Rofo 2019; 191(06): 566-567
DOI: 10.1055/a-0914-3479
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brief an den Herausgeber in Bezug auf die Arbeit „Radiologische Diagnostik von Weichteiltumoren im Erwachsenenalter: MRT-Bildgebung ausgewählter Entitäten mit Abgrenzung zwischen benignen und malignen Tumoren“ von Lisson et al.

Moritz Wildgruber
1   Department for Clinical Radiology, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Munster, Germany
,
Walter A. Wohlgemuth
2   Department for Radiology, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle, Germany
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Publication Date:
22 May 2019 (online)

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Sehr geehrter Herr Professor Adam,

die Autoren des Übersichtsartikels beschreiben in ihrer systematischen Übersichtsarbeit die diagnostische Herangehensweise an das breite Spektrum von Weichteiltumoren mittels Magnetresonanztomografie (MRT) [1]. Der Abschnitt zu vaskulären Tumoren bedarf dabei aber einer Richtigstellung und einzelner Korrekturen. Völlig korrekt erwähnen die Autoren, dass vaskuläre Tumoren (zu denen die Hämangiome zählen) von vaskulären Malformationen gemäß der ISSVA (International Society for the Study of Vascular Anomalies) -Klassifikation zu differenzieren sind (http://www.issva.org/UserFiles/file/ISSVA-Classification-2018.pdf). Im weiteren Verlauf der Schilderungen werden jedoch Hämangiome und vaskuläre Malformationen vermischt, die klinische und bildmorphologische Präsentation der Entitäten nicht korrekt wiedergegeben und Bildbeispiele falsch interpretiert. Dies möchten wir im Folgenden korrigieren.

Der wichtigste Unterschied zwischen vaskulären Malformationen und Hämangiomen ist, dass vaskuläre Malformationen eine angeborene Fehlbildung darstellen, die im Verlauf des Wachstums des Kindes meist proportional an Größe zunehmen, jedoch keine erhöhte Proliferationsraten vaskulärer Strukturen aufweisen. Hämangiome dagegen sind biologisch Tumoren, die durch eine erhöhte endotheliale Proliferation charakterisiert sind [2]. Dabei sind beide Entitäten völlig unterschiedlich hinsichtlich ihrer Wachstumskinetiken, ihres typischen Alterspektrums und hinsichtlich ihrer Therapie. Während vaskuläre Malformationen mit dem Wachstum des Kindes mitwachsen und oftmals in der Pubertät erstmals klinisch manifest werden, haben die häufigen infantilen Hämangiome eine typische Proliferationsphase zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat, gefolgt von einer Involutionsphase, die fast immer nach dem 2. Lebensjahr abgeschlossen ist [3]. Angeborene Hämangiome in Form von „non-involuting congenital hemangiomas“ (NICH) stellen eine Rarität dar [3]. Somit ist auch das gezeigte Bildbeispiel der 35-jährigen Patientin in Abbildung 4 des geannnten Artikels eben kein Hämangiom, sondern eine typische venöse Gefäßmalformation. Der von den Autoren verwendete Begriff „kavernöse Hämangiome“, der vermutlich eine venöse Gefäßmalformation beschreiben soll, ist zudem antiquarisch, sollte nicht mehr verwendet werden und existiert daher in der ISSVA-Klassifikation seit langem nicht mehr. Auch ist das klinische Erscheinungsbild von Hämangiomen völlig unterschiedlich im Vergleich zu venösen Gefäßmalformationen ([Tab. 1]). Hämangiome sind nicht blau (venöse Gefäßmalformationen dagegen schon), sondern himbeerrot, stellen sich in der Bildgebung als solide Raumforderungen dar, ohne geschlängelte vaskuläre Strukturen (dies dagegen ist typisch für venöse und arteriovenöse Gefäßmalformationen) und enthalten eben keine Phlebolithen (pathognomonisch dagegen für venöse Gefäßmalformationen) [4]. In der MRT-Diagnostik zeigen Hämangiome charakteristischerweise einen homogenen Aufbau, wohingegen venöse Malformationen typischerweise lobuliert erscheinen ([Abb. 1]).

Tab. 1

Charakteristika infantiles Hämangiom und venöse Gefäßmalformation

Charakteristika

Infantiles Hämangiom

Venöse Gefäßmalformation

typisches Alter der klinischen Manifestation

3. – 6. Lebensmonat, Auftreten jenseits des 2. Lebensjahres extrem rar

Pubertät

klinisches Erscheinungsbild

himbeerrot, keine vaskulären Strukturen makroskopisch erkennbar

blau, livide, bei oberflächlicher Lage dysplastische Venen sichtbar

MRT-Erscheinungsbild

homogen T2-hyperintens, homogenes Kontrastmittelenhancement

inhomogen T2-hyperintens, lobulierter Aufbau, Phlebolithen als hypointense Aussparungen erkennbar

genetische Differenzierung

GLUT-1-positiv

GLUT-1-negativ

Zoom
Abb. 1 Bildmorphologische und klinische Differenzierung einer venösen Malformation A, B von einem infantilen Hämangiom C, D. T2-STIR-MRT zeigt den typisch lobulierten Charakter der dysplastischen Venen mit zahlreichen mineralisierten Thromben – Phlebolithen – innerhalb der Läsion A, pathognomonisch für venöse Malformationen, die klinisch blau-livide imponieren B. Infantiles Hämangiom eines 10 Monate alten Säuglings mit typisch himbeerrotem papulösem Aspekt D, welches sich im MRT als homogen kontrastmittelanreichender Tumor präsentiert C.

Das Statement, dass die Mehrzahl der „genetischen vaskulären Malformationen“ Störungen im RAS-Signalweg aufzeigen, muss ebenfalls relativiert werden. Erstens suggeriert es, dass es auch „nicht genetische“ vaskuläre Malformationen gibt. Zweitens gilt dieses Statement lediglich für eine kleine Minderheit der Malformationen, die als genetisches Mosaik vorwiegend den PIK3CA/AKT/mTOR-signaling-pathway zu betreffen scheinen. Nikolaev et al. konnten in 45/72 der Patienten mit zerebraler arteriovenöser Malformation aktivierende somatische KRAS-Mutationen detektieren [5]. Jenseits dieser spezifischen Entität konnten Ten Broek et al. in 132 von 319 vaskulären Malformationen charakteristische Mosaik-Mutationen detektieren, wobei lediglich in 10/132 Fällen eine RAS-Mutation vorlag, dagegen in 80/132 Fällen eine PIK3CA-Mutation [6]. Diese ist insbesondere relevant, da die medikamentöse Adressierung des PIK3CA/AKT/mTOR-Pfades therapeutisch zahlreiche qOptionen offenbart, beispielsweise eine Therapie mit Sirolimus [7] [8] [9]. Die genetischen Grundlagen vaskulärer Anomalien wurden kürzlich umfassend nach heutigem Wissen von Greene et al. zusammengefasst [10].

Wichtig ist uns dabei zu erwähnen, dass es bei der Differenzierung von Hämangiomen und vaskulären Malformationen nicht um semantische Feinheiten geht. In einer Serie von über 5600 Patienten konnten Greene et al. zeigen, dass über 50 % der Patienten mit vaskulären Malformation mit einer falschen (oft radiologischen) Diagnose, am häufigsten „Hämangiom“, an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen wurden [11]. Eine weitere Arbeit analysierte die Verwendung des Begriffs „Hämangiom“ in 320 wissenschaftlichen Publikation, mit dem Schluss, dass die Diagnose „Hämangiom“ in 71 % der Fälle nicht korrekt war [12]. Die Tatsache, dass 20 % dieser Patienten, überwiegend Kinder, durch die inadäquate Nomenklatur eine falsche Therapie erhalten haben [12], zeigt die Wichtigkeit einer korrekten Terminologie. Gerade auch die korrekte MR-tomografische Diagnose kann hier aber auch wegweisend Positives bewirken.