Dysphagien sind eine häufige und potenziell lebensbedrohliche Komplikation bei langzeitbeatmeten
tracheotomierten Patienten. Denn sie können zu Aspiration (Eindringen von Speichel
und Nahrung in die Luftwege) und einer sich daraus entwickelnden Pneumonie führen
[1]. Bevor diese Patienten auf orale Ernährung umgestellt und mit einem Sprechventil
versehen werden, muss daher unbedingt die Schluckfähigkeit geprüft werden.
Was führt zur Schluckstörung bei Intubation und geblockter Trachealkanüle?
Was führt zur Schluckstörung bei Intubation und geblockter Trachealkanüle?
Bereits eine prolongierte endotracheale Intubation ≥ 48 h ist – unabhängig von der
zugrunde liegenden kritischen Erkrankung – ein eigenständiger Prädiktor für eine Dysphagie
[2]
[3]. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von Stimmlippenulzerationen und laryngealen
Ödemen bis hin zu Muskelatrophie und einer reduzierten Propriozeption [4], welche die Schluckreflexauslösung verzögern und die laryngeale Elevation beeinträchtigen
können.
Eine geblockte Trachealkanüle bietet Vorteile gegenüber einem Tubus: So beugt sie
u. a. Larynxschäden vor, ermöglicht durch transstomatale Absaugung eine effektivere
Tracheo-Bronchial-Toilette, erfordert keine Sedierung und bietet (vor allem unter
Entblockung mit Sprechventilaufsatz) eine gute visuelle Kontrolle über Menge und Zeitpunkt
von Aspiration [5]. Ihre Nachteile sind jedoch vor allem im Hinblick auf Schluckfunktionen zahlreich
(vgl. [Abb. 1]):
Abb. 1 Mechanismen bei der Entwicklung einer Dysphagie bei Patienten mit geblockter Trachealkanüle
(TK): Ein fehlender physiologischer Luftstrom durch Pharynx und Larynx führt zur Desensitivierung
und Deprivation von Schluck- und Hustenreflex. Dadurch erhöht sich das Risiko für
(vor allem stille) Aspiration. Aspirat wiederum kann nicht effektiv abgehustet werden
und verbleibt in der stark keimbelasteten „Jammerecke“ oberhalb des Cuffs. Der geblockte
Cuff wirkt als „Anker“ und kann die natürliche Kehlkopfhebung derart einschränken,
dass der obere Ösophagussphinkter (oÖS) nicht mehr suffizient öffnet, Speichel und
Nahrung sich aufstauen und durch die ubiquitär reduzierte Sensibilität vermehrt aspiriert
werden.
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Eine länger liegende geblockte Trachealkanüle vermehrt die Schleimproduktion und vermindert
die natürliche Larynxhebung während des Schluckens. So können Speichel und Nahrung
leichter aspiriert werden. Die Larynxelevation kann unter Umständen so stark eingeschränkt
sein, dass der obere Ösophagussphinkter nicht mehr suffizient öffnet [1].
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Ein physiologischer Luftstrom durch Larynx, Pharynx, Nase und Mundraum ist ein wichtiger
Anreiz, um das Spontanschlucken auszulösen. Fehlt dieser Reiz, sinkt die Schluckfrequenz
rapide ab [6]. Zudem führt der fehlende Luftstrom zu ausgeprägten Sensibilitätsbeeinträchtigungen
aufgrund mangelnder Stimulation von Chemo- und Druckrezeptoren in der Larynxschleimhaut,
sodass Schluck- und Hustenreflex deprivieren können [7]. Durch eine fehlende laryngeale Sprengung und einen unzureichenden intrathorakalen
Druckaufbau kann aspiriertes Material zudem nicht effektiv abgehustet werden.
Das bedeutet, dass alle via Trachealkanüle invasiv langzeitbeatmeten Patienten unabhängig
von der Art ihrer kritischen Erkrankung ein hohes Risiko für die Entwicklung einer
Schluckstörung haben [8], die wiederum mit einem schlechten Outcome und einer erhöhten Letalität assoziiert
ist [9].
Insbesondere ältere langzeitbeatmete Patienten haben ein erhöhtes Aspirationsrisiko
aufgrund ihrer reduzierten kardiopulmonalen, neuromuskulären und metabolischen Reservekapazitäten
[10] sowie oft zahlreicher Komorbiditäten [11]. Zudem leiden 50 % der Patienten, die zum Zeitpunkt ihres Erwachens > 7 Tage beatmet
wurden, unter einer „ICU-acquired weakness“ (ICUAW) [12], die meist auch die Atemmuskulatur betrifft, sowie an einer Atrophie des Zwerchfells
(ventilator induced diaphragmatic dysfunction, VIDD) infolge von Inaktivierung [13]. Eine verminderte muskuläre Kraft verzögert wiederum das Weaning und potenziert
die Dysphagie, da aspiriertes Material und Sekret hierdurch nicht effektiv abgehustet
werden können.
Dennoch werden viele Patienten mit geblockter Trachealkanüle auf der Intensivstation
oralisiert oder mit einem Sprechventil versehen, ohne dass zuvor ihre Schluckfähigkeit
ausreichend untersucht wurde. In einer Studie von auf der Intensivstation oralisierten
Patienten (n = 43) zeigten am Aufnahmetag in die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation
65 % eine schwere Dysphagie mit Aspiration; 71 % dieser Patienten aspirierten sogar
still, d. h. ohne klinische Anzeichen, aufgrund der pharyngolaryngealen Sensibilitätsminderung
und des deprivierten Hustenreflexes [14].
Eine Schluckuntersuchung ist vor oraler Nahrungsgabe dringend indiziert!
Eine Schluckuntersuchung ist vor oraler Nahrungsgabe dringend indiziert!
Vor dem Wechsel auf eine (ungeblockte) Sprechkanüle, dem Aufsatz eines Sprechventils
und einer oralen Ernährung sollte bei allen tracheotomierten Patienten unbedingt die
Schluckfähigkeit geprüft werden. Dies ist auch bei beatmeten Patienten möglich.
Entsprechend der S1-Leitlinie „Neurogene Dysphagien“ der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie (DGN) [15] und der aktuellen S2k-Leitlinie „Prolongiertes Weaning in der neurologisch-neurochirurgischen
Frührehabilitation“ der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) [16] bieten sich hierfür prinzipiell 2 diagnostische Verfahren an.
Apparative Schluckdiagnostik
Die apparative Schluckdiagnostik kann mittels FEES (= Flexible Endoscopic Evaluation
of Swallowing, [Abb. 2]) transnasal sowie zusätzlich transstomatal erfolgen [17]. Zur Schweregradeinteilung von Penetration und Aspiration hat sich die Penetrations-Aspirations-Skala
(PAS) von Rosenbek et al. etabliert [18] ([Tab. 1]).
Abb. 2 FEES-Befunde (FFES = Flexible Endoscopic Evaluation of Swallowing) nach Gabe eines
angefärbten Bolus. a Phyiologischer Befund: postdeglutitiv keine Bolusresiduen. b Pathologischer Befund: ubiquitär Bolusresiduen, die nachfolgend aspiriert werden
können.
Tab. 1
Penetrations-Aspirations-Skala (PAS) [17].
Grad
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1
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Material penetriert nicht
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2
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Material penetriert, liegt oberhalb der Glottis, wird aus dem Aditus laryngis entfernt
(Räuspern/Husten)
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3
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Material penetriert, liegt oberhalb der Glottis, wird nicht aus dem Aditus laryngis
entfernt
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4
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Material penetriert, liegt auf den Stimmlippen, wird aus dem Aditus laryngis entfernt
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5
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Material penetriert, liegt auf den Stimmlippen, wird nicht aus dem Aditus laryngis
entfernt
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6
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Material wird aspiriert, wird in den Aditus laryngis oder weiter nach oben befördert
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7
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Material wird aspiriert, kann trotz Anstrengung nicht aus der Trachea herausbefördert
werden
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8
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Material wird aspiriert, kein Versuch, es aus der Trachea herauszubefördern
|
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Bei PAS Grad 1 – 2 ist eine komplikationslose orale Ernährung und Entblockung der
Trachealkanüle möglich.
-
Zeigt sich in der FEES eine Penetration oder Aspiration mit noch vorhandenen Schutzreflexen
(PAS Grad 3 – 6), sollten vorerst eine enterale Ernährung sowie eine logopädische
Schlucktherapie erfolgen. Die Trachealkanüle kann zur Verbesserung der Sensibilität
mittels physiologischer Luftstromlenkung in der Therapie minuten- oder stundenweise
entblockt werden. Jedoch ist die Qualität des Speichelabschluckens bei fluktuierendem
Allgemeinzustand regelmäßig zu evaluieren.
-
Fehlen Schutzreflexe oder sind diese insuffizient (PAS Grad 7 – 8 mit stiller Aspiration),
muss neben enteraler Ernährung die Trachealkanüle zum Schutz der Atemwege geblockt
werden.
Klinische Schluckdiagnostik
Als nicht apparative und einfach zu applizierende Alternative zur Beurteilung von
Aspiration bietet sich ein Speichel- oder Bolusfärbetest an, der eine hohe Sensitivität
und Spezifität hat. Bei diesem werden einige Tropfen eines grünen oder blauen Lebensmittelfarbstoffs
auf dem hinteren Teil der Zunge platziert [19]
[20]. Der Cuff sollte hierfür möglichst entblockt und ein Sprechventil aufgesetzt werden,
damit zudem Stimmqualität („wet dysphonia“ bei Penetration) und die Effektivität des
Hustenstoßes beurteilt werden können. Da aber auch ein geblockter Cuff nie zu 100 %
dicht ist und bereits nach 15 min für aspiriertes Material durchlässig wird [21], ist die Aspiration des Farbstoffs häufig auch bei geblocktem Cuff sichtbar ([Abb. 3]).
Abb. 3 Positiver Speichelfärbetest bei einem Patienten mit ausgeprägter stiller Aspiration
(PAS Grad 8). Trotz optimaler Blockung nach 30 min deutlich sichtbare Aspiration des
Anfärbemittels. Dauerblockung der Trachealkanüle, enterale Ernährung sowie logopädische
Therapie erforderlich.
Voraussetzungen für eine orale Ernährung
Voraussetzungen für eine orale Ernährung
Generell sollte mit einer Oralisierung erst dann begonnen werden, wenn ein Patient
-
ausreichend wach und kognitiv wenig beeinträchtigt ist,
-
reflektorisch und/oder willkürlich abhusten kann,
-
keine akuten pulmonalen Komplikationen/Infekte bestehen und
-
die Trachealkanüle entblockt und mit einem Sprechventil versehen werden kann.
Auf eine Nahrungsgabe bei geblockter Trachealkanüle sollte möglichst verzichtet werden,
da unter Blockung Aspiration von Nahrung unter Umständen nicht bemerkt wird (z. B.
wenn ein fester Bolus auf dem Cuff liegen bleibt) und der Patient aspiriertes Material
nicht physiologisch abhusten kann, auch wenn die Sensibilität hierfür ausreichend
sein mag. Zudem sind vor allem
die Schlüsselkomponenten eines effektiven Schluckaktes [6].
Ist eine Entblockung nicht möglich (z. B. bei beatmeten Patienten), sollte eine orale
Nahrungsgabe nur nach apparativer (FEES) oder klinischer Schluckuntersuchung (Speichelfärbetest)
erfolgen.
Eine dauergeblockte Trachealkanüle ist daher prinzipiell keine absolute Kontraindikation
gegen eine orale Ernährung: Falls es nicht möglich ist, einen Patienten aufgrund respiratorischer
Probleme nicht vom Beatmungsgerät zu diskonnektieren oder die Trachealkanüle zu entblocken,
er jedoch wach sowie kognitiv unbeeinträchtigt ist und nicht aspiriert, kann er selbstverständlich
oralisiert werden.
Schlussfolgerungen
Schluckstörungen mit Aspiration von Speichel und Nahrung sind eine häufige Komplikation
bei tracheotomierten Patienten nach Langzeitbeatmung, unabhängig von der zugrunde
liegenden kritischen Erkrankung [8]. Ursächlich sind u. a. ubiquitäre Sensibilitätsbeeinträchtigungen sowie eine Deprivation
von Schluck- und Hustenreflex durch den fehlenden pharyngolaryngealen Luftstrom infolge
einer über längere Zeit geblockten Trachealkanüle. Eine orale Nahrungsgabe ohne vorherige
Abklärung von Schluckvermögen und Aspirationsausmaß ist deshalb grob fahrlässig.
Selbstverständlich ist eine orale Ernährung im Hinblick auf Lebensqualität, Selbstständigkeit
und soziale Teilhabe anzustreben – jedoch nicht um den Preis von Aspiration und damit
einhergehenden respiratorischen und infektiologischen Komplikationen. Im Rahmen eines
logopädischen Trachealkanülen-Managements kann die Sensibilität durch schrittweises
Entblocken der Trachealkanüle und physiologische Luftstromlenkung meist sukzessiv
wiederhergestellt werden [1]
[16].
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Alle tracheotomierten langzeitbeatmeten Patienten haben aufgrund des fehlenden pharyngo-laryngealen
Luftstromstimulus ein hohes Risiko, eine Dysphagie zu entwickeln.
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Häufig kommt es hierbei zu stiller Aspiration, die potenziell lebensbedrohlich ist.
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Vor einer oralen Nahrungsgabe ist daher unbedingt eine Schluckuntersuchung durchzuführen
– entweder apparativ mittels FEES oder klinisch mittels Speichelfärbetest (am effektivsten
unter Entblockung mit Sprechventilaufsatz).