Nervenheilkunde 2019; 38(12): 962-963
DOI: 10.1055/a-0952-7285
Gesellschaftsnachrichten
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Kopfschmerz News der DMKG

Ruth Ruscheweyh
,
Andreas Straube
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Dezember 2019 (online)

 

Botulinumtoxin zur Behandlung des Münzkopfschmerz (nummulärer Kopfschmerz)

*** García-Azorín D, Trigo-López J, Sierra Á, et al. Observational, open-label, non-randomized study on the efficacy of onabotulinumtoxinA in the treatment of nummular headache: The pre-numabot study. Cephalalgia 2019. doi: 10.1177/0333102419863023

Der Münzkopfschmerz ist ein seltener primärer, manchmal schwer behandelbarer Kopfschmerz. Diese offene Studie gibt Hinweise auf die Wirksamkeit von Botulinumtoxin.

Hintergrund

Der Münzkopfschmerz (nummuläre Kopfschmerz) ist ein seltener primärer Kopfschmerz, der sich durch Schmerzen in einem immer gleichen, etwa münzgroßen Areal mit scharfer Begrenzung äußert, oft parietal gelegen und mit zusätzlicher Druckempfindlichkeit im betroffenen Bereich, ohne den Nachweis einer kutanen, ossären oder intrakraniellen Pathologie. Am ehesten handelt es sich um eine Neuropathie eines kutanen Endasts. Der Münzkopfschmerz braucht nicht in allen Fällen eine Behandlung, kann aber schwierig zu behandeln sein, mit nicht immer ausreichender Wirksamkeit der üblichen antineuropathischen oder analgetischen Therapie (die an häufigsten als wirksam berichtete Substanz ist Gabapentin). Einige Fallberichte haben eine gute Wirkung von Botulinumtoxin nahe gelegt.


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Zusammenfassung

In dieser offenen Studie wurden 53 Patienten (mittleres Alter: 54 Jahre, 68 % Frauen, 60 % hatten bereits ein anderes prophylaktisches Medikament versucht) mit Münzkopfschmerz und mindestens 10 Kopfschmerztagen/Monat mit 2 Zyklen (12 Wochen Abstand) von 25 Einheiten OnabotulinumtoxinA behandelt. Primärer Endpunkt war die Anzahl der Kopfschmerztage/Monat in Woche 20–24 nach der ersten Injektion. Die Anzahl der Kopfschmerztage/Monat vor der Behandlung war 24,5 ± 7,3, in Woche 20–24 war sie auf 6,9 ± 9,3 reduziert (p < 0,001). Dies entsprach einer 50 %-Responderrate von 77,4 %. In Woche 8–12 lagen die Kopfschmerztage/Monat bei 10,6 ± 10,6, auch dies entsprach einer signifikanten Reduktion gegenüber Baseline (p < 0,001). Ebenfalls signifikant reduziert waren schwere Kopfschmerztage und Tage mit Akutmedikation. Keiner der klinischen Deskriptoren (Alter, Dauer des Münzkopfschmerzes, Anzahl der Kopfschmerztage, Intensität, Durchmesser, frühere Versuche mit prophylaktischen Medikamenten) war prädiktiv für den Erfolg. Die Verträglichkeit war erwartungsgemäß sehr gut.


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Kommentar

Die Studie zeigt einen beeindruckenden Erfolg von Botulinumtoxin beim Münzkopfschmerz in einer für diesen Kopfschmerz recht großen Patientengruppe. Aufgrund des offenen Studiendesigns kann allerdings der Beitrag des Placeboeffekts nicht eingeschätzt werden. Dieser war z. B. in den PREEMPT-Studien erheblich. Verwunderlich ist die Wahl des primären Endpunkts (Anzahl der Kopfschmerztage/Monat) da nach bisheriger Auffassung viele Patienten mit Münzkopfschmerz einen Dauerschmerz haben. Die Prädiktions-Analyse ist mit großer Vorsicht zu interpretieren, da hierzu Daten nur von 43 Patienten zur Verfügung standen und die Gruppe der Non-Responder nur 8 Patienten umfasste.

Trotz dieser Einschränkungen geben die Daten zusammen mit früheren Fallberichten gute Hinweise, dass Botulinumtoxin eine wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeit beim Münzkopfschmerz darstellen könnte. Eine Zulassung für diese Indikation besteht jedoch nicht.

Ruth Ruscheweyh, München


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Der orale CGRP-Rezeptor-Antagonist („small molecule“) Rimegepant ist in der Therapie der Migräneattacke wirksam

***Lipton RB, Croop R, Stock EG, et al. Rimegepant, an Oral Calcitonin Gene-Related Peptide Receptor Antagonist, for Migraine. N Engl J Med 2019; 381(2): 142–149

***Croop R, Goadsby PJ, Stock DA, et al. Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet for the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2019; 394(10200): 737–745

Die Studien lassen jedoch wichtige Fragen unbeantwortet

Hintergrund

Seit ca. 15 Jahren ist bekannt, dass Antagonisten des CGRP am CGRP-Rezeptor, die Gepanten, in der Lage sind akute Migräneattacken zu bessern (Olcegepant). Im Weiteren konnte dann in einer Vergleichsstudie mit dem letztlich nicht auf dem Markt gelangten Telcagepant und dem Triptan Zolmitriptan eine vergleichbare Wirksamkeit in der Attackentherapie gezeigt werden. Auf Grund von Leberwerterhöhungen, die bei wiederholter bzw. täglicher Anwendung gesehen wurde, wurde dann diese klinische Entwicklung eingestellt. Theoretisch haben die direkten CGRP-Rezeptorantagonisten gegenüber den Triptanen den Vorteil, keine vasokonstriktorischen Eigenschaften zu haben und so auch bei kardiovaskulären Risikopatienten eingesetzt werden zu können. Rimegepant stellt nun ein Gepant der zweiten Generation dar, der eine gute orale Bioverfügbarkeit hat.


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Zusammenfassung

In den beiden jetzt vorgelegten Phase-III-Studien wurde jeweils eine Migräneattacke mit 75 mg Rimegepant bzw. Placebo (Verhältnis 1:1) behandelt. In der Studie von Lipton et al. wurden 1186 Patienten eingeschlossen, in der von Croop et al. 1466, Frauen waren mit 80–90 % wie in solchen Studien üblich, übervertreten. Das mittlere Alter lag bei ca. 40 Jahren. Wie bei Phase-III-Studien üblich handelte es sich um multizentrische, randomisierte und verblindete Studien, die Rekrutierung erfolgte in den USA. Als primäre Endpunkte wurden Schmerzfreiheit und die Besserung von beeinträchtigenden Begleitsymptomen (Lichtscheu, Übelkeit etc.) definiert. Die Patienten führten für 48 h ein Tagebuch und die Erhebungszeitpunkte waren zu Beginn der Attacke und dann nach 15, 30, 45, 60, 90, 120, 180, 240, 360, 480, 1440 sowie 2840 Minuten. Ergebnisse waren, dass die primären Endpunkte in beiden Studien erreicht wurden. 19,6 % bzw. 21 % der Patienten (unter Rimegepant) versus 12 %/11 % (unter Placebo) waren nach 2 h schmerzfrei. Für die Begleitsymptome gaben unter dem Verum 37,6 % bzw. 35 % verglichen mit 25,2 % bzw. 27 % (Placebo) eine komplette Rückbildung an. Nebenwirkungen traten in der Studie von Lipton in der Verumgruppe nicht häufiger als in der Placebogruppe auf (Adverse Events 17,1 % zu 14,2 %), in der Studie von Croop et al. war Übelkeit leicht häufiger in der Verumgruppe (2 % gegenüber 1 %), wobei die Nebenwirkungen insgesamt 7 % zu 5 % waren. Sowohl in der Verum- als auch in der Placebogruppe fand sich je ein Patient mit einem Anstieg der Transaminasen.


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Kommentar

Insgesamt bestätigen diese Studien die Wirksamkeit der Gepanten in der Behandlung der Migräneattacke. Leider wählten die Untersucher das einfachste denkbare Design, was wesentliche Fragen unbeantwortet lässt. Es fehlte eine Vergleichssubstanz (Triptan). Die angegebenen Werte für Schmerzfreiheit nach 2 h sind niedriger als die für die Triptane publizierten Werte (z. B. 27–30 % für Sumatriptan 100 mg [1]. Da nur eine einzelne Attacke behandelt wurde, kann zur Konsistenz der Wirkung über mehrere Attacken nichts gesagt werden. Ähnliches gilt auch für die Frage von Leberwerterhöhungen, da diese bei Telcagepant besonders erst unter der täglichen Einnahme in der Prophylaxestudie auffielen. Interessant ist auch der Vergleich mit Ubrogepant, für diese Substanz wurde für die 100-mg-Dosis eine Schmerzfreiheit nach 2 h bei 26 % der Patienten gefunden [2]. Insgesamt ist abzuwarten, ob die Substanz den Weg in den Markt findet. Auf dem Boden der jetzt vorliegenden Ergebnisse dürfte sie nur in Sonderfällen (z. B. starke Kontraindikation gegen Triptane, Versagen auf multiple Triptane) zum Einsatz kommen.

Andreas Straube, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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  • Literatur

  • 1 Ferrari MD, Roon KI, Lipton RB, Goadsby PJ. Oral triptans (serotonin 5-HT(1B/1 D) agonists) in acute migraine treatment: a meta-analysis of 53 trials. Lancet 2001; 358 9294 1668-75
  • 2 Voss T, Lipton RB, Dodick DW. et al A phase IIb randomized, double-blind, placebo-controlled trial of ubrogepant for the acute treatment of migraine. Cephalalgia 2016; 36 (09) 887-98 doi: 10.1177/0333102416653233

  • Literatur

  • 1 Ferrari MD, Roon KI, Lipton RB, Goadsby PJ. Oral triptans (serotonin 5-HT(1B/1 D) agonists) in acute migraine treatment: a meta-analysis of 53 trials. Lancet 2001; 358 9294 1668-75
  • 2 Voss T, Lipton RB, Dodick DW. et al A phase IIb randomized, double-blind, placebo-controlled trial of ubrogepant for the acute treatment of migraine. Cephalalgia 2016; 36 (09) 887-98 doi: 10.1177/0333102416653233