Hebamme 2019; 32(03): 22-29
DOI: 10.1055/a-0893-8525
Geburt
Junges Forum
Fortbildung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gebärpositionen – Einflussfaktoren auf die Anleitung der Gebärenden

Lydia Enßle-Kastenhuber
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Publication Date:
27 June 2019 (online)

 

Obwohl aufrechte Gebärpositionen mit positiven Auswirkungen auf den Geburtsverlauf assoziiert werden, gebärt in deutschen Kreißsälen ein Großteil der Frauen in horizontalen Positionen. Hebammen haben einen Einfluss auf die Auswahl der Gebärhaltung und werden dabei von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Die Autorin beleuchtet diese Einflussfaktoren näher und zieht Rückschlüsse auf die Praxis.


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Abb. 1 Zu den aufrechten Gebärpositionen zählen: Sitzen, Knien, Hocken (mit oder ohne Hilfsmittel), Stehen, Vierfüßler (Kopf höher als Becken) [14] [12] [19]. Die Autorin untersuchte für ihre Bachelorarbeit, welche Faktoren Hebammen in ihrer Anleitung von Gebärenden bei der Wahl der Gebärposition beeinflussen. (Illustration: leremy – stock.adobe.com, Bildgestaltung: Thieme Gruppe)

Hintergrund

Im Jahr 2016 fanden in deutschen Kreißsälen 77,12 % der vaginalen Geburten in horizontalen Positionen bzw. im Kreißbett statt [18]. Das entspricht fast 80 % der Geburten. In der außerklinischen Geburtshilfe befanden sich hingegen 8,0 % der Gebärenden in Rückenlage und 15,3 % in Seitenlage [11]. Hier stellen sich einige Fragen:

  • Welche Vor- und Nachteile haben verschiedene Gebärpositionen?

  • Worin könnte der Unterschied zwischen klinischer und außerklinischer Geburt liegen?

  • Wie betreuen Hebammen Frauen hinsichtlich Gebärhaltungen?

Aktuelle Leitlinien und Studien zeigen, dass aufrechte Gebärpositionen mit positiven Auswirkungen assoziiert werden. U.a. die NICE-Guidelines empfehlen, dass Hebammen der Gebärenden von liegenden oder halbliegenden Positionen abraten sollen [20]. Die FIGO-Guidelines weisen auf die verschlechterte plazentare Durchblutung in Rückenlage hin und empfehlen, die Frau zu ermutigen, die Position selbst auszusuchen [25].

Das Cochrane Review von Gupta et al. betrachtet die Effekte von aufrechten Gebärpositionen bei Frauen ohne Periduralanästhesie (PDA) in der Austreibungsperiode (AP) [12]. Auch wenn die Studienlage noch nicht ausreichend ist, können folgende Vorteile aufrechter Gebärpositionen festgehalten werden:

  • kürzere Dauer der AP

  • verminderte Schmerzen bei der Gebärenden und weniger Schmerzmittelgaben

  • weniger vaginal-operative Entbindungen

  • weniger Episiotomien

  • weniger abnormale Herztonmuster beim Fetus

Gleichbleibend sind die Raten an höhergradigen Dammverletzungen sowie die Zahl an Kaiserschnitten. Häufiger werden Dammrisse zweiten Grades beschrieben sowie ein Blutverlust von über 500 ml. Dieser könnte aber laut Autorenteam auch an einer verbesserten Messung des Blutverlustes liegen. Abgesehen von den körperlichen Auswirkungen haben Frauen, die aufrecht gebären oder ihre Position selbst aussuchen, ein stärkeres Kontrollgefühl und ein besseres Geburtserleben [21] [23]. Dieser letzte Punkt kann gerade im Hinblick auf die Prävention traumatisierender Geburtshilfe einen hohen Stellenwert einnehmen.

Laut Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen gehört die aktive Lagerung von Gebärenden zum Ausbildungsinhalt der Hebammenausbildung (Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 HebAPrV, 1981) [2]. Hebammen sollen demnach die Gebärhaltung beeinflussen und sie lernen das auch in der Ausbildung. Wird davon ausgegangen, dass an deutschen Hebammenschulen und Hochschulen aktuelles Wissen vermittelt wird, stellt sich die Frage, warum immer noch so viele Frauen in horizontalen Positionen gebären.

Hier kommt das Phänomen der Theorie-Praxis-Lücke zum Tragen. Bis zu 15 Jahre dauert es, bis gesichertes Wissen zur Routine in der medizinischen Versorgung wird [7]. Dieses Phänomen ist in der Pflege schon lange bekannt. Welche Möglichkeiten es geben könnte, um den Theorie-Praxis-Transfer auch im Hinblick auf Gebärpositionen zu verbessern, wird nachfolgend mit erörtert.


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Gebärpositionen: Welche Faktoren beeinflussen Hebammen in ihrer Anleitung der Gebärenden?

Geht man davon aus, dass Hebammen die Vorteile von aufrechten Gebärpositionen kennen und stellt man dieser These die Zahlen des IQTIG gegenüber [18], zeigt sich ein Widerspruch. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass Hebammen in ihrer Arbeit von weiteren, ihre Betreuung betreffenden Faktoren beeinflusst werden. Die Frage, ob diese Annahme stimmt und wodurch Hebammen beeinflusst werden, wurde mithilfe eines integrativen Literaturreviews bearbeitet.

Tab. 1

Enßle-Kastenhuber LM. Gebärpositionen – welche Faktoren beeinflussen Hebammen in ihrer Anleitung von Gebärenden? Berlin; 2018

Studiendesign

Methode

Integratives Literaturreview nach Whittemore & Knafl (2005)

Vor- und Nachteile

+ verschiedene Studientypen bieten unterschiedliche Blickwinkel auf ein Phänomen

- keine systematische Literaturrecherche

Ziele

aktuellen Forschungsstand beschreiben, Beitrag zur Theorieentwicklung, Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Praxis und Politik

Literaturrecherche

Datenbankrecherche (Pubmed, Livivo, Cochrane): 1449 Treffer, ausgewählte Studien: n = 10

Handsuche in „Midwifery“: 28 Treffer, ausgewählte Studien: n = 0

Schneeballprinzip: 3 Studien gefunden, ausgewählte Studien: n = 2

Eingeschlossene Studien gesamt: n = 12


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Ergebnisse

Es konnten 6 qualitative, 5 quantitative Studien und 1 Literaturreview eingeschlossen werden. Bei den quantitativen Studien handelt es sich um 2 deskriptive Studien, 1 Studienprotokoll einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT), 1 Querschnittstudie und 1 Pilotstudie in Form eines RCTs. Lediglich das Studienprotokoll bezieht sich auf Deutschland, die anderen Studien stammen aus Frankreich, Irland, Neuseeland, den USA, Schweden, Kanada und den Niederlanden. 7 Studien beschäftigen sich explizit mit Gebärpositionen, die anderen bearbeiten das Thema als Teilaspekt oder sie liefern Ergebnisse und Aussagen, die auf das Phänomen Gebärpositionen übertragen werden können.

Die thematische Auswertung der Studien kann in diesem Artikel nicht vollständig aufgezeigt werden. Es wird jedoch versucht, einen Überblick über die vielfältigen Einflussfaktoren auf Hebammen zu geben.


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Die Rolle der Hebamme bei der Auswahl der Gebärposition

9 der 12 ausgewählten Studien treffen Aussagen darüber, wer die Auswahl der Gebärposition beeinflusst und trifft. Egal, ob Frauen oder Hebammen befragt werden, es wird deutlich, dass Hebammen eine wichtige Rolle einnehmen. In einer französischen Querschnittsstudie geben zum Beispiel lediglich 16,2 % der Hebammen an, dass sie die Gebärende die Position selbst aussuchen lassen. Ein Viertel der Hebammen sagt, dass sie nie oder selten der Frau die Auswahl der Gebärposition überlassen würden [4]. Auch befragte Frauen beschreiben diesen Einfluss: 17 von 20 Frauen geben an, dass die Hebamme der wichtigste Faktor bei der Wahl der Gebärposition sei. Manche sagten, dass der Rat der Hebamme die Entscheidung stärker beeinflusse als der eigene Wunsch [9]. Eine dazu befragte Hebamme beschreibt, dass sie um ihren Einfluss auf die Gebärende weiß. Sie benennt das als Macht, mit der sie schwer umgehen könne [10].


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Einflussfaktoren auf die Hebammen

Aus allen eingeschlossenen Studien konnten Einflussfaktoren auf die Hebammen identifiziert werden. Diese beeinflussen sie entweder direkt oder indirekt. Nach der Zusammenstellung haben sich 5 Überthemen herauskristallisiert [Tab. 2]. Diese Faktoren bedingen sich oft gegenseitig.

Tab. 2

Ermittelte Einflussfaktoren

Einflussfaktoren auf die Hebamme

Wissen / Training / Skills

gebärende Frau

geburtshilfliche Faktoren

strukturelle Gegebenheiten

persönliche Faktoren

Persönliche Faktoren

Zu den persönlichen Faktoren gehören Erfahrungen, Vorlieben und Einstellungen zu Gebärpositionen, körperliche Faktoren und die persönliche Entwicklung.

Die ersten Erfahrungen mit Gebärpositionen machen Hebammen während ihrer praktischen Ausbildung. Was sie dort sehen und erleben, prägt die späteren Vorlieben und Anwendungen von Gebärpositionen [10]. Sehen werdende Hebammen hauptsächlich Geburten in Rückenlage, wenden sie diese Position auch eher im späteren Berufsleben an [23]. Eine Übertragung auf Deutschland wird durch eine Befragung von Hebammenschülerinnen in Paderborn gestützt. Diese gaben an, dass 80 % der Geburten, die sie erleben, in Rückenlage stattfinden [16]. Das passt zu den eingangs genannten Zahlen in Deutschland [18].

Doch nicht nur in der Praxis, auch in der Theorie ist die Rückenlage präsent. In Lehrbüchern sind immer noch viele Abbildungen von Geburten in Rückenlage zu sehen (z. B. Bilder zum Dammschutz in Harder & Lippens [14] oder es werden Handgriffe am Phantom, welches auch eine horizontale Nachbildung der Geburtswege ist, geübt. Es ist nachvollziehbar, dass Hebammen eher die Positionen empfehlen, mit denen sie vertraut sind. Hieraus können sich dann Routinen entwickeln [10].

An dieser Stelle soll auf die evidenzbasierte Medizin (EbM) hingewiesen werden. Diese wird durch drei Säulen beschrieben: die individuelle klinische Erfahrung, Werte und Wünsche der Klientinnen sowie Ergebnisse aus der aktuellen Forschung [8] [Abb. 2]. Die Erfahrung der Hebamme hat also einen berechtigten Stellenwert in der evidenzbasierten Hebammenarbeit. Weichen externe Evidenz (Forschungsergebnisse) und Erfahrung stark voneinander ab, ist die Hebamme dazu angehalten, ihre Erfahrung und Praxis zu reflektieren und evtl. anzupassen.

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Abb. 2 SÄulen der evidenzbasierten Medizin nach Cochrane, 2018 [8]. (Quelle: eigene Darstellung)

Hebammen, die grundsätzlich eine positive Einstellung zu aufrechten Gebärpositionen haben, betreuen Frauen eher in aufrechten Positionen. Umgekehrt besteht dieser Zusammenhang ebenso [26]. Dabei beeinflusst auch das medizinische System die Vorlieben der Hebammen: Was als „normal“ angesehen wird (meist Rückenlage), wird von Hebammen entweder unterstützt oder kritisch betrachtet [10]. Sich gegen das System zu stellen und einen anderen Weg zu wählen, erfordert jedoch Selbstvertrauen. So beschreiben Hebammen, dass sie sich zum Teil von anderen Hebammen oder Ärzten bzw. Ärztinnen beobachtet fühlen und dadurch in ihrer Praxis beeinflusst oder eingeschränkt werden [23].

Je autonomer die Hebammen arbeiten können, desto eher wenden sie aufrechte Positionen an [13] [23]. Freiberufliche Hebammen können unter Umständen autonomer arbeiten als angestellte Hebammen. Das könnte ein Erklärungsansatz sein für die unterschiedlichen Zahlen in der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe [18] [11]. Um die persönliche Entwicklung und Autonomie im klinischen Kontext zu fördern, sind Supervision und Reflektion denkbar. Hinzu kommt ein Voranbringen der Akademisierung des Berufes: Wenn bereits werdende Hebammen eine Haltung zu aktueller Forschung und Praxis entwickeln und diese begründen müssen, können sie möglicherweise im Berufsleben selbstbewusster auftreten und ihre Meinung gegenüber Kolleginnen und Ärzten mit literaturgestützter Argumentation besser vertreten.


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Wissen, Training und Skills

Erfahrungen beeinflussen das Handeln. Daher liegt es auf der Hand, dass fehlendes Wissen über aufrechte Gebärpositionen sowie fehlendes Training dieser Gebärpositionen dazu führt, dass Geburten eher in horizontalen Positionen betreut werden. Im Umkehrschluss: Je mehr Wissen Hebammen zu aufrechten Gebärpositionen haben, desto eher leiten sie zu diesen an [23] [10]. In der Tat bemängeln Hebammen, dass es zu wenig Fortbildungen zu physiologischen Geburten bzw. aufrechten Gebärpositionen gibt [15] [23]. Im Fortbildungskatalog der Berliner Berufsordnung für Hebammen ist zwar der Punkt „Gebärpositionen“ aufgeführt, alle anderen Vorschläge beziehen sich aber auf Notfallsituationen und Risikoeinschätzungen (Anlage zu § 6 Absatz 3, HebBO, 2010) [6].

Es wäre wünschenswert, dass in der Fortbildung mehr Wert auf die Förderung der Physiologie gelegt wird. Spannend ist auch, was Hanson festhält: Hebammen, die weniger Zeit mit dem Lesen von Fachmagazinen verbringen, leiten signifikant häufiger zur Rückenlage während der Geburt an als solche, die mehr Fachzeitschriften lesen [13]. Deshalb wäre ein Ausbauen von Fortbildungsmöglichkeiten und die Integration von verschiedenen Gebärpositionen bereits in der Berufsausbildung ein Beitrag zum Theorie-Praxis-Transfer.


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Strukturelle Gegebenheiten

Die Gestaltung des Gebärraums und der Arbeitsort der Hebamme haben einen Einfluss auf die Betreuung und die verwendeten Gebärpositionen [4] [3] [22] [23] [17]. Jedoch beeinflussen auch die Strukturen im Gesundheitssystem die Hebammen in diesem Zusammenhang: Hebammen sind die Expertinnen für die physiologische Geburt. Sie stehen aber unter dem Einfluss der Dominanz der Medikalisierung [15]. Beispielhaft wird das Aufnahme-CTG bei Frauen mit niedrigem Geburtsrisiko genannt. Dieses sei ärztlich angeordnet und die Hebamme müsse dieser Anordnung nachgehen, obwohl die Maßnahme nicht evidenzbasiert ist [15]. Zudem werden Interventionen, die Hebammen als sinnlos erachten, zur Absicherung oder aufgrund des Drucks durchgeführt, ausschließlich perfekte Outcomes zu erzielen [22]. Es entsteht ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber dem System, aber auch Angst vor falschen Entscheidungen stellt sich ein. Daraus resultiert eine Kultur der Rückversicherung. Hinzu kommt noch eine starke Belastung durch vermehrte administrative Aufgaben, die die Zeit zur eigentlichen Geburtsbetreuung einschränkt.

Eine Hebamme, die in einer hebammengeleiteten Einrichtung in Irland arbeitet, sagt, dass ihrer Meinung nach alle Frauen eine Doula haben sollten, da sie selbst nicht genug Zeit für die eigentliche Betreuung habe [15]. Diese Aussage zeugt von Frustration. Anstatt am System etwas zu ändern, verweist die Hebamme auf eine andere Berufsgruppe, die ihre Aufgaben übernehmen soll. Diese Aussagen beziehen sich auf physiologische Geburten im Allgemeinen, können aber vermutlich auch auf die Gebärpositionen übertragen werden.

Diese Hierarchiestruktur wird auch durch eine Aussage aus der Studie von Hodnett et al. bestätigt [17]. Dafür wurde das Kreißbett aus dem Gebärraum entfernt und untersucht, wie sich die veränderte Umgebung auf die Betreuung und die Gebärpositionen auswirkt. In zwei Fällen war der Grund dafür, dass das Bett wieder in den Raum gebracht wurde, der Wunsch der Ärzte. Hier entschied nicht die Gebärende, wo das Kind zu Welt gebracht wird, sondern der Arzt oder die Ärztin. Zunehmende Medikalisierung der Geburtshilfe, hierarchische Strukturen und zu viele administrative Aufgaben beeinflussen demnach Hebammen in ihrer Betreuung. Die AutorInnen der französischen Querschnittsstudie geben als einen Grund, warum Hebammen am liebsten die Rückenlage verwenden, eine fehlende Evidenzbasierung der Arbeit an [4]. Das Voranbringen der Hebammenwissenschaften kann hier Abhilfe schaffen. Wenn Hebammenthemen von Hebammen beforscht werden, kann der Theorie-Praxis-Transfer verbessert werden. Wichtig ist dabei, dass die Forschungsergebnisse in Leitlinien Eingang finden. Die Akademisierung des Hebammenberufes kann dahingehend hilfreich sein, dass Hebammen Studien bewerten und einschätzen und so fundiert Position beziehen können.


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Geburtshilfliche Faktoren

Interventionen während der Geburt, Geburtsfortschritt, Geburtsverlauf und prophylaktische Maßnahmen zählen zu den geburtshilflichen Faktoren. Das CTG und die vaginale Untersuchung wurden in der Studie von Priddis et al. als größtes Hindernis für eine aufrechte Gebärposition identifiziert [22]. Beim CTG ist die Bewegungseinschränkung durch Gurte und Kabel gut vorstellbar. Auch in Deutschland ist es im klinischen Kontext Standard, ab der späten Eröffnungsphase (EP) die Herztöne und Wehen kontinuierlich mit dem CTG zu überwachen [24]. Das knüpft an die strukturellen Gegebenheiten an. Hebammen müssen sich daran halten. Somit wird ihre Betreuung hinsichtlich der Position der Gebärenden beeinflusst.

Bei einer vaginalen Untersuchung liegt die Gebärende meist auf dem Rücken. Eine Frau beschreibt, dass sie dann auch zur Geburt in dieser Position geblieben wäre [9]. Der Dammschutz wird von Hebammen ebenfalls als ein Grund für Positionswechsel genannt [5] [10]. Hierbei ist vor allem entscheidend, eine gute Sicht auf den Damm zu haben. Für manche Hebammen ist das in jeder Position möglich [5]. Andere bringen Frauen dafür extra in Rückenlage [10]. Doch der Dammschutz als Intervention an sich kann hinterfragt werden. Natürlich macht es Sinn, den Damm im Blick zu haben, aber Frauen dafür in Rückenlage zu bringen, erscheint doch fragwürdig. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass die Theorie-Praxis-Lücke in weiteren Bereichen der Hebammenarbeit besteht.

Der Geburtsfortschritt wird von Hebammen auch als Grund angegeben die Frauen anders zu positionieren. Geht die Geburt in den Augen der Hebammen zu schnell, wird eher zu einer liegenden Position angeleitet, um die Geburt zu verlangsamen. Soll die Geburt beschleunigt werden, raten Hebammen oft zu aufrechten Positionen [10] [9] [21]. Das deckt sich mit der aktuellen Evidenz, dass eine aufrechte Position die AP verkürzt [12]. Wenn während der Geburt Komplikationen auftreten (z. B. Schulterdystokie oder abnormale fetale Herzfrequenz), wird auch die Position der Gebärenden verändert [21] [10]. Leider wird das nur erwähnt und nicht näher beschrieben, welche Positionen ausgewählt werden. Dass die Rückenalge prophylaktisch angewendet wird, ist jedoch beschrieben [10].

Wird eine Notlage des Kindes oder erhöhter Blutverlust vermutet, wird die Frau von Hebammen bevorzugt auf dem Rücken gelagert. Die Komplikation selbst wird dadurch nicht verbessert, doch das Management fällt leichter. Das deutet stark darauf hin, wie selten Notfallsituationen in verschiedenen Gebärpositionen geübt und gemanagt werden.


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Gebärende Frau

Neben allen bereits genannten Einflüssen, spielt natürlich auch die Gebärende selbst eine Rolle. Frauen wünschen sich verschiedene Gebärpositionen. Der Wunsch der Frau hat einen Einfluss und Hebammen geben diesem nach [21] [10] [9]. Oft wünschen sich Frauen aufrechte Positionen [21] [22], was den aktuellen Evidenzen und Leitlinien entspricht. Doch es ist nicht nur ein Wunsch, laut Priddis et al. nehmen Frauen instinktiv aufrechte und nach vorne gelehnte Positionen ein [22]. Interventionen können diesen Prozess aber stören. Hier zeigt sich nochmals der große Einfluss der strukturellen Faktoren. Viele Interventionen (z. B. CTG-Überwachung oder vaginale Untersuchung) können die Frau in ihrem instinktiven Verhalten stören.

Weiterhin scheinen Frauen, die sich vorher mit der Geburt beschäftigt haben und Vertrauen in ihren Körper haben, mehr Impulse für selbst gewählte Positionen zu geben [10]. Grundsätzlich hätten Frauen mit mehr Bildung und Frauen, die in Städten leben, mehr Wissen über Gebärpositionen [10]. Zudem besuchen Frauen mit mehr Bildung eher einen Geburtsvorbereitungskurs und holen sich selbst Informationen zu Gebärpositionen ein [23]. Je mehr Informationen und Wissen die Frau über Gebärpositionen hat, desto mehr Gebärpositionen werden ihr angeboten [10]. Das wahrzunehmen, ist wichtig. Hebammen sollten allen Frauen die Möglichkeit geben, verschiedene Positionen zur Geburt einzunehmen – nicht nur denen, die diese von selbst einfordern.

Die Geburtserfahrung der Frau spielt ebenfalls eine Rolle. Zweit- und Mehrgebärende haben möglicherweise schon eine bessere Vorstellung davon, welche Position sie auswählen möchten [10]. Zusätzlich beschreiben Hebammen, dass laut ihrem Gefühl auch der kulturelle Hintergrund einen Einfluss auf die Gebärposition hat. Frauen aus Westafrika würden eher vertikale Positionen wählen, während Frauen aus der Türkei oder Marokko eher in Rückenlage gebären [10]. Es wird jedoch nicht auf weitere Hintergründe eingegangen. Die gesellschaftliche Prägung könnte durchaus eine Rolle spielen. Besonders Medien beeinflussen unsere Wahrnehmung. Auf ihren Einfluss geht aber keine Studie ein. In der evidenzbasierten Medizin zählt der Wunsch der Frau genauso viel wie die interne und externe Evidenz. Wenn Hebammen den Frauen den Raum lassen, ihre Position selbst auszuwählen, kann das zu einem verbesserten Theorie-Praxis-Transfer führen.


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Weiterer Forschungsbedarf

Gerade in Deutschland gibt es noch sehr wenig Forschung zum Thema Gebärpositionen. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf körperlichen Outcomes liegen, sondern auf dem Geburtserlebnis der Frau und dessen Auswirkung auf die physische und psychische Gesundheit. Außerdem braucht es weitere Untersuchungen, was Mobilität während der Geburt und aufrechte Gebärhaltungen fördert und behindert. Es wurde herausgearbeitet, dass Hebammen eine wichtige Rolle bei der Wahl der Gebärposition spielen. Hier fehlt es an weiterer Forschung zu Ansichten von Hebammen zu Gebärpositionen. Aber auch die ärztliche Seite sollte betrachtet werden, da in deutschen Kreißsälen Hebammen und Ärzte bzw. Ärztinnen zusammenarbeiten. Das Phänomen der Theorie-Praxis-Lücke in der Hebammenarbeit sowie Strategien, diesem zu begegnen, sollte ein wichtiges Forschungsthema sein, da dieses sicherlich nicht nur auf das Thema Gebärpositionen zutrifft.

Aktuell überprüft z. B. die Studie „Be-Up: Geburt aktiv“, ob die Intervention „alternativ ausgestatteter Gebärraum“ einen eigenen Effekt auf den Geburtsmodus (vaginale Geburt) von Frauen am Geburtstermin sowie deren personenbezogene Outcomes hat (Infos unter: www.be-up-studie.de).


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Schlussfolgerungen

Alle fünf Faktoren beeinflussen Hebammen in ihrer Betreuung von Gebärenden. Im ersten Schritt sollte Hebammen bewusst sein, welchen Einfluss sie auf Frauen während der Geburt haben. Eine stetige Reflektion der eigenen Arbeitsweise kann dazu führen, dass lang eingeübte Routinen durchbrochen werden. Hier kommt wiederum die evidenzbasierte Medizin zum Tragen. Der Wunsch der Frau, Forschungsergebnisse und die Erfahrung der Hebamme kommen zusammen und so kann eine individuelle und qualitativ hochwertige Betreuung entstehen. Das gilt sowohl für Gebärpositionen als auch für die Geburtshilfe insgesamt. Letztlich betreuen Hebammen nach bestem Wissen und Gewissen Frauen während der Geburt. Ihre Priorität ist dabei das Wohlergehen von Mutter und Kind. Wenn sich jedoch abzeichnet, dass äußere Faktoren und Zwänge dieses Arbeiten behindern, muss sich in den strukturellen Gegebenheiten etwas ändern. Denn nur unter verbesserten Arbeitsbedingungen werden Hebammen Frauen kompetent, evidenzbasiert und empathisch betreuen können. Davon profitieren die Gebärenden und Neugeborenen.

FAZIT

Aspekte zur Förderung aufrechter GebÄrpositionen

  • Bewusstsein entwickeln, dass Hebammen die GebÄrposition beeinflussen

  • Größeren Fokus auf aufrechte GebÄrpositionen in Theorie und Praxis bereits in der Ausbildung legen

  • Mehr Fortbildungen zu GebÄrpositionen und zur Förderung physiologischer Geburten für Hebammen und Ärzte / Ärztinnen anbieten

  • den GebÄrraum umgestalten

  • Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen verbessern, um mehr Zeit für die Geburtsbetreuung zu gewinnen

  • InterdisziplinÄre Zusammenarbeit zwischen Hebammen und Ärzten / Ärztinnen fördern

  • Zusammenarbeit / Austausch von klinisch und außerklinisch arbeitenden Hebammen fördern

  • Interprofessionelle Leitlinien zu Förderung der physiologischen Geburt umsetzen (s. Leitlinienvorhaben www.awmf.org: „Die vaginale Geburt am Termin“, S3 Leitlinie, geplante Fertigstellung: 31.03.2020)

  • Weitere Forschung zum Thema GebÄrpositionen unterstützen

  • Theorie-Praxis-Transfer durch evidenzbasiertes Arbeiten im Hebammenberuf fördern

  • Akademisierung des Berufes


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Autorinnen / Autoren

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Lydia-Marie Enßle-Kastenhuber hat im Herbst 2018 ihr duales Studium an der Evangelischen Hochschule Berlin mit dem Bachelor of Science of Midwifery abgeschlossen. Die hier vorgestellte Bachelorarbeit wurde von Prof. Dr. Leinweber erst- und von Prof. Dr. Abou-Dakn zweitbetreut. Seit November 2018 arbeitet sie im Geburtshaus Rundfrau in Leipzig als freiberufliche Hebamme.

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Abb. 1 Zu den aufrechten Gebärpositionen zählen: Sitzen, Knien, Hocken (mit oder ohne Hilfsmittel), Stehen, Vierfüßler (Kopf höher als Becken) [14] [12] [19]. Die Autorin untersuchte für ihre Bachelorarbeit, welche Faktoren Hebammen in ihrer Anleitung von Gebärenden bei der Wahl der Gebärposition beeinflussen. (Illustration: leremy – stock.adobe.com, Bildgestaltung: Thieme Gruppe)
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Abb. 2 SÄulen der evidenzbasierten Medizin nach Cochrane, 2018 [8]. (Quelle: eigene Darstellung)