intensiv 2019; 27(04): 169
DOI: 10.1055/a-0897-6835
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
08 July 2019 (online)

„Gut leben heißt gut sterben.“

Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi (1828–1910), russischer Erzähler und Romanautor

Liebe Leserinnen und Leser,

Sterben und Tod sind heikle Themen, nicht nur auf den Intensivstationen. Mit dem Tod werden wir zwar täglich in den Medien konfrontiert, und doch betrifft der Tod immer die anderen. Auch wenn wir beruflich täglich mit ihm zu tun haben, ist er uns doch fremd. Und zwar so fremd, dass wir in ihm weniger ein existenziell-biografisches Ereignis sehen, sondern etwas, das es zu verhindern, technisch zu manipulieren und hinauszuschieben gilt. Die Sterbebegleitung, eine ureigene Aufgabe der Pflege und der Medizin, ist in der modernen Intensivversorgung nicht wirklich präsent. Intensive Care versteht sich ja primär als kurative Herausforderung, für Palliative Care scheint hier kein Raum zu sein. Doch gerade Intensivpatienten können durchaus von Palliative Care profitieren. Das zeigt Manuela Schallenburger in ihrem Beitrag über palliative Konsiliardienste auf Intensivstationen. Dieser Artikel basiert auf einer Studie, die die Autorin gerade durchführt. Auch der zweite Beitrag unseres Schwerpunkts betont den Sinn und Nutzen einer frühzeitigen Integration der Palliativ- in die Intensivversorgung. Der Fokus der beiden Autoren Matthias Thöns und Thomas Sitte jedoch liegt auf dem Problem der Übertherapie am Lebensende. Die nutz- und sinnlose, ineffektive und aussichtslose medizinische Therapie ist ein zentrales Problem der Gesundheits- und speziell der Intensivversorgung. Die Leidtragenden sind in erster Linie die Patienten und ihre Angehörigen, aber auch viele Helfer sind frustriert über sinnlose Maximaltherapien bei multimorbiden Patienten.

Sterbebegleitung ist Teil eines patientenorientierten pflegerischen und medizinischen Gesamtkonzepts der Intensivversorgung. Für Allmachtsfantasien und falsche ökonomische Anreize ist da kein Platz. Kluge Konzepte und mutige Helfer sind gefragt.

Eine Lektüre zum Nachdenken.

Heiner Friesacher