physiopraxis 2019; 17(07/08): 28-31
DOI: 10.1055/a-0900-1730
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Wenn das Sternum gespalten war – Physiotherapie nach offener Thorax-OP

Mona Herz

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Publikationsdatum:
19. Juli 2019 (online)

 

    Obwohl minimalinvasive Eingriffe seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch sind, gibt es nach wie vor Krankheitsbilder, bei denen eine Sternotomie indiziert ist. Dabei durchtrennt der Operateur muskuläre und knöcherne Strukturen, die postoperativ für eine einwandfreie Wundheilung auch physiotherapeutisch besondere Maßnahmen erfordern.


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    Mona Herz

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    Mona Herz ist Medizinjournalistin und seit über zehn Jahren freie Autorin des Thieme Verlags. Sie hat in Italien Medizin studiert und schreibt Texte für medizinische Fachzeitschriften sowie Fachbücher. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

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    Abb.: Steffers G, Credner S. Allgemeine Krankheitslehre und Innere Medizin für Physiotherapeuten. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015

    3 Monate nach einer Sternotomie ist das Brustbein wieder voll belastbar.

    Bei Herzoperationen wie Eingriffen an den Herzklappen, den Herzkranzarterien und anderen Brustraumoperationen ist es das Standardvorgehen, den Brustkorb zu öffnen – auch wenn die Zahl minimalinvasiv durchführbarer Operationen seit Jahrzehnten zunimmt. Aber nicht nur bei Operationen am Herzen ist eine Sternotomie notwendig. Auch bei anderen Eingriffen beispielsweise an der Lunge, bei der Entfernung des Thymus (Thymektomie), einer Schilddrüsenresektion oder auch bei Rupturen, traumatischen Verletzungen, Tumoren oder Metastasen im Mediastinum kann sie notwendig sein.

    Patienten nach einer Sternotomie sind vor allem beim Tragen und Armeheben beinträchtigt.

    Bei einer Sternotomie setzt der Operateur das Skalpell circa zwei Zentimeter unterhalb des Jugulums (Fossa jugularis) an und durchtrennt Haut und Subkutangewebe über die gesamte Länge des Sternums nach kaudal bis zum Processus xiphoideus. Nach Eröffnung der Faszie der Mm. pectorales majores sägt er das Sternum längs auf. Dann legt er einen sogenannten Thoraxsperrer in das gespaltene Sternum und schraubt die beiden Brustkorbhälften auseinander, um die operativ zu versorgenden thorakalen Organe und Strukturen freizulegen. Nach erfolgreicher OP fügt der Chirurg das Brustbein mit Drähten (Drahtcerclage) passgenau und stabil zusammen, um eine anatomisch gerechte Konsolidierung des Brustkorbs zu ermöglichen. Die Faszien, das Subkutangewebe und schließlich die Haut vernäht er einzeln. Die Cerclage bleibt danach je nach Alter, verwendetem Material, Störfaktoren oder Komplikationen unterschiedlich lange, manchmal auch für immer, im Körper – eine Bildgebung hilft, die Situation einzuschätzen.

    Bereits am ersten Tag nach einer Sternotomie beginnt die Physiotherapie auf der Intensivstation.

    Besonderheiten in der Nachbehandlung

    Aufgrund der muskuloskelettalen Durchtrennungen sind die Patienten post-OP vor allem beim Heben der Arme, Drehen der Schultern gegen das Becken und beim Tragen eingeschränkt. Postoperativ sind daher im Wundgebiet manuelle Techniken kontraindiziert. Zudem dürfen die Patienten für sechs Wochen ihre Arme nicht über 90 Grad heben und sich für vier Wochen nicht mit den Armen aufstützen sowie den Oberkörper einseitig belasten. Für die ersten zwei bis drei Wochen nach dem Eingriff ist es zudem hilfreich, sie schützen ihren Brustkorb beim Husten und Niesen, indem sie die Arme vor dem Brustbein verschränken. Der Therapeut sollte darüber aufklären, dass die Patienten sich in den ersten vier bis sechs Wochen nur en bloque drehen und möglichst nur auf dem Rücken schlafen sollten. Bis drei Monate post-OP sollten die Patienten keine schweren Gegenstände über 5 Kilogramm tragen und leichtere möglichst nah am Körper. Zudem sind Arbeiten und Sportarten, die das Brustbein belasten, kontraindiziert (PATIENTENINFORMATION, S. 31).

    Bereits am ersten Tag post-OP auf der Intensivstation beginnt die Physiotherapie bis zum Sitz an der Bettkante oder, wenn der Patient schon sehr wach und kräftig ist, bis zum Stand. Die Voraussetzung für den Beginn der Physiotherapie ist, dass der Patient erfolgreich extubiert und sein Kreislauf stabil ist. Der Therapeut leitet den Patienten zunächst an, wie er Alltagsbewegungen möglichst brustbeinschonend ausführt, und geht individuell auf postoperative Probleme ein. Die Anleitung der Patienten zum Schutz des Wundgebiets ist ein wichtiger Bestandteil der Physiotherapie, an die sich der Patient insbesondere in den ersten zwei Wochen exakt halten sollte, damit die Wundränder gut verheilen. Physiotherapeutin Birgit Slametschka betont, dass es vor allem wichtig ist, dass der Patient sich nicht auf die Arme aufstützt oder sie über 90 Grad hebt: „Bei uns in der Klinik gibt es keine Aufrichthilfe am Bett (‚Bettgalgen’), damit die Patienten nicht in Versuchung geraten. Wir üben mit ihnen den Transfer zwischen Liegen und Sitzen, ohne den Brustkorb zu verdrehen.“ Birgit Slametschka leitet die physiotherapeutische Abteilung im Paulinenkrankenhaus in Berlin. Die Klinik bietet die Anschlussversorgung von Herzoperationen an, sodass viele Patienten postoperativ aus dem Deutschen Herzzentrum oder der Charité zur Weiterbehandlung dorthin verlegt werden. Das Team betreut hauptsächlich Patienten, die sich zum Beispiel aufgrund einer Bypass-Operation, einer Herzklappenrekonstruktion oder einer operativen Therapie eines Aortenaneurysmas einer Sternotomie unterzogen haben.


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    Die Lungenbelüftung wieder normalisieren

    Von hohem Stellenwert nach einer Thorax-Operation ist außerdem die Atemtherapie. Sie beginnt ebenfalls am ersten Tag post-OP und ist neben der Mobilisation der zweite Schwerpunkt der Physiotherapie. „Die Wunden verursachen Schmerzen, und die Patienten müssen sich trauen, wieder tief zu atmen, damit kein Atemverhalt entsteht“, erklärt Slametschka. Viele Patienten leiden postoperativ unter Atelektasen, meist Kompressionsatelektasen, die durch Pleuraergüsse entstehen. Zur Anwendung kommt daher auch eine intermittierende Überdruckinhalation (IPPB, Intermittent Positive Pressure Breathing), um die Atemwege in unteren Bereichen zu belüften. Durch die Erweiterung der Bronchien löst sich das Sekret und Atelektasen werden vermindert. „Bei circa 95 Prozent unserer Patienten ist Atemtherapie indiziert – auch Patienten nach minimalinvasiven Eingriffen entwickeln vor allem auf der Körperseite des Eingriffs Atelektasen. Die Atelektasen können durch bildgebende Verfahren, vor allem Thorax-Röntgen oder Transthorakale Echokardiografie, diagnostiziert werden. Patienten, die keine Atelektasen aufweisen, werden nicht mit IPPB behandelt“, weiß Slametschka, die auch als Physiotherapeutin die Patienten bei der IPPB anleitet.

    Bildet der Patient postoperativ vermehrt Schleim, der abgehustet werden muss, gilt es mithilfe der Atemtherapie die Lungenabschnitte ausreichend zu ventilieren und einer Lungenentzündung vorzubeugen. Um während des Hustens keinen zu großen Druck im Brustraum aufzubauen, soll der Patient mit über dem Brustkorb verschränkten Armen schonend husten und damit Schmerzen und die Belastung des Wundverschlussmaterials vermindern. Dass die Drahtcerclage durch einen sehr starken Husten aufbricht und das Sternum dadurch instabil wird, ist sehr selten.

    Die beiden wichtigsten Ziele in der frühen Physiotherapie sind Mobilität und gute Lungenbelüftung.


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    Die Mobilität schrittweise steigern

    Meist bleiben die Patienten etwa zehn bis zwölf Tage stationär. In Berlin werden sie am dritten bis fünften Tag nach der Operation aus dem Deutschen Herzzentrum in das Paulinenkrankenhaus Berlin verlegt und bleiben hier bei mittlerer Verweildauer zehn bis zwölf Tage. Dort bekommen sie täglich Physiotherapie als Einzelbehandlung (Atemtherapie, IPPB, Herz-Kreislauf-Training, unterstützend Ergometertraining mit dem Sitzergometer), bis sie selbständig sind und keine Atembeeinträchtigungen mehr haben. Das Kreislauftraining führen die Patienten möglichst täglich durch und der Therapeut passt es steigernd an.

    Wenn die Patienten unabhängig mobil sind, steht das Treppentraining an (angepasst und unter Pulskontrolle, ca. 1–2 Etagen). An den darauffolgenden Tagen dürfen die Patienten an der Gruppengymnastik teilnehmen. Diese findet unter Berücksichtigung der Sternotomie im Sitzen statt.

    Spätestens 14 Tage nach der Entlassung aus der Klinik müssen Patienten ihre Anschlussheilbehandlung antreten.

    Bei der Steigerung der Belastung gehen die Therapeuten in Berlin nach einem festen Schema vor:

    • Sitzen an der Bettkante

    • Stehen und Schritte am Bett – evtl. Transfer auf den Pflegesessel (Toilettenstuhl durch die Pflege) im Hinblick auf die ADLs

    • Gehen im Zimmer und Weg zur Toilette

    • Gehen im Flur mit möglichst täglicher Steigerung der Gehstrecke bis hin zum unabhängigen Gehen – Erreichen der Selbstständigkeit auch im Hinblick auf die ADLs

    • Treppentraining

    • Gruppengymnastik

    Ziel bei allen Patienten ist es, die Selbstständigkeit wieder voll herzustellen. Voll belasten dürfen sich die Patienten nach einer Sternotomie nach drei Monaten. Die Anschlussheilbehandlung müssen sie spätestens 14 Tage nach der Entlassung aus der Klinik antreten.


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    Abb.: Steffers G, Credner S. Allgemeine Krankheitslehre und Innere Medizin für Physiotherapeuten. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015