Aktuelle Dermatologie 2019; 45(10): 438-441
DOI: 10.1055/a-0960-8245
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tinea capitis profunda mit Pediculosis capitis − eine ungewöhnliche Kombination

Tinea Capitis profunda and Pediculosis capitis – An Unusual Coincidence
S. Troyanova-Slavkova
1   Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie, Helios Vogtland-Klinikum Plauen GmbH
,
P. Nenoff
2   Labor für medizinische Mikrobiologie, Partnerschaft Prof. Dr. med. Pietro Nenoff & Dr. med. Constanze Krüger, Rötha/Mölbis
,
S. Uhrlaß
2   Labor für medizinische Mikrobiologie, Partnerschaft Prof. Dr. med. Pietro Nenoff & Dr. med. Constanze Krüger, Rötha/Mölbis
,
H. Ziegler
1   Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie, Helios Vogtland-Klinikum Plauen GmbH
,
L. Kowalzick
1   Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie, Helios Vogtland-Klinikum Plauen GmbH
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Lutz Kowalzick,
Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie
HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen GmbH
Postfach 100153, 08505 Plauen

Publication History

Publication Date:
18 July 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Hauterkrankungen im Kindesalter stellen immer wieder eine Herausforderung dar. Pilzinfektionen überwiegen gegenüber bakteriellen Hautinfektionen und nehmen an Häufigkeit zu [1]. Ektoparasitosen gehören zu den häufigen Dermatosen im Kindesalter, und man beobachtet ebenfalls eine zunehmende Inzidenz [1]. Die Pediculosis capitis gilt als die häufigste Epizoonose im Kindesalter. Die Kopfläuse (Pediculi capitis) sind flügellose, blutsaugende Insekten. Sie verursachen stark juckende Papeln, mit darauffolgend entstandenen Kratzartefakten und Ekzematisation. Als mögliche Komplikation eines Läusebefalls kann eine bakterielle Superinfektion auftreten [1]. Das Erregerspektrum der Tinea capitis im Kindesalter ist groß und umfasst viele zoophile und anthropophile Dermatophyten. Insbesondere der zoophile Erreger Trichophyton benhamiae (früher Trichophyton-Spezies von Arthroderma benhamiae) wird in letzter Zeit in Deutschland häufiger beobachtet [10]. Infektionsquelle sind u. a. Meerschweinchen sowie andere kleine Nagetiere wie Hamster und Ratten [6]. Eine Ektoparasitose mit gleichzeitig bestehender Pilzinfektion der Kopfhaut stellt in Europa eine Rarität dar und bedarf höchster Aufmerksamkeit. Wir berichten hier über einen 12-jährigen Knaben mit simultanem Kopflausbefall mit einer Tinea capitis profunda, verursacht durch den zoophilen Dermatophyten Trichophyton benhamiae.


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Abstract

Skin diseases in children are often challenging. Fungal infections are more frequent than bacterial and increasingly frequent [1]. Ektoparasitoses are among the frequent dermatoses in children and show increasing incidence [1]. Pediculosis capitis is assumed to be the most frequent epizoonosis in children. The head louse (Pediculi capitis) are wingless bloodsucking insects. They cause strongly itching papules with subsequent scratch artefacts and eczematisation. A possible complication is the bacterial superinfection [1]. The spectrum of pathogens in children’s tinea capitis is broad, including zoophilic and anthropophilic dermatophytes. Recently, especially the zoophile pathogen Trichophyton benhamiae (formerly Trichophyton species of Arthroderma benhamiae) is frequently observed in Germany [10]. Source of infection are Guinee pigs and other small rodents, such as hamster and rats [6]. An ektoparasitosis with coincident fungal infection of the scalp is a rarity in Europe and needs high awareness. We are reporting here on a 12-year-old boy with head louse affection and a tinea capitis profunda caused by the zoophilic dermatophytes Trichophyton benhamiae.


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Anamnese

Wir berichten über den Fall eines 12-jährigen Patienten, der aufgrund seit ca. 2 Wochen bestehenden Juckreizes an der Kopfhaut in der Rettungsstelle unseres Hauses vorstellig war. Die Mutter des Kindes berichtete über unerklärlichen starken Juckreiz und seit ca. 3 Tagen zunehmende Mazeration, Schwellung und unangenehmen Geruch frontal an der Kopfhaut des Jungen. Die Mutter selbst und die Schwester des Patienten klagten auch über Juckreiz im Bereich der Kopfhaut. Bis dato erfolgte keine ärztliche Untersuchung. Bei ausgeprägtem Läusebefall mit Impetiginisation wurde eine stationäre Aufnahme des Kindes angeboten. Dies wurde mütterlicherseits abgelehnt. Es erfolgte eine ausführliche Empfehlung zur lokalen Behandlung des Läusebefalls und der Impetiginisation sowie zur dringlichen Mitbehandlung aller Kontaktpersonen. Nach 2 Tagen erfolgte die erneute Vorstellung des Patienten über die Rettungsstelle aufgrund deutlicher Zunahme der Mazerationen an der Kopfhaut mit ausgeprägten Berührungsschmerzen. Das Kind hatte bei der Aufnahme einen guten Allgemeinzustand, Fieber oder Abgeschlagenheit bestanden nicht. Bei Nachfragen wurde die Existenz von Haustieren verneint.


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Klinisches Bild

An der gesamten Kopfhaut zeigten sich hochrote, urtikarielle Papeln mit zahlreichen blutig zerkratzten Stellen. Entlang der Haarschäfte zeigten sich nach der initialen häuslichen Behandlung der Pediculosis capitis weiterhin massenhaft Nissen sowie lebendige Kopfläuse. Frontal an der Kopfhaut imponierte eine ca. 6,5 × 5 cm große, extrem schmerzhafte, mazerierte, nässende, fluktuierende, stark riechende Schwellung ([Abb. 1]). Auf Druck entleerte sich Eiter. Zusätzlich dazu war noch eine ca. 1,2 cm im Durchmesser große, gelblich-krustig bedeckte erythematöse Plaque an der Nase zu sehen. Noch in der Rettungsstelle erfolgte die Kürzung der Haare und die erste Entfernung der Krusten. Weiterhin zeigten sich noch zwei kleinere gerötete Schwellungen parietal und okzipital rechts. Die zervikalen Lymphknoten waren palpatorisch angeschwollen tastbar, Fieber hatte der Junge nicht.

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Abb. 1 Nach Kürzung der Haare zeigt sich frontal an der Kopfhaut eine ca. 6,5 × 5 cm große, extrem schmerzhafte, mazerierte, nässende, fluktuierende, stark riechende Schwellung.

Labor, Bakteriologie, Mykologie und Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) In dem bakteriologischen Abstrich von der Kopfhaut waren zweimalig keine Bakterien nachweisbar. Die mykologische Nativuntersuchung der Haarwurzeln war positiv. Innerhalb von 5 Tagen war der Dermatophyt auch in der mykologischen Kultur zu erkennen. Es entwickelten sich flache, ausstrahlende Kolonien mit gelblich gefärbtem Luftmyzel und dichter, samtartiger Oberfläche ([Abb. 3]). Wir konnten Trichophyton (T.) benhamiae nachweisen.

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Abb. 2 Nach ca. 1 Woche Therapie mit Flucloxacillin oral und lokal antiseptischen Maßnahmen zeigte sich weiterhin eine schmerzhafte, nässende, unangenehm riechende Schwellung.
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Abb. 3Trichophyton benhamiae mit flachen, ausstrahlenden Kolonien mit gelblich gefärbtem Luftmyzel und dichter, samtartiger Oberfläche auf Sabouraud 4 % Glukose-Schrägagarröhrchen mit bzw. auch ohne Cycloheximid. Die Unterseite der Kolonien zeigt sich kräftig gelb gefärbt. Isolat aus Haaren und Haarwurzeln des Kapillitiums.

Zum molekularbiologischen Dermatophyten-Direktnachweis ebenfalls aus Hautschuppen kam eine Polymerasekettenreaktion in Form eines PCR-ELISA (Enzymimmunoassay) zum Direktnachweis von Dermatophyten-DNA zur Anwendung [9]. Die PCR auf T. benhamiae (bisherige Bezeichnung T.-Spezies von Arthroderma benhamiae) war positiv. Dagegen zeigte die PCR keine Reaktion auf T. rubrum, T. interdigitale/T. mentagrophytes, Epidermophyton floccosum und Microsporum (M.) canis.


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Therapie und Verlauf

Unter dem Verdacht auf Impetiginisation bei länger bestehender und unbehandelter Pediculosis capitis erfolgte die initiale Entfernung der Haare und die einmalige Anwendung von Jacutin Pedicul. Darauffolgend verordneten wir eine i. v. Antibiose mit Flucloxacillin (Staphylex) 1,5 g 3-mal täglich. Ergänzend wurden 3-mal täglich Octenisept-Reinigungen durchgeführt sowie Applikationen von Eosion-Lösung und Fusidinsäure-haltiger Creme (Fucidine). Nach ca. einer Woche Behandlung ergab sich keine Besserung des Befundes, sodass wir uns für eine operative Entfernung der erneuten Krusten unter örtlicher Betäubung mit Emla-Creme entschieden haben ([Abb. 2]).

Nach Vorliegen des positiven mykologischen Nativpräparates stellten wir die topische Therapie auf Ciclopirox-Creme zweimal tgl. um, die antibiotische Therapie wurde nach zweimalig negativer Bakteriologie beendet. Nach 4 Applikationen des lokalen Antimykotikums zeigte sich schon eine deutliche Besserung des Hautzustandes, die Schmerzen waren ebenfalls rückläufig. Beim erneuten gezielten Nachfragen bez. Haustiere berichtete der Patient, dass er vor Wochen ein Meerschweinchen zu Hause hatte. Das Nagetier wurde aber aufgrund ‚auffälligen‘ Fells von zu Hause „entsorgt“. Weitere Freizeitaktivitäten, wie z. B. Ringersport, wurden vom Patienten verneint.

Beim Vorliegen des Ergebnisses des mykologischen Kulturbefundes mit Nachweis von T. benhamiae war der Patient leider schon entlassen, sodass die briefliche Empfehlung zur Einleitung einer systemischen antimykotischen Therapie mit Terbinafin per os, dosiert nach Körpergewicht, erfolgte. Vor dem Therapiebeginn sollte die schriftliche Aufklärung der Eltern bez. der Anwendung eines für Kinder nicht zugelassenen Medikamentes erfolgen. Da dieses Medikament Lebertoxizität aufweisen kann, sollen vor der Verordnung der Tabletten die Leberfunktionswerte bestimmt und auch im Verlauf regelmäßig kontrolliert werden.


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Diskussion

Hauterkrankungen im Kindesalter stellen immer wieder eine Herausforderung dar. Viele sind Blickdiagnosen, andere nur schwer zu definieren, besonders nach Vorbehandlung oder durch sekundäre Veränderungen. Ektoparasitosen sind auch in der westlichen Welt nicht selten, sondern gehören zu den häufigen Dermatosen im Kindesalter. Für die Haut sind als Ektoparasiten v. a. Arthropoden und Würmer bedeutsam, die dauerhaft (wie die Kopfläuse) oder zeitweise (Wanzen, Flöhe, Zecken) auf oder in der Haut leben. Pilzinfektionen überwiegen gegenüber mikrobiellen Hautkrankheiten und nehmen an Häufigkeit zu [7].

Kopfläuse (Pediculi capitis) können Menschen aller Gesellschaftsschichten, unabhängig von deren Alter, befallen. Die Übertragung erfolgt direkt von Mensch zu Mensch, weshalb Kinder im Alter zwischen 3 und 11 Jahren die höchste Prävalenz aufweisen. Läuse stellen den Kontakt zur Haut aktiv her [4]. Die typischen Hautläsionen entstehen infolge des Saugakts durch eine mechanische Irritation der Haut sowie durch die Injektion von im Speichelsekret vorhandenen toxisch wirksamen Substanzen [3]. Durch gezielte Behandlung soll Abtötung der Läuse und ihrer Eier erfolgen. Dafür stehen zahlreiche Medizinprodukte zur Verfügung. Eine Mitbehandlung von Kontaktpersonen ist zu empfehlen, v. a. auch wenn bei ihnen ebenfalls eine Infektion nachgewiesen wurde [4]. Laut Robert-Koch-Institut ist im Gegensatz zu Skabies bei Läusebefall keine generelle Mitbehandlung der Kontaktpersonen zwingend erforderlich. Es ist zuerst eine Information der betroffenen Kontaktpersonen notwendig mit dem Ziel, deren Untersuchung und ggf. Behandlung zu veranlassen [11].

Eine häufige Komplikation des Läusebefalls ist die bakterielle Superinfektion. Bei Abszedierungen und starken Schmerzen im Bereich der Kopfhaut sowie Schwellung der regionalen Lymphknoten besteht dingend der Verdacht auf bakterielle Infektion, u. a. mit Staphylococcus aureus. Wenn sich ein positiver bakterieller Befall bestätigt, sind lokale antiseptische Behandlung und ggf. die Einleitung einer systemischen Antibiose Therapie der Wahl.

Eitrig verkrustete, schmerzhafte Hautareale sind aber auch bei tiefen mykotischen Infektionen der Haarfollikel zu beobachten. Die erhabene, hochgradige Entzündung der Haut bei Dermatophytosen bezeichnet man als Kerion, auch Kerion Celsi (benannt nach Aulus Cornelius Celsus), und sie kann auch mit Abgeschlagenheit und Schwellung der zervikalen Lymphknoten einhergehen [8]. Diese Tinea capitis profunda kann durchaus durch Trichophyton-Spezies von T. benhamiae, ein immer wieder häufig in Deutschland zu treffender zoophiler Dermatophyt, hervorgerufen werden. Infektionsquelle sind Meerschweinchen sowie andere kleine Nagetiere wie Hamster und Ratten. Meist entsteht eine hoch entzündliche Lokalinfektion, da T. benhamiae wie auch andere Dermatophyten-Spezies für den Keratinabbau verantwortliche Proteasen produziert. Es werden proinflammatorische Zytokine und Chemokine produziert, und dies führt zur ausgeprägten Entzündung [5]. Der Erreger verursacht eine inflammatorische Tinea meist bei Kindern und Jugendlichen aber auch bei immunsupprimierten Patienten und kann Tinea capitis, Tinea facei, Tinea corporis und Tinea manuum hervorrufen [5]. Eine sekundäre bakterielle Besiedlung der mykotischen Infektion ist möglich. Zur Diagnosestellung soll Mykologie und bakterieller Abstrich erfolgen. Der Abstrich kann direkt aus den nässenden mazerierten Arealen erfolgen. Für die mykologischen Untersuchungen wird die Entnahme von Haarwurzeln notwendig. Häufig lassen sich diese bei Tinea capitis auch leicht entfernen. Die Diagnosesicherung erfolgt zunächst über den Pilznachweis im Nativpräparat und anschließend erfolgt die Erregeridentifizierung über die Kultur. Der Erreger bildet flache, ausstrahlende Kolonien mit gelblich gefärbtem Luftmyzel und dichter, samtartiger Oberfläche aus. Die Unterseite der Kolonien ist kräftig gelb gefärbt. Zur weiteren Differenzierung, v. a. zur Abgrenzung zu anderen Trichophyton-Spezies, können PCR-ELISA oder eine Real-time PCR zum direkten Nachweis im klinischen Material angewendet werden.

Ein Kerion Celsi sollte wegen der hohen Vernarbungstendenz umgehend systemisch behandelt werden, um eine Narbenbildung zu vermeiden. Ein positiver mykologischer Befund sollte für die zeitnahe Initiierung einer systemischen antimykotischen Therapie ausreichen, wobei das einzige für Kinder zugelassene orale Antimykotikum Griseofulvin ist. Dennoch haben sich die neueren Antimykotika Terbinafin und Fluconazol in vielen Studien als gleich oder wirksamer erwiesen und zeigen zudem ein besseres Sicherheitsprofil. Deshalb ist Terbinafin heute bspw. in den USA für Kinder ab 4 Jahren und in der Schweiz sowie Österreich generell für Kinder zugelassen [12].

Eitrig abszedierende Infektionen der Kopfhaut bei Kindern stellen eine diagnostische Herausforderung dar. Unseres Erachtens ist das der erste beschriebene Fall, der das gleichzeitige Vorliegen von Pediculosus capitis und einer Tinea capitis durch T. benhamiae darstellt.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Lutz Kowalzick,
Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie
HELIOS Vogtland-Klinikum Plauen GmbH
Postfach 100153, 08505 Plauen


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Abb. 1 Nach Kürzung der Haare zeigt sich frontal an der Kopfhaut eine ca. 6,5 × 5 cm große, extrem schmerzhafte, mazerierte, nässende, fluktuierende, stark riechende Schwellung.
Zoom Image
Abb. 2 Nach ca. 1 Woche Therapie mit Flucloxacillin oral und lokal antiseptischen Maßnahmen zeigte sich weiterhin eine schmerzhafte, nässende, unangenehm riechende Schwellung.
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Abb. 3Trichophyton benhamiae mit flachen, ausstrahlenden Kolonien mit gelblich gefärbtem Luftmyzel und dichter, samtartiger Oberfläche auf Sabouraud 4 % Glukose-Schrägagarröhrchen mit bzw. auch ohne Cycloheximid. Die Unterseite der Kolonien zeigt sich kräftig gelb gefärbt. Isolat aus Haaren und Haarwurzeln des Kapillitiums.