Bei Frauen in gebärfähigen Alter sollte daher schon bei der Einstellung einer psychopharmakologischen
Medikation darauf geachtet werden, dass keine Substanzen mit einem hohen Risiko für
Embryotoxizität gegeben werden. Insbesondere für den Fall einer ungeplanten Schwangerschaft
und aber auch, damit nicht wegen Kinderwunsches eine bestehende und wirksame Medikation
gewechselt werden muss. Was es bei der Psychopharmakagabe in der Schwangerschaft generell
zu beachten gilt, sind die potenziellen negativen Folgen oder unerwünschte Wirkungen,
die zum einen in der Frühschwangerschaft, also im ersten Trimenon auftreten können.
Hierbei handelt es sich primär um ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen. Medikamente,
die zwar kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko haben, könnten aber trotzdem zu Schwangerschafts-
oder Geburtskomplikationen führen, wenn sie im zweiten und dritten Trimenon bzw. bis
zur Geburt gegeben werden. Bei allen Studien, die es mittlerweile gibt, muss man aber
immer im Blick behalten, dass es aus ethischen Gründen keine randomisiert-kontrollierten,
doppelt verblindeten Studien im Bereich Psychopharmakologie und Schwangerschaft gibt
und dass es viele Risikofaktoren für Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie
die spätere Entwicklung der Kinder gibt, die ebenfalls einen starken Einfluss haben
können und die häufig nicht in Studien miteinbezogen werden wie Nikotin-, Alkohol-
und illegaler Drogenkonsum, BMI der Mutter, somatische Komorbiditäten, genetische
Faktoren und nicht zuletzt die psychische Erkrankung der Mutter selbst [1]. Auch schon deswegen sollte die Entscheidung für oder gegen die Gabe einer Medikation
in der Schwangerschaft immer individuell unter Einbeziehung der Krankheitsanamnese
und biografischer Faktoren unter Risiko-Nutzen-Analyse mit den Eltern gemeinsam getroffen
werden. Die Kenntnis der spezifischen Risiken der verschiedenen Medikamente ist unerlässlich,
spiegelt aber natürlich auch immer nur den aktuellen Stand der Wissenschaft wider,
und in vielen Bereichen fehlen noch Studien. Diese SOP gibt einen Überblick über das
Vorgehen bei geplanter und ungeplanter Schwangerschaft ([Abb. 1]) und zusätzlich werden die aus unserer Sicht häufigsten Psychopharmaka bezüglich
des Risikos für Fehlbildungen evaluiert sowie Risiken der Medikamentengabe im zweiten
und dritten Trimenon geschildert. Auf spezifische Medikamente in der Stillzeit kann
in diesem Artikel nicht eingegangen werden.
Abb. 1 Psychopharmaka-Gabe in der Schwangerschaft.
Psychopharmakotherapie im ersten Trimenon
Relativ hohes Fehlbildungsrisiko
Valproat
Aufgrund des erwiesenermaßen hohen gesamten Fehlbildungsrisikos von ungefähr 10%,
welches unter anderem spinale Fehlbildungen, aber auch kardiale Fehlbildungen beinhaltet
sowie eines negativen Effektes auf IQ und psychomotorische Entwicklung bei den exponierten
Kindern sollte Valproat nicht in der Schwangerschaft bzw. bei Frauen im gebärfähigen
Alter gegeben werden [2].
Carbamazepin/Oxcarbazepin
Carbamazepin (CBZ) wird ein signifikant erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte (bis
zu 1%) zugeschrieben, ebenso für kraniofaziale Defekte (bis zu 11%) und Entwicklungsverzögerungen
bei exponierten Kindern (bis 20%) [2], [3]. Oxcarbazepin, was gelegentlich auch zur Behandlung der bipolaren Störung eingesetzt
wird, hat wohl ein deutlich geringeres Fehlbildungsrisiko, die Datenlage ist hier
aber noch zu spärlich, um den Einsatz in der Schwangerschaft zu empfehlen [3].
Topiramat
Topiramat wurde mit einem höheren Fehlbildungsrisiko als Lamotrigin in Verbindung
gebracht [2].
Relativ geringes Fehlbildungsrisiko
Lithium
In neueren Studien konnte gezeigt werden, dass das Risiko, insbesondere für schwere
kardiale Fehlbildungen, deutlich geringer ist als früher gedacht. Auch konnten in
wenigen Studien keine negativen Effekte auf die weitere Entwicklung der Kinder gezeigt
werden, hier ist die Datenlage allerdings noch recht spärlich. Dem gegenüber steht
das fast 70%ige Rückfallrisiko postpartaler Krankheitsepisoden bei bipolaren Patientinnen.
Daher wird heutzutage in vielen Fällen eher davon abgeraten, Lithium abzusetzen bei
einer geplanten Schwangerschaft [4]. Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass das Fehlbildungsrisiko höher ist, je
höher die Lithiumkonzentration im Serum ist. Zudem steigt die renale Lithiumelimination
während der Schwangerschaft stetig an, was zu fallenden Lithiumspiegeln führt. Nach
Entbindung steigt die Lithiumkonzentration dann wieder rasch an, sodass eine Dosisreduktion
erfolgen muss, um Intoxikationen vermeiden. Zusammenfassend kann Lithium während der
Schwangerschaft nach Aufklärung über ein potenzielles, wenn auch geringes kardiales
Fehlbildungsrisiko weiterverordnet werden. Allerdings müssen häufige Spiegelkontrollen
sowie Nierenwert- und Schilddrüsenkontrollen erfolgen und die Lithiumgabe sollte über
2 – 3 Einzeldosierungen über den Tag erfolgen [5].
Lamotrigin
In einigen Studien konnte kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei Kindern gefunden werden,
die mit Lamotrigin (LTG) exponiert worden waren [3], in anderen Studien nur ein sehr leicht erhöhtes generelles Malformationsrisiko
[5], [6]. Es wurden bisher keine negativen Effekte auf die kognitive Entwicklung von exponierten
Kindern berichtet. Eine kürzliche Studie fand Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für
Autismus-Spektrum-Störungen, aber dieser Befund sollte erst noch mit einem geeigneten
Studiendesign überprüft werden [7].
Die Besonderheit, die es bei Lamotrigin-Gabe in der Schwangerschaft zu beachten gibt,
ist, dass der Abbau von Lamotrigin stark von Östrogenspiegeln abhängig ist. Das heißt,
dass im Verlaufe der Schwangerschaft der LTG-Spiegel sinkt und die Dosis entsprechend
erhöht werden muss, ca. 3 – 4 Wochen nach Entbindung steigt der Lamotrigin-Spiegel
dann wieder an, sodass die eingenommene Menge wieder verringert werden muss [8].
Pregabalin
Zunächst gab es Hinweise, dass das Malformationsrisiko unter Pregabalin-Therapie erhöht
sein könnte, mittlerweile wurde aber eine Kohortenstudie veröffentlich, die das nicht
belegen konnte. Letztendlich gibt es aber noch zu wenige Daten, um eine endgültige
Aussage treffen zu können [9], [10].
Risperidon und Paliperidon
Huybrechts und Kollegen fanden ein kleines, aber signifikantes Risiko für alle, insbesondere
kardiale Fehlbildungen assoziiert mit Risperidon [11]. Diese Risikoerhöhung ist allerdings sehr klein und es ist auch nach wie vor unklar,
ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang gibt. Dennoch sollte man, wenn möglich,
im ersten Trimenon auf Olanzapin oder Quetiapin ausweichen. Daten für Paliperidon
bezüglich Einnahme in der Schwangerschaft gibt es keine.
Benzodiazepine und Z-Substanzen
Benzodiazepin-Medikation sowie Zolpidem und Zopiclon während der Schwangerschaft führten
in mehreren Studien zu keiner relevanten Erhöhung für generelle Malformationen [12], [13], [14]. Allerdings wurde in anderen Studien ein leicht erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
diskutiert. Benzodiazepine und auch Zopiclon und Zolpidem überwinden die Plazenta
und können im Embryo/Fetus akkumulieren [15]. Postnatal kann es daher auch bei Benzodiazepin-Gabe häufiger zu Anpassungsstörungen
beim Kind kommen, insbesondere „floppy-infant“-Syndrom und Atemstörungen können auftreten
[16]. Auch gibt es Hinweise, dass Benzodiazepine in der späteren Schwangerschaft mit
Frühgeburtlichkeit und zu großen und zu kleinen Kindern assoziiert sind [15].
Potenziell Paroxetin, Fluoxetin sowie fraglich Clomipramin (siehe unten).
Kein bekanntes Fehlbildungsrisiko
Quetiapin
Die Datenlage ist mittlerweile ausreichend, um sagen zu können, dass Quetiapin nicht
mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko assoziiert ist [17]. Was während der Gabe in der Schwangerschaft zu beachten ist, ist, dass die Quetiapin-Serumspiegel
im Laufe der Schwangerschaft unter gleichbleibender Dosierung abfallen und nach Entbindung
nach wenigen Tagen wieder ansteigen. Daher kann es sein, dass man während der Schwangerschaft
und nach Entbindung die Dosierung unter engmaschiger Kontrolle zum einen der Psychopathologie
und unerwünschten Wirkungen wie einer übermäßigen Sedierung der Mutter, zum anderen
ggf. mithilfe eines therapeutischen Drug Monitorings anpassen muss [18].
Aripiprazol
Zunächst gab es Bedenken wegen Tierversuchen, die Hinweise für teratogene Effekte
bei Exposition mit Aripipazol in der Schwangerschaft zeigten. Mittlerweile gibt es
jedoch ausreichend humane Daten, die keine Hinweise für ein erhöhtes Malformationsrisiko
zeigen [11], [19].
Olanzapin
Es gibt keine Hinweise für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach Olanzapin-Exposition
im ersten Trimester. Es liegen jedoch Studien vor, die zeigen, dass möglicherweise
ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftsdiabetes bei mit Olanzapin behandelten Schwangeren
besteht, die Datenlage ist aber nicht ganz konsistent [11], [19].
Clozapin
Von den bisher publizierten Daten ausgehend, sieht es nicht so aus, als wäre Clozapin
mit einem erhöhten Risiko für Fehlbildungen assoziiert. Allerdings gibt es Hinweise
darauf, dass Clozapin-Einnahme in der späteren Schwangerschaft mit einem erhöhten
Risiko für erhöhtes Geburtsgewicht bei den Kindern einhergehen könnte und möglicherweise
auch mit schwereren Anpassungsstörungen bei den Neugeborenen, als bei den anderen
Antipsychotika berichtet wurden. Allerdings ist die Datenlage hierzu recht spärlich.
Dennoch sollten, wenn möglich, in der Schwangerschaft andere Antipsychotika mit einem
besseren Sicherheitsprofil verwendet werden [19].
Haloperidol und Promethazin als Vertreter der älteren, typischen Antipsychotika sind beide relativ gut untersucht
und scheinen kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko zu haben [11].
Stimulanzien und Atomoxetin
In den bisherigen Studien gibt es keine Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko
bei Einnahme von ADHS-Medikation im ersten Trimenon [20], [21], [22].
Antidepressiva (außer Paroxetin, Fluoxetin, ggf. Clompramin)
In einer großen populationsbasierten Studie konnten, nach Adjustierung von verschiedenen
Risikofaktoren, keine signifikanten Risikoerhöhungen für kardiale Malformationen bei
SSRI-Exposition im ersten Trimester gefunden werden [23], Ausnahmen sind Paroxetin und Fluoxetin, wobei das nicht konsistent berichtet wird
[24]. Bezüglich der trizyklischen Antidepressiva wurden in anderen Studien nur bei Clomipramin
stärkere Hinweise auf Risikoerhöhung bezüglich angeborener kardialer Defekte gesehen
und auch postpartale Komplikationen (siehe unten) könnten bei Clomipramin stärker
ausgeprägt sein [25]. Zu Mirtazapin, Bupropion, Johanniskraut gibt es noch etwas weniger Befunde, allerdings
konnten bisher ebenfalls keine fruchtschädigenden Effekte gefunden werden, sodass
der Einsatz in der Schwangerschaft als vertretbar erscheint [26], [27], [28], [29].
Unzureichende Datenlage
Bei den neueren Antidepressiva und Antipsychotika wie Ziprasidon, Asenapin, Cariprazin,
Milnacipran, Agomelatin sowie älteren Antipsychotika wie Pipamperon, Melperon, Chlorprothixen
und Prothipendyl sind nicht ausreichend humane Daten für eine Risikoabschätzung vorhanden.
Psychopharmakotherapie im zweiten und dritten Trimenon
Eine sehr seltene, aber schwerwiegende Komplikation bei Neugeborenen, die vor allen
Dingen mit SSRI-Exposition in der späteren Schwangerschaft in Verbindung gebracht
wird, ist persistierender Lungenhochdruck (persistierende pulmonale Hypertonie). Huybrechts
und Kollegen fanden ein kleines, aber signifikant erhöhtes Risiko für diese Erkrankung
bei einer SSRI-Exposition im letzten Trimenon [30]. Zudem werden immer wieder erhöhte Risiken für Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht
in Verbindung mit Psychopharmaka gebracht [31]. Eine neuere Studie und eine kürzlich publizierte Metaanalyse geben allerdings Hinweise,
dass die erhöhten Raten an Frühgeburt und geringem Geburtsgewicht eher mit z. B. der
depressiven Erkrankung der Mutter an sich als mit der Medikation zusammenhängen könnten
[32], [33]. Aber es wurden auch negative Effekte der SSRI-Exposition auf das Arousal und Selbstregulation
sowie Bewegungsqualität bei den Kindern während des ersten Lebensmonats gefunden im
Vergleich zu Kindern nicht behandelter Müttern mit einer Depression in der Vorgeschichte
und gesunden Kontrollen [34]. Zudem gab es in dieser Studie eine kleinere Gruppe, die mit Benzodiazepinen und
SSRIs in Kombination behandelt wurde, was die Symptome bei den Kindern wie erwartet
verstärkte.
Schwerwiegende negative Einflüsse auf die spätere Entwicklung der Kinder (über das
3. Lebensjahr hinaus) wurden bei Psychopharmakaeinnahme in der Schwangerschaft bisher
nicht beschrieben, außer in wenigen Studien, die auf eine fragliche Assoziation von
Autismus-Spektrum-Störungen und SSRI-Exposition in der Schwangerschaft hinwiesen [35], [36]. In einer neuen Metaanalyse wird angezweifelt, dass die SSRI-Exposition in der Schwangerschaft
zu einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen führt [37].
Das Risiko für Anpassungsstörungen (z. B. Übererregbarkeit, Tremor, erhöhter oder
erniedrigter Muskeltonus, Trinkstörungen, Atemnotsyndrom, Hypoglykämie, auffälliges
Schlafverhalten mit vermehrten Schreckreaktionen und verlängerten REM-Phasen) wird
bei bis zu 2 bis 3 von 10 der Psychopharmaka-exponierten Kinder angegeben, unabhängig
von der Substanzklasse [38]; daher sollten die Mütter in einer Geburtsklinik mit angeschlossenem Perinatalzentrum
entbinden. In der Regel sind die Anpassungsstörungen jedoch eher leicht ausgeprägt
und nach kurzer Zeit selbstlimitierend [39].
Exkurs
Psychopharmaka in der Stillzeit
Die ist nochmal ein ganz eigenes Thema, worauf im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen
werden kann. Was man aber beachten sollte: Wenn ein Kind schon in der Schwangerschaft
mit Medikamenten exponiert war, welche auch über das Nabelschnurblut in das Kind gelangen
können, dann sollte nicht automatisch von Stillen abgeraten werden. Im Gegenteil gibt
es sogar Studien, die zeigen, dass etwaige Anpassungsstörungen bei gestillten Kindern
geringer waren, und zudem kommt bei den meisten Medikamenten auch weniger über die
Muttermilch in den Kindern an, als es vorher über die Nabelschnur geschehen ist [40]. Auch hier gibt es aber Medikamente, die eher empfohlen werden können als andere
und zudem muss wieder eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse mit der Mutter bzw.
beiden Elternteilen erfolgen.
Fazit
Die Gabe von Psychopharmaka während der Schwangerschaft sollte immer nach individueller
Nutzen-Risiko-Abwägung getroffen werden mit beiden Elternteilen. Es gibt nur sehr
wenige Medikamente, die stark fruchtschädigend wirken, die meisten Psychopharmaka
haben nur ein leichtes oder gar kein bekanntes Fehlbildungsrisiko. Anpassungsstörungen
können bei allen Psychopharmaka auftreten, in der Regel sind diese aber selbstlimitierend
und nicht vital bedrohlich für das Kind. Zum Schnellen Nachschauen eignet sich www.embryotox.de.
Erstveröffentlichung
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: PSYCH up2date 2019; 13: 100–105