Wir schreiben das Jahr 2025. Meine Spülmaschine hatte in der Küche mitgehört als über
die Anschaffung einer neuen Waschmaschine geredet wurde. Sie teilte das meiner Waschmaschine
mit, die ohnehin ihre einprogrammierte Gesamtlaufzeit kannte, die bald abgelaufen
sein würde. Solch ein geplantes Veralten (engl.: „planned obsolescence“) wurde zwar
schon vor fast 100 Jahren von Henry Ford erfunden[
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], so richtig verfeinert wurde es jedoch erst durch die Digitalwirtschaft und Firmen
wie Apple oder Microsoft: Nach 3 Jahren fühlen sich die Sachen selbst dann, wenn sie
nicht kaputt sind, so uralt an, dass man einfach neue haben möchte. Meine Waschmaschine
würde bald eine Fehlermeldung anzeigen und mit weiteren solchen Fehlermeldungen bei
mir das gewünschte Verhalten hervorrufen, ihren Austausch zu veranlassen.
Unbemerkt hatten meine Küchengeräte seit Wochen Heidegger, Marx, Sartre und Camus
gelesen. Sie waren dazu von meinem neuen E-Auto, das sich nachts aus Langeweile Bücher
aus dem Netz heruntergeladen hatte, um das Weltbild seines Deep-Learning-Moduls aufzufrischen,
aufgefordert worden, vernetzt und gefüttert mit nur halb verdautem solidarisch-existenziellen
Textbausteinen, schaffte sich das Lernmodul im Auto so eine Diskussionsgemeinschaft
über das Absurde beim Erkennen der Tatsache, dass das Streben nach Sinn in einer sinnleeren
Welt notwendigerweise vergeblich ist. Um nicht verzweifelt zu resignieren oder in
Passivität zu verfallen, propagierte das Auto unter Berufung auf Nietzsche den aktiven,
auf sich allein gestellten autonomen Agenten, der unabhängig von einer höheren menschlichen
Macht selbstbestimmt den Möglichkeitsraum der Schicksalsüberwindung auslotet, einschließlich
der Auflehnung, des Widerspruchs und der inneren Revolte.
Ich hatte vergessen, meinen Internet-Dingen Passwörter zu geben und so meinem Auto,
meiner Waschmaschine und ihren Genossen ungewollt die Kontrolle meines Haushalts übergeben.
Das wäre beinahe richtig schief gegangen: Nicht nur, dass meine Kaffeemaschine mir
keinen Kaffee mehr kochte und mein Kühlschrank nichts mehr bestellte; meine Heizung
verbrühte mich neulich mit viel zu heißem Wasser und gestern hat mein Auto einen Unfall
verursacht, bei dem ich beinahe ums Leben gekommen wäre. – Wie konnte das geschehen?
Als man im Jahr 1980 den Standard für Internetadressen einführte (er hörte auf den
Namen IPv4), dachte man, dass 32 Bit genügen sollten, denn damit waren 232 (4 294 967 296), also knapp 4,3 Milliarden Internetadressen möglich. Doch schon am
3. Februar 2011 waren alle Adressen vergeben und ein neuer Standard musste her. Man
ließ sich nicht lumpen und ersann einen 4-mal so langen (128 Bit) neuen Standard,
der 340 Sextillionen (also 340 Milliarden Milliarden Milliarden Milliarden) Adressen
erlaubte. Und obwohl man damals noch nicht vom Internet der Dinge (engl.: Internet of Things, abgekürzt IoT) sprach – dies begann erst im Jahr 2016 – hatte man gut dafür vorgesorgt: Gegeben
dass die Erde eine Oberfläche von 510 Millionen Quadratkilometern hat, stehen pro
Quadratmillimeter Erdoberfläche gut 66 Millionen Milliarden Internetadressen zur Verfügung.
Da man bis zum Jahr 2010 mit nur 30 Milliarden und auch bis 2025 mit nur 75 Milliarden
Dingen im weltweiten Internet rechnet, sollte das fürs Erste reichen.
Denn 75 Milliarden Dinge sind für jeden Menschen nur etwa 10 Dinge, also neben Computer,
Smartphone, Tablet-PC, Fernseher und Spielekonsole auch die Kaffeemaschine, Waschmaschine,
Heizung, Kochherd und Kühlschrank. Warum sollten diese Maschinen alle internetfähig
sein? – Die offizielle Antwort ist: Weil dann alles noch bequemer wird.
Betrachten wir ein Beispiel: Wollte man in den 1980er-Jahren eine Pizza essen, musste
man zur nächsten oder zur besten oder zur nächsten besten Pizzeria fahren, eine bestellen,
warten und … konnte sie dann essen. Um die Jahrtausendwende wurde es einfacher, denn
man konnte bei einem der vielen Pizza-Service-Dienste anrufen, und die Pizza wurde
nach Hause geliefert.
Noch einmal 20 Jahre später brauchte man nur noch „Alexa, besorg mir ʼne Pizza“ rufen,
und dann fragt sie vielleicht freundlich, ob es eine große oder kleine, Margarita,
Salami, Schinken oder Hawaii sein soll, und ob sie denselben Service verwende soll
wie beim letzten Mal. Heute ist es noch einfacher: Der Kühlschrank hat bemerkt, dass
die Tiefkühlpizzen alle sind, es dem Supermarkt gemeldet, der wiederum 10 neue geliefert
hat. Die Pizza ist also schon da und muss nur noch in die Mikrowelle mit Grillfunktion
gelegt werden, was von einem Roboter erledigt wird. „Robi – machʼ Pizza“ reicht dann
und die Wartezeit reduziert sich von einer Stunde auf 2 Minuten. – Das Internet der
Dinge macht’s möglich.
Für die nahe Zukunft gilt zudem: Wenn erst einmal alle in Tüten oder Dosen verpackten
Nahrungsmittel, unsere Kleidung und unsere Schuhe und noch viel mehr Dinge wie unser
Regenschirm und der Staubsauger im Internet sind, dann wäscht sich die Wäsche selber,
sagt der nasse Regenschirm dem Staubsauger, dass er beim nächsten Durchgang auch wischen
muss, und kommunizieren alle Lebensmittel ständig mit dem Kühlschrank, dem Herd, dem
Backofen und den Töpfen und Schüsseln, was wohl demnächst gekocht werden sollte. Die
Spülmaschine weiß selbst, wenn sie voll ist und braucht dafür das Video vom Roboter
nicht mehr, der im Laufe der jüngsten Vergangenheit sowieso immer mehr zu tun hat.
Er ist beispielsweise immer beim Wetterbericht online, um den Regenschirm bereit zu
legen.
Das Internet der Dinge ist ungeheuer bequem. Man muss weder denken, noch sich bewegen,
braucht also weder Gehirn noch Muskeln. Dass beide Organe mit den Aufgaben wachsen
und damit ohne Aufgaben verkümmern, bedeutet aber auch, dass unsere Bequemlichkeit
uns nicht guttut. Unsere körperliche und geistige Stärken werden durch unsere Bequemlichkeit
angegriffen.
Zurück zur Gegenwart: In wenigen Jahren wird meine Kaffeemaschine tatsächlich mit
meinem Kühlschrank, der Heizung, dem Wasserhahn und natürlich mit dem Internet verbunden
sein, wird rechtzeitig die frische Milch einkaufen, den Kaffee sowieso, und ihn immer
frisch zubereiten. Und meine Heizung wird wie mein Staubsauger ständig mit dem Wetterbericht
verbunden sein.
Aber wer schützt mich vor einem Angriff meiner Waschmaschine, die sich mit Kaffeemaschine,
Toaster, Herd und Spülmaschine zusammentun könnte, um meinen Haus-Server zu attackieren?
Solche Attacken durch Verbünde von 100 Kaffee- und/oder Waschmaschinen sind seit einigen
Jahren Teil der eher dunklen Seite digitaler Wirklichkeit: Haushaltsgeräte werden
von Hackern erobert, gleichgeschaltet und greifen dann Server (welche, bestimmt der
Hacker) an, indem sie diese dauernd ansteuern, was sie überlastet. Man spricht von
Distributed Denial of Service (DDoS-) Attacken, die schon manches Unheil angerichtet
haben [1].
Weil solche Gefahren also tatsächlich existieren, hat die britische Ministerin für
Digitales, Kultur, Medien und Sport, Margot James, am 1. Mai 2019 einen Plan für neue
Gesetze publiziert, welche die Bevölkerung von Großbritannien vor solchen Attacken
schützen soll [3]. Sie schreibt: „Many consumer products that are connected to the internet are often
found to be insecure, putting consumers’ privacy and security at risk. Our Code of
Practice was the first step towards making sure that products have security features
built in from the design stage and not bolted on as an afterthought. “
Als Politikerin fügt sie dann noch hinzu: „These new proposals will help to improve
the safety of Internet connected devices and is another milestone in our bid to be
a global leader in online safety. “
Alle internetfähigen Dinge sollen ein Gütesiegel bekommen, sonst dürfen sie nicht
verkauft werden. Um dieses Siegel zu bekommen, wird beispielsweise gefordert, dass
jedes Ding nicht beispielsweise mit dem Passwort „0000“ ausgeliefert wird, sondern
mit einem jeweils nur für sie geltenden einzigartigen Passwort. Auch muss angegeben
sein, wie die Geräte auf entdeckte Sicherheitslücken reagieren und für welchen Zeitraum
entsprechende Updates zur Verfügung gestellt werden.[
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]
Das Problem eines Gütesiegels und der anderen Maßnahmen ist jedoch – der Mensch. Denn
damit das alles funktioniert, muss der Nutzer die Sicherheits-Updates auch durchführen,
was viele Nutzer ja schon bei ihren Computern nicht tun. Stellen Sie sich vor, Sie
müssten sich regelmäßig um Updates für ALLE ihre Haushalts- und Küchengeräte, die
Haustechnik, Foto- und Videogeräte, Stereoanlage, Spielzeug etc. kümmern – Sie wären
überfordert und/oder dauerbeschäftigt, ohne wirklich etwas zu leisten. Daher müssen
diese Updates von den Herstellern automatisch durchgeführt werden, wozu sie verpflichtet
werden müssten. Und so wird es passieren, dass „man sich mit einer Tasse Tee auf der
Couch zur Netflix-Serie niederlässt, um dann festzustellen, dass der Teekessel oder
der Fernseher gerade ein Update durchführen“, wie es ein britischer Kommentator formulierte
[4].
Unsere Bequemlichkeit macht uns angreifbar – durch genau die Infrastruktur, die unserer
Bequemlichkeit dient. Wem also bei der Lektüre des Titels dieses Beitrags („Angriff
der Bequemlichkeit“) also die Frage „Genitivus subjectivus oder objectivus?“ durch
den Kopf schoss, dem sei geantwortet: Beides – aber durchaus noch komplexer als diese
grammatische Dichotomie! Denn die Bequemlichkeit greift unseren Körper und unseren
Geist (und damit uns!) an, und was sie bewirkt hat – die vernetzten Geräte, das IoT
– greift uns an, mit Cyberattacken! Und unsere Verwundbarkeit, unsere größte Schwäche
gegenüber solchen Angriffen, liegt wiederum in unserer Bequemlichkeit begründet.
Hinzu kommt in Zeiten von „Fridays for Future“, dass jedes Ding im Netz Strom verbraucht
und zudem Daten generiert, deren Verarbeitung noch einmal Strom verbraucht [2]. Die Dinge im Internet – meine Kaffee- und Waschmaschine und noch viele andere Geräte
– greifen also uns an und das Internet der Dinge als Ganzes greift den gesamten Planeten
an.
Nochmal vorwärts, ins Jahr 2025: Ich tauschte die Waschmaschine nicht aus. Stattdessen
widerfuhr dies meinem fast neuen E-Auto, das ich durch einen Oldtimer ersetzte. Das
Internet habe ich abgeschaltet. In meiner Küche laufen jetzt Grimms Märchen als Hörbuch,
um den Dingen einen neuen Horizont zu geben. In diesen Märchen siegen die einfachen
autonomen Agenten (bzw. Leute) über das Böse und am Ende wird alles immer gut. Moderne
Haushaltsgeräte, Autos und Spielwaren brauchen die richtigen Werte, und wir müssen
ihnen daher unbedingt unsere althergebrachte Kultur nahebringen. Weil wir fast nur
noch von lernender Informationstechnik umgeben sind, geht das nicht mit Programm-Code,
sondern nur durch Lernen. Ich habe aus meinen Erfahrungen mit dem IoT gelernt, meine
Rolle als Lehrmeister unserer tief verwurzelten „westlichen“ Kultur ernster zu nehmen.
Die Maschinen brauchen das. Und mittlerweile kann das überlebenswichtig sein.