Medikamentöse Dauertherapie
In Deutschland leiden etwa 0,6 % bis 1 % der Bevölkerung an Epilepsien [1]–[3]. Damit gehören Epilepsien zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland,
und auf die gesamte Lebenszeit ergibt sich ein Risiko von 2 % bis 3 %, eine Epilepsie
zu entwickeln. Die Diagnose einer Epilepsie ergibt sich durch 2 unprovozierte epileptische
Anfälle oder einen epileptischen Anfall bei Vorliegen weiterer Faktoren, die das Rezidivrisiko
auf > 60 % erhöhen. Dazu gehören zum Beispiel epilepsietypische Veränderungen im EEG
oder das Vorliegen einer epileptogenen Hirnveränderung, wie nach einem Schlaganfall
oder bei einem Hirntumor [4].
Aus der Diagnose einer Epilepsie ergibt sich in der Regel die Indikation zur medikamentösen
Therapie. Ziel der Therapie ist dabei die Verhinderung eines Anfallsrezidives, da
anhaltende Anfälle die Lebensqualität und soziale Teilhabe einschränken und zudem
eine erhöhte Morbidität und Mortalität bedingen [5], [6]. Bei sehr seltenen und nicht schwerwiegenden Anfällen (z. B. < 2/Jahr) oder ausschließlichen
Auren ist eine Therapie eventuell verzichtbar. Etwa 60 % bis 80 % der Menschen mit
Epilepsie werden durch eine medikamentöse Therapie anfallsfrei. Wenn es unter 2 ausreichend
dosierten Antianfallsmedikamenten (synonym: Antiiktalia, auch Antiepileptika oder
Antikonvulsiva genannt) nicht zu einer Anfallsfreiheit kommt, liegt eine pharmakoresistente
Epilepsie vor [7], [8]. Dann sollte eine epilepsiechirurgische Therapieoption geprüft werden [9]. Alle gängigen Medikamente unterdrücken ausschließlich das Auftreten epileptischer
Anfälle und wirken somit rein symptomatisch. Im Englischen wird deshalb neuerdings
der Begriff „anti-seizure drug“ verwendet (Äquivalent zu Antianfallsmedikament), der
oft gebrauchte Begriff Antiepileptika ist somit irreführend. Die Auswahl eines Antianfallsmedikamentes
erfolgt nach dem Epilepsiesyndrom (fokal oder generalisiert), dem Alter des Patienten
und bekannten Komorbiditäten. Zudem sind die angenommene Wirksamkeit und mögliche
Nebenwirkungen zu bedenken.
Die Zahl der verfügbaren Antianfallsmedikamente hat sich, mit zunehmender Dynamik
seit den 1980er-Jahren, stetig erhöht ([
Abb. 1
]). Eine Wirküberlegenheit einzelner Medikamente konnte dabei nur in Ausnahmefällen
nachgewiesen werden. In der Regel zeigte sich keine bessere Wirksamkeit als bei Antianfallsmedikamenten
der ersten und zweiten Generation ([
Abb. 1
]). Eine Metaanalyse fand keine Wirksamkeitsunterschiede der neueren Medikamente Brivaracetam,
Perampanel und Lacosamid [10]. Ältere Metaanalysen favorisierten teils Topiramat [11], [12] oder Levetiracetam [13]. Üblicherweise werden neue Antianfallsmedikamente zunächst zur Zusatzbehandlung
von Patienten mit fokalen Epilepsien zugelassen [14]. Primärer Endpunkt ist dabei die Reduktion der Anfallsfrequenz um 50 % („50 %-Responderrate“).
Eine Zulassung zur initialen Monotherapie erfolgt durch die EMA erst nach Studien
mit Darstellung einer Nichtunterlegenheit (engl.: Non-inferiority) gegenüber Carbamazepin
oder einem anderen Standardmedikament bei fokalen Epilepsien.
Abb. 1 Antianfallsmedikamente bis zum Jahr 2020, Daten aus [14]; Antianfallsmedikamente der ersten und zweiten Generation rot, solche der dritten
Generation blau markiert. * Cannabidiol 2019 durch die amerikanische Food and Drug
Administration zugelassen. ** Zulassung von Fenfluramin [80] für 2020 erwartet.
In solchen Studien zur initialen Monotherapie oder der offenen SANAD-Studie mit direktem
Vergleich von Medikamenten zeigte sich bei fokalen Epilepsien eine bessere Wirksamkeit
von Carbamazepin gegenüber Gabapentin [15]. Levetiracetam [16] und Zonisamid [17] waren Carbamazepin nicht unterlegen. Lamotrigin war Carbamazepin in der Wirksamkeit
nicht unterlegen, aber besser verträglich [15]. Bei generalisierten und unklassifizierten Epilepsien war Valproat besser verträglich
als Topiramat und wirksamer als Lamotrigin [18]. Bei der kindlichen Absencenepilepsie waren Ethosuximid und Valproat wirksamer als
Lamotrigin, Ethosuximid war dabei verträglicher als Valproat [19].
Einige neuere Antianfallsmedikamente sind besser verträglich als solche der ersten
und zweiten Generation. Bei Überdosierungen können jedoch ebenfalls Schwindel, Doppelbilder
oder Übelkeit auftreten. Ein Vorteil kann sein, dass einige neuere Medikamente wie
Lacosamid, Levetiracetam, Gabapentin und Pregabalin nicht und andere, wie Brivaracetam
oder Zonisamid, nur wenig in klinisch relevantem Ausmaß mit anderen Medikamenten pharmakokinetisch
interagieren. Ein therapeutisches Drug Monitoring ist bei den meisten neueren Antianfallsmedikamenten
im Regelfall nicht nötig. Ausnahmen stellen die Lamotrigineinnahme in der Schwangerschaft
sowie der Verdacht auf Noncompliance, Intoxikation, Interaktion oder bekannte Eliminationseinschränkungen
z. B. bei Leber- oder Niereninsuffizienz dar.
Gebräuchliche Substanzen
Im Folgenden werden die gebräuchlichen Substanzen vorgestellt, die Anordnung richtet
sich nach den Wirkmechanismen ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Übersicht über zur Dauertherapie verwendeter Antianfallsmedikamente.
Name
|
Code
|
Mechanismus
|
Indikation
|
Startdosis (Erwachsene)
|
Steigerung (Erwachsene)
|
Zieldosis bis max. zugelassene Tagesdosis (Erwachsene)
|
Wichtigste spezifische UAW
|
Interaktionspotenzial
|
UAW/Bemerkungen
|
Carbamazepin
|
CBZ
|
Na+-Kanalblockade
|
Monotherapie fokaler Anfälle
|
200–300 mg/d
|
z. B. wöchentlich um 200 bis 300 mg/d
|
400–1200 mg/d
|
Hyponatriämie, Bradykardie/AV-Block, Leukopenie (häufig), Agranulozytose (sehr selten),
Stevens-Johnson-Syndrom, Osteoporose/Osteopenie
|
++
|
Erhöhtes Risiko für Steven-Johnson-Syndrom bei HLA-B*1502 (v. a. Han-Chinesen, Thailänder):
genetische Testung vor Therapiebeginn notwendig; Risiko auch bei HLA-A*3101 (v. a.
Japaner, Europäer)
|
Oxcarbazepin
|
OXC
|
Na+-Kanalblockade
|
Monotherapie fokaler Anfälle
|
300–600 mg/d
|
z. B. wöchentlich um 450–600 mg/d
|
600–2400 mg/d
|
Hyponatriämie, AV-Block
|
+
|
Kreuzreaktion hinsichtlich Allergie bei 25–30 %; ebenfalls genetische Testung von
Patienten asiatischer Herkunft auf HLA-B*1502 empfohlen
|
Eslicarbazepin
|
ESL
|
Na+-Kanalblockade
|
Fokale Anfälle
|
400 mg/d
|
z. B. alle 1–2 Wochen um 400 mg/d
|
400–1600 mg/d
|
Hyponatriämie, AV-Block
|
+
|
ebenfalls genetische Testung von Patienten asiatischer Herkunft auf HLA-B*1502 empfohlen,
analog zu CBZ und OXC
|
Lacosamid
|
LCM, LCS
|
Na+-Kanalblockade (slow inactivation)
|
Fokale Anfälle, auch Monotherapie
|
100 mg/d
|
z. B. wöchentlich um 100 mg/d
|
200–600 mg/d
(auch i.v. vorh.)
|
AV-Block
|
-
|
EKG-Kontrolle v. a. bei bekannten Herzrhythmusstörungen
|
Lamotrigin
|
LTG
|
Na+-Kanalblockade
|
Monotherapie fokaler und generalisierter Anfälle
|
25 mg/d (12,5 mg/d bei VPA-Therapie)
|
25 mg/d alle 2 Wochen (langsamer bei VPA-Einnahme)
|
100–400 mg/d (im Einzelfall und nach Verträglichkeit bis 600 mg/d möglich)
|
Allergische Hautreaktion (Stevens-Johnson-Syndrom 0,1 %)
|
±
|
Langsame Aufdosierung (25 mg/d alle 2 Wochen) zum Erkennen und zur Risikoreduktion
allergischer Reaktionen; Halbierung der Geschwindigkeit, Start- und Zieldosis bei
VPA-Therapie; Interaktion mit oralen Kontrazeptiva (wechselseitige Wirkabschwächung)
|
Phenytoin
|
PHT
|
Na+-Kanalblockade
|
Monotherapie fokaler Anfälle
|
100 mg/d
|
z. B. wöchentlich um 50 md/d (Spiegelkontrolle!)
|
200–400 mg (auch i. v. vorh.)
|
Irreversible Kleinhirnatrophie, Polyneuropathie, Gingivahyperplasie, Herzrhythmusstörungen,
AV-Block, Hirsutismus, Osteoporose, Bradykardie und Hypotension bei i.v.-Gabe
|
++
|
Nicht mehr erste Wahl wegen häufiger Nebenwirkungen, hohem Interaktionspotenzial,
nicht linearer Kinetik; Spiegelkontrollen bei Dosisänderung sinnvoll; Vorsicht bei
i.v.-Gabe über periphere Venenzugänge (Gewebsnekrosen bei Paravasat)
|
Levetiracetam
|
LEV
|
Einfluss auf synaptische Funktion durch Bindung an präsyn. SV2A-Protein
|
Monotherapie fokaler Anfälle, generalisierte Anfälle (JME, IGE mit GTKA)
|
500–1000 mg/d
|
z. B. alle 3–7 Tage um 500 mg/d
|
1000–3000 mg/d (auch i.v. vorh.)
|
Aggressivität, Depression, Atemwegsinfekte
|
–
|
Häufig eingesetzt, breit wirksam, kann schnell aufdosiert werden, Zurückhaltung bei
psychiatrischen Begleiterkrankungen, insbesondere Depression
|
Brivaracetam
|
BRV
|
Einfluss auf synaptische Funktion durch Bindung an präsyn. SV2A-Protein
|
Fokale Anfälle
|
50 mg/d
|
z. B. alle 3–7 Tage um 25 mg/d
|
50–200 mg/d (auch i. v. vorh.)
|
Aggressivität, Depression, Atemwegsinfekte
|
±
|
–
|
Valproat
|
VPA
|
Na+ – und Ca2+-Kanalblockade, Hemmung des GABA-Abbaus
|
Monotherapie fokaler und generalisierter Anfälle
|
300–500 mg/d (nach KG)
|
z. B. 300 mg alle 4–7 Tage (nach KG, Spiegelkontrolle!)
|
600–1500 mg (–2000 mg) (auch i. v. vorh.)
|
Tremor, Gewichtszunahme, polyzystische Ovarien, Haarausfall, Blutgerinnungsstörung,
Leberschädigung, Hyperammonämie, Parkinson-Syndrom, Pankreatitis, Osteoporose
|
++
|
Breit wirksam, hohes Interaktionspotenzial, hohes Teratogenitätsrisiko, deshalb bei
gebärfähigen Frauen nicht einsetzen
|
Zonisamid
|
ZNS
|
Na+ – und Ca2+-Kanalblockade, Carboanhydrasehemmung
|
Monotherapie fokaler Anfälle
|
50 mg/d
|
alle 2 Wochen um 100 mg/d in der Monotherapie
|
200–500 mg/d
|
Gewichtsverlust, Konzentrationsstörung, andere psychiatrische Symptome, Nierensteine,
vermindertes Schwitzen, Glaukom, Parästhesien, metabolische Azidose
|
±
|
Hyperthermie bei Anhidrose möglich
|
Topiramat
|
TPM
|
AMPA-Rezeptorblockade, GABAerg, Carboanhydrasehemmung, Na+-Kanalblockade
|
Monotherapie fokaler und generalisierter Anfälle
|
25 mg/d
|
z. B. wöchentlich um 25 mg/d
|
50–500 mg/d
|
Gewichtsverlust, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen, andere psychiatrische
Symptome, Nierensteine, vermindertes Schwitzen, Glaukom, Parästhesien, metabolische
Azidose, Pankreatitis, Haarausfall
|
±
|
Zusätzliche Wirkung zur Migräneprophylaxe
|
Sultiam
|
STM
|
Carboanhydrasehemmung, Na+-Kanalblockade
|
Nur Rolando-Epilepsie (BCECTS)
|
Nach KG (5–10 mg/kg KG/d)
|
|
200–400 mg/d
|
Gewichtsverlust, Verhaltensstörung, Halluzinationen, Parästhesien, Tachypnoe
|
+
|
–
|
Gabapentin
|
GBP
|
Bindung an Ca2+-Kanalprotein
|
Monotherapie fokale Anfälle
|
300 mg/d
|
300 mg/d in den ersten 3 Tagen, dann z. B. um 300 mg/d alle 2–3 Tage
|
900–3600 mg/d
|
Psychiatrische Störungen, Gewichtszu- oder –abnahme, Ödeme, selten Pankreatitis
|
–
|
Wahrscheinlich nur geringe antikonvulsive Effektivität
|
Pregabalin
|
PGB
|
Bindung an Ca2+-Kanalprotein
|
Fokale Anfälle
|
150 mg/d
|
z. B. um 150 mg/d nach der 1. Woche, um 300 mg/d nach der 2. Woche
|
300–600 mg/d
|
Psychiatrische Störungen, Gewichtszu- oder –abnahme, Ödeme, selten Pankreatitis
|
–
|
–
|
Ethosuximid
|
ESM
|
Ca2+-Kanalblockade
|
Monotherapie generalisierter Epilepsien (Absencen, Myoklonien)
|
250–500 mg/d
|
um 250 mg pro Woche
|
1000–2000 mg/d
|
Gewichtsverlust, psychiatrische Probleme (teil paranoide Störung), Dyskinesien
|
±
|
Nur gegen Absencen wirksam
|
Phenobarbital
|
PB
|
direkt GABAerg
|
Monotherapie fokaler Anfälle, generalisierte Epilepsie (nicht wirksam gegen Absencen)
|
nach KG, ca. 50 mg/d
|
nach KG und unter Spiegelkontrolle
|
50–300 mg/d (auch i. v. vorh.)
|
Sedierung, Abhängigkeit, depressive Verstimmung, kognitive Störung, Atemdepression,
Dupuytren-Kontrakturen, Osteoporose, Attackenauslösung bei Porphyrie
|
++
|
Nicht mehr erste Wahl, da häufige Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung, Abhängigkeitsrisiko
und hohes Interaktionspotenzial. Bei Absetzen hohes Risiko für Entzugsanfälle.
|
Primidon
|
PRM
|
direkt GABAerg
|
Monotherapie fokaler Anfälle, generalisierte Epilepsie (nicht wirksam gegen Absencen)
|
125 mg/d
|
Aufdosierung nach Fachinformation
|
750–1000 mg/d
|
wie PB
|
++
|
Prodrug von PB
|
Stiripentol
|
STP
|
GABAerg
|
Dravet-Syndrom
|
250 bis 500 mg
|
um 250– 500 mg pro Woche
|
50 mg/kg KG/d
|
Gewichtsverlust, psychiatrische Symptome, Hyperkinesien
|
+
|
Bei Dravet-Syndrom zugelassen, Kombination mit VPA und CLB
|
Perampanel
|
PER
|
AMPA-Rezeptorblockade
|
Fokale und generalisierte Anfälle
|
2 mg/d
|
alle 1–2 Wochen um 2 mg/d
|
4–12 mg/d
|
Gewichtsveränderungen, psychiatrische Symptome
|
(±)
|
–
|
Rufinamid
|
RUF
|
Unbekannt
|
Lennox-Gastaut-Syndrom
|
bei > 30 kg KG: 400 mg/d
|
bei > 30 kg KG: z. B. um 400 mg/d alle 2–3 d
|
1000–3000 mg/d
|
Gewichtsverlust, Sedierung
|
+
|
Nur bei Lennox-Gastaut-Syndrom zugelassen; Dosis verringern bei gleichzeitiger VPA-Therapie
|
AMPA: α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure, BCECTS: benign childhood
epilepsy with centrotemporal spikes, CLB: Clobazam, GABA: γ-Aminobuttersäure, GTKA:
generalisiert (bilateral) tonisch-klonischer Anfall, HLA: humanes Leukozytenantigen,
IGE: genetisch (idiopathisch) generalisierte Epilepsie, JME: juvenile myoklonische
Epilepsie, KG: Körpergewicht, NMDA: N-Methyl-D-Aspartat, SV2A: synaptisches Vesikelprotein
2 A; UAW: unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Carbamazepin (CBZ) war das erste Antianfallsmedikament der Dibenzazepin-Gruppe (CBZ,
OXC, ESL) und verlängert den inaktivierten Zustand spannungsabhängiger Natriumkanäle.
Es ist zur Therapie fokaler Epilepsien bei Kindern und Erwachsenen zugelassen und
war hierfür lange die Leitsubstanz. Für CBZ liegt somit eine lange klinische Erfahrung
vor. Als CYP-Induktor führt es zu sehr breiten Arzneimittelinteraktionen, u. a. schränkt
es die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva ein. Die erste Zieldosis bei Erwachsenen
beträgt 400 mg/d, die zugelassene Höchstdosis liegt bei 1200 mg/d. Die Retard-Formulierung
sollte bevorzugt werden. Die Ein-Jahres-Anfallsfreiheit bei neudiagnostizierter Epilepsie
beträgt etwa 73 % [16]. Bei Personen asiatischer Abstammung mit HLA-B*1502-Allel (z. B. 10 % der Han-Chinesen,
Thailänder) ist das Risiko schwerer allergischer Hautreaktionen stark erhöht, deshalb
sollte bei diesen Patienten vor Therapiebeginn eine HLA-Bestimmung erfolgen. Auch
das HLA-A*3101-Allel bei manchen Europäern und Japanern prädisponiert für allergische
Hautreaktionen, eine allgemeine HLA-Testung wird für diese Gruppen aber derzeit nicht
empfohlen (siehe auch Artikel von S. Wolking und H. Lerche in dieser Ausgabe). Weitere
Nebenwirkungen können Herzrhythmusstörungen und Blutbildveränderungen sein.
Oxcarbazepin (OXC) ist zur Mono- und Kombinationstherapie fokaler Epilepsien ab dem
6. Lebensjahr zugelassen. Es wirkt, ähnlich wie Carbamazepin, vor allem als Natriumkanalblocker,
jedoch auf die langsame Inaktivierung. OXC wird in der Leber zum aktiven S-10-Monohydroxy-
Metaboliten (MHD) reduziert, das chemisch dem S-Licarbazepin entspricht und eine Halbwertszeit
von 9 Stunden besitzt. OXC erhöht die Halbwertszeit von PHB und PHT und verringert
die Halbwertszeit von CBZ sowie den Serumspiegel oraler Kontrazeptiva. Die maximale
zugelassene Tagesdosis bei Erwachsenen liegt bei 2400 mg/d in 2 Einzelgaben bei Retardpräparaten,
begonnen wird üblicherweise mit 300–600 mg/d. Die Wirkstärke in der Add-on-Therapie
war nicht unterschiedlich zu CBZ, VPA und PHT (Responderrate ca. 40 %). 57 % der Menschen
mit einer neudiagnostizierten Epilepsie waren nach 12 Monaten OXC-Monotherapie anfallsfrei
[20], [21]. In Ergebnissen des EURAP-Schwangerschaftsregisters führte die OXC-Monotherapie
nicht zu einem erhöhten Risiko schwerer Kindsfehlbildungen, bei einer allerdings zu
niedrigen Fallzahl für eine abschließende Beurteilung [22]. Eine spezifische UAW von OXC stellt die Hyponatriämie dar. OXC ist eine wirksame
Therapiealternative bei fokalen Epilepsien. Insbesondere bei älteren Patienten sollte
auf das Hyponatriämierisiko geachtet werden [23]. Es sollte primär die retardierte Formulierung von OXC eingesetzt werden.
Eslicarbazepin-Acetat (ESL) ist zugelassen zur Monotherapie fokaler Epilepsien bei
Erwachsenen, als Zusatztherapie ab dem 6. Lebensjahr. ESL ist ein Prodrug und wird
in der Leber vorwiegend zum S-Enantiomer des Licarbazepin (S-Licarbazepin, entspricht
dem wirksamen Metaboliten von OXC) metabolisiert. Der Wirkmechanismus entspricht deshalb
dem von OXC. Zudem wurde eine Wirkung auf T-Typ-Kalziumkanäle gezeigt [24]. Die Halbwertszeit von ESL beträgt 20–24 Stunden. ESL erniedrigt die Plasmakonzentration
von oralen Kontrazeptiva und von Simvastatin. PB, PHT und CBZ erhöhen die Clearance
von ESL. Die Add-On-Responderrate lag bei 53 %. Die zugelassene Zieldosis beträgt
800–1200 mg und kann einmal täglich abends eingenommen werden. Bei Monotherapie können
bis 1600 mg verwendet werden. Die erste Dosis beträgt üblicherweise 400 mg. ESL war
in der Monotherapie CBZ-Retard nicht unterlegen. Ein Vorteil von ESL gegenüber CBZ
und OXC ist die einmal tägliche Einnahme, eine Wirküberlegenheit ist nicht bewiesen
[25]. Eine spezifische UAW von ESL stellt – wie bei OXC – die Hyponatriämie dar, insbesondere
bei älteren Patienten sollte auf das Hyponatriämierisiko geachtet werden [23].
Lacosamid (LCM) wirkt wie OXC und ESL antikonvulsiv über eine Verstärkung der langsamen
Inaktivierung spannungsabhängiger Natriumkanäle. LCM ist zugelassen für die Monotherapie
und Zusatztherapie fokaler Anfälle ab dem 4. Lebensjahr. Etwa die Hälfte des Medikamentes
wird unverändert renal ausgeschieden, der Rest hepatisch metabolisiert, die Halbwertszeit
beträgt etwa 14 Stunden (steady state nach 3 Tagen). LCM steht zur oralen wie zur
parenteralen Gabe zur Verfügung. Die erste Dosis bei Erwachsenen beträgt üblicherweise
100 mg/d, verteilt auf zwei Gaben. Die Zieldosis beträgt 200–400 mg/d, maximal 600
mg/d. Add-on-Responderraten von ca. 70 % [26] und eine Ein-Jahres-Anfallsfreiheit bei Monotherapie von etwa 65 % [27], [28] werden berichtet. Bei Patienten mit bekannten Herzrhythmusstörungen oder schwerer
Herzerkrankung sollte vor Therapiebeginn ein EKG abgeleitet werden. Ein AV-Block 2.
oder 3. Grades stellt eine Kontraindikation dar. Ein wesentlicher Vorteil ist die
vorhandene i.v.-Formulierung, die eine rasche Aufsättigung auch im Notfall ermöglicht
[28].
Lamotrigin (LTG) ist zur Monotherapie fokaler und generalisierter Epilepsien ab dem
13. Lebensjahr zugelassen (ab dem 2. Lebensjahr als Zusatztherapie und als Monotherapie
typischer Absencen). Es hemmt, wie CBZ und PHT, spannungsabhängige Natriumkanäle über
eine Verstärkung der schnellen Inaktivierung. Die Halbwertszeit beträgt 29 Stunden,
es wird hepatisch abgebaut. Während LTG selbst das CYP-System nicht beeinflusst, verstärken
PHT, PB und CBZ den Abbau von LTG. VPA verlangsamt als CYP-Inhibitor den LTG-Abbau
und verdoppelt deshalb im Mittel den LTG-Spiegel, sodass die Dosis ggf. anzupassen
ist. Orale Kontrazeptiva können die LTG-Wirkung reduzieren, und selten umgekehrt.
Die Zieldosis bei Erwachsenen beträgt 100–400 mg/d (auch höher möglich), aufgeteilt
auf 2 Gaben, die Initialdosis beträgt 25 mg. Die Responderrate lag in den Zulassungsstudien
bei 35 %. LTG ist vergleichbar wirksam wie CBZ, jedoch besser verträglich [29]. Die wichtigste Nebenwirkung von LTG sind allergische Hautreaktionen, die bis zum
Stevens-Johnson-Syndrom reichen können. Das Risiko des Auftretens lässt sich durch
langsame Aufdosierung verringern, bei Komedikation mit VPA sollte mit 5 mg oder 12,5
mg langsam begonnen werden. LTG ist ein bei fokalen Epilepsien gut wirksames (Mittel
der bevorzugten ersten Wahl in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie,
DGN) und meist gut verträgliches Antianfallsmedikament. Es ist eines der Mittel der
Wahl bei Patientinnen mit Schwangerschaftswunsch, da das Risiko schwerwiegender kindlicher
Fehlbildungen bei Dosen bis 300 mg/d nicht signifikant erhöht ist [22]. Auch bei älteren Patienten oder bei befürchteten kognitiven Nebenwirkungen kann
es gut eingesetzt werden. Weniger gut geeignet ist es, wenn ein schneller Wirkeintritt
erforderlich ist sowie bei Allergieneigung. Gegen generalisierte Anfälle, insbesondere
myoklonische Anfälle und Absencen [30], [31] ist LTG schlechter wirksam und kann myoklonische Anfälle auch verstärken.
Levetiracetam (LEV) ist zur Monotherapie fokaler Epilepsien ab dem 16. Lebensjahr
und zur Kombinationstherapie ab dem 1. Lebensmonat zugelassen sowie zur Zusatzbehandlung
generalisierter Epilepsien ab dem 12. Lebensjahr. LEV interagiert mit dem präsynaptischen
Vesikelprotein SV2A und führt dadurch zu Veränderungen des vesikulären Transportes
und der Exozytose, der genaue Mechanismus der antikonvulsiven Wirkung ist jedoch unbekannt
[32]. Die Halbwertszeit von LEV beträgt 7 Stunden, die Ausscheidung erfolgt überwiegend
renal. Die Zieldosis bei Erwachsenen beträgt 1000–3000 mg/d verteilt auf 2 Gaben,
die erste Dosis liegt zwischen 2 × 250 mg/d und 2 × 500 mg/d. LEV ist auch intravenös
und als Saft verfügbar. In der Add-on-Therapie zeigte sich eine Responderrate von
30 % bis 40 % [33], [34] in der Monotherapie blieben 56 % der Patienten über ein Jahr anfallsfrei [16]. Spezifische UAW sind Reizbarkeit, Aggressivität und Depression. Das Risiko schwerwiegender
kindlicher Fehlbildungen ist bei LEV-Einnahme in der Schwangerschaft nicht signifikant
erhöht [22]. LEV ist bei fokalen und generalisierten Epilepsien gut wirksam. Es besitzt keine
nennenswerten Arzneimittelinteraktionen, auch die Verträglichkeit bei älteren Patienten
ist sehr gut [35]. Die Leitlinie der DGN nennt LEV als Mittel der bevorzugten ersten Wahl bei fokalen
Epilepsien, und dort wird es bei 60 % der Neueinstellungen verwendet [2], [36]. Bei bekannter Depression ist es nur vorsichtig einzusetzen, bei Niereninsuffzienz
muss die Dosis gegebenenfalls angepasst werden.
Brivaracetam (BRV) teilt den Wirkmechanismus von LEV, bindet jedoch mit einer höheren
Affinität an das SV2A-Protein. BRV ist zur Zusatzbehandlung fokaler Anfälle ab dem
4. Lebensjahr zugelassen. Die Therapie bei Erwachsenen sollte mit 50 mg/d begonnen
werden, die Zieldosis beträgt 100–200 mg/d, verteilt auf zwei Gaben. Die Halbwertszeit
beträgt 7–8 Stunden, die Elimination erfolgt vorwiegend renal. Auch BRV ist zur intravenösen
Gabe und als Saft erhältlich. In der Add-on-Therapie sind Responderraten von 30 %
bis 40 % beschrieben [37]. Gegenüber LEV weist BRV wahrscheinlich ein geringeres Risiko für psychobehaviorale
Nebenwirkungen auf [38], die Wirksamkeit ist vergleichbar. Eine Umstellung von Levetiracetam auf BRV kann
in einem Verhältnis von 10:1 direkt über Nacht erfolgen [38]. Es gibt positive Hinweis für die Wirksamkeit auch bei genetisch generalisierten
Epilepsien [39] (in Deutschland ist BRV nicht für diese Indikation zugelassen).
Valproat (VPA) hemmt Natriumkanäle und modifiziert den zerebralen GABA-Stoffwechsel
[40], [41], der tatsächliche Beitrag dieser Effekte zur antikonvulsiven Wirkung ist jedoch
nicht genau bekannt. Es ist zugelassen zur Behandlung fokaler und generalisierter
Epilepsien bei Kindern und Erwachsenen. Die erste Dosis bei Erwachsenen beträgt 300
mg/d, die Zieldosis 600–1500 mg/d und kann in Einzelfällen bis 2000 mg/d auftitriert
werden. VPA ist ein potenter CYP-Inhibitor und interagiert mit vielen Antianfallsmedikamenten.
Eine VPA-Spiegelkontrolle ist regelmäßig notwendig. Valproat war in der SANAD Vergleichsstudie
das wirksamste Medikament bei generalisierten Epilepsien [18]. Bei Frauen im gebärfähigen Alter darf es nicht eingesetzt werden, da ein sehr hohes
Risiko für kindliche Fehlbildungen von bis zu 25 % besteht [22]. Nur wenn medikamentöse Alternativen nicht verfügbar oder verträglich sind, kann
es unter strengen Auflagen (z. B. regelmäßige jährliche schriftliche Einverständnis
und Aufklärung nach Vorgaben des BfArM, regelmäßige Kontrolle der Indikation, sichere
Verhütungsmethode) bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter angewendet werden.
Häufige unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind eine Gewichtszunahme, Tremor
und Haarausfall. In der Langzeittherapie kann VPA Osteoporose begünstigen.
Zonisamid (ZNS) ist zugelassen zur Monotherapie fokaler Epilepsien bei Erwachsenen
mit neu diagnostizierter Epilepsie sowie als Zusatztherapie fokaler Epilepsien ab
dem 6. Lebensjahr. Es wirkt primär über Hemmung von Natrium- und T-Typ-Kalziumkanälen.
Die Halbwertszeit beträgt 60 Stunden (steady state nach 8–14 Tagen), die Metabolisierung
erfolgt überwiegend hepatisch. Die Zieldosis beträgt 300–500 mg/d, die Initialdosis
beträgt meist 2 × 25 mg/d. In der Add-on-Therapie fokaler Epilepsien ergaben sich
für ZNS Responderraten von 30 % [42]. Es gibt positive Hinweis für die Wirksamkeit auch bei genetisch generalisierten
Epilepsien [43] (in Deutschland ist ZNS nicht für diese Indikation zugelassen). Wichtige UAW sind
kognitive Einschränkungen, Gewichtsverlust sowie das Auftreten von Nierensteinen.
Eine Kombination mit anderen Carboanhydrasehemmern (auch Topiramat) wird aufgrund
der Addition der Nebenwirkungen (Parästhesien, Nierensteine) nicht empfohlen.
Topiramat (TPM) ist zugelassen für die Monotherapie fokaler und generalisierter Epilepsien
ab dem 6. Lebensjahr (ab dem 2. Lebensjahr als Zusatztherapie). Es wirkt über multiple
Mechanismen antikonvulsiv, u. a. hemmt es Glutamatrezeptoren und die Carboanhydrase,
erhöht den GABA-bedingten Chloridinflux in Nervenzellen und blockiert spannungsabhängige
Natriumkanäle. Seine Halbwertszeit beträgt 20–30 Stunden (steady state nach 4–8 Tage),
die Ausscheidung erfolgt vor allem renal. CBZ und PHT reduzieren die TPM-Halbwertszeit
um 50 %. Die zugelassene Dosis beträgt 50–500 mg/d, verteilt auf 2 Gaben, selten werden
jedoch mehr als 300 mg/d im klinischen Alltag benötigt. Die erste Dosis beträgt üblicherweise
25 mg/d. Die Responder-Rate in der Add-on-Therapie liegt bei 35 % bis 50 % [44], eine 12-monatige Anfallsfreiheit fand sich bei 60 % bis 75 % der Patienten unter
TPM-Monotherapie [45]. Relevante Nebenwirkungen sind dosisabhängige, reversible kognitive Einschränkungen
inklusive Sprachstörungen (gut und schnell messbar in 5–10 Minuten im klinischen Alltag
mit kurzen neuropsychologischen Tests, wie dem EpiTrack), akrale und orale Parästhesien
sowie die Entwicklung von Nierensteinen. TPM zeigte in einer rezenten Auswertung der
EURAP-Datenbank bei einer kleinen Fallzahl ein gering erhöhtes Fehlbildungsrisiko
in der Monotherapie [22], es gibt jedoch Hinweise auf eine intrauterine Wachstumsverzögerung. TPM ist ein
sehr wirksames Antianfallsmedikament und kann bei allen Epilepsieformen eingesetzt
werden, jedoch können unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Denkverlangsamung und
Wortfindungsstörungen therapielimitierend sein (v. a. bei Tagesdosen über 100 mg).
Gabapentin (GBP) ist zur Therapie von fokalen Epilepsien zugelassen. Es wirkt auf
präsynaptische Kalziumkanäle und besitzt nur wenige Arzneimittelinteraktionen. Seine
antikonvulsive Wirksamkeit ist eher gering (Add-on-Responderrate 25 %) [46], die Wirksamkeit war in der SANAD-Studie geringer als die von CBZ und LTG. Aufgrund
der guten Verträglichkeit kann es bei älteren Patienten eingesetzt werden, nachteilig
ist jedoch die aufgrund der kurzen Halbwertzeit erforderliche tägliche Dreimalgabe.
Pregabalin (PGB) wirkt ebenso wie Gabapentin als Hemmer von präsynaptischen Kalziumkanälen
und hat wie dieses, trotz des Namens, keine direkte GABAerge Wirkung. PGB ist zur
Zusatztherapie fokaler Epilepsien zugelassen, zudem bei neuropathischen Schmerzen
und generalisierter Angststörung. Es hat eine Halbwertszeit von 5–6 Stunden, eine
relevante Metabolisierung findet nicht statt. PGB wird überwiegend unverändert renal
ausgeschieden, weswegen die Dosis bei Niereninsuffizienz ggf. anzupassen ist. Es besitzt
nur wenige Arzneimittelinteraktionen. In Add-on-Therapiestudien zeigte sich eine Responderrate
von 40 % bis 50 % [47], in einer direkten Monotherapievergleichsstudie war es jedoch LTG unterlegen [48].
Perampanel (PER) wirkt als AMPA-Rezeptorantagonist. Es ist das erste Antianfallsmedikament
mit diesem Wirkmechanismus auf dem deutschen Markt. PER ist zugelassen für die Zusatztherapie
fokaler Epilepsien und generalisierter Epilepsien bei Vorliegen primär generalisierter
(bilateral) tonisch-klonischer Anfälle, jeweils ab dem 12. Lebensjahr. Die Halbwertszeit
ist mit 105 Stunden recht lang, der steady state wird nach 2–3 Wochen erreicht [49]. PER wird vor allem über das Cytochrom P450(CYP)-System metabolisiert und unterliegt
damit einer Interaktion mit den Antianfallsmedikamenten CBZ, OXC, PHT und TPM (erhöhte
PER-Metabolisierung). VPA, LEV und ZNS scheinen keinen relevanten Einfluss auf die
PER-Clearance zu haben. Bei Komedikation zu OXC kann die Serumkonzentration von OXC
um bis zu 30 % steigen [50]. PER kann nur oral als Tablette und Suspension verabreicht werden. Die Therapie
bei Erwachsenen wird üblicherweise mit 2 mg/d begonnen, die erste Zieldosis liegt
bei 4–8 mg/d (maximal 12 mg/d). In der Add-on-Therapie werden Responderraten von 30
% bis 40 % für fokale Anfälle und 64 % für bilateral tonisch-klonische Anfälle erreicht
[51]. Ein Vorteil, auch in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen, wie Schwindel und Müdigkeit,
ist die einmal tägliche Einnahme abends, am besten unmittelbar vor dem Zubettgehen.
Ebenfalls auftreten kann Aggression [52]. Die Einsatzmöglichkeit bei generalisierten Epilepsien sowie der neue Wirkmechanismus
stellen einen Therapiefortschritt dar. Die mitunter therapielimitierenden Nebenwirkungen
können durch Wahl des Einnahmezeitpunktes und langsame Eindosierung abgemildert werden.
Die Antianfallsmedikamente Vigabatrin, Rufinamid, Felbamat und Stiripentol sind nur
für spezielle Epilepsiesyndrome oder als Reservemedikamente zugelassen, wir verweisen
hier auf andere Übersichtsstudien [53]–[57].
Cannabidiol (CBD) ist ein antikonvulsiv wirksames Cannabinoid, welches jedoch nicht
maßgeblich auf die Endocannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 wirkt und keinen psychotropen
Effekt aufweist. Der genaue antikonvulsive Mechanismus ist noch unbekannt. CBD zeigte
in prädefinierter Dosierung von 10 bis 20 mg/kg Körpergewicht in 2 Studien eine moderate
Wirksamkeit bei bestimmten Anfällen beim Lennox-Gastaut- [58] und Dravet-Syndrom [59]. Belastbare Daten in der Behandlung anderer Epilepsieformen oder bei Erwachsenen
fehlen noch. CBD ist in den USA bereits durch die FDA zugelassen. Eine Zulassung in
Europa durch die EMA wird in den nächsten 12 Monaten erwartet. Ein antikonvulsiver
Effekt von Tetrahydrocannabinol (THC) konnte nicht nachgewiesen werden [60].
Akuttherapie von epileptischen Anfällen, Anfallsserien und Status epilepticus
Epileptische Anfälle sind in der Regel selbstlimitierend und dauern im Durchschnitt
etwa 2 Minuten [61]. Prolongierte epileptische Anfälle ab einer Dauer von 5 Minuten bei generalisiert
tonisch-klonischen Anfällen beziehungsweise ab einer Dauer von 10 Minuten bei fokalen
Anfällen oder Absencen werden nach den neuesten Empfehlungen der ILAE (International
League Against Epilepsy) als Status epilepticus definiert und sollten zu diesem Zeitpunkt
behandelt werden [62], da ein längerer Status mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [63], [64]. Dabei erfolgt die Ersttherapie immer mit Benzodiazepinen, wobei verschiedene Darreichungsformen
und Wirkstoffe zur Verfügung stehen.
In den Leitlinien der DGN zum Status epilepticus [65] wird als Mittel der Wahl Lorazepam i. v. in einer Dosierung von 0,05 bis 0,1 mg
pro Kilogramm Körpergewicht (KG) bei Gabe durch einen Arzt oder bis zu einer Gesamtdosis
von 2 bis 4 mg bei Gabe durch einen Rettungsassistenten empfohlen. Lorazepam hat im
Vergleich zu anderen Benzodiazepinen eine relativ lange intrazerebrale Halbwertszeit
([
Tab. 2
]) und hat sich in Studien als gut verträglich und wirksam herausgestellt [66], [67]. In der Schweiz und in Frankreich wird als Mittel der Wahl Clonazepam als langsame
Bolusinjektion in einer Dosierung von 0,015 mg/kg KG empfohlen, welches ebenfalls
eine relativ lange intrazerebrale Halbwertszeit aufweist. In einer multizentrischen
prospektiven Beobachtungsstudie zur Behandlung des Status epilepticus in deutschsprachigen
Ländern (SENSE-Register) zeigte sich jedoch, dass Lorazepam in der Initialtherapie
häufiger unterdosiert verabreicht wurde als Clonazepam und somit mit einem schlechteren
Outcome des SE vergesellschaftet war [68], [69]. Neben Lorazepam und Clonazepam können auch noch andere Benzodiazepine intravenös
eingesetzt werden ([
Tab. 2
]).
Tab. 2
Übersicht über intravenöse Benzodiazepine (nach Daten aus [70], [71]).
|
Midazolam
|
Lorazepam
|
Clonazepam
|
Diazepam
|
Initialdosis (mg) beim Erwachsenen1
|
5–10, fraktioniert in 2- bis 3-mg-Schritten
|
2–4
|
1
|
10
|
Empfohlene intravenöse Dosierung (mg/kg KG)
|
0,1
|
0,05–0,1
|
0,015
|
0,15
|
Maximaldosis (mg)
|
20
|
8
|
3
|
30
|
Halbwertszeit (Stunden)
|
3–4
|
12–16
|
30–40
|
20–1002
|
Interaktionen
|
wenige
|
wenige
|
viele
|
viele
|
Gewebetoxizität
|
gering
|
gering
|
gering
|
gering
|
KG: Körpergewicht; 1Um eine Unterdosierung zu vermeiden, ist die erneute Gabe von Lorazepam und Diazepam
über die typische Initialdosis (entspricht 1–2 Ampullen) hinaus vorzunehmen (CAVE:
Atemdepression). 2aufgrund der schnellen Umverteilung liegt eine kurze Wirkdauer im ZNS vor
Neben der intravenösen Darreichungsform stehen noch andere Applikationswege für die
Verabreichung von Benzodiazepinen zur Verfügung, welche insbesondere außerhalb des
Krankenhauses in der Initialtherapie durch medizinische Laien Anwendung finden. Die
beste Evidenz existiert dabei bislang für die Gabe von intramuskulärem Midazolam,
welches in einer randomisierten kontrollierten Studie zu einer signifikant höheren
Anfallsunterbrechungsrate im Vergleich zur Gabe von Lorazepam i. v. geführt hat. Die
Autoren schlussfolgerten, dass dies in der kürzeren Zeit bis zur Applikation begründet
lag, da die Etablierung eines intravenösen Zuganges lange dauern kann [72]. Die längste Erfahrung besteht für Diazepam-Rektiolen, welche seit den 1990er-Jahren
als Standardtherapie zur Anfallsdurchbrechung etabliert sind. Auch hierfür wurden
in mehreren Studien die Sicherheit und Wirksamkeit bestätigt [73]. Problematisch ist jedoch die soziale Stigmatisierung aufgrund der rektalen Verabreichung.
In Studien konnte zudem die Gleichwertigkeit oder Überlegenheit von intranasalen und
bukkalen Applikationen von Midazolam oder Lorazepam im Vergleich zu rektalem Diazepam
bzw. intravenösem Lorazepam gezeigt werden [74]–[76]. In Deutschland steht bukkales Midazolam als verschreibungsfähiges Handelspräparat
mit einer Zulassung für Kinder und Jugendliche (< 3 Monate bis < 18 Jahre) zur Verfügung.
Intranasales Midazolam wird in Deutschland im Video-EEG-Monitoring regelhaft eingesetzt
und kann in Apotheken auf Rezept angefertigt werden. Entsprechende Rezept- und Herstellungsdetails
sind in der Studie von Kay et al. veröffentlicht worden [77]. Aufgrund der langen Resorptionshalbwertszeit oral verfügbarer Benzodiazepine von
etwa 20 Minuten sind diese in der Akuttherapie epileptischer Anfälle nicht zu empfehlen
(Lorazepam sublingual, Clonazepam oral, Diazepam oral), werden klinisch jedoch oft
verordnet [78] ([
Tab. 3
]).
Tab. 3
Übersicht über nicht intravenöse Benzodiazepine
|
Midazolam bukkal
|
Midazolam intranasal
|
Midazolam intramuskulär
|
Diazepam rektal
|
Initialdosis beim Erwachsenen (mg)
|
10
|
5–10
|
10
|
5–10
|
Empfohlene Dosierung (mg/kg KG)
|
0,2
|
0,2
|
0,05–0,15
|
0,2
|
Maximaldosis (mg)
|
10
|
15
|
15
|
30
|
Nebenwirkungen, Besonderheiten
|
Vergleichsweise teuer
|
Nasale Irritationen, muss in Apotheke angefertigt werden
|
Schmerzhafte Injektion
|
Soziale Stigmatisierung
|
Fokale Epilepsien können mit fast allen Antianfallsmedikamenten behandelt werden.
Eine Wirküberlegenheit eines Medikamentes ist – mit wenigen Ausnahmen – meist nicht
belegt. Deswegen sollte die Therapie mit dem Patienten hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils,
der Begleiterkrankungen, der Komedikation und sozialer Aspekte (Schwangerschaftswunsch!)
ausgewählt werden. In der Regel werden Levetiracetam oder Lamotrigin zur initialen
Therapie verwendet. Auch bei genetischen generalisierten Epilepsien (GGE) sind diese
Faktoren zu bedenken. Hier kommen Levetiracetam, Lamotrigin, Valproat, Ethosuximid,
Topiramat, Perampanel und (off label, aber mit guten Daten aus Japan und den USA)
Zonisamid infrage. Natriumkanalblocker wie Carbamazepin oder Medikamente wie Gabapentin
oder Pregabalin können bei GGE prokonvulsiv wirken und sogar einen Status epilepticus
auslösen. Neuere Antianfallsmedikamente zeigten keine Wirküberlegenheit, sind aber
meist besser verträglich. Dem gegenüber stehen höhere Tagestherapiekosten der meisten
neueren Medikamente [36], [79]. Sie erweitern aber das Spektrum der individuell einsetzbaren Antianfallsmedikamente
und damit die Chance einer gut verträglichen und individuell erfolgreichen Pharmakotherapie.
Bei prolongierten epileptischen Anfällen bedarf es einer schnellen und ausreichend
hoch dosierten Gabe von Benzodiazepinen, um so einen therapierefraktären Verlauf abwenden
zu können und zu einem besseren Outcome beizutragen. Um Therapieverzögerungen zu vermeiden,
sollten insbesondere nicht intravenöse Darreichungsformen berücksichtigt werden. Randomisierte
kontrollierte Studien zum Vergleich der unterschiedlich verabreichten Benzodiazepine
sind weiterhin ausstehend.
Verantwortlicher ärztlicher Herausgeber
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbedingungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk, Frankfurt am Main.