichkeit einer den Patienten im Regelfall zumutbaren
Sedierung.
Das Sozialgericht München hat dies in dem der Entscheidung vom 07.11.2018, Aktenzeichen
S 38 KA 634/17, zu Grunde liegenden Fall anders gewichtet. Es gehe bei dem Einsatz
eines offenen MRT nicht allein um eine schonendere und komfortablere Versorgungsart.
Aus Sicht des Sozialgerichts München ist ein offenes MRT eine Versorgungsbesonderheit,
die im Rahmen des Auswahlermessens der Zulassungsgremien bei Neubesetzung einer Vertragsarztzulassung
zu berücksichtigen sei. Allerdings reiche hierfür der Hinweis, ein offenes MRT zu
betreiben, nicht aus. Vielmehr müsse das Vorhandensein von offenen MRT im Planungsbereich
quantifiziert, eine Schätzung des Bedarfs abgegeben und dargestellt werden, welcher
Anteil an MRT-Untersuchungen insgesamt auf Untersuchungen am offenen MRT entfällt.
Insofern müsse zusätzlich gewichtet werden, ob diese Untersuchungen am offenen MRT
tatsächlich bestimmten Patientengruppen zugutekämen oder schlicht ersatzweise anstelle
eines geschlossenen MRT erfolgten.
Das Sozialgericht München hat sich in dieser Entscheidung noch mit der Relevanz weiterer
Versorgungsgesichtspunkte befasst.
So könne eine „exzentrische“ Lage, die durch das Fehlen einer wohnortnahen radiologischen
Versorgung gekennzeichnet sei, im Rahmen des Auswahlermessens nicht besonders berücksichtigt
werden. Von einer „exzentrischen“ Lage sei auszugehen, wenn der von dem jeweiligen
Bewerber genannte Standort sich z. B. in einer Grenzlage befinde und nach einer Richtung
ohne Hinterland sei (was bislang andere Radiologen davon abgehalten hat, dort eine
Praxis zu betreiben). Eine solche „exzentrische“ Lage sei deshalb nicht als geeigneter
Standort für eine neue Vertragsarztzulassung zu präferieren, da eine solche Auswahlentscheidung
mit dem Gebot der gleichmäßigen Verteilung der Vertragsarztsitze in einem großräumigen
Planungsbereich kaum zu vereinbaren wäre.
Ob in der Tätigkeit eines Programmverantwortlichen Arztes im Mammografie Screening
ein bei der Auswahl auf eine neu zu besetzende Vertragsarztzulassung zu berücksichtigendes
Alleinstellungsmerkmal zu sehen ist, war ebenfalls Gegenstand der Erwägungen der Zulassungsgremien
und gleichzeitig Anlass für eine Prüfung durch das Sozialgericht, ob das Auswahlermessen
durch die Zulassungsgremien zutreffend ausgeübt worden ist. Der Inhaber des PVA-Versorgungsauftrages
hatte argumentiert, der PVA-Versorgungsauftrag ergebe deshalb ein im Rahmen des Auswahlermessens
zu berücksichtigendes Alleinstellungsmerkmal, weil die Erreichbarkeit der Screening-Einheit
wesentlich darüber entscheide, wie hoch die Abbruchquote im Rahmen der Abklärung unklarer
Befunde sei. Diese sei in seinem Screening-Bereich mit 60 Prozent vergleichsweise
hoch, was eben daran liege, dass die Abklärung stationär in einer Praxis erfolgen
müsse, nicht mobil, und eine solche Praxis wohnortnah nicht existiere; aus diesem
Grund erstrebe er seine Auswahl auf die neu zu besetzende Vertragsarztzulassung für
diesen Standort.
Im Urteil vom 24.01.2018, Aktenzeichen S 38 KA 971/16, hatte sich das Sozialgericht
München noch kritisch dazu geäußert, dass sich aus der PVA-Tätigkeit eines Bewerbers
ein Alleinstellungsmerkmal ergeben soll. Es sei kaum möglich, eine Kausalität zwischen
Standort und Abbrecherquote nachzuweisen. Mit dem Urteil vom 07.11.2018, Aktenzeichen
S 38 KA 634/17, hat sich das Sozialgericht München dahingehend selbst relativiert.
Es sei zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit des programmverantwortlichen Arztes
in regelmäßigen Abständen einer Rezertifizierung zu unterziehen sei. Ferner erfahre
die Tätigkeit als programmverantwortlicher Arzt dadurch eine überregionale Bedeutung,
dass Statistiken erstellt und die Daten bundesweit ausgewertet werden müssten. Sollte
die Rezertifizierung deshalb infrage stehen und damit die Ziele der Krebsfrüherkennungsrichtlinie
gefährdet werden, weil die Voraussetzungen für eine Rezertifizierung aufgrund fehlender
Zulassung an einem bestimmten Standort (z. B. Nichterreichen der notwendigen Klientinnenzahl)
nicht erfüllt werden können, so käme einem Bewerber auf eine neu zu besetzende Vertragsarztzulassung,
der zugleich PVA ist, ein besonderer Stellenwert im Rahmen der zu treffenden Auswahlentscheidung
zu. Dies sei allerdings konkret nachzuweisen.
Schließlich hat sich das Sozialgericht München noch mit der Frage befasst, welche
Auswirkungen die Tätigkeit eines Bewerbers als Honorarkonsul auf die Auswahlentscheidung
der Zulassungsgremien hat. Nach Art. 5 des „Wiener Übereinkommens für konsularische
Beziehungen“ stünden im Vordergrund der Tätigkeit als Honorarkonsul der Schutz der
Interessen des Entsendestaates und seiner Angehörigen sowie die Förderung der Entwicklung
der Beziehungen auf dem Gebiet des Handels, der Wirtschaft, des Fremdenverkehrs, der
Kultur und der Wissenschaft. Die Interessen des Entsendestaates sind aber bei der
an dem Bedarf der gesetzlich Versicherten in einem Planungsbereich auszurichtenden
Auswahlentscheidung der Zulassungsgremien nicht zu berücksichtigen, so dass sich aus
dieser Tätigkeit kein Alleinstellungsmerkmal ergibt.
Fazit
Bewerbungen auf durch eine (partielle) Öffnung von Planungsbezirken geschaffene Vertragsarztzulassungen
bedürfen sorgfältiger Vorbereitung; die reine stichwortartige Behauptung von speziellen
Versorgungsgesichtspunkten hilft in der Regel nicht weiter. Andererseits setzt die
Ausübung des Auswahlermessens seitens der Zulassungsgremien eine sorgfältige Aufbereitung
der Auswahlkriterien voraus. Rechtsbehelfe gegen Auswahlentscheidungen der Zulassungsgremien
können daher in den Fällen erfolgversprechend sein, in denen abgelehnten Bewerbern
der Nachweis gelingt, dass die Zulassungsgremien „nicht genau genug hingesehen“ haben.
Dr. Horst Bonvie
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwälte Wigge
Großer Burstah 42
20 457 Hamburg