Schlüsselwörter
ältere Patienten - Primärprävention - TAVI - Vorhofohrverschluss - Polypharmakotherapie
Abkürzungen
AS:
Aortenklappenstenose
ASS:
Azetylsalizylsäure
BAV:
Ballonvalvuloplastie
BfArM:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
COPD:
chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
LAA:
linkes Vorhofohr
PCI:
perkutane Koronarintervention
SAS:
Schlaf-Apnoe-Syndrom
TAVI:
Transkatheter-Aortenklappenimplantation
Einleitung
Jeder Pädiater weiß, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Daher wird in der Pädiatrie eine altersbezogene Diagnostik und Therapie schon seit jeher praktiziert [1]. Bei älteren Patienten verhält sich das anders. Zahlreiche Studien, welche die Grundlage für die Zulassung vieler Medikamente darstellen, weisen als Ausschlusskriterium ein höheres Lebensalter auf. Somit ist die Evidenz zum Einsatz diverser Diagnostika, Pharmaka und interventioneller Therapieverfahren heute bei älteren Menschen nicht in ausreichender Weise gegeben.
Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen
Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen
Bei der Diagnostik und Therapie älterer Patienten spielen nicht nur in der Kardiologie krankheitsassoziierte Bedingungen, sondern ebenfalls individuelle Faktoren als auch strukturelle Vorgaben eine entscheidende Rolle ([Abb. 1]). Dabei steht die Prognoseverbesserung als oberstes Therapieziel im Fokus.
Abb. 1 Faktoren mit Einfluss auf die Diagnostik und Therapie älterer Menschen.
Das kardiovaskuläre Risiko kann unter Berücksichtigung der klassischen Risikofaktoren evaluiert und für die kommenden 10 Jahre mit dem Framingham-Risikoscore berechnet werden [2], [3]. Dieser ist jedoch nur für Menschen bis 80 Jahre validiert. In einer epidemiologischen Studie in der holländischen Stadt Leiden wurde versucht, den Framingham-Risikoscore bei 85-Jährigen anzuwenden. Dabei zeigte sich keinerlei Zusammenhang zwischen 5-Jahres-Verlauf und dem errechneten Risikoprofil [4]. Aufgrund einer hohen Korrelation zwischen erhöhtem Homocystein-Spiegel, Folsäuremangel und der Letalität in der Leiden-85-plus-Studie wurde allerdings die Folsäuresupplementation für sehr alte Menschen empfohlen.
In der Vergangenheit schlossen alle größeren Studien zur Primärprävention mit Azetylsalizylsäure (ASS) ein Alter ab 75 Jahren aus, wie sich eindrucksvoll aus einer Metaanalyse von 13 Studien mit fast 165 000 Menschen im Alter zwischen 53 und 74 Jahren zeigen lässt [5]. Der Altersgrenze von 75 Jahren trugen die Beobachtungszeit von 5 Jahren und ein wesentliches Einschlusskriterium Rechnung, dass keine kardiovaskulären Erkrankungen vorliegen durften, obwohl rund 19% einen Diabetes mellitus aufwiesen. In dieser Altersgruppe unter 75 Jahren mussten 265 Menschen ASS einnehmen, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu vermeiden. Dies wurde allerdings dadurch erkauft, dass jeder 210. Patient ein Blutungsereignis erlitt. Die kürzlich abgeschlossene ASPREE-Studie hatte sich erstmalig auf Menschen im Alter zwischen 65 und 98 Jahren (Mittelwert 74 Jahre) fokussiert und zeigte entsprechend keinerlei Nutzen mehr von ASS in der Primärprävention in dieser Altersgruppe [6].
Merke
In der Primärprävention von Menschen im Alter von 75 Jahren und älter ist ASS insbesondere bei erhöhtem Blutungsrisiko nicht zu empfehlen.
Für eine Statintherapie zur Primärprävention in dieser Altersgruppe gilt analog: Wenn keine kardiovaskulären Erkrankungen vorliegen, geben die US-Leitlinien im Alter bis 75 Jahre mit IIa eine klare Empfehlung, während sie ab 75 Jahren die Primärprävention mit IIb eher zurückhaltend bewerten und gleichzeitig bei seniler Gebrechlichkeit die Beendigung der Therapie in Betracht ziehen [7]. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass im Alter ab 65 Jahre die Inzidenz von Rhabdomyolysen unter Statintherapie um das 5,4-Fache im Vergleich zu jüngeren Menschen ansteigt [8].
In der präspezifizierten Analyse der ALLHAT-Studie (Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial) konnte an über 10 000 Menschen gezeigt werden, dass ab einem Alter von 75 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung durch eine Therapie mit Pravastatin zur Primärprävention kein Nutzen zu erzielen war [9]. In einer kürzlich publizierten Auswertung der SIDIAP-Studie (retrospektive Kohortenstudie des spanischen Informationssystem zur Erforschung der primären Krankheitsvorsorge) wurde an 46 864 Menschen ohne bekannte kardiovaskuläre Vorerkrankungen ein Nutzen der Statintherapie nur bei Vorliegen eines Diabetes gezeigt [10]. In der Sekundärprävention dagegen ist für die Statingabe ein prognostischer Nutzen mit einer Reduktion des relativen Risikos um 22% in 5 Jahren auch bei älteren Menschen nachweisbar, wie sich in einer Metaanalyse an 19 569 Patienten im Alter bis 82 Jahre zeigen ließ [11].
Die meist gebräuchlichen Statine Simvastatin und Atorvastatin wie auch Lovastatin werden in der Leber über das Cytochrom P450-CYP3A4 metabolisiert, was zu einer relevanten Interaktion mit anderen Pharmaka führen kann, wie z. B. mit Amiodaron, Clarithromycin, Cyclosporine, Diltiazem, Midazolam, Verapamil oder Warfarin [12]. Bei Rosuvastatin besteht diese Interaktion so nicht, weshalb in einer Analyse der JUPITER- und HOPE-3-Studien auch bei über 70-Jährigen ein eindeutiger Nutzen ohne erhöhte Nebenwirkungsrate nachzuweisen war [13].
Merke
Die Statingabe zur Primärprävention bei älteren Menschen ist vom Einzelfall abhängig und sollte vornehmlich auf Diabetiker beschränkt werden unter sorgfältiger Auswahl der jeweiligen Substanz.
Fallbeispiel 1
Anamnese und Aufnahmebefund
Ein 86-jähriger Herr stellt sich zusammen mit seinem Sohn in der Ambulanz vor, weil er kaum noch aus dem Stuhl aufstehen könne, ohne dass es zu schwerer Luftnot und Angina pectoris käme. Als Vordiagnosen sind persistierendes Vorhofflimmern, ein arterieller Hypertonus und eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) bekannt, die mit Marcumar, Amlodipin und zwei Inhalativa seit vielen Jahren behandelt werden. Bei der klinischen Untersuchung fallen ein unruhiger Puls, feuchte Rasselgeräusche über beiden Lungenunterfeldern und ein 4/6-Systolikum über dem 2. ICR rechts auf.
Der Patient wird rasch stationär aufgenommen. Bei einer peripheren Sauerstoffsättigung von 85% erhält er 2 l Sauerstoff über die Nasensonde und 20 mg Furosemid i. v. Im EKG findet sich eine Tachyarrhythmie von 110/min sowie Zeichen einer Linksherzhypertrophie mit einem Sokolow-Lyon-Index von 3,8 mV. In der Echokardiografie werden beiderseits Pleuraergüsse von je 5 cm Ausmaß festgestellt. Der linke Ventrikel ist mäßig hypertrophiert und dilatiert bei einer global eingeschränkten Pumpfunktion, die linksventrikuläre Ejektionsfraktion wird mit 35% gemessen. Sowohl in der parasternalen als auch in der apikalen Anschallung zeigt sich eine schwerst sklerosierte Aortenklappe ohne erkennbare Öffnungsbewegung.
Blutdruckverhalten
Während bei jüngeren Menschen ein dünnwandiges Herz überwiegend durch eine Frequenzsteigerung das Herzzeitvolumen bei Belastung dem Bedarf zur Organperfusion anpasst, reagieren ältere Menschen eher mit einem Anstieg des arteriellen Blutdrucks ([Abb. 2]). Dies ist der höheren Gefäßsteifigkeit, den dickeren Ventrikelwänden und der eingeschränkten Frequenzvariabilität im Alter geschuldet, welche mit einem höheren Blutdruck in Ruhe und einer geminderten zirkadianen Rhythmik einhergehen [14], [15]. Interessanterweise hat sich das Bewusstsein der Ärzte und damit die Behandlung des arteriellen Hypertonus älterer Menschen in den vergangenen 30 Jahren deutlich verbessert [16]. Dies hat jedoch zur Folge, dass ein Drittel der über 80-Jährigen mindestens drei unterschiedliche Substanzgruppen von Blutdrucksenkern gleichzeitig einnimmt, was das Risiko für Arzneimittelinteraktionen und Kumulation dieser Substanzen erhöht. Bei einer Prävalenz des arteriellen Hypertonus von rund 84% in dieser Altersgruppe muss also nicht nur der Kardiologe, sondern schon der Hausarzt bei weiteren Verschreibungen dem Rechnung tragen [17]. In der Therapie des Hypertonus muss ferner berücksichtigt werden, dass Betarezeptorenblocker ein geringeres Ansprechen zeigen, obwohl der Plasmaspiegel von Noradrenalin im Alter ansteigt. Dies ist maßgeblich auf einen Rückgang der Dichte der Katecholaminrezeptoren der arteriellen Widerstandsgefäße zurückzuführen [18]. Das Ansprechverhalten auf Kalziumantagonisten nimmt dagegen in der Seneszenz zu.
Abb. 2 Altersabhängigkeit der Kreislaufregulationsmechanismen. Während jüngere Menschen überwiegend durch eine höhere Pulsfrequenz das Herzzeitvolumen unter Belastung steigern können, reagieren ältere Menschen mit einem stärkeren Blutdruckanstieg.
Bei der Blutdruckmessung ist gerade bei älteren Menschen der sogenannte Weißkitteleffekt ausgeprägter, weshalb neben regelmäßigen Selbstmessungen eine 24-Stunden-Analyse empfehlenswert ist [19].
Die Behandlung des Hypertonus führt in allen Altersgruppen zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos, wobei die Zielwerte aktuell kontrovers diskutiert werden [20]. Die strengen amerikanischen Zielwerte nach der SPRINT-Studie (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) haben zwar einen höheren Effekt in der Risikoreduktion als die europäischen, können aber ältere Diabetiker gefährden, wenn diese zu Hypotension mit Synkopen oder Nierenfunktionsstörungen neigen [21], [22].
Merke
Generell sollte auch bei älteren Menschen ein Zielblutdruckwert von systolisch unter 140 mmHg in der Therapie angestrebt werden, wobei die ESC-Leitlinie von 2018 einen Druck von bis zu 159 mmHg als tolerabel beschreibt [23], [24].
In der Gruppe der 80- bis 90-Jährigen wird basierend auf einer präspezifizierten Analyse der HYVET-Studie eine moderate Blutdrucksenkung mit einem Ziel von unter 150/80 mmHg empfohlen [25]. Für Menschen über 90 Jahren gibt es leider keine validen Studiendaten. Die bislang nur als Abstract vorgestellte INFINITY-Study empfiehlt, basierend auf neurokognitiven Analysen, auch bei über 80-Jährigen eine strengere Blutdruckeinstellung [19].
Cave
Bei älteren Menschen insbesondere mit Diabetes sollte die Nierenfunktion engmaschig kontrolliert und ggf. die antihypertensive Medikation angepasst werden, damit Schäden einer „Übertherapie“ rechtzeitig erkannt und so vermieden werden können [26].
Fallbeispiel 1
Therapeutisches Vorgehen
Der Vitamin-K-Antagonist wird pausiert und ein niedermolekulares Heparin verabreicht. Nach mehrfachen Furosemid-Gaben wird der Patient rekompensiert und kann nach 2 Tagen für eine Herzkatheteruntersuchung vorbereitet werden. Es zeigt sich eine mäßig veränderte, relativ kleine rechte Kranzarterie. Die linke Koronararterie (LCA) weist hochgradige Veränderungen mit einer hauptstammnahen Stenose des R. intermedius und des R. interventricularis anterior (RIVA) auf ([Abb. 3]).
Abb. 3 Herzkatheteruntersuchung.
a Koronarangiografie der linken Koronararterie mit Stenosierungen des R. intermedius (RIM) und des R. interventricularis anterior (RIVA).
b Darstellung der linken Koronararterie nach Implantation von zwei Stents.
Bei der Vorstellung im Heart Team werden die Begleiterkrankungen wie COPD und eingeschränkt linksventrikuläre Funktion diskutiert. Der logistische Euro-Score 1 weist 10 Punkte bzw. eine hypothetische 30-Tage-Letalität von 18,7% aus ([Abb. 4]). Während das Alter mit 6 Punkten maßgeblich das Risiko determiniert, gehen die Lungenvorerkrankung und die eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion mit jeweils einem Punkt in den Score ein. Da bei hochgradiger Aortenklappenstenose kein isolierter koronar-arterieller Bypass infrage kommt, addieren sich 2 weitere Punkte zum Endergebnis. Es fällt die Entscheidung in Rücksprache mit den Kollegen der Anästhesie, den älteren Patienten mehrstufig interventionell zu behandeln. Zunächst soll die Koronarischämie beseitigt und im Anschluss eine Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) durchgeführt werden.
Abb. 4 Logistischer Euro-Score 1 bei intermediärem bis hohem Risiko.
Alterspezifische Aspekte der Organfunktion
Alterspezifische Aspekte der Organfunktion
Die amerikanischen Fachgesellschaften beschreiben in ihrem aktuellen Jahresbericht die Prävalenzen von chronischer Niereninsuffizienz, definiert durch eine glomeruläre Filtrationsrate (GFR) unter 60 ml/min−1/1,73 m−2. Diese beträgt in der Gruppe der 20- bis 39-Jährigen 5,7%, bei 40- bis 59-Jährigen 8,9% und 33,2% bei Menschen über 60 Jahre [27]. In der Gruppe der „sehr alten“ Menschen (> 80 Jahre) wird auf eine über die letzten Jahrzehnte deutlich steigende Prävalenz von 40,5% (1988 – 1994) auf 49,9% (1999 – 2004) und zuletzt auf 51,2% (in 2015) hingewiesen.
Die Leber ist eines der Organe mit der höchsten Regenerationsfähigkeit, auch im Alter. Die Leberalterung vollzieht sich hauptsächlich im Bereich der Sinusoide und Kupffer-Zellen [28]. Erkrankungen der Gallenwege, insbesondere Gallensteinleiden, nehmen jedoch mit dem Lebensalter stetig zu und hängen auch von anderen Faktoren wie Adipositas oder Geschlecht ab [29]. Mit den Lebensjahren nimmt die Verfettung der Leber zu, wobei Kofaktoren wie Diabetes mellitus oder Alkoholkonsum beschleunigend wirken können [30].
Merke
Eine Fettleber begünstigt kardiovaskuläre Erkrankungen, insbesondere das Auftreten von Vorhofflimmern, und birgt infolge der verlängerten Eliminationszeiten von Medikamenten das Risiko von Überdosierungen und unerwünschten Arzneimittelinteraktionen [31], [32].
Im Alter kommt es physiologischerweise zu Veränderungen der pulmonalen Funktion mit Verlust des maximalen exspiratorischen Flusses, Abnahme des Lungenvolumens und der Lungenelastizität. Dabei hat der Verlust der elastischen Rückstellkräfte in den Alveolen ein ähnliches Ausmaß wie der in den großen Atemwegen [33]. So verändert sich im Alter nicht nur die Elastizität, sondern auch der Querschnitt der Atemwege [34]. Gleichzeitig nimmt die Kraft der Atemhilfsmuskulatur ab, was einen Rückgang des maximalen Atem-Minuten-Volumens im Senium zur Folge hat ([Abb. 5]). Während bei jüngeren Menschen das Schlaf-Apnoe-Syndrom (SAS) überwiegend mit Adipositas assoziiert ist und mit einem deutlich erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht, tritt dieses bei sehr alten Menschen zum Teil infolge eines Kollapses der Atemwege aufgrund von Muskelschwäche und Malnutrition auf [35].
Merke
In der Alterskardiologie sollte auch bei normal- und untergewichtigen Patienten ein Screening auf SAS veranlasst werden, wenn sich Symptome wie Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung am Tag oder Konzentrationsstörungen zeigen, die anderweitig nicht zu erklären sind [35].
Abb. 5 Veränderungen der Lungenfunktionsparameter in Ruhe mit steigendem Lebensalter. Parallel mit abnehmender Elastizität des Lungengewebes geht das maximale Atemminutenvolumen im Alter zurück.
Fallbeispiel 1
Weiterer Verlauf
Zunächst erfolgt eine PCI an R. intermedius und RIVA mit Implantation von zwei Stents (s. [Abb. 3 b]). Nach 6 Wochen wird im Hybrid-Operationssaal unter Lokalanästhesie eine expandierbare Schleuse in die rechte A. femoralis communis eingebracht. Unter Rapid Pacing erfolgt die direkte Implantation einer 29-mm-Bioprothese ([Abb. 6 a]). Die TAVI-Prothese zeigt nach der initialen Implantation noch eine kleine Undichtigkeit, weshalb unmittelbar mit einem höheren Ballonvolumen nachgedehnt wird ([Abb. 6 b]). Nun ist keine Aortenklappeninsuffizienz in der Angiografie und in der transthorakalen Echokardiografie bei guter Klappenexpansion mehr sichtbar.
Nach der TAVI wird der inzwischen 87 Jahre alte Patient in eine Rehabilitationseinrichtung verlegt. Nach 3 Wochen ist er wieder in der Lage, ein Stockwerk am Stück Treppen zu steigen und mit seinen Enkelkindern Mensch ärgere dich nicht zu spielen. Die Medikation umfasst einen direkten Faktor-Xa-Inhibitor sowie einen Thrombozytenaggregationshemmer, Betablocker in niedriger Dosierung und ein Schleifendiuretikum. Der Patient hat nach dieser Behandlung wieder Lebensqualität und Lebensmut, was das oberste Therapieziel der Alterskardiologie sein sollte.
Abb. 6 Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) mit 29-mm-Prothese.
a Die Prothese wird unter Rapid Pacing aufgedehnt. Dabei wird die alte sklerosierte Klappe auseinandergedrückt und in die Aortenwurzel gepresst.
b Nachdilatation mit größerem Ballonvolumen aufgrund einer paravalvulären Leckage. In der Abschlussangiografie kann eine relevante Insuffizienz ausgeschlossen werden.
Vorhofflimmern
Bei rund 6% aller Menschen älter als 75 Jahre und bei 9% der über 80-Jährigen findet sich paroxysmal oder auch dauerhaft Vorhofflimmern [36], welches das Risiko für thrombembolische Infarkte birgt. Da die Wahrscheinlichkeit an Vorhofflimmern zu erkranken im Alter deutlich ansteigt, wird ein Screening spätestens ab 75 Jahren, bei Vorliegen von Risikofaktoren bereits ab 65 Jahren empfohlen [37], [38]. Mittels CHA2DS2-VASc-Score kann das Risiko für einen thrombembolischen Schlaganfall ermittelt werden. Bei einem Punktwert von > 1 sollte eine dauerhafte Antikoagulation eingeleitet werden ([Tab. 1]). Dieser steht aufgrund der zumeist multiplen Komorbiditäten ein mit dem Alter zunehmendes Blutungsrisiko entgegen. Dieses wird mit dem sog. HAS-BLED-Score erfasst ([Tab. 2]). Bei mehr als 2 Punkten wird von einem hohen Blutungsrisiko ausgegangen, was das therapeutische Dilemma bei älteren Menschen mit Vorhofflimmern im klinischen Alltag ergibt [39]. Eine Alternative zur oralen Antikoagulation stellt der interventionelle Vorhofohrverschluss (s. u.) dar, bei dem die Einnahme eines Thrombozytenaggregationshemmers einen ausreichenden Schutz bietet.
Tab. 1 CHA2DS2-VASc-Score zur Berechnung des Thrombembolierisikos bei einem Patienten mit Vorhofflimmern. Bei einem erhöhten Schlaganfallrisiko (CHA2DS2-VASc-Score ≥ 3 bei Frauen bzw. ≥ 2 bei Männern) erleiden mehr als 3% einen Schlaganfall pro Jahr.
Abkürzung
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Erklärung
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Punkte
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TIA: transitorische ischämische Attacke, pAVK: periphere arterielle Verschlusskrankheit
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C
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(Congestive Heart Failure) Herzinsuffizienz
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1
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H
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Hypertonus
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1
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A2
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Alter ≥ 75 Jahre
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2
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D
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Diabetes mellitus
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1
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S2
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(Stroke) Schlaganfall, TIA oder Thromboembolie
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2
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V
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vaskuläre Erkrankungen (pAVK, Myokardinfarkt)
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1
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A
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Alter 65 – 74 Jahre
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1
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Sc
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(Sex category: female) weibliches Geschlecht
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1
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Tab. 2 HAS-BLED-Score zur Berechnung des Blutungsrisikos bei Patienten unter Antikoagulation. Ein hohes Blutungsrisiko besteht ab einem HAS-BLED-Score > 2.
Abkürzung
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Erklärung
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Punkte
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NSAR: nichtsteroidale Antirheumatika
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H
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Hypertonus (arterielle Hypertonie)
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1
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A
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abnorme Funktion der Niere
abnorme Funktion der Leber
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1
1
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S
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Schlaganfall
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1
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B
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Blutungsneigung (Blutungsanamnese, Hämophilie)
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1
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L
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labile INR-Werte (unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonist)
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1
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E
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(Elderly), Alter > 65 Jahre
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1
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D
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(Drugs): Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern, NSAR
zusätzlich: Alkoholabusus
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1
1
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Fallbeispiel 2
Mit in den letzten beiden Wochen progredienter Dyspnoe wurde eine 88-jährige Patientin in die Notaufnahme gebracht, wo sie mit einer Atemfrequenz in Ruhe von 22/min und peripheren Sauerstoffsättigung von 83% unter Raumluft sofort auf die IMC-Station weitergeleitet wurde. Aufgrund grobblasiger Rasselgeräusche über beiden Lungen und beidseitigen Unterschenkelödemen hatte der erstbehandelnde Notarzt bereits Furosemid 40 mg i. v. und 5 l/min O2 über die Nasensonde gegeben. Im EKG fanden sich keine ST-Strecken-Veränderungen bei Vorhofflimmern mit einer Frequenz von 90 – 100/min. Im Aufnahmelabor waren das Troponin grenzwertig erhöht, Kreatinin mit 2,4 mg/dl (eGFR 22 ml/min), Hb mit 7,5 mg/dl und NT-proBNP mit 8300 pg/ml deutlich auffällig. Bei der körperlichen Untersuchung der adipösen Patientin waren nicht nur die Rasselgeräusche, sondern ein 3/6-Decrescendo-Systolikum über der Herzspitze sowie Unterschenkelödeme und gestaute Jugularvenen auffällig. Nach einem Bagatelltrauma der linken Hüfte hatte sie ein ausgeprägtes Hämatom des linken Beines ([Abb. 7]). Im Röntgenbild des Thorax zeigten sich bei stabilen Drahtcerclagen bds. ausgelaufene Pleuraergüsse bei verbreiterten Herzschatten und zentraler Stauung. In der Vorgeschichte sind eine koronare Bypassoperation mit 78 Jahren sowie eine postoperative Schrittmacherversorgung aufgrund eines AV-Blockes 3. Grades zu erwähnen. Die Vormedikation umfasste Torasemid 10 mg, Apixaban 2 × 5 mg aufgrund von Vorhofflimmern, Bisoprolol 5 mg, Ramipril 2,5 mg und Simvastatin 40 mg am Abend.
Abb. 7 2 Tage nach diuretischer Therapie regredientes Ödem. Ausgeprägtes Hämatom des linken Beines medial des Knies, welches in den Unterschenkel abgesackt ist. 2 Wochen zuvor Hüftprellung am Küchentisch unter oraler Antikoagulation bei progredientem Nierenversagen.
Polypharmakotherapie – Pharmakovigilanz
Polypharmakotherapie – Pharmakovigilanz
Ältere Menschen nehmen sowohl häufiger als auch mehr Medikamente als jüngere ein und weisen gleichzeitig einen verminderten Abbau bzw. eine verminderte Ausscheidung der Substanzen auf mit einem folglich erhöhtem Risiko für Arzneimittelinteraktionen und Überdosierungen [40]. Ferner kann es bei dieser Patientengruppe infolge unzureichender Informationen und der Verordnung diverser, ähnlich benannter Substanzen eher zu unbeabsichtigten Fehleinnahmen kommen. Die Folge ist eine nicht unerhebliche Inzidenz von akzidentellen Intoxikationen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass ältere Menschen im Falle einer Vergiftung – unabhängig, ob durch Arzneimittel oder andere Substanzen – eine dreifach erhöhte Letalität im Vergleich zu jüngeren Menschen aufweisen [41]. Die Polypharmakotherapie älterer Menschen verursachte bereits in den 90er-Jahren direkte und vor allem infolge von Interaktionen und Nebenwirkungen erhebliche indirekte Mehrkosten im Gesundheitswesen, die sich in den USA auf 3 – 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr beliefen und heute vermutlich noch höher sind [42].
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weist ausdrücklich darauf hin, dass „die Kenntnisse über die Sicherheit von Arzneimitteln zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Zulassung nicht vollständig“ sind, da vor allem die „klinische Erprobung eines Arzneimittels an einer relativ geringen Zahl von Patienten durchgeführt“ wird. Diese Patienten sind oft „unter verschiedenen Aspekten für die klinische Prüfung besonders ausgewählt“ und repräsentieren insbesondere Risikogruppen wie ältere Menschen nicht in ausreichender Weise (www.bfarm.de). Aufgrund der sehr limitierten Datenlage zur Behandlung geriatrischer Patienten werden diese entsprechend in den aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Andererseits ist aufgrund des demografischen Wandels mit einer stetig wachsenden Population an Menschen im Alter von über 80 Jahren zu rechnen. Entsprechend muss zukünftig mehr auf geriatrische Fragestellungen bei der Planung von klinischen Studien, der Zulassung von Medizinprodukten und Arzneimitteln, in der Pharmakovigilanz nach Zulassung, aber auch in den Empfehlungen der Fachgesellschaften und ihren Leitlinien geachtet werden.
Unlängst hat die PRISCUS-Liste potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen, welche von der Universität Witten/Herdecke zusammengetragen wurde, die wesentlichen Probleme bei der Pharmakotherapie tabellarisch aufgeführt und kommentiert [40]. Auf Basis einer Likert-Skala wurden Pharmaka in Hinblick auf eine erhöhte Empfindlichkeit, verzögerten Abbau sowie paradoxe Effekte und Nebenwirkungen bei älteren Patienten bewertet. Zuvor hatte schon ein französisches Expertenpanel Empfehlungen zur Pharmakotherapie älterer Patienten publiziert, wobei ebenfalls eine Wertung anhand von Likert-Skalen vorgenommen wurde [43] ([Tab. 3]).
Tab. 3 Likert-Skala zur Bewertung eines Medikaments zur Anwendung bei älteren Patienten [44].
Punkte
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Bewertung
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1
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Arzneistoff ist sicher potenziell inadäquat für ältere Patienten
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2
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Arzneistoff ist potenziell inadäquat für ältere Patienten
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3
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Empfehlung unentschieden
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4
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Arzneistoff ist nicht potenziell inadäquat für ältere Patienten
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5
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Arzneistoff ist sicher nicht potenziell inadäquat für ältere Patienten
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Anhand der PRISCUS-Liste können Nutzen und Risiko einer Pharmakotherapie für ältere Patienten abgewogen und Substanzen mit weniger als 3 Punkten entsprechend vermieden werden. Als Beispiele seien aufgeführt:
-
Das Klasse-1-Antiarrhythmikum Chinidin, welches in Kombination mit Verapamil bei supraventrikulären Tachykardien zum Einsatz kommen kann, für die Behandlung von Menschen über 75 Jahre nicht empfohlen. Es blockiert den Natriumeinstrom und fördert gleichzeitig den Kaliumausstrom aus den Kardiomyozyten. Da dieser Effekt im gesamten Organismus wirkt, sind unerwünschte Nebenwirkungen wie Agitation, Halluzinationen und auch Depression bis hin zu einer erhöhten Letalität bei älteren Menschen beschrieben und auf der Likert-Skala Chinidin mit 1,39 als inadäquat bewertet worden [45], [46].
-
Digoxin wird mit 2,5 als eher ungeeignet bzw. indifferent bewertet. Durch eine Hemmung der Adenosintriphosphatase wird der Natrium-Kalium-Transporter gehemmt, was einen negativ chronotropen und negativ dromotropen Effekt hat. Der sekundär vermehrte Einstrom von Kalzium in die Kardiomyozyten hat dagegen einen positiv inotropen Effekt. Da Digoxin zu 80% renal eliminiert wird, resultiert gerade bei älteren Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion ein erhöhtes Kumulationsrisiko, welches u. a. mit Nausea, Sehstörungen und AV-Blockierungen einhergehen kann. Entsprechend werden eine Dosisreduktion und regelmäßige Kontrollen der Retentionsparameter bei der Therapie empfohlen. In einer Metaanalyse zeigte sich eine um 17% gesteigerte Letalität unter Digoxin-Einnahme bei älteren Patienten, welche durch Herzinsuffizienz und Tachyarrhythmie verstärkt wurde [47].
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Der Thrombozytenaggregationshemmer Prasugrel wird in der PRISCUS-Liste mit 2,38 Punkten für die Behandlung von Patienten über 75 Jahre nicht bzw. in reduzierter Dosis empfohlen. Dies ist auf relevante Blutungskomplikationen bei älteren Menschen zurückzuführen [48].
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Auch der Einsatz des kurzwirksamen Tranquilizers Oxazepam wird mit 1,76 Punkten als potenziell inadäquat für ältere Menschen abgelehnt. Aufgrund der renalen Eliminationsrate von rund 90% und der Interaktionen mit Antihypertensiva sind plötzliche Blutdruckabfälle mit Risiko für Synkopen beschrieben [49].
Da ältere Menschen eine höhere Rate an Komorbiditäten aufweisen, ist es differenzialdiagnostisch schwierig, arzneimittelassoziierte Nebenwirkungen von den sogenannten „Symptomen des Älterwerdens“ zu differenzieren. Dies gilt für dosisabhängige (Typ A) wie auch für dosisunabhängige unerwünschte Wirkungen (Typ B), wobei die Tendenz zur Kumulation aufgrund der geringeren renalen und hepatischen Elimination überwiegt.
Fallbeispiel 2
Therapeutisches Vorgehen
In der Notfallechokardiografie zeigte sich bei insgesamt schlechten Schallbedingungen eine mittel- bis höhergradig eingeschränkte linksventrikulärer Pumpfunktion, eine Rechtsherzbelastung bei pulmonaler Hypertonie und eine ausgeprägte Mitralklappeninsuffizienz. Es erfolgte unter i. v. Gabe von Furosemid, Pausieren des Xa-Inhibitors, Transfusion von zwei Erythrozytenkonzentraten und regelmäßiger Kontrolle der Elektrolyte die Rekompensation unter Ausschwemmung von insgesamt 6 l über 4 Tage. Da am 5. Tage die Patientin ohne Gabe von Sauerstoff flach liegen konnte, führten wir eine transösophageale Echokardiografie ([Abb. 8]) sowie eine Koronarangiografie durch, die eine relevante Stenosierung bei vorbekannter KHK und offenen Bypässen ausschließen konnte. Entsprechend erfolgte eine Lävokardiografie und Rechtsherzkatheteruntersuchung, wobei ein pulmonalarterieller Druck von 68/24 mmHg (Mitteldruck 49 mmHg) und in Wedge-Position eine V-Welle von 56 mmHg bei einem Mitteldruck von 23 mmHg registriert wurden ([Abb. 9]).
Abb. 8 Transösophageale Echokardiografie nach Rekompensation mit hochgradiger Mitralklappeninsuffizienz im Farbdoppler (Jet bis zum Vorhofdach, V. contracta 7 mm).
Abb. 9 Die Lävokardiografie zeigt eine vollständige Füllung des linken Vorhofs (LA) mit partiellem Kontrastmittelrückstrom bis in die Pulmonalvenen (LV: linker Ventrikel).
Es erfolgte die Vorstellung im Heart Team, das sich aufgrund der Vorerkrankungen für die Empfehlung zur kathetergeführten Mitralklappenrekonstruktion mittels Clip ausspricht. Diese erfolgt 2 Tage später im Hybridlabor mit Zugang über die rechte V. femoralis ([Abb. 10]).
Abb. 10 Kathetergeführte Mitralklappenrekonstruktion mittels Clip.
a Nach Einbringen einer 24-F-Schleuse über die rechte V. femoralis wird der Mitraclip an einem Katheter befestigt eingebracht.
b Unter transösophagealer Echokardiografie wird die Undichtigkeit zwischen anteriorem und posteriorem Mitralsegel aneinandergelegt.
c Bei gutem Ergebnis in der instantanen Druckmessung (Rückgang der V-Welle von 56 auf 25 mmHg) und 3-D-Echokardiografie wird in der optimalen Position der Clip abgelöst.
d Der Katheter wird entfernt.
Koronare Interventionen für ältere Menschen
Koronare Interventionen für ältere Menschen
Während in den 1980er- und 90er-Jahren die meisten Eingriffe in der Kardiologie primär für Menschen mittleren Alters entwickelt und in den ersten Studien an Menschen im Alter unter 70 Jahren evaluiert wurden, haben sich in den letzten Jahren Eingriffe im klinischen Alltag etabliert, welche speziell den Erkrankungen und dem Risikoprofil geriatrischer Patienten Rechnung tragen. Diese Entwicklung interventioneller Verfahren wird in [Tab. 4] den therapeutischen Goldstandards bei jüngeren Patienten für ausgewählte kardiologische Krankheitsbilder exemplarisch gegenübergestellt. Während heute perkutane Koronarinterventionen (PCI) selbstverständlich bei über 85-Jährigen durchgeführt werden, galt ein solcher Eingriff bei älteren Patienten vor drei Jahrzehnten als absolute Ausnahme [50]. In einer Analyse von 5000 interventionellen Prozeduren aus dem Jahr 1994 wurde dies damit begründet, dass das Risiko für schwerwiegende Komplikationen im Rahmen einer PCI infolge eines Hypertonus um 9%, eines Diabetes mellitus um 13% und ab einem Alter von 70 Jahren um 16% zunahm [51]. Heute liegt die komplikationslose Erfolgsrate in der Gruppe der über 90-Jährigen bei 91% [52]. Die Gebrechlichkeit kann anhand eines Frailty-Scores analysiert und bei der individuellen Indikationsstellung berücksichtigt werden [53].
Tab. 4 Vergleich der kardiologischen Diagnostik und Therapie von jungen und älteren Patienten. Die Grenze zur Differenzierung zwischen Alt und Jung kann dabei variabel zwischen 70 und 80 Jahren gewählt werden und verschiebt sich stetig.
Indikation
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altersabhängige Diagnostik und Therapie
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Alter < 75 Jahre
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Alter ≥ 75 Jahre
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MRT: Magnetresonanztomografie, TAVI: Transkatheter-Aortenklappenimplantation, CHA2DS2-VASc-Score: klinische Risikoanalyse für Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern
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symptomatische Koronarstenose
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perkutane Koronarintervention: direktes Stenting
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perkutane Koronarintervention: Stenosenvorbereitung z. B. mit Cuttingballoon oder Rotablation vor Stenting
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Verdacht auf: Myokarditis, Kardiomyopathie, Speichererkrankung
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primär kardiales MRT, Endomyokardbiopsie zur Differenzialdiagnostik und im Notfall (z. B. Verdacht auf Riesenzellmyokarditis)
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kardiales MRT, Szintigrafie (Amyloidose)
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symptomatische Aortenklappenstenose
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primär operativer Klappenersatz, bei sehr hohem Risiko TAVI
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≥ 80 Jahren primär TAVI, evtl. Valvuloplastie
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symptomatische Mitralstenose (MS)
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Valvuloplastie bei isolierter rheumatischer MS
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keine interventionelle Therapieoption, Valvuloplastie aufgrund Kalzifizierung meist kontraindiziert
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hochgradige Mitralinsuffizienz
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primär operative Klappenrekonstruktion, bei sehr hohem Risikoprofil Mitralklappen-Clipping
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primär Mitralklappen-Clipping, bei niedrigem operativen Risiko minimalinvasive Rekonstruktion
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Vorhofflimmern mit Thromboembolierisiko (CHA2DS2Vasc ≥ 2)
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primär orale Antikoagulation, bei sehr hohem Risiko oder Kontraindikation zur oralen Antikoagulation auch Vorhofohrverschluss
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Vorhofohrverschluss bei hohem Blutungsrisiko (z. B. nach bedrohlicher Blutung, Tumor, Angiopathie, Niereninsuffizienz ≥ Grad IV, fehlende Compliance)
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Rotablation
Die Arteriosklerose ist ein langsam fortschreitender, altersabhängiger global vaskulärer Prozess, bei dem das Innenlumen des Gefäßes stetig abnimmt. In der Folge kommt es zu Limitationen des Blutflusses, was im Falle der koronaren Herzerkrankung mittels Ballondehnung und Stentimplantation behandelt werden kann. Bei sehr stark kalzifizierten Läsionen, wie sie häufiger bei Diabetikern und älteren Menschen zu finden sind, kann bei der PCI der Ballon die Stenose häufig nicht passieren [54]. Dafür wurde vor fast 30 Jahren die Rotablation entwickelt, bei der das Plaquematerial mittels eines mit Diamanten besetzten Bohrkopfs abgetragen und zerstäubt wird. Dieser Rotablationskopf rotiert über einen zentralen Führungsdraht mit bis zu 190 000 Umdrehungen/min und wird durch ein pneumatisches Turbinensystem angetrieben. Die weniger als 10 µm messenden Partikel werden dann von Leukozyten phagozytiert und abgebaut.
Da 2 – 3% der therapiebedürftigen Stenosen älterer Menschen mit einem Stent primär nicht passiert werden können, hat sich die Technik der Plaqueabtragung mittels Rotablator für die PCI älterer Menschen bewährt [54], [55]. Diese kann bei älteren Patienten sogar über die A. radialis erfolgreich durchgeführt werden [56], um so Komplikationen an der Zugangsstelle zu reduzieren.
Vorhofohrverschluss
In den letzten Jahren hat sich der kathetergeführte Verschluss des linken Vorhofohrs (LAA-Okkluder) bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern als Alternative zu der notwendigen, aber mit Blutungsrisiko behafteten dauerhaften Antikoagulation etabliert, wenn ein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt [57], [58]. Da dieser Eingriff wenig belastend und heute mit guten Erfolgsraten durchgeführt werden kann, ist er insbesondere für ältere Menschen mit hohem HAS-BLED-Score, im Falle von Kontraindikationen oder auch vor geplanten größeren Eingriffen zu favorisieren. Der LAA-Okkluder verbessert in der Gruppe der über 80-Jährigen die Lebensqualität, welche in der Alterskardiologie ein wesentliches Therapieziel darstellt [59].
Fallbeispiel 2
Weiterer Verlauf
Nach dem Eingriff wurde die Patientin noch 24 Stunden intensivmedizinisch überwacht und dann auf die kardiologische Normalstation verlegt, wo sie innerhalb der nächsten 3 Tage rasch zu mobilisieren war. Der Kreatininspiegel fiel auf 1,5 mg/dl ab (eGFR 46 ml/min). Beim Laufen mit dem Rollator auf dem Gang war keine Dyspnoe mehr festzustellen und sie konnte in ihre Seniorenresidenz entlassen werden. Die Entlassungsmedikation umfasste Apixaban 2 × 2,5 mg, Torasemid 20 mg, Ramipril 2 × 1,25 mg, Bisoprolol 2 × 2,5 mg und Rosuvastatin 5 mg. Hierunter waren im Verlauf von 3 Monaten stabile Laborbefunde und eine gute subjektive Alltagsbelastbarkeit (Besuch von insgesamt 5 Konzerten und 2 Theateraufführungen sowie Feier des 89. Geburtstags im Kreise der Familie) problemlos möglich. Bei einer ambulanten Kontrolle zeigten sich eine gebesserte linksventrikuläre Pumpfunktion und eine minimale Mitralinsuffizienz im Clipbereich bei um ⅓ gesenktem pulmonalarteriellem Druck. [Abb. 11] zeigt den Clip in transthorakaler Ultraschalldarstellung. Unterschenkelödeme seien nur noch gelegentlich abends festzustellen, das Körpergewicht war bei regelmäßigen Messungen über den gesamten Zeitraum konstant.
Abb. 11 Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten. a In der transthorakalen Echokardiografie findet sich ein guter Mitralklappenschluss bei insgesamt gebesserter linksventrikulärer Pumpfunktion und Reduktion der Rechtsherzbelastung. b Im Bereich des Clips (Pfeil) besteht eine minimale Mitralklappeninsuffizienz im Farbdoppler. Der rechte Ventrikel ist deutlich kleiner bei jetzt ausgeglichenem Volumenstatus.
Fallbeispiel 2
Diskussion
Die Aufnahme der Patientin erfolgte bei kardialer Dekompensation in Kombination mit akutem Nierenversagen. Die Dosierung von 2 × 5 mg Apixaban war 2 Jahre zuvor bei einem Kreatininspiegel von 0,9 mg/dl aufgrund von Vorhofflimmern eingeleitet worden. Bei jetzt schlechterer Nierenfunktion war es zu einer schleichenden Kumulation der oralen Antikoagulation gekommen und infolge eines Bagatelltraumas hatte sich ein großes Hämatom vom Oberschenkel in das gesamte linke Bein ausgebreitet. In der retrospektiven Analyse kann nicht eindeutig entschieden werden, ob in diesem Fall eines kardiorenalen Syndroms die progrediente Herzinsuffizienz ursächlich für die Abnahme der Nierenfunktion war oder diese sich infolge der schlechter werdenden Nierenfunktion und bei akuter Blutung aufgetretenen Anämie sekundär entwickelt hatte. Ferner kann im Alter von fast 90 Jahren die Fortführung der Statintherapie im Rahmen einer Sekundärprävention der koronaren Herzerkrankung kritisch diskutiert werden. Wir wählten in diesem Fall eine niedrige Dosierung von Rosuvastatin, um mögliche Arzneimittelinteraktionen, z. B. mit Antibiotika, in der Zukunft zu vermeiden. Auch wenn das Blutungsereignis in diesem Umfang einmalig war, haben wir ferner der Patientin die Option eines Vorhofohrverschlusses als Alternative zur dauerhaften Antikoagulanzientherapie in Aussicht gestellt. Dieser käme im Falle eines Blutungsrezidivs bzw. bei wieder schlechter werdenden Retentionsparametern infrage. Nach der Implantation eines Mitralklappen-Clips sollte im Falle septischer Eingriffe (z. B. Sanierung einer infizierten Zahnwurzel) auf eine Antibiotikaprophylaxe entsprechend der Endokarditis-Leitlinien hingewiesen werden. Abschließend sollte jedoch die jetzt wiederhergestellte Lebensqualität der geistig rüstigen Seniorin in den Vordergrund gestellt werden, die im Einzelfall eine derart aufwendige und kostenintensive Behandlung rechtfertigt.
Transkatheter-Aortenklappenimplantation
Transkatheter-Aortenklappenimplantation
Während rheumatische Klappenerkrankungen bei jüngeren Menschen häufiger vorzufinden sind, jedoch infolge eines breiten Antibiotikaeinsatzes in Europa immer seltener werden, steigt die Inzidenz von degenerativen Aortenklappenstenosen (AS) mit dem Lebensalter an. Hinzu kommen angeboren bikuspide Aortenklappen, welche im mittleren Lebensalter symptomatisch werden [60]. Die Prävalenz der degenerativen AS in der Altersgruppe über 75 Jahre wird mit 2 – 3% der Bevölkerung angegeben [61], [62]. Da dieser Teil der Bevölkerung am stärksten in den nächsten Jahren proportional zunehmen wird, nimmt entsprechend der Bedarf an altersgerechter Therapie der AS zu.
Der operative Aortenklappenersatz stellt in der Gruppe der unter 70-Jährigen mit einer Letalität von weniger als 2% ein sicheres Verfahren dar [63]. In der Gruppe der über 80-Jährigen ist die perioperative Letalität jedoch viermal so hoch. Ferner steigt die perioperative Morbidität, charakterisiert durch ein protrahiertes Delir, lebensbedrohliche Infektionen oder neurologische Schäden, um das Dreifache an [64]. Entsprechend ergibt sich insbesondere für ältere Patienten mit symptomatischer AS die Notwendigkeit für eine schonende, minimalinvasive Therapiealternative. Nachdem zunächst in den 90er-Jahren die Ballonvalvuloplastie (BAV) als Alternative zum chirurgischen Herzklappenersatz für hochbetagte Patienten Einzug in den klinischen Alltag hielt, hat sich die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) in den letzten 10 Jahren als Standard für Menschen über 80 Jahre zur Behandlung der symptomatischen AS etabliert [65].
Bei der TAVI wird über die A. femoralis oder über alternative Zugänge wie die A. subclavia, die Herzspitze oder direkt über den Aortenbogen, ein Katheter mit zusammengefalteter Klappenprothese vorgeführt. Unter Rapid Pacing, induziert über einen zuvor im rechten Herz platzierten passageren Schrittmacher, wird ein Stent mit der darin befindlichen Bioprothese orthotop an der Stelle der stenosierten Aortenklappe freigesetzt [66]. Dadurch wird die alte Klappe in die Wand auf Höhe des Anulus gepresst und gleichzeitig die neue aufgespannt (vgl. Fallbeispiel 1).
Merke
TAVI hat sich nicht nur für die degenerative AS, sondern auch für degenerierte Bioprothesen und Aortenklappeninsuffizienzen als Verfahren der Wahl für ältere, multimorbide Patienten mit weltweit mehr als 10 000 Eingriffen/Jahr in Deutschland etabliert [63], [67], [68].
Es ist ein gutes Beispiel für minimalinvasive, weniger belastende Therapien, die durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte möglich geworden sind und in der Alterskardiologie neue Optionen zur Verbesserung der Prognose und vor allen der Lebensqualität ermöglichen. In der kürzlich vorgestellten Partner-3-Studie wiesen jüngere Patienten mit niedrigem Operationsrisiko prospektiv-randomisiert ein besseres Ergebnis nach einem Jahr auf, wenn sie eine TAVI statt eines konventionellen Klappenersatzes mittels Operation erhalten hatten [69]. Interessant ist hier die Entwicklung eines Verfahrens der Alterskardiologie hin zur Standardtherapie. Trotz allem Optimismus sollte heute auch der Kostenaspekt und die Verhältnismäßigkeit dieses Verfahrens berücksichtigt werden, wenn z. T. Menschen im Alter von über 100 Jahren damit behandelt werden, obwohl im Einzelfall eine alleinige BAV vielleicht ausreichend gewesen wäre.
Da die Zahl der TAVI-Prozeduren rasch ansteigt, gewinnen auch die Begleiterkrankungen älterer Menschen mit AS zunehmend an Bedeutung. So ist die in dieser Patientengruppe relativ hohe Inzidenz der kardialen Amyloidose von bis zu 8% unlängst in den Fokus klinischer Studien gerückt, zumal mit der Zulassung des Transtyretin-Binders Tafamidis eine therapeutische Option für die ATTR-Form der Erkrankung neuerdings zur Verfügung steht [70], [71].
Mitralklappen-Clipping
Die minimalinvasive Behandlung der Segelklappen ist aufgrund des Fehlens eines Verankerungsrings und der nicht kreisförmigen Anatomie des Anulus technisch deutlich schwieriger als eine TAVI. Da es sich fast ausschließlich um Klappeninsuffizienzen handelt, wurde in Analogie zum sog. Alfieri-Stich, bei dem eine undichte Mitralklappe durch Rückstichnaht zwischen A2- und P2-Segment adaptiert wird, ein katheterbasiertes Verfahren entwickelt, welches die Lücke und damit die Regurgitation der Mitralklappe reduziert (vergl. Fallbeispiel 2). Dabei wird unter echokardiografischer Kontrolle über einen 24-F-Katheter in der V. femoralis nach transseptaler Punktion ein Clip zwischen anteriores und posteriores Segel gesetzt. So kann die Herzinsuffizienz und letztlich die Lebensqualität in minimalinvasiver Technik signifikant verbessert werden [72]. Inzwischen sind erste Fälle beschrieben, bei denen diese Technik für die Trikuspidalklappe zur Anwendung gekommen ist [73]. Die heterotope Klappenimplantation könnte hier in der Zukunft auch eine Option bei Patienten mit hohem Operationsrisiko bieten [74].
Kardiovaskuläre Notfälle
Im Falle eines akuten Myokardinfarkts insbesondere mit kardiogenem Schock gilt grundsätzlich, dass alle Patienten – auch ältere Menschen – einer schnellstmöglichen Revaskularisation zugeführt werden sollten [75]. Da dies üblicherweise mittels PCI im Herzkatheterlabor nach arterieller Punktion und verbunden mit der Gabe von Röntgenkontrastmittel erfolgt, ist infolge der Komorbiditäten bei hochbetagten Patienten mit einer erhöhten Inzidenz von Komplikationen zu rechnen (z. B. kontrastmittelinduziertes Nierenversagen, lokale Nachblutungen infolge der fragilen Gefäße, respiratorische Insuffizienz bei vorgeschädigtem Lungengewebe). Trotz dieses erhöhten Risikos profitieren auch ältere Menschen von einer modernen Infarktbehandlung mittels PCI, während eine Thrombolyse in der Altersgruppe über 75 Jahre keinen Vorteil bietet [76], [77]. Die duale Thrombozytenaggregationshemmung nach Infarkt-PCI ist für 1 Jahr indiziert, auch wenn das Blutungsrisiko bei älteren Patienten erhöht ist [78]. In der Postinfarktphase treten zusätzlich altersspezifische Komorbiditäten in den Vordergrund wie z. B. die Malnutrition [79].
Die aktuellen Leitlinien empfehlen im Falle eines akuten Myokardinfarkts in primären PCI-Zentren eine Door-to-Balloon-Zeit von unter 60 Minuten. Dies hat bei jüngeren Patienten eine signifikante Verbesserung der Prognose zur Folge, während bei älteren die schnellere Revaskularisation scheinbar keine wesentliche Bedeutung für die Prognose hat [80]. Hier spielen Vorschädigungen, aber auch die ausgeprägte Ausbildung von Kollateralen des alten Koronarsystems im Falle einer chronischen koronaren Herzkrankheit eine Rolle.
Kernaussagen
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Die pharmakologische Primärprävention hat aufgrund fehlender Evidenz in der Alterskardiologie keinen Stellenwert.
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Da die interindividuellen Unterschiede bezüglich des Ansprechens auf Pharmaka als auch das Nutzen-Risiko-Verhältnis von chirurgischen Eingriffen mit höherem Alter zunehmend größer werden, setzt die Therapie des älteren Menschen eine stärkere Individualisierung und Anpassung an die Komorbiditäten, die persönliche Erwartungshaltung und auch die Prognose voraus.
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Neue Entwicklungen wie die TAVI-Prozedur zur Behandlung der symptomatischen AS oder das Clipping bei Mitralklappeninsuffizienz tragen dem Wunsch der Patienten nach minimalinvasiven und schonenden Therapien Rechnung.
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Die Indikation für diese relativ kostenintensiven Verfahren muss bei sehr hochbetagten und teils multimorbiden Patienten mit Augenmaß auf die individuelle Situation, das biologische Alter und den Wunsch des Patienten abgestimmt werden.
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Pharmakotherapeutisch gesehen sollte bei sehr alten Menschen eine Dosierung auf niedrigst möglicher Stufe das Ziel sein, um so mögliche Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen zu minimieren.
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Das Absetzen einer Medikation (sog. Deprescribing) stellt eine Herausforderung an Kardiologen dar und ist aktuell Gegenstand kontroverser Diskussionen [81], denn gerade bei hochbetagten Menschen steht die Lebensqualität deutlich vor einer Verbesserung der Langzeitprognose.
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Die Alterskardiologie sollte den Anspruch erheben, dies immer individuell bei der Indikationsstellung zu potenziell belastenden oder risikobehafteten Eingriffen und der Entscheidung für oder gegen diagnostische und therapeutische Maßnahmen mit dem Patienten zu klären.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. Dr. disc. pol. Markus W. Ferrari, Wiesbaden.