Rofo 2019; 191(S 02): S106-S109
DOI: 10.1055/a-0943-1068
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pränatale sonografische Diagnostik von Lungenfehlbildungen

Michael Bolz
Universitätsfrauenklinik und Poliklinik Rostock
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Dr. med. Michael Bolz
Universitätsfrauenklinik und Poliklinik Rostock

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Publication Date:
20 August 2019 (online)

 

Einleitung

In Deutschland ist etwa jedes 15. Neugeborene von einer großen (angeborenen) Fehlbildung betroffen (ca. 49 000/Jahr).

Ziel sonografischer Untersuchung ist nicht die Geburt eines „designten“ Kindes, sondern bei nachgewiesenen Auffälligkeiten die Sicherung einer optimalen Betreuung während der verbleibenden Restschwangerschaft, Vermittlung von Beratungsmöglichkeiten für die prospektiven Eltern, Wahl eines geeigneten Entbindungsortes (Perinatalzentrum) mit entsprechender interdisziplinärer (z. B. kinderkardiologischer oder kinderchirurgischer) Kompetenz. Entsprechend der Diagnose kann auch die vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der geltenden Bestimmungen (u. a. § 218 StGB, Schwangerschaftskonfliktgesetz) Resultat einer vorgeburtlichen Diagnostik sein.


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Als Indikatorfehlbildungen werden 36 exakt definierte Fehlbildungen bezeichnet, die als strukturelle Defekte des Körpers und/oder von Organen die Lebensfähigkeit und die Lebensqualität beeinflussen bzw. einer medizinischen Intervention bedürfen. Fehlbildungen der Lunge werden im Rahmen der sog. Indikatorfehlbildungen (definiert vom International Clearinghouse for Births Defects Surveillance and Research (ICBDSR)) nicht explizit benannt. Die angeborene Zwerchfellhernie (ICD-10: Q61.1-Q61.9) gehört zu den Indikatorfehlbildungen und wird wegen der Bedeutung für die fetale Lungenentwicklung hier ausdrücklich erwähnt.

Insgesamt sind Lungenfehlbildungen seltene Ereignisse. Weitaus häufiger werden angeborene Herzfehler oder Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege des Fötus beobachtet. Der frühzeitigen, möglichst pränatalen Erkennung von Lungenfehlbildungen kommt wegen der zentralen Bedeutung der ungestörten Lungenfunktion beim Neugeborenen eine große Bedeutung zu.

Unilaterale Lungenagenesie

Es handelt sich um eine sehr seltene Hemmungsmissbildung mit fehlender oder rudimentärer Entwicklung des ipsilateralen Bronchus. Die Prävalenz wird mit 0,0034–0,0097 % angegeben. Die geschätzte Inzidenz (Autopsie-Daten) liegt bei 1:15 000.

  • linksseitig häufiger, manchmal Kombination mit Vitium cordis (Fallot’sche Tetralogie)

  • rechtsseitige Lungenagenesie führt zur Obstruktion von großen Gefäßen und Atemwegen, häufig Kombination mit Herzfehlern (Lungenvenenfehleinmündung, VSD, Aortenisthmusstenose)

  • Ausdehnung der kontralateralen Lunge bis auf die Gegenseite, Gefahr der Hyperperfusion, Neigung zur pulmonalen Hypertonie

Sonografie:

  • Fehlen eines Lungenflügels

  • ggf. Nachweis eines Vitiums


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Lungenhypoplasie

Die Inzidenz der Lungenhypoplasie wird in Autopsie-Serien mit bis zu 10 % und ca. 2/1000 Lebendgeborene angegeben. Eine Lungenhypoplasie wird definiert als Zustand, bei dem das kombinierte Lungengewicht weniger als 1,2 % des Körpergewichts bzw. das Lungenvolumen < 60 % des üblichen Lungenvolumens beträgt oder der sog. „radial alveolar count“ mit < 4 ermittelt wurde.

Für die normale intrauterine Entwicklung der fetalen Lungen sind verschiedene Faktoren maßgeblich notwendig. Eine Schlüsselrolle kommt einer normalen Fruchtwassermenge zu. Fetale Kompression bei Oligo- oder Anhydramnion (z. B. als Folge eines vorzeitigen Blasensprungs, bei renaler Agenesie, bei schwerer obstruktiver Uropathie, fetaler Nierenfunktionsstörung (Zystennieren)) begünstigen eine Lungenhypoplasie. Eine kongenitale Zwerchfellhernie (CDH) führt sekundär zu einer Entwicklungsstörung der primär normal angelegten Lunge ([Tab. 1]).

Tab. 1

Ursachen einer Lungenhypoplasie (Elsässer M. Fetaler Thorax 2013).

ausgeprägtes Oligohydramnion

langanhaltender (vorzeitiger) Blasensprung

Nierenagenesie beidseits

Nierendysplasie beidseits

intrathorakale Raumforderung

Zwerchfellhernie (CDH)

Pleuraerguss

Kardiomegalie

CCAML

enger Thorax

Skelettdysplasie

Syndrome

Pena-Shokeir-Syndrom

Chromosomenstörung

Trisomie 13

Trisomie 18

primäre Lungenhypoplasie

Sonografie:

  • Beurteilung der Fruchtwassermenge

    • Amnion-Fluid-Index (AFI), Oligohydramnion AFI < 5. Perzentile, Polyhydramnion > 95. Perzentile

    • Single deepest pocket (SDP),

  • Nachweis von Magen, Leber, Darm im Thorax des Fötus; Mediastinal-Verlagerung

  • fetaler Pleuraerguss

  • Thorax-Form


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Kongenitale zystisch-adenomatoide Malformation der Lunge (CCAML)

Die CCAML ist die häufigste angeborene Lungenfehlbildung, aber mit einer Häufigkeit von 1:8300–1:35 000 trotzdem relativ selten. Ursache der CCAML ist eine Fehlentwicklung des Bronchialbaums mit einem gesteigerten Wachstum der terminalen Bronchiolen. Das zum Zeitpunkt der Entwicklungsstörung vorliegende Gestationsalter hat vermutlich einen Einfluss auf den Typ der CCAML. Die CCAML wird häufiger beim männlichen Fötus beobachtet und tritt in 80–95 % einseitig auf (weniger als 2 % bilateral) ([Tab. 3], [Abb. 1], [2], [3]).

Tab. 3

Subtypen der CCAML (Mod. n. Hummler und Stocker).

Suptyp

Häufigkeit

Morphologie

Kommentar

Typ 0

 1–3 %

diffuse Malformation der gesamten Lunge

postnatal schweres Atemversagen, letaler Verlauf

Typ I[1]

60–70 %

Zysten 2–10 cm, singulär, gelegentlich multilokulär, meist nur einseitig

Atemnot, Mediastinal-Verlagerung

Typ II[2]

15–20 %

Zysten 0,5–2 cm, ähnelt Lungensequester, hat im Gegensatz dazu aber keine Gefäßversorgung!

häufig Begleitfehlbildungen Gastrointestinaltrakt, Nieren, Zwerchfell, ZNS

Typ III2

 5–10 %

sehr viele kleine Zysten bis 0,5 cm, häufig ganzer Lappen betroffen

schwere Atemnot postnatal,

Hydrops fetalis, Polyhydramnion,

intrauteriner Fruchttod,

schlechte Prognose

Typ IV1

10–15 %

Zysten bis 7 cm

Zufallsbefunde nach Geburt häufig, postnatale Infektionen oder Pneumothorax

1 maligne Entartung möglich.


2 keine maligne Entartung beschrieben.


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Abb. 1 CCAML Typ III, 40-jährige Patientin, Sechstgravida, Zweitpara (2 gesunde Kinder, 3x Abort). 21. SSW. Thorax-Querschnitt mit hyperechogener kleinzystisch veränderter fetaler Lunge und Mediastinal-Verdrängung (fetales Herz in die rechte Thoraxregion verdrängt) (Fall UFK Rostock, 2006).
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Abb. 2 CCAML Typ III, Fall wie Abb. 1, Polyhydramnion – tiefstes Fruchtwasser-Depot 8,21 cm (SDP-Methode).
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Abb. 3 CCAML Typ III, Fall wie Abb. 1, nach umfänglicher Beratung der Schwangeren im Konsens Entscheidung zur vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft; Fötus nach Abortinduktion: Herz in den rechten Thorax verlagert, gesamte linke Lunge kleinzystisch verändert und überbläht; histologische Bestätigung.

Spontanregressionen in der Schwangerschaft sind – häufiger bei singulären oder großzystischen Befunden – beschrieben. Mikrozystische Läsionen sind häufiger mit Hydrops fetalis und Polyhydramnion assoziiert und haben eine schlechtere Prognose.

Die Diagnosestellung erfolgt in ca. 50 % der Fälle pränatal.

Sonografie:

  • zystische Läsionen der fetalen Lunge

  • Polyhydramnion

  • Mediastinal-Verdrängung

  • Abgrenzung zum Lungensequester

  • (ergänzend pränatal MRT möglich)


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Lungensequester

Als Lungensequester wird dysfunktionelles Lungengewebe bezeichnet, das nicht an den Tracheobronchialbaum angeschlossen ist und in der Regel eine direkte Gefäßversorgung aus der Aorta aufweist. Intralobäre (in der Lunge und von der gleichen Pleura umgeben) werden von extralobären Lungensequestern (25 % der Fälle) abgegrenzt. 75–90 % der Lungensequester sind intrapulmonal lokalisiert, zumeist in den Unterlappen. Extralobäre Lungensequester werden vor allem links zwischen Unterlappen und Zwerchfell (90 % supradiaphragmatisch, 10 % subdiaphragmatisch) beobachtet. Der venöse Abstrom erfolgt über die pulmonalen Venen (intralobäre Lungensequester) bzw. die V. azygos (extralobäre Lungensequester) ([Abb. 4], [5]).

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Abb. 4 Lungensequester 22. SSW (mit freundlicher Genehmigung Dr. Th. Külz, Praxis für Pränataldiagnostik Rostock).
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Abb. 5 Lungensequester mit zuführendem Gefäß aus der Aorta thoracalis, 22. SSW (gleicher Fall wie Abb. 4) (mit freundlicher Genehmigung Dr. Th. Külz, Praxis für Pränataldiagnostik Rostock).

Sonografie:

  • Hyperechogenität der extralobären Lungensequester im Vergleich zum normalen Lungengewebe ([Tab. 2])

  • Gefäßdarstellung (farbcodierte Dopplersonografie)

  • gelegentlich Pleuraerguss (6–10 % der Fälle)

  • Begleitfehlbildungen möglich (CDH, CCAML, Vitium, Nieren, Cerebrum, Skelett) (extralobäre Lungensequester 60 %; intralobäre Sequester 10 %)

  • (ergänzend pränatal MRT möglich)

Tab. 2

Ursachen einer sonografisch hyperechogenen Lunge (Elsässer M. Fetaler Thorax 2013).

Differenzialdiagnosen

Zwerchfellhernie (Magen, Darm, Leber)

CCAML

Lungensequestration

bronchogene Zyste

Congenital high Airway Obstruction (CHAOS, Tracheal- oder Larynxatresie)

Rhabdomyom

Mediastinaltumor

Thymustumor


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Zwerchfellhernie

Zwerchfellhernien (congenital diaphragmatic hernia, CDH) zählen zu den seltenen, je nach Ausprägungsgrad aber schwerwiegenden angeborenen Fehlbildungen. Dabei kann das Zwerchfell partiell oder vollständig fehlen, wobei bevorzugt die linke Seite betroffen ist (80–90 % linksseitig; 10–20 % rechtsseitig). Im Gegensatz zum Zwerchfelldefekt ist bei der Hernie ein peritonealer Bruchsack in den Thorax verlagert. Die Inzidenz wird mit 1:2000 bis 1:5000 angegeben. Die Genese von Zwerchfellhernien ist nicht vollständig geklärt.

Bestimmend für die postnatale Therapie und Prognose sind die persistierende pulmonale Hypertonie und das Ausmaß der Lungenhypoplasie. Die sonografische Detektion ist ab der 18. SSW möglich. Für die Prognoseabschätzung ist die Bestimmung des fetalen Lungenvolumens wichtig. Dieses kann sonografisch (B-Bild, 3D-Volumen-Ultraschall) und mittels MRT erfolgen.

Folgende Bestimmungsmethoden sind etabliert:

    • lung area to head circumference ratio (lung-to-head-ration, LHR), absolute LHR

    • observed/exspected lung-to-head-ratio (o/e LHR)

    • quantitative Lung-Index (QLI)

  • 3D-Volumen-Ultraschall-Messung der fetalen Lungenvolumens

  • Lungenvolumetrie im MRT

Sonografie:

  • Nachweis von Magen, Darm, Leber im fetalen Thorax

  • Verlagerung von Herz- und Mediastinum in der Vierkammerblickebene

  • Nachweis einer Flow-Minderung in der A. cerebri media (Zwerchfellhernie komprimiert linken Ventrikel – fetales Herzminutenvolumen verringert) als negativer Prognosefaktor (infaust!)

Fazit

Sonografische und ergänzend dopplersonografische und 3D-Volumen-Ultraschall-Untersuchungen ermöglichen im Rahmen der pränatalen Diagnostik die Erkennung und in bestimmten Situationen auch Prognoseabschätzung angeborener Lungenerkrankungen.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Michael Bolz
Universitätsfrauenklinik und Poliklinik Rostock


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Abb. 1 CCAML Typ III, 40-jährige Patientin, Sechstgravida, Zweitpara (2 gesunde Kinder, 3x Abort). 21. SSW. Thorax-Querschnitt mit hyperechogener kleinzystisch veränderter fetaler Lunge und Mediastinal-Verdrängung (fetales Herz in die rechte Thoraxregion verdrängt) (Fall UFK Rostock, 2006).
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Abb. 2 CCAML Typ III, Fall wie Abb. 1, Polyhydramnion – tiefstes Fruchtwasser-Depot 8,21 cm (SDP-Methode).
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Abb. 3 CCAML Typ III, Fall wie Abb. 1, nach umfänglicher Beratung der Schwangeren im Konsens Entscheidung zur vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft; Fötus nach Abortinduktion: Herz in den rechten Thorax verlagert, gesamte linke Lunge kleinzystisch verändert und überbläht; histologische Bestätigung.
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Abb. 4 Lungensequester 22. SSW (mit freundlicher Genehmigung Dr. Th. Külz, Praxis für Pränataldiagnostik Rostock).
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Abb. 5 Lungensequester mit zuführendem Gefäß aus der Aorta thoracalis, 22. SSW (gleicher Fall wie Abb. 4) (mit freundlicher Genehmigung Dr. Th. Külz, Praxis für Pränataldiagnostik Rostock).