Schlüsselwörter
Leitlinien - chronisches Koronarsyndrom - Vortestwahrscheinlichkeit
Key words
guidelines - chronic coronary syndrome - pre-test probability
Einleitung
Symptomatische Patienten, bei denen der Verdacht auf eine obstruktive koronare Herzerkrankung
(KHK) besteht, sind häufig. Die mit der Abklärung einhergehenden Kosten für das Gesundheitssystem
sind nicht unerheblich. Objektive, möglichst nicht invasive Testverfahren sind notwendig,
um – bei den oft variablen oder untypischen Symptomen – eine valide Diagnose stellen
zu können. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology,
ESC) hat ihre zuletzt 2013 aktualisierten Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der
stabilen KHK [1] kürzlich angepasst [2]. Dabei wurde vor allem die nicht invasive bildgebende Diagnostik im Vergleich zur
invasiven Herzkatheterdiagnostik weiter gestärkt. Deshalb sollen in diesem Artikel
die wesentlichen Neuerungen in Bezug auf die Nutzung bildgebender Verfahren vorgestellt
werden, um Patienten beurteilen zu können, bei denen der Verdacht auf eine KHK besteht
bzw. ein chronisches Koronarsyndrom (CCS) bekannt ist.
Neues Modell zur Abschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit und Einführung der klinischen
Wahrscheinlichkeit für eine KHK
Die ursprüngliche Bezeichnung „stabile KHK“ aus den 2013er-Leitlinien [1], [2], [3], [4], [5] wurde zugunsten der Einteilung nach der oft klinischen Manifestation in akutes (ACS)
versus chronisches Koronarsyndrom (CCS) aufgegeben. In den 2019er-Leitlinien wird
damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass es sich bei der KHK eher um eine chronisch
progrediente Erkrankung, also eher um einen dynamischen als um einen statischen bzw.
„stabilen“ Prozess handelt. Veränderungen beim CCS können grundsätzlich durch Änderungen
des Lebensstils oder medikamentöse und/oder invasive Therapien stabilisiert oder sogar
zurückgebildet werden [2], [3]. In den neuen 2019er-ESC-Leitlinien zum CCS werden 6 klinische Szenarien hervorgehoben
[3]:
-
Patienten mit Verdacht auf KHK und einer stabilen Angina pectoris und/oder Dyspnoe
-
Patienten mit neu aufgetretener Herzinsuffizienz oder linksventrikulärer (LV) Dysfunktion
und Verdacht auf KHK
-
asymptomatische und symptomatische Patienten mit stabilisierten Symptomen < 1 Jahr
nach einem ACS oder kürzlicher Revaskularisation
-
asymptomatische und symptomatische Patienten > 1 Jahr nach der Erstdiagnose oder Revaskularisation
-
Patienten mit Angina pectoris und Verdacht auf eine vasospastische oder mikrovaskuläre
Erkrankung
-
asymptomatische Patienten, bei denen eine KHK beim Screening entdeckt wurde
Vorgehen bei Verdacht auf ein CCS
Nach den aktuellen Leitlinien ist beim Verdacht auf eine KHK schrittweise vorzugehen
([Abb. 1]):
-
Zuerst müssen eine instabile KHK bzw. andere Formen eines ACS ausgeschlossen werden
[6].
-
Ist ein ACS ausgeschlossen, kann im nächsten Schritt eine ausführlichere Anamnese,
u. a. auch über Begleiterkrankungen und mögliche andere Ursachen für die Beschwerden,
erhoben werden.
-
Als Basistests schließen sich dann ein Ruhe-EKG und Laboruntersuchungen an. In einer
transthorakalen Ruhe-Echokardiografie (TTE) beurteilt man die linksventrikuläre Funktion
zur Evaluation von Wandbewegungsstörungen – hinweisend auf eine KHK – und bestimmt
die linksventrikuläre Ejektionsfraktion zur Risikoeinschätzung [3] bzw. die diastolische Funktion. Bei inkonklusiver Echokardiografie kann auch hier
ggf. bereits eine kardiale MRT durchgeführt werden [3].
-
Im Weiteren ermittelt man – wie bereits in den 2013er-Leitlinien [2] – die Vortestwahrscheinlichkeit einer obstruktiven KHK. Darauf beruht dann die weitere
Strategie für die Wahl des diagnostischen Verfahrens.
-
Für den Fall einer Bestätigung der Verdachtsdiagnose KHK mittels eines diagnostischen
Tests schließt sich – insbesondere bei Hochrisikopatienten – noch eine Risikoeinschätzung
an, ob eine Revaskularisation auch jenseits der reinen Symptomverbesserung einen Benefit
für den Patienten darstellt ([Abb. 1]).
Abb. 1 Schrittweises diagnostisches Prozedere bei symptomatischen Patienten mit Verdacht
auf ein CCS (Datenquelle: [2], [3]); ACS = akutes Koronarsyndrom, TTE = transthorakale Echokardiografie, PTP = „pre-test
probability“ = Vortestwahrscheinlichkeit.
Bestimmung von Vortestwahrscheinlichkeit und „klinischer Wahrscheinlichkeit“ einer
KHK
Die Bestimmung der Vortestwahrscheinlichkeit („pre-test probability“, PTP) beruht
auch weiterhin auf den 3 Säulen [7] Alter, Geschlecht und Symptomcharakteristik ([Tab. 1], [Tab. 2], [Tab. 3]). Neu ist allerdings, dass das Symptom Luftnot bzw. Dyspnoe als eigenständige Beschwerdekategorie
in die Berechnung mit aufgenommen wurde ([Tab. 3]).
Tab. 1 Abschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit (PTP) für das Vorliegen einer KHK mittels
der 3 Parameter Alter, Geschlecht und Symptomatik aus dem kardialen MRCT-Registry
der European Society of Cardiovascular Radiology (ESCR) [7] entsprechend den ESC-Leitlinien von 2013 [1].
Alter
|
Geschlecht
|
typische Angina pectoris
|
atypische Angina pectoris
|
nicht anginöse Brustschmerzen
|
asymptomatisch
|
< 39 Jahre
|
Männer
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
Frauen
|
intermediäre PTP
|
sehr niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
40 – 49 Jahre
|
Männer
|
hohe PTP
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
Frauen
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
50 – 59 Jahre
|
Männer
|
hohe PTP
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
Frauen
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
sehr niedrige PTP
|
> 60 Jahre
|
Männer
|
hohe PTP
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
Frauen
|
hohe PTP
|
intermediäre PTP
|
intermediäre PTP
|
niedrige PTP
|
Tab. 2 Abschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit (PTP) [in %] für das Vorliegen einer KHK
entsprechend den ESC-Leitlinien von 2013 [1].
Alter
|
typische Angina pectoris
|
atypische Angina pectoris
|
nicht anginöse Brustschmerzen
|
Männer
|
Frauen
|
Männer
|
Frauen
|
Männer
|
Frauen
|
30 – 39 Jahre
|
59%
|
28%
|
29%
|
10%
|
18%
|
5%
|
40 – 49 Jahre
|
69%
|
37%
|
38%
|
14%
|
25%
|
8%
|
50 – 59 Jahre
|
77%
|
47%
|
49%
|
20%
|
34%
|
12%
|
60 – 69 Jahre
|
84%
|
58%
|
59%
|
28%
|
44%
|
17%
|
70 – 79 Jahre
|
89%
|
68%
|
69%
|
37%
|
54%
|
24%
|
> 80 Jahre
|
93%
|
76%
|
78%
|
47%
|
65%
|
32%
|
Tab. 3 Abschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit (PTP) [in %] für das Vorliegen einer KHK
entsprechend den 2019er-ESC-Leitlinien [2] mit deutlich verringerter Prävalenz.
Alter
|
typische Angina pectoris
|
atypische Angina pectoris
|
nicht anginöse Brustschmerzen
|
Dyspnoe
|
Männer
|
Frauen
|
Männer
|
Frauen
|
Männer
|
Frauen
|
Männer
|
Frauen
|
30 – 39 Jahre
|
3%
|
5%
|
4%
|
3%
|
1%
|
1%
|
0%
|
3%
|
40 – 49 Jahre
|
22%
|
10%
|
10%
|
6%
|
3%
|
2%
|
12%
|
3%
|
50 – 59 Jahre
|
32%
|
13%
|
17%
|
6%
|
11%
|
3%
|
20%
|
9%
|
60 – 69 Jahre
|
44%
|
16%
|
26%
|
11%
|
22%
|
6%
|
27%
|
14%
|
> 70 Jahre
|
52%
|
27%
|
34%
|
19%
|
24%
|
10%
|
32%
|
12%
|
Die erste Berechnung der Vortestwahrscheinlichkeit nach dem modifizierten Diamond-Forrester-Modell
beruhte auf den 2011 veröffentlichten Daten von Genders et al. [8]. Neuere Studien, vor allem prospektive CT-Studien wie PROMISE und SCOT-Heart [9], [10], [11], [12], [13], zeigten in den letzten Jahren jedoch, dass die Prävalenz der KHK niedriger ist
als bisher angenommen bzw. dass sie sich in den letzten Jahren verringert hat.
Die gepoolte Analyse [12] dreier aktueller Kohortenstudien, in denen Patienten mit Verdacht auf KHK untersucht
wurden, zeigte, dass die Werte für die Vortestwahrscheinlichkeit, bestimmt nach Alter,
Geschlecht und Symptomcharakteristik, nur noch ungefähr ein Drittel so hoch waren
wie die ursprünglich in den alten Leitlinien angenommenen Werte ([Abb. 2]).
Merke
Die Vortestwahrscheinlichkeiten für eine KHK liegen in den aktuellen Kohorten nur
noch bei etwa ⅓ der 2013 angenommenen Werte.
Abb. 2 Übersicht der Änderungen der Vortestwahrscheinlichkeiten (PTP) von > 50%igen Koronarstenosen
in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter und Symptomatik (Datenquelle: [8], [12]). a Vortestwahrscheinlichkeiten für Männer auf > 50%ige Koronarstenosen in Abhängigkeit
von Alter und Symptomatik. b Vortestwahrscheinlichkeiten für Frauen auf > 50%ige Koronarstenosen in Abhängigkeit
von Alter und Symptomatik.
Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Wahl geeigneter diagnostischer Verfahren
zur Beurteilung des CCS:
-
Zum einen bedingt eine Überschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit (PTP) eine niedrigere
diagnostische Ausbeute eines Testverfahrens [3].
-
Des Weiteren bedingt eine niedrigere PTP auch insgesamt eine substanzielle Verminderung
der Notwendigkeit für alle Testverfahren bei Verdacht auf eine KHK.
Dies betrifft besonders invasive Verfahren wie die Herzkatheteruntersuchung, die nur
bei CCS-Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit > 85% indiziert war [1]. Dies hat sich mit den neuen Leitlinien [2] nicht grundsätzlich verändert.
Bei veränderter Prävalenz aus den aktuellen Kohortenstudien werden jedoch weniger
Patienten direkt für eine invasive Herzkatheterdiagnostik und mehr Patienten mit niedriger
intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit für nicht invasive Verfahren infrage kommen.
Deshalb heißt es in den neuen Leitlinien jetzt auch explizit [2]:
Info
„ … Die invasive Herzkatheteruntersuchung wird (nur noch) als alternativer Test zur
Diagnose einer KHK bei Patienten mit hoher klinischer Wahrscheinlichkeit und schweren,
therapierefraktären Symptomen oder bei typischer Angina bereits bei niedriger Belastungsstufe
und klinischer Evaluation, die ein hohes Ereignisrisiko erwarten lässt, eingesetzt.
Eine invasive funktionelle Beurteilung muss zur Verfügung stehen und vor Revaskularisation
durchgeführt werden, außer es handelt sich um sehr hochgradige, > 90% Diameterstenosen
…“
Das bedeutet, dass die ESC in den neuen Leitlinien nicht nur eine Abklärung der hämodynamischen
Relevanz einer Koronarstenose empfiehlt, sondern vor revaskularisierender Therapie auch bei der invasiven Diagnostik eindeutig
fordert [2], es sei denn, die Stenose sei mit > 90% eindeutig hochgradig.
Bei einer Reevaluation der Daten [9] der Kohortenstudie PROMISE (Prospective Multicenter Imaging Study for Evaluation of Chest Pain) ergab sich bei 50% der Patienten, bei denen die PTP ursprünglich
als intermediär eingestuft war, nach den neuen Kriterien nur noch eine Einstufung
als PTP < 15%. In den gepoolten Daten [12] betraf dies sogar 57% der Patienten.
Nach den herkömmlichen Strategien hätten diese Patienten überhaupt kein weiteres Testverfahren
benötigt, um eine hohe Anzahl falsch positiver Ergebnisse zu vermeiden. Randomisierte,
kontrollierte „Outcome“-Studien zu dieser „No-Test“-Strategie [3], die dieses Vorgehen rechtfertigen, fehlen jedoch bisher noch.
Weitere Studien haben gezeigt, dass Patienten, deren PTP nach den 2013er-Kriterien
unter 15% lag, jetzt eine „wahre“ Prävalenz von unter 5% aufwiesen [10], [11]. Daher wird es aufgrund fehlender aktueller Daten momentan noch als angemessen angesehen
[3], auch Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit zwischen 5 und 15% mittels nicht
invasiver bildgebender Verfahren zu untersuchen, da es am ehesten die aktuelle klinische
Praxis widerspiegelt. Patienten mit einer PTP unter 5% sollten aber nur aus zwingenden
anderen klinischen Gründen, z. B. bei ausgeprägtem kardiovaskulärem Risikoprofil,
untersucht werden ([Tab. 1] bis [3], [Abb. 2], [Abb. 3]).
Deshalb wurde in den aktuellen Leitlinien der neue Begriff „klinische Wahrscheinlichkeit“
einer KHK eingeführt, der neben den Faktoren für die Berechnung der PTP – Alter, Geschlecht
und Symptomcharakteristik – auch andere kardiovaskuläre Risikofaktoren einbezieht,
wie z. B. Ruhe-EKG-Veränderungen, positive Familienanamnese, Hyperlipoproteinämie,
Diabetes mellitus, Raucheranamnese und den Koronarkalk in der CT ([Abb. 3]).
Abb. 3 Abschätzung der „klinischen KHK-Wahrscheinlichkeit“ mithilfe der PTP-Abschätzung
und klinischer Risikofaktoren (Datenquelle: [2], [3]). LV-EF = linksventrikuläre Ejektionsfraktion, PTP = „pre-test probability“ = Vortestwahrscheinlichkeit.
In den aktuellen 2019er-Leitlinien wird nicht eindeutig beschrieben, wie diese zusätzlichen
Risikofaktoren zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer obstruktiven KHK genau
verwendet werden sollen. Um die Indikation für die Durchführung eines Testverfahrens
zu bestärken oder zu entkräften, sollten sie allerdings vor allem dann herangezogen
werden, wenn die PTP zwischen 5 und 15% liegt [3]. Dies wird nach den neuen Berechnungsgrundlagen bei einer größeren Anzahl von Patienten
der Fall sein.
Merke
Die Abschätzung der neu eingeführten „klinischen Wahrscheinlichkeit“ in den 2019er-ESC-Leitlinien
für das CCS ist vor allem für die jetzt große Gruppe von Patienten mit sehr niedriger
PTP zwischen 5 und 15% wichtig!
Auswahl des geeigneten Testverfahrens bei Verdacht auf KHK
In den neuen 2019er-Leitlinien werden im Wesentlichen 3 Diagnosepfade bei symptomatischen
Patienten mit Verdacht auf eine obstruktive KHK beschrieben. Dabei wird zwischen
Methoden unterschieden, die auch kombiniert eingesetzt werden können.
Der Diagnosepfad beginnt in Abhängigkeit von
-
der klinischen Symptomatik mit Bestimmung von PTP und „klinischer Wahrscheinlichkeit“,
-
der lokalen Verfügbarkeit von diagnostischen bildgebenden Verfahren und der entsprechenden
Expertise entweder mit einem nicht invasiven funktionellen, ischämienachweisenden
Verfahren wie SPECT, Stress-MRT, Stress-Echo oder PET oder dem nicht invasiven morphologischen
Verfahren der Koronar-CT oder einer invasiven Herzkatheteruntersuchung ([Abb. 4]).
Eine Risikofaktormodifikation sollte bei allen Patienten unabhängig vom Ergebnis des
Testverfahrens in Erwägung gezogen werden.
Abb. 4 Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus in Abhängigkeit von der „klinischen
Wahrscheinlichkeit“ auf das Vorliegen einer KHK (Datenquelle: [2], [3]).
Als eindeutige Klasse-I-Indikation (es besteht Evidenz, dass das Vorgehen für den
Patienten vorteilhaft, nützlich und effektiv ist [2]) wird zunächst ein nicht invasiver Test auf Ischämie oder eine Koronar-CT empfohlen,
wenn es sich um symptomatische Patienten handelt, bei denen eine obstruktive KHK durch
klinische Evaluation alleine nicht ausgeschlossen werden kann [2].
Es wird außerdem empfohlen, das zunächst eingesetzte Testverfahren in Abhängigkeit
von der PTP und zusätzlich der „klinischen Wahrscheinlichkeit“ für eine KHK, also
von weiteren Patientencharakteristika wie Risikofaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit
für eine KHK beim individuellen Patienten bestimmen ([Abb. 3]), auszuwählen [2], [3].
Die aktuellen ESC-Leitlinien gehen davon aus, dass jedem diagnostischen Test eine
ihm eigene spezifische Bandbreite der „klinischen Wahrscheinlichkeit“ einer obstruktiven
KHK innewohnt, in der der diagnostische Test seine maximale Nützlichkeit entfalten
kann. Bei einer gegebenen PTP und „klinischen Wahrscheinlichkeit“ einer KHK sowie
der spezifischen Spannbreite eines diagnostischen Tests kann auch die Nachtestwahrscheinlichkeit
ermittelt werden.
Wählt man dieses Vorgehen, dann ist die Koronar-CT der bevorzugte erste Test bei Patienten
mit niedriger bis intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit und niedriger „klinischer
Wahrscheinlichkeit“ einer KHK, wenn eine gute Bildqualität gewährleistet werden kann
([Abb. 4]).
Die nicht invasiven funktionellen Tests zum Ischämienachweis weisen üblicherweise
eine hohe „rule-in“-Power auf, weshalb sie sich besonders als funktioneller Test eignen,
wenn eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer Revaskularisation ansteht [3]. Deshalb sollten die nicht invasiven funktionellen Testverfahren vor allem bei Patienten
mit einer hohen intermediären PTP und höheren „klinischen Wahrscheinlichkeit“ einer
KHK oder bei bereits bekannter KHK eingesetzt werden. Des Weiteren kommen die funktionellen
Verfahren vor allem zum Tragen, wenn in der Koronar-CT eine Stenose mit unklarer hämodynamischer
Relevanz nachgewiesen wird oder eine nicht diagnostische Bildqualität vorliegt.
Die direkte invasive Herzkatheteruntersuchung wird mit den neuen Leitlinien nur noch
als Alternative zur nicht invasiven Testung bei hoher „klinischer Wahrscheinlichkeit“
und schweren, therapierefraktären Symptomen empfohlen.
Merke
Die neuen Leitlinien empfehlen somit vorrangig ein nicht invasives bildgebendes Verfahren
vor dem Belastungs-EKG als erstem Test bei Verdacht auf eine obstruktive KHK.
Dies spiegelt sich bereits jetzt in den aktuellen Häufigkeiten der Indikationen für
eine Koronar-CT bzw. Herz-MRT gemäß ESCR-MRCT-Registry wider ([Tab. 4]) [7], [14]. Dabei ist die Hauptindikation für eine Herz-CT der Verdacht auf eine KHK und für
eine Herz-MRT der Verdacht auf eine Myokarditis, dicht gefolgt vom Verdacht auf eine
KHK ([Tab. 4]) als zweithäufigster Indikation für eine Kardio-MRT.
Tab. 4 Hauptindikationen für ein Kardio-CT bzw. Kardio-MRT entsprechend den 2019er-Daten
des ESCR MRCT-Registry (nach 2019 ESCR Registry Booklet) – https://www.mrct-registry.org/
Indikation
|
Anzahl der Untersuchungen
|
Hauptindikationen für die Kardio-CT (Stand 01/01/2019) nach ESCR MRCT-Registry
|
Verdacht auf KHK
|
60 540 Untersuchungen
|
bekannte KHK
|
8 429 Untersuchungen
|
bekannte Klappenerkrankung
|
8 553 Untersuchungen
|
andere Indikationen
|
20 421 Untersuchungen
|
Summe
|
97 943 Untersuchungen
|
Hauptindikationen für die Kardio-MRT (Stand 01/01/2019) nach ESCR MRCT-Registry
|
Verdacht auf Myokarditis
|
30 224 Untersuchungen
|
Verdacht auf Kardiomyopathie
|
22 262 Untersuchungen
|
Verdacht auf KHK
|
27 002 Untersuchungen
|
bekannte KHK
|
23 304 Untersuchungen
|
andere Indikationen
|
41 682 Untersuchungen
|
Summe
|
144 474 Untersuchungen
|
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Matthias Gutberlet, Leipzig.