Fallbericht
Ein 35-jähriger Patient wurde in der Rettungsstelle eines Universitätsklinikums aufgrund
von Fieber, unproduktivem Husten und progredienter Dyspnoe vorstellig. Die Atemfrequenz
war mit 18/min erhöht, die periphere Sauerstoffsättigung 93 % bei Raumluftatmung und
der venöse CO2-Partialdruck 38,7 mmHg. Blutdruck und Herzfrequenz waren nicht pathologisch verändert.
Auskultatorisch fielen beidseits pulmonale Rasselgeräusche auf. Im Aufnahmelabor zeigten
sich hohe Entzündungszeichen (Leukozyten 14,65/nl, Neutrophile 10,19/nl, C-reaktives
Protein 282 mg/l) und im Röntgen-Thorax bipulmonale Infiltrate, sodass unter der Annahme
einer ambulant erworbenen Pneumonie nach Abnahme der mikrobiologischen Materialien
eine kalkulierte Antibiotika-Therapie mit Ampicillin/Sulbactam und Clarithromycin
initiiert wurde. Klinisch auffällig waren die am gesamten Körper gleichmäßig verteilten
petechialen Einblutungen ([Abb. 1 a]). Eine Thrombozytopenie lag nicht vor, und in der Anamnese ergab sich kein Hinweis
auf eine Thrombozytenfunktionsstörung. Aufgrund der respiratorischen Insuffizienz,
der bilateralen Infiltrate und der Petechien ungeklärter Ursache wurde der Patient
auf eine Normalstation aufgenommen. Der CRB-65 Wert war 0, gemäß der S3-Leitlinie
„Ambulant erworbene Pneumonie“ lag weder ein Notfall noch ein deutlich erhöhtes Risiko
vor, und es war nur ein Minorkriterium erfüllt (Multilobäre Infiltrate) [1].
Abb. 1 a Petechiale Einblutungen und b sequentielle Recovery-Portionen einer bronchoalveolären Lavage.
Bei dem Patienten bestand als Komorbidität Asthma bronchiale, klinisch ergab sich
aber kein Anhalt für eine akute Exazerbation. Drogengebrauch wurde verneint. Im Vorfeld
bestand keine B-Symptomatik im Sinne von ungewolltem Gewichtsverlust, Nachtschweiß,
erhöhter Körpertemperatur oder allgemeiner Leistungsschwäche. Die Reiseanamnese war
leer. Der Patient berichtete über gleichgeschlechtliche Sexualkontakte ohne Risikoverhalten.
Ein HIV-Test war negativ.
Aufgrund der Schwere der radiologischen Veränderungen, der relevanten und zunehmenden
respiratorischen Insuffizienz mit steigendem Sauerstoffbedarf und der unklaren Genese
wurde eine diagnostische Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage zur Erregerdiagnostik
und weiterer Differenzialdiagnostik an Tag 2 des stationären Aufenthaltes anberaumt.
Unmittelbar vor der Bronchoskopie berichtete der Patient im Vier-Augen-Gespräch über
einen kosmetischen Eingriff am Penis, im Rahmen dessen Silikonöl (Dimeticon 350) subkutan
injiziert wurde. Der Eingriff war 5 Tage vor der Erstvorstellung zu Hause durchgeführt
worden. In der Vorgeschichte hatte der Patient mehrmalig derartige Laieneingriffe
ohne gesundheitliche Probleme erfahren. Das als „medizinisch“ bezeichnete, für die
topische Anwendung angebotene Silikonöl wurde online erworben.
In der diagnostischen Bronchoskopie zeigte sich beidseits eine diffuse Hämorrhagie.
Eine bronchoalveoläre Lavage wurde in einem Subsegment von S4 links durch Instillation
und unmittelbares Absaugen von 7 × 20 ml und 1 × 10 ml NaCl 0,9 % mit einer insgesamten
Recovery von > 100 ml durchgeführt ([Abb. 1b]). Ein Erreger konnte mikroskopisch und kulturell nicht nachgewiesen werden, und
auch die Multiplex-PCR konnte keine Nukleinsäuren gängiger pathogener respiratorischer
Viren nachweisen. Differenzialdiagnostisch wurde auch eine Autoimmunopathie in Betracht
gezogen. Jedoch ergaben sich weder anamnestisch noch laborchemisch Hinweise auf eine
Autoimmunerkrankung (pANCA, cANCA, ANA, Anti dsDNA AK negativ).
Innerhalb von Stunden entwickelte der Patient weiter zunehmende Tachypnoe und eine
progrediente respiratorische Insuffizienz, sodass er an Tag 2 nach Aufnahme auf die
Intensivstation der Klinik verlegt wurde. Nach Einleitung einer nasalen High Flow-Sauerstofftherapie
(FiO2 60 %, Flow 45 l/min) zeigte sich initial ein Oxygenierungsindex von 139 mmHg. Bei
weiterer Progredienz der Oxygenierungsstörung (Oxygenierungsindex 73 mmHg) wurde der
Patient analgosediert, intubiert und invasiv lungenprotektiv beatmet (PEEP 1 mmHg,
TV 6 ml/kg KG). In der Computertomografie des Thorax bei Verlegung auf die Intensivstation
stellten sich bilateral ausgeprägte, peripher betonte Konsolidierungen und Milchglasveränderungen
in der gesamten Lunge dar ([Abb. 2]). Echokardiografisch zeigten sich keine Hinweise auf eine Rechtsherzbelastung.
Abb. 2 Bilaterale Veränderungen des Lungengewebes mit ausgeprägter alveolitischer Komponente.
In Zusammenschau von Anamnese und Befunden wurde die Diagnose eines ARDS auf dem Boden
einer Pneumonitis, ausgelöst durch ein Silikon-Embolisations-Syndrom, gestellt, sodass
mit lungenprotektiver Beatmung und intermittierender Bauchlagerung behandelt wurde.
In der initialen transpulmonalen Thermodilutions-Messung war zur Diagnose des ARDS
passend erhöhtes extravasales Lungenwasser (24 ml/kg) feststellbar, sodass eine Negativbilanzierung
mittels Schleifendiuretika angestrebt wurde. Zur Behandlung des Silikon-Embolisations-Syndroms
wurde eine Methylprednisolon-Therapie mit initial 500 mg/d für 3 Tage und nachfolgendem
Reduktionsschema etabliert. Zunächst kam es wiederholt zu pulmonalen Blutungen mit
Bildung endobronchialer Koagel, die bronchoskopisch geborgen werden konnten. Bei zunehmender
Anämie wurde der Patient bei einem Hämoglobinwert < 7 g/dl transfusionspflichtig.
Unter den beschriebenen Maßnahmen sank das extravasale Lungenwasser auf 12 ml/kg,
und es wurde ein zufriedenstellender Gasaustausch erzielt.
Augenärztlich zeigten sich beidseits retinale Einblutungen bei multiplen Embolien.
Klinisch imponierten wiederholt Fieberepisoden, die zunächst im Rahmen des Silikon-Embolie-Syndroms
interpretiert wurden. Im weiteren Verlauf kam es zur Superinfektion der hämorrhagischen
Pneumonitis, und bei Nachweis von Klebsiella pneumoniae wurde resistogrammgerecht eine Therapie mit Moxifloxacin durchgeführt. Zudem wurde
bei Nachweis von Staphylococcus epidermidis in der Blutkultur und Verdacht auf eine Katheter-assoziierte Infektion eine Therapie
mit Vancomycin durchgeführt und ein Wechsel der intravasal einliegenden Katheter vorgenommen.
Nach Stabilisierung der pulmonalen Funktion wurden tägliche Aufwachversuche durchgeführt.
Nach 9 Tagen intensivmedizinischer Therapie wurde eine Kontroll-Computertomografie
durchgeführt ([Abb. 3]). In der Bildgebung konnte ein deutlicher Befundrückgang festgestellt werden. Bei
jedoch weiterhin bestehender Notwendigkeit zur invasiven Beatmung und Intoleranz des
Patienten gegenüber dem Orotrachealtubus, die eine unangemessen tiefe Sedation verlangt
hätte, wurde ein dilatatives Tracheostoma angelegt. Bei in der Folge klinischer Stabilisierung
und rückläufigen Entzündungsparametern konnte der Patient in die Spontanatmung überführt
werden. Im weiteren komplikationslosen Verlauf erfolgte die Dekanülierung, und der
Patient wurde in gutem Allgemeinzustand nach insgesamt 19 Intensivbehandlungstagen
auf die Normalstation zurückverlegt und weitere 3 Tage später nach Hause entlassen.
Bei Entlassung nahm der Patient 20 mg Prednisolon ein, mit einer Reduktion um jeweils
5 mg alle 2 Wochen. In der ambulanten Nachsorge konnte 14 Tage nach der stationären
Entlassung eine normale altersentsprechende Lungenfunktion diagnostiziert werden,
und der Patient berichtete weder über körperliche noch über psychische Einschränkungen.
Abb. 3 Deutlicher Befundrückgang nach 9 Tagen im Vergleich zum Vorbefund.
Diskussion
Das Silikon-Embolisations-Syndrom mit letalem Ausgang wurde erstmalig vor über 40
Jahren nach subkutaner Injektion im Rahmen kosmetischer Eingriffe beschrieben [2]. Trotz der bekannten Gefahren wird die Injektion von flüssigem Silikon weiterhin
durchgeführt, und letale Verläufe wurden auch aktuell berichtet [3]. Symptome wie Fieber, Atemnot, Petechien, alveoläre Hämorrhagie und bipulmonale
Infiltrate sind typisch für die Silikon-Pneumonitis [4]
[5]
[6]
[7]. Andere Organe, die durch das Silikon-Embolisations-Syndrom häufiger betroffen sein
können, sind Leber, Nieren und das Gehirn [2]
[6]. In dem hier geschilderten Fall kam es zu Manifestationen in Lunge, Haut und Retina.
Als Therapie des Silikon-Embolisations-Syndroms wird zur Reduktion der Inflammation
eine Kortison-Stoß-Therapie für bis zu 5 Tage vorgeschlagen [4]
[7]. Darüber hinaus gibt es bei Silikon-Pneumonitis mit respiratorischem Versagen keine
Empfehlungen, die von den generellen Statuten der Behandlung des akuten Lungenversagens
abweichen. Unter diesen Maßnahmen sind in der Literatur ausschließlich Beschreibungen
gutartiger Verläufe mit Wiederherstellung einer suffizienten Lungenfunktion zu finden,
wobei ein positiver Publikationsbias nicht ausgeschlossen werden kann. Bei HIV-positiven
Patienten sind jedoch granulomatöse Lungenerkrankungen als Langzeitfolge nach einem
Silikon-Embolisations-Syndrom beschrieben [8]
[9]. Auch spätere Traumata an Silikon-Injektionsstellen können zu einer Silikon-Pneumonitis
führen [10]. Pathophysiologisch werden mehrere Mechanismen diskutiert: Neben der direkten intravaskulären
Injektion mit der Folge einer fulminanten Embolie oder multipler Mikroembolisationen
wird eine phagozytische Migration perivaskulärer Silikon-Depots diskutiert [7]. Ebenfalls werden inflammatorische Reaktionen und eine Aktivierung des Gerinnungssystems
mit der Silikon-Pneumonitis in Verbindung gebracht [4]
[6].
Obwohl eine seltene Entität, ist das Silikon-Embolisations-Syndrom eine zu berücksichtigende
Differenzialdiagnose der respiratorischen Insuffizienz und Pneumonie. Da kosmetische
Eingriffe oft schambehaftet sind und der Zusammenhang der akuten Erkrankung mit dem
Eingriff durch den Patienten nicht hergestellt werden kann, ist eine gezielte Anamnese
diesbezüglich essenziell. Die rasche Progredienz von der selbstständigen Vorstellung
bei leichter Hypoxämie und subjektiv empfundener Dyspnoe bis zum Vollbild eines ARDS
bei dem beschriebenen Patienten ist eindrücklich und unterstreicht die Notwendigkeit
der hohen Aufmerksamkeit bei der Möglichkeit eines vorliegenden Silikon-Embolisations-Syndroms.