Was ist POCT?
Point of Care Testing (POCT) beschreibt die dezentrale, patientennahe, bettseitige
Labordiagnostik – also die Labordiagnostik direkt am Krankenbett. POCT-Systeme werden
im stationären und im ambulanten Bereich eingesetzt. Auch Selbsttestgeräte für Patienten
zählen zu den POCT-Systemen [1].
Derzeit sind die verfügbaren POCT-Verfahren überwiegend auf automatisch messbare Parameter
begrenzt. Dazu zählen z. B. die Parameter der Blutgasanalytik und die Bestimmung des
Blutglukosespiegels, die schon lange bettseitig bestimmt werden. Zurzeit werden für
mehr als 100 Einzelparameter POCT-Systeme angeboten.
Dank moderner technischer Entwicklungen stehen heute kleine („handheld“) Geräte zur
Verfügung. Mit diesen lassen sich ein oder mehrere Parameter (nacheinander oder parallel)
quantitativ bestimmen. Die benötigten chemischen Prüfmittel werden häufig fertig portioniert
und vorbereitet als Unit-use-Reagenzien angeboten [2].
Die rechtlichen Grundlagen zum Point of Care Testing regelt, neben dem Medizinproduktegesetz,
hauptsächlich die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung labormedizinischer
Untersuchungen (RiliBÄK) [3].
Vorteile
Die Geräte sind oft einfach bedienbar, und es ist keine Erfahrung oder Ausbildung
in Labormedizin erforderlich. Der Probentransport in das Labor und ggf. die Probenvorbereitung
entfallen. Der Bearbeitungszeitraum zwischen Indikationsstellung und der Verfügbarkeit
der Ergebnisse – die Turn-around Time (TAT) – wird deutlich kürzer. Die somit rascher
verfügbaren Testergebnisse können ggf. zu einer frühzeitigeren Entscheidung über die
weitere Therapie oder Diagnostik führen [2]. Die durchschnittliche TAT bei POCT-Verfahren wird mit 5 bis 15 Minuten angegeben
[4].
Limitierende Faktoren
Die Kosten für POCT-Messungen sind oft höher als diejenigen für entsprechende Untersuchungen
im zentralen Labor. Dieser Vergleich ist aber nur für den innerklinischen Bereich
interessant, da die Fixkosten für das zentrale Labor oft gleichzeitig bestehen bleiben
[2]. Im Rettungsdienst würden die Anschaffung und der Einsatz von Geräten zur patientennahen
Sofortdiagnostik vollkommen neue Kosten verursachen – die langfristig vermutlich eine
Anpassung der Beförderungsentgelte notwendig machen.
Auch der erhebliche Schulungsbedarf des Personals muss berücksichtigt werden. Neben
rechtlichen Aspekten geht es dabei vor allem um die sachgerechte Probengewinnung (Präanalytik)
und die Vermeidung fehlerhafter Messungen und Interpretationen. Ein zentraler POCT-Koordinator
kann daher sinnvoll sein. Dieses Vorgehen hat sich im innerklinischen Bereich bewährt
[2].
In der präklinischen Notfallversorgung müssen auch das Platzangebot und mögliche Erschütterungen
der Geräte berücksichtigt werden. Temperaturschwankungen können ebenfalls zum Problem
werden, da die Geräte meist Raumtemperatur benötigen [5].
Der leichte Zugriff auf POC-Testverfahren könnte dazu verleiten, häufiger medizinisch
nicht indizierte Analysen durchzuführen [4], was die Einsatzdauer und die Kosten ungerechtfertigt erhöhen könnte.
Einsatz im Rettungsdienst
Einsatz im Rettungsdienst
POCT-Verfahren machen es möglich, therapie- und diagnoserelevante Parameter frühzeitig
zu bestimmen, wodurch ihre Bedeutung in der präklinischen Notfallversorgung weiter
zunimmt [2]
[6], ([Abb. 1]).
Abb. 1 POCT-System im „Handheld“-Format.
Natürlich sind nur einige der patientennah bestimmbaren Parameter im Rettungsdienst
relevant ([Tab. 1]).
Tab. 1
POCT-Parameter mit möglicher Relevanz im Rettungsdienst [15].
Möglicher Einsatzbereich im Rettungsdienst
|
Parameter
|
Säure-Basen-Haushalt
|
pH, BE, HCO3
–
|
Blutgase
|
CO2, O2
|
Elektrolyte
|
Na+, K+, Cl–; ionisiertes Ca2 +
|
Gerinnungsdiagnostik
|
D-Dimere, Quick, INR, ACT
|
Hämatologie
|
Hämoglobin, Hämatokrit
|
Diabetes mellitus
|
Glukose, Ketone
|
kardiale Marker
|
Troponin I, Troponin T, hochsensitives Troponin, CK-MB, BNP, NT-pro-BNP
|
Toxikologie
|
Alkohol, Medikamente, Drogen
|
Entzündungsparameter
|
CRP, PCT
|
Hämoglobinfraktionen
|
CO-Oxymetrie
|
Hochsensitive Troponin-Tests ermöglichen die frühere Diagnose des Myokardinfarktes.
Andere kardiale Biomarker (D-Dimere, NT-pro-BNP etc.) werden zur Abklärung von Differenzialdiagnosen
benötigt [7].
Bei der Entscheidung, welche Parameter sinnvoll mittels patientennaher Sofortdiagnostik
bestimmt werden können, sind auch Struktur und Lage des jeweiligen Rettungsdienstbereichs
zu berücksichtigen: In einer ländlich geprägten Region mit langen Anfahrtszeiten und
einer geringen Klinikdichte ist ein breiteres Parameterspektrum sinnvoller als in
einer Stadt oder einem Ballungsgebiet. Dabei ist auch die tatsächliche Turn-around
Time einzelner Messwerte und Geräte zu berücksichtigen ([Tab. 2]) [8]. Diese kann im städtischen Bereich die Transportzeit in die Klinik überschreiten.
Tab. 2
Mögliche Messdauer kardialer Parameter am Beispiel des Cobas h 232 der Firma Roche
[8].
Kardialer Marker
|
Messbereich
|
Unterstützte Einheiten
|
Messdauer
|
Troponin T
|
40–2000 ng/l
|
ng/l, pg/l, ng/ml, μg/l
|
12 min
|
Troponin T Quantitative
|
50–2000 ng/l[
1
]
|
ng/l
|
12 min
|
NT-proBNP
|
60–9000 pg/ml
|
pg/ml
|
12 min
|
D-Dimer
|
0,1–4,0 μg/ml
|
μg/ml, ng/ml, mg/l, μg/l
|
8 min
|
Myoglobin
|
30–700 ng/ml
|
ng/ml
|
8 min
|
CK-MB
|
1,0–40 ng/ml
|
ng/ml
|
12 min
|
1 Der Bereich von 50–100 ng/l ist semiquantitativ.
Nur für Notärzte und Notärztinnen?
Nur für Notärzte und Notärztinnen?
Aus wirtschaftlicher Sicht scheint die Nutzung von POCT-Systemen nur auf notärztlich
besetzten Rettungsmitteln naheliegend. So wäre die benötigte Zahl an Geräten geringer.
Die Interpretation vieler über POCT bestimmbarer Messwerte ist zurzeit nicht regelhaft
Teil der Ausbildung von Notfallsanitätern/-innen. Dies könnte ebenfalls ein Argument
dafür sein, den Einsatz von POCT-Geräten auf ärztlich besetzte Rettungsmittel zu begrenzen.
Bei der Analyse der ambulanten und präklinischen Notfallversorgung in Deutschland
stellt man fest, dass beide Bereiche regelmäßig überlastet sind. Die rettungsdienstlichen
Einsatzzahlen steigen ebenso kontinuierlich wie die Patientenzahlen in den Notaufnahmen
und Rettungsstellen. Gleichzeitig nehmen Morbidität und Krankheitsschwere weiter zu
[9]. Auch bei den Kapazitäten der intensivmedizinischen Versorgung kommt es regelmäßig
zu Engpässen [10].
Ob ein notärztlich besetztes Rettungsmittel nachgefordert wird, ob ein Intensivbett
benötigt wird oder welche Fachabteilungen die Zielklinik aufweisen muss, wird meist
anhand des Leitsymptoms und des klinischen Bilds entschieden. Da POCT-Systeme eine
schnelle Abklärung bzw. einen Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen ermöglichen,
scheint ihr Einsatz auch auf Rettungswagen sinnvoll. Neben der Schonung der notärztlichen
Ressourcen ist eine differenziertere und zielgerichtetere Wahl der Zielklinik – insbesondere
bezüglich der intensivmedizinischen Kapazitäten – wahrscheinlich.
Die Fehlerquote bei der notärztlichen Einschätzung der Überwachungspflichtigkeit von
Notfallpatienten/-innen kann bis zu 50 % betragen. Dies führt mitunter zu einer nicht
notwendigen Belastung von Intensivkapazitäten [11].
POCT am Beispiel der arteriellen Blutgasanalyse
POCT am Beispiel der arteriellen Blutgasanalyse
Die arterielle Blutgasanalyse (BGA) ist ein unverzichtbarer Teil der klinischen Notfallversorgung.
Sie detektiert schnell therapieentscheidende Werte, die noninvasive Messverfahren
nicht erfassen. Neben den Blutgasen werden meist der Säure-Basen-Haushalt, die Elektrolyte,
das Hämoglobin und der Blutzuckerwert bestimmt [5].
Im Intensivtransport ist der Einsatz von BGA-Geräten mittlerweile Routine. Dies zeigt,
dass ein sicherer und zuverlässiger Einsatz im Rettungsdienst möglich ist. Trotzdem
ist die BGA im Regelrettungsdienst weiterhin die Ausnahme, obwohl bereits seit 1990
Empfehlungen für deren präklinischen Einsatz vorliegen [5].
Untersuchungen lassen einen Überlebensvorteil für Patienten/-innen nach bestimmten
Interventionen (z. B. Defibrillation) vermuten, wenn im Lauf der präklinischen Versorgung
eine BGA durchgeführt wurde [12].
In einer anderen Untersuchung wurde bei kritisch Erkrankten oder Verletzten (NACA
≥ 5) bereits am Notfallort mindestens eine arterielle BGA durchgeführt – von denen
97 % mindestens einen pathologischen Wert zeigten. Bei 63 % der Patienten/-innen erfolgte
eine Intervention aufgrund eines pathologischen Werts in der BGA, der mit nichtinvasiven
Verfahren nicht feststellbar gewesen wäre. Dies schließt Veränderungen der Respiratoreinstellungen
bzw. die Indikationsstellung zur Beatmung ein [5]
[13]. Ob die präklinische Bestimmung venöser Blutgase ähnlich positive Ergebnisse erreicht,
wurde bisher nicht untersucht. Diese könnte durch geschulte Notfallsanitäter/-innen
bereits auf dem RTW erfolgen.
Die Sache mit dem CO2
Die normale Differenz zwischen dem exspiratorisch gemessenen CO2 (etCO2) und dem arteriellen CO2-Partialdruck (paCO2) beträgt ca. 2–5 mmHg (paCO2 > etCO2). Wie mehrere Studien zeigen, kann diese arterio-endexspiratorische CO2-Differenz bei Notfallpatienten/-innen deutlich zunehmen [14]. Es werden durchschnittliche Abweichungen von bis zu 17 mmHg angegeben – mit einer
Spannbreite von –8,5 bis 42,9 mmHg [5]. Dabei kann nicht vorhergesagt werden, bei welchen Patienten/-innen mit einer hohen
Abweichung zu rechnen ist [14]. Vor allem Verletzungen und Erkrankungen, die das Ventilations-Perfusions-Verhältnis
(V/Q) verändern, scheinen die arterio-endexspiratorische CO2-Differenz zu erhöhen [5].
Die Messung des etCO2 scheint präklinisch bei kritisch Kranken oder Verletzten nicht ausreichend zuverlässig.
Die Verwendung einer arteriellen POCT-Blutgasanalyse zur Respiratorsteuerung ist daher
sinnvoll [5].
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Point of Care Testing ermöglicht die schnelle Labordiagnostik am Patientenbett und
reduziert die Turn-around Time.
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Moderne Geräte und die Zunahme invasiver Therapien lassen den präklinischen Einsatz
von POCT sinnvoll erscheinen. Dies gilt besonders für kardiale Marker und die arterielle
BGA.
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Mögliche Vorteile einer venösen BGA bereits auf dem RTW müssen noch untersucht werden.
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Bei der Wahl des Systems und der Parameter sollten Struktur und Größe des Rettungsdienstbereichs
berücksichtigt werden.
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Das Personal muss ausreichend im Umgang mit den Geräten, der Gewinnung der Proben
(Präanalytik) und der Interpretation der Werte geschult sein.
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Das etCO2 ist zur Beatmungssteuerung bei kritisch Kranken oder Verletzten in der Präklinik
nicht ausreichend zuverlässig.
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POCT im Rettungsdienst könnte notärztliche und innerklinische Ressourcen schonen.