Schlüsselwörter
Unterarm - Fraktur - Revision - OP-Strategien
Key words
forearm - fracture - revision - surgical strategies
Häufigkeit von Unterarmfrakturen und Darstellung der potenziellen Komplikationen
Häufigkeit von Unterarmfrakturen und Darstellung der potenziellen Komplikationen
Grundlagen
Der Unterarm stellt eine wichtige funktionelle Einheit zwischen dem Ellenbogen- und
dem Handgelenk dar. Umwendbewegungen werden mithilfe der Rotation des Radius um die
Ulna an die Hand weitergegeben. Diese Bewegung ist im alltäglichen Leben von immenser
Bedeutung. Die Membrana interossea antebrachii zwischen Radius und Ulna stellt zudem
eine wichtige anatomische Struktur zur Stabilisierung dieser Bewegung und der gleichmäßigen
Kraftübertragung bei von außen einwirkenden Kräften dar [1], [2], [3].
Zu den Unterarmfrakturen zählen [4], [5]:
-
Ulna- und Radiusschaftfraktur
-
Galeazzi-Fraktur (Radiusschaftfraktur mit Luxation der distalen Ulna aus dem distalen
Radioulnargelenk)
-
Essex-Lopresti-Fraktur (proximale Fraktur des Radius, komplette Ruptur der Membrana
interossea, Luxation des distalen Radioulnargelenks) [6]
Monteggia-Verletzungen und Monteggia-like Lesions werden aufgrund ihrer Komplexität
und anatomischen Nähe häufig den Ellenbogenfrakturen zugeordnet, weshalb von einer
Beschreibung in diesem Artikel abgesehen wird.
Frakturen im Bereich des Unterarmes kommen mit einer Häufigkeit von 13,8/100 000 vor
[7] und Frakturen beider Röhrenknochen am Unterarm machen einen Anteil von 1 – 2% aller
Extremitätenfrakturen aus [8]. Ursache sind meist Unfälle bei sportlicher Aktivität oder hoher Energieeinwirkung.
Demzufolge sind meist junge Patienten betroffen [9].
Unterarmfrakturen sollten, aufgrund der nicht zufriedenstellenden Ergebnisse unter
konservativer Therapie, der operativen Versorgung zugeordnet werden. Ausgenommen hiervon
sind sog. „Parierfrakturen“ der Ulna (im Schaftbereich, nicht disloziert), die auch
unter konservativer Therapie gut ausheilen.
Das operative Mittel der Wahl ist die Plattenosteosynthese. Hierbei wird auf Kompressionsplatten
bei einfachen Frakturen und auf winkelstabile Systeme bei komplexen Mehrfragmentfrakturen
zurückgegriffen. Bei der Primärversorgung sind i. d. R. 3,5-mm-Platten ausreichend.
Auch Marknägel können verwendet werden, dabei steht ein geringeres Weichteiltrauma
bei Implantation einer geringeren Rotationsstabilität, die insbesondere am Radius
wirkt, gegenüber [10]. Abschließend geklärt ist die Favorisierung eines der o. g. Osteosyntheseverfahren
jedoch noch nicht. Beide Techniken zeigen aktuell keine Unterschiede in der Rate an
erfolgreich verheilten Frakturen [10]. Die Plattenosteosynthese bleibt die von der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen),
vor allem in der Revisionschirurgie, empfohlene Osteosynthesetechnik.
Komplikationen
Unterarmschaftfrakturen heilen bei primärer operativer Versorgung in 98% der Fälle
zufriedenstellend aus [11], [12], [13], [14]. Angaben über die Häufigkeit von Pseudarthrosen variieren in der Literatur von 2
bis 10% [11], [13], [15], [16], [17]. Pseudarthrosen sind am Unterarm meist der Gruppe der oligotrophen bzw. atrophen
und nur in 9% den hypertrophen Ausprägungsformen zuzuordnen [18].
In der Literatur wird die Rate an insgesamt seltenen postoperativen Synostosen zwischen
Ulna und Radius mit 0,3 – 3,8% angegeben, wobei diese Form der Komplikation nicht
vom Osteosyntheseimplantat abhängig ist [8]. Die Membrana interossea sollte möglichst intraoperativ geschont und die Schraubenlänge
exakt gewählt werden [8]. Darüber hinaus häufen sich Fälle von Synostosen bei Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma
und/oder polytraumatisierten Patienten [19].
Malunions am Unterarm können Auswirkungen auf die Funktion der Extremität haben. So
können die Griffkraft, Rotationsfähigkeit und die Range of Motion des Ellenbogens
und/oder des Handgelenkes davon betroffen sein. Eine spontane Korrektur von in Fehlstellung
verheilten Unterarmfrakturen ist nur im Kindesalter bis maximal 9 Jahre zu erwarten
[20]. Sollte es zu Schmerzen, manifestem Rotations- und Griffkraftverlust kommen, ist
eine Korrekturosteotomie als chirurgische Revisionsoption möglich.
Risikofaktoren für die Ausbildung von Pseudarthrosen
Risikofaktoren für die Ausbildung von Pseudarthrosen
Das Risiko für die Ausbildung einer Pseudarthrose als Hauptfaktor einer fehlgeschlagenen
Osteosynthese hängt von der Frakturlokalisation, dem Verletzungsmuster, den allgemeinen
Patientenfaktoren, einer etwaigen Infektion und der operativen Technik ab.
Allgemeine Risikofaktoren
Allgemeine Risikofaktoren sind Diabetes mellitus, Übergewicht und hohes Alter [21], [22], [23]. In einzelnen Studien konnte auch ein erhöhtes Risiko für Pseudarthrosen bei Rauchern
festgestellt werden [24].
Infektion
Infektionspseudarthrosen stellen sich i. d. R. als atrophe Ausprägungsformen dar.
Risiken sind offene Verletzungen und o. g. allgemeine Faktoren. Eine postoperative
Infektion ist häufig die Ursache einer fehlgeschlagenen Osteosynthese. Genaue Daten
zur Rate an Infektpseudarthrosen am Unterarm liegen aktuell noch nicht vor. Einzelne
Fallstudien berichten von einem Anteil von 25%, bei denen Infektionen die Ursache
von Pseudarthrosen sind [25].
Frakturlokalisation und Verletzungsmuster
Frakturen im Bereich des mittleren Schaftdrittels erscheinen häufiger mit einer postoperativen
Pseudarthrose vergesellschaftet [26]. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit bei offenen Frakturen und Mehrfragmentfrakturen,
die häufiger im Rahmen von Hochrasanztraumata entstehen, höher [27].
Operative Technik
Technische Fehler spielen vor allem bei der Versorgung komplexerer Frakturen eine
wichtige Rolle. So konnten in mehreren Fallserien eindeutige operative Fehler identifiziert
werden. Hierzu zählen [17], [19]:
-
die Wahl einer zu kurzen Platte
-
inkorrekte Zentrierung der Platte über der Fraktur
-
Einbringung der Schrauben zu nah an der Fraktur
-
Verwendung von zu wenigen Schrauben zur Verankerung der Platte
Es sollte möglichst weichteilschonend gearbeitet werden. Auch die Ablösung des Periostes
sollte so gering wie möglich ausfallen, um die Blutversorgung nicht unnötigerweise
zusätzlich zu kompromittieren. Der zu groß ausgefallene OP-Zugang mit ausgeprägter
Verletzung der Biologie des Knochens stellt einen wesentlichen Risikofaktor für die
potenziell fehlschlagende Osteosynthese dar [21]. Die Implantatwahl bei korrekt indizierter Fraktur (Kompression vs. winkelstabil)
hat hingegen keine Auswirkung auf das potenzielle Versagen einer primären Osteosynthese
[28].
Revisionsstrategien bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen – Techniken
Revisionsstrategien bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen – Techniken
Generelle Vorgehensweisen
Die Etablierung einer passenden Vorgehensweise bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen
am Unterarm beinhaltet zwingend die genaue Kenntnis der Ursache des Scheiterns. Fragen,
die zu stellen sind:
-
War die primäre Stabilität ausreichend?
-
Liegt ein Infekt vor?
-
Ist die Frakturbiologie ausreichend berücksichtigt worden?
-
Welche externen Faktoren (Patient, erneutes Trauma) liegen vor?
Die genaue Analyse der zugrunde liegenden Problematik sollte am Anfang jeder Revisionstherapie
stehen. Bei externen Patienten bietet es sich an, den OP-Bericht der primären Operation
einzuholen, um evtl. Rückschlüsse auf das Scheitern oder Informationen über wichtige,
durch die Operation tendenziell veränderte Strukturen am Unterarm, zu erhalten. Bei
Reosteosynthese sind die Bohrlöcher möglichst divergierend zu den bereits vorhandenen
Bohrlöchern der primären Osteosynthese zu setzen, um eine bestmögliche Verankerung
der Platte zu gewährleisten. Für den Erfolg der Revision sind neben der mechanischen
Stabilität auch biologische Faktoren wie erhaltene Durchblutung, vor Ort vorhandene
Wachstumsfaktoren und knochenbildende Zellen, von Bedeutung.
Der Verfahrenswechsel auf einen Marknagel ist bei Unterarmschaftpseudarthrosen denkbar
[29]. Wie bereits geschildert, ist dabei die geringere Rotationsstabilität und Kompression
zu berücksichtigen. Da aktuell keine vergleichenden Studien zwischen Marknagel- und
Plattenosteosynthese in der Revisionschirurgie am Unterarm vorliegen und die Datenlage
für Marknägel generell eher spärlich ist, ist der Einsatz dieser Technik eher als
zurückhaltend zu bezeichnen.
Die Revisionschirurgie an der oberen Extremität stellt für den behandelnden Chirurgen
eine große Herausforderung dar. Es stehen jedoch zahlreiche Verfahren zur Auswahl,
um eine Revisionsoperation erfolgreich durchzuführen. Die Wahl eines dieser Verfahren
stützt sich dabei auf die persönliche Expertise des Operateurs und seine theoretisch
fundierten Überzeugungen [29].
Pseudarthrosen
Pseudarthrosen am Unterarm bestehen zu einem großen Anteil aus oligotrophen bzw. atrophen
Pseudarthrosen [18]. Demnach ist häufig nicht die mechanische Stabilität das Problem, sondern eine unzureichende
biologische Aktivität. Um dieses Problem erfolgreich zu sanieren, ist eine Form der
Augmentation des ehemaligen Frakturspaltes notwendig. Diese Augmentation kann aus
einer Spongiosaplastik, der Interposition eines vaskularisierten Knochenspans oder
der Interposition eines nicht vaskularisierten Knochenspans bestehen. Die Ergebnisse
in der Revisionschirurgie der Pseudarthrosen am Unterarm zeigen insgesamt ein gutes
Outcome. Mithilfe der o. g. Verfahren, kombiniert mit lokalem Débridement und stabiler
Reosteosynthese, können viele Pseudarthrosen erfolgreich behandelt werden ([Abb. 1 a]–[e]) [30].
Abb. 1 Bild einer hypertrophen Pseudarthrose nach Bombenexplosion und mehrmaligen Voroperationen
im Ausland und Revisionsergebnis. a Präoperativ lateraler Strahlengang. b, c Unmittelbar postoperativ nach Pseudarthrosen-Débridement, Materialentfernung (ME)
Ulna und verbliebener abgebrochener Schraube, Augmentation mittels Spongiosaplastik
aus Beckenkamm und Reosteosynthese mittels LC-DCP 3,5 mm in a.–p. und lateraler Ansicht.
d, e Ergebnis 3 Monate nach OP in a.–p. und lateraler Ansicht.
Infektpseudarthrosen
Infektpseudarthrosen stellen eine große Herausforderung für den behandelnden Chirurgen
dar. In der Regel handelt es sich um eine atrophe Pseudarthrose, die debridiert werden
muss. Eingebrachtes Osteosynthesematerial muss entfernt und Proben zur mikrobiologischen
Aufarbeitung asserviert werden. Anzuschließen ist eine Sanierungsphase, bspw. durch
eine systemische resistogrammgerechte Antiobiotikatherapie, lokale Antiobiotikaketten
oder antibiotikabehaftete Spacer. Zwischenzeitlich kann eine frakturferne Stabilisierung
mittels Fixateur externe erfolgen. Nach der Sanierungsphase ist i. d. R. eine Augmentation
notwendig, die durch eine stabile Osteosynthese fixiert werden sollte. Als Alternative
können hierbei die im weiteren Text erklärte Masquelet-Technik und der Segmenttransport
dienen.
Spongiosaplastik
Die alleinige Spongiosaplastik kann bei vielen Defekten angewendet werden. Zu berücksichtigen
ist jedoch, dass die Stabilität bei allzu großen Defekten nicht ausreichend sein kann.
Wo genau die Linie zu ziehen ist zwischen noch realisierbarer Spongiosaplastik und
Augmentation mithilfe eines kortikospongiösen Spans, ist nicht eindeutig geklärt.
Einzelne Studien berichten über eine Defektlänge von bis zu 6 cm, die erfolgreich
mit einer Spongiosaplastik behandelt werden könne [18]. Der Vorteil der Spongiosaplastik liegt in der geringeren Entnahmemorbidität. Autologe
Knochenspäne, die i. d. R. aus dem Beckenkamm, der Fibula oder der Tibia entnommen
werden, führen häufig zu Schmerzen an der Entnahmestelle und selten auch zu Deformierungen.
Zusammengefasst kann eine autologe Spongiosaplastik bei kleineren Defekten empfohlen
werden ([Abb. 1 a]–[e]). Einigkeit über die
Indikationsgrenze, bezogen auf die Defektlänge, besteht aktuell noch nicht.
Interposition eines nicht vaskularisierten Grafts
Die Augmentation mit einem kortikospongiösen autologen Graft, i. d. R. aus dem Beckenkamm,
der Fibula oder der Tibia, zeigt gute Ergebnisse. Mit dieser Form der Therapie kann
in 63 – 100% eine Ausheilung erreicht werden [31], [32], [33], [34]. Als überbrückende Reosteosynthese sollte eine ausreichende Plattenlänge gewählt
und die Biologie der Augmentation nicht durch unnötige Schrauben in unmittelbarer
Nähe des Implantates belastet werden. In der eigenen Praxis wird der Knochenspan aus
dem Beckenkamm entnommen. Sollte dieser nicht ausreichen, kann die Augmentation durch
zusätzliche Spongiosa, aus dem i. d. R. ipsilateralen Femur, die mithilfe eines Reamer-Irrigator-Aspirator
(RIA®, Fa. Synthes) gewonnen wird, unterstützt werden [35]. Als weitere Option, sollte eine Beckenkammentnahme nicht (mehr)
möglich sein, dient ein Fibulagraft.
Analog zu der Spongiosaplastik stellt sich auch hier die Frage nach der maximalen
Länge, die ein Defekt haben darf, um noch erfolgreich mittels eines autologen Grafts
behandelt werden zu können. Es bleibt letztlich unklar, ob auch hier eine Defektlänge
von 6 cm als Grenze anzusehen ist [36].
Interposition eines vaskularisierten Grafts
Der am häufigsten verwendete Graft bei der Interposition mit einem vaskularisierten
Knocheninterponat ist die Fibula [37], [38]. Es existieren auch einige Fallserien, in denen ein lokales Autograft von der distalen
Ulna oder dem Radius mit Anschluss an die A. interosseus posterior verwendet wurde
[39]. Die Verwendung eines vaskularisierten Autografts erzielt in den wenigen vorhandenen
Fallstudien gute Ergebnisse von 75 – 100% Ausheilungsraten [40], [41], [42]. Verbunden ist diese operative Technik mit einem großen Hebungsschaden des Grafts,
Mikrochirurgie, längerer Operationsdauer sowie zahlreichen Komplikationen. Häufig
erfordert diese Art der Operation die Kooperation mit den Kollegen der Plastischen
Chirurgie.
Zusammengefasst kann die Interposition mit einem autologen vaskularisierten Graft
nicht als Primäroption in der Revisionschirurgie empfohlen werden und dient als profunde
Ausweichoption, falls die Implantation eines autologen nicht vaskularisierten Knocheninterponats
fehlschlägt oder der Defekt so groß ist, dass eine kombinierte Deckung mit Knochen,
Muskel und Haut notwendig wird.
Autologer Graft vs. allogener Graft
Die biologische Aktivität eines autologen Grafts ist der eines allogenen Grafts deutlich
überlegen und sollte daher die Primäroption darstellen [43]. Im eigenen Vorgehen wird auf allogenes Material zurückgegriffen, sollten alle autologen
Optionen (Knochenspäne, Addition von Spongiosa) ausgeschöpft sein und das allogene
Material rein additiv zur Anwendung kommen.
Masquelet-Technik
Grundlage dieses Verfahrens ist die sog. „Membraninduktion“. Diese beruht darauf,
dass nach der Resektion einer i. d. R. Infektpseudarthrose ein Polymethylmethacrylat-Spacer
(PMMA-Spacer) eingebracht wird. Dieser Spacer ist meist mit Antibiotika behaftet und
greift die Infektion so unmittelbar lokal an. Um diesen Spacer bildet sich ein Pseudoperiostschlauch,
der dann in einer Folgeoperation mit Spongiosa befüllt werden kann [44]. Zu dieser Technik liegen noch keine groß angelegten vergleichenden Studien vor,
jedoch konnten in einzelnen Fallstudien gute Ergebnisse erzielt werden [45], [46]. Zusammengefasst ist diese Technik bei großem Defektareal und Osteomyelitis eine
gute Option.
Segmenttransport
Der Segmenttransport kann mithilfe eines unilateralen Fixateurs oder eines Ringfixateurs
durchgeführt werden. Ziel ist es, ein zuvor i. d. R. infiziertes Knochenareal zu entfernen
und per Segmenttransport kontinuierlich wieder zuwachsen zu lassen. Indikationen für
diese Technik sind daher Osteomyelitis und Infektpseudarthrosen. Bezüglich dieser
Technik existieren einzelne Fallstudien am Unterarm, die gute Ergebnisse nach 6 – 7
Monaten aufweisen [47], [48]. Dieses Verfahren erfordert eine gute Compliance seitens des Patienten, um ein Abrutschen
des Fixateurs, eine Pin-Infektion und somit ein Therapieversagen zu vermeiden. Zusammengefasst
kann diese Technik bei entsprechender Expertise des Operateurs, geeignetem Patienten
und großem Defektareal als Option dienen.
Revisionsstrategien bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen – spezielle Verletzungen/Komplikationen
Revisionsstrategien bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen – spezielle Verletzungen/Komplikationen
Galeazzi-Fraktur
Indikationen für eine Revisionsoperation nach einer Galeazzi-Fraktur sind insgesamt
selten. Eine Herausforderung in der Behandlung der Verletzung kann das distale Radioulnargelenk
(DRUG) darstellen. Kommt es hier zu chronischen Instabilitäten, kann die Griffkraft
und die Pronations- sowie Supinationsleistung eingeschränkt sein [49]. Eine Revision sollte dann erfolgen. Adressiert werden muss der trianguläre fibrokartilaginäre
Komplex (TFCC) und die weiteren Stabilisatoren des DRUG. Der TFCC sollte weitestgehend
rekonstruiert und das DRUG befundabhängig temporär fixiert werden [50]. Hierbei reicht es meist aus, das Gelenk mittels eines Kirschner-Drahtes für 4 – 6
Wochen in Neutralstellung zu fixieren [51]. Eine intensive Nachbehandlungsphase mit physiotherapeutischer Beübung sollte sich
anschließen.
Lässt sich das Gelenk nicht reponieren, ist meist von der Interposition von Weichteilen,
wie der Sehne des M. extensor carpi ulnaris oder des M. extensor digiti minimi auszugehen.
Eine offene Reposition muss in diesen Fällen erfolgen [50].
Essex-Lopresti-Verletzung
Eine Essex-Lopresti-Verletzung wird häufig im primären Verletzungsbild nicht erkannt
und führt zu chronischer Instabilität des Unterarmes und Handgelenkbeschwerden durch
eine Proximalisierung des Radius mit relativem Ulnavorschub und Radialdeviation der
Hand ([Abb. 2 a]) [6]. Da häufig im Falle einer primären Osteosynthese allenfalls eine Versorgung des
Radiuskopfes vorliegt, ist die Revisionschirurgie meist von einer aufwendigen Rekonstruktion
der Stabilisatoren des Unterarmes geprägt. Hierzu bedarf es einer Radiuskopfrevision,
meist mittels Radiuskopfprothesenversorgung, einer Stabilisierung des distalen Radioulnargelenks
mittels temporärer Kirschner-Draht-Fixierung ([Abb. 2 b]–[c]), offener Rekonstruktion des TFCC und zusätzlich häufig einer Ulnaverkürzungsosteotomie.
Zusätzlich kann eine Augmentation des zentralen Bandes der Membrana
interossea eine erneute Proximalisierung des Radius verhindern. Im eigenen Vorgehen
erfolgt diese Bandrekonstruktion mittels eines sog. LARS-Bandes (LARS: Ligament Augmentation
and Repair System®, Fa. Corin; [Abb. 2 b]–[e], [3 e], [f]) [52]. Dieses synthetische Band aus Polyethylen ist dabei als Augmentation der Membrana
interossea zu verstehen. Zahlreiche Studien haben den anatomischen Verlauf dieser
ligamentären Verbindung zwischen Ulna und Radius untersucht. Als besonders wichtig
für die Stabilität haben sich hierbei die Fasern des zentralen Bandes herausgestellt
[53]. Im Verlauf dieser Fasern wird daher das LARS-Band optimalerweise implantiert. Die
Insertionspunkte und der Verlauf sind in [Tab. 1] zusammengefasst.
Abb. 2 Bild einer Essex-Lopresti-Verletzung mit primärer fehlgeschlagener Plattenosteosynthese
des proximalen Radius. a Deutliche Ulna-plus-Variante mit abgerutschtem osteosynthetisch versorgtem Radiuskopf.
b, c Unmittelbares postoperatives Ergebnis nach ME proximaler Radius, Radiuskopfprothese,
Rekonstruktion des LUCL (lateral ulnar collateral ligament), Ulnaverkürzungsosteotomie
mittels 2,5-mm-Verkürzungsplatte sowie LARS-Augmentation mit 2 Endobuttons (LARS:
Ligament Augmentation and Repair System®, Fa. Corin). d, e Ergebnis 24 Monate nach Revisionsoperation in a.–p. und lateraler Ansicht.
Abb. 3 Erneutes Bild einer Essex-Lopresti-Verletzung mit primärer distaler und proximaler
Radiusosteosynthese und Revisionsergebnis. a Diskrete Ulna-plus-Variante mit klinischen Beschwerden im Vergleich zur Gegenseite
(b) im a.–p. Strahlengang. c, d Bild einer Radiuskopfnekrose mit extern bereits teilweise erfolgter ME, a.–p. und
lateral. e, f Unmittelbares postoperatives Ergebnis nach ME distaler Radius, Ulnaverkürzungsosteotomie
mittels 2,5-mm-Verkürzungsplatte, LARS-Augmentation mit 2 Endobuttons und Radiuskopfprothese
sowie Rekonstruktion des LUCL; Korrektur der Ulna-plus-Variante in (f) sichtbar.
Tab. 1 Insertionspunkte und Verlauf des Zentralbandes der Membrana interossea [53], [54].
Ulna
|
Schnittstelle zwischen distalem und mittlerem Drittel; ca. 6 cm proximal des Processus
styloideus ulnae (PSU)
|
Radius
|
Punkt 60% der Länge des Radius vom Processus styloideus radii (PSR) gemessen; ca.
12 cm proximal des PSR
|
Orientierung der Fasern
|
vom Radius aus: 21° in Richtung langer Schaftachse der Ulna
|
Radius und Ulna werden entsprechend dem physiologischen Verlauf und den Insertionspunkten
des zentralen Bandes mit Bohrlöchern versehen und die Bandplastik über eine Knochenbrücke
oder einen „Endobutton“ eng an den Knochen befestigt ([Abb. 3 e], [f]). Um das Anhaften des Endobuttons am Knochen zu optimieren, kann kurzfristig die
maximale Supination eingenommen werden. Als Alternativen zum LARS-Band können ein
Patellar-Sehnen-Knochen-Implantat, ein Achillessehneninterponat sowie eine Palmaris-longus-
oder Flexor-carpi-radialis-Sehne als Autograft dienen [53], [54]. Nachteil der Autografts kann eine geringere Steifigkeit unter Belastung sein [53].
Die Ulnaverkürzungsosteotomie sollte schließlich mittels einer Kompressionsplatte
2,5 – 3,5 mm gehalten werden.
Als „Salvage Procedures“ sind die Sauvé-Kapandji-Methode und die operative Schaffung
einer radioulnaren Synostose zu nennen. Bei der Sauvé-Kapandji-Methode wird eine Arthrodese
des DRUG sowie eine Segmentresektion der distalen Ulna durchgeführt. Hierdurch wird
versucht, dem Patienten die Umwendbewegung des Unterarmes durch Proximalisierung des
Drehzentrums nach proximal-ulnar wieder zu ermöglichen. Diese Methoden stellen die
Funktion nicht ausreichend gut wieder her und sollten daher nur bei multiplen Voroperationen,
ausgeprägtem Leidensdruck und Dysfunktion Anwendung finden. Die postoperativen Ergebnisse
dieser Verfahren sind in der Literatur nur schwer zu vergleichen, da die Studienpopulationen
sehr heterogen sind mit einer großen Bandbreite an verschiedenen Indikationen [53].
Malunion
Die Anatomie des Unterarmes muss möglichst genau rekonstruiert werden, da kleinste
Abweichungen erhebliche Auswirkungen auf die Funktion haben können. Im Rahmen einer
fehlverheilten Unterarmfraktur mit klinisch manifestem Funktionsverlust ist es dienlich,
den Unterarm der Gegenseite als anatomische Schablone zu nutzen, da es keine festen
Normvarianten gibt [14]. Im Detail ist hierbei auf den radialen Bogen zu achten und dieser möglichst genau
zu rekonstruieren ([Abb. 4]). Die zu planende Osteotomie ist als 3-dimensionale Operation, unter Nutzung der
kommerziell erhältlichen patientenspezifischen Instrumentarien (Schablonen), durchzuführen.
Die Ergebnisse sind zufriedenstellend, wobei der Zeitpunkt der Korrekturosteotomie
entscheidend ist. Patienten, die innerhalb von 12 Monaten nach initialer Fraktur operiert
wurden, haben eine signifikant bessere Funktion, als Patienten, die später korrigiert
wurden [55].
Abb. 4 Darstellung des physiologischen radialen Bogens, an dem sich die Rekonstruktion des
Unterarmes orientieren sollte. Es wird eine Linie von der Tuberositas radii bis zum
distalen Radioulnargelenk (DRUG) gezogen; „a“ markiert die maximale Höhe des radialen
Bogens.
Kernaussagen
In der Revisionschirurgie des Unterarmes ist die genaue anatomische und funktionelle
Kenntnis der knöchernen und ligamentären Strukturen Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche
Operation. Pseudarthrosen bilden den Großteil der Indikationen für eine Revisionsoperation
am Unterarm. Hierbei empfiehlt sich ein lokales Débridement, kombiniert mit einer
Augmentation und stabilen Plattenosteosynthese. Bei allen weiteren möglichen Komplikationen
einer primären Osteosynthese (Malunion, spezielle Frakturformen) ist ein individuell
angepasstes Vorgehen notwendig.