Phlebologie 2019; 48(04): 266-270
DOI: 10.1055/a-0893-3828
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Phlebologische Funktionsdiagnostik: Praktische Anwendung

Teil 2: Die Phlebodynamometrie (PDM)Venous Functional Diagnostics: Hands-On ApproachPart 2: Direct Venous Pressure Measurement
S. Kahl
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie, Kösterbergstraße 32, 22587 Hamburg
,
G. Bruning
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie, Kösterbergstraße 32, 22587 Hamburg
,
J. Woitalla-Bruning
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie, Kösterbergstraße 32, 22587 Hamburg
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Sebastian Kahl
Facharzt im Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG
Kösterbergstraße 32
22587 Hamburg
Phone: 040 86692 200   

Publication History

22 March 2019

08 April 2019

Publication Date:
02 May 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Trotz der Dominanz der farbkodierten Duplexsonografie in der Diagnostik der Phlebologie gibt es weiterhin Fragestellungen, bei denen klassische Verfahren der phlebologischen Funktionsdiagnostik eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spielen.

Während die farbkodierte Duplexsonografie detallierten Aufschluss über die Kaliber und die Refluxsituation des Venensystems liefern kann, ist sie jedoch nicht in der Lage, eine abschließende Aussage zur Hämodynamik zu treffen. Hierzu dient die venöse Funktionsdiagnostik und als Referenzverfahren insbesondere die invasive Phlebodynamometrie (PDM). Die PDM ist die einzige Methode zur direkten Messung der ambulatorischen venösen Hypertonie und hat daher eine große Bedeutung im Rahmen der funktionellen phlebologischen Diagnostik, insbesondere beim postthrombotischen Syndrom (PTS). Sie kann am verlässlichsten darüber Auskunft geben, ob es sich bei Vorliegen einer Varikosis mit kurzem Reflux im Rahmen eines PTS um eine besserbare Varikosis handelt oder nicht.

Das Ziel dieses dreiteiligen Artikels besteht darin, die praktische Anwendung der klassischen Verfahren zur phlebologischen Funktionsdiagnostik im klinischen Rahmen zu demonstrieren und die Aussagekraft der entsprechend erhobenen Daten zu erläutern. Die praktische Anwendung der digitalen Photoplethysmografie (D-PPG), der PDM und der Venenverschlussplethysmografie (VVP) ist prinzipiell nicht schwer. Für die Durchführung wird jedoch geschultes Personal benötigt, um Anwendungs- und Messfehler zu vermeiden. In diesem zweiten Teil soll die Phlebodynamometrie vorgestellt und erläutert werden.


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Abstract

Duplex ultrasound (DUS) is currently the most important method concerning the assessment of venous disease. In many cases it has replaced conventional methods that where designed for venous functional diagnostics. But still, there are some medical questions that can only be answered by data collected in connection with classic tests of venous functional diagnostics.

For example, DUS can give you detailed information about venous diameter and venous reflux. But it cannot give you adequate information about venous pressure. So when it comes to questions concerning venous pressure, you depend on venous functional diagnostics. Within this context, direct venous pressure measurement (DVPM) is the most important and reliable method to find out if a patient would profit from surgical therapy of varicose veins (especially if your patient suffers from post-thrombotic syndrome).

The aim of this three-part article is to demonstrate the practical use of all classic methods of venous functional diagnostics in a clinical setting and to point out what conclusions can be made based on collected data. In this second part, we present DVPM. Digital photoplethysmography (D-PPG), DVPM and venous occlusion plethysmography (VOP) can be performed easily by trained medical staff and despite the dominance of DUS, these classic methods still play a role in the assessment of venous disease.


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Einleitung

Mit Einführung der farbkodierten Duplexsonografie in die phlebologische Diagnostik sind die klassischen Verfahren der venösen Funktionsdiagnostik im Alltag etwas in den Hintergrund getreten [1], [2]. Bezüglich ihrer Anwendung mag somit der eine oder andere jüngere Kollege auf dem Gebiet der Phlebologie nur wenig praktische Erfahrung aufweisen.

Wir möchten mit diesem dreiteiligen Artikel daher die Anwendung der entsprechenden phlebologischen Untersuchungsmethoden mit Hilfe von anschaulichen Bildern aus dem klinischen Alltag beschreiben. In diesem zweiten Teil wird die Phlebodynamometrie (PDM) vorgestellt, nachdem im ersten Teil bereits die Digitale Photoplethysmografie (D-PPG) beschrieben wurde. In einer späteren Ausgabe dieses Journals werden wir uns dann der Venenverschlussplethysmografie (VVP) widmen.

Für die genannten Verfahren gibt es mobile Komplett-Systeme inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung ([ Abb. 1 ]).

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Abb. 1 Mobiles Komplett-System inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung.

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Phlebodynamometrie (PDM)

Untersuchungsablauf

Die PDM wird am stehenden Patienten durchgeführt. Mit einer Butterflykanüle punktiert man zuvor am sitzenden Patienten eine Vene, die optimalerweise möglichst nah am Großzehengrundgelenk liegt ([ Abb. 2 ]) [2], [3].

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Abb. 2 Venenpunktion bei der PDM.

Über die punktierte Vene werden im Verlauf der Untersuchung der absolute intravasale Druck und die Druckveränderungen im tiefen Venensytem ermittelt. Zu diesem Zweck sind die Kanüle und der Schlauch der Kanüle mit physiologischer Kochsalzlösung gefüllt und über eine spezielle Verlängerung mit einem Druckwandler verbunden [2], [3].

Damit das Blut in der Butterfly-Kanüle nicht gerinnt, ist das genannte Schlauchsystem zusätzlich mit einem Infusionsbehälter (physiologische Kochsalzlösung) verbunden, sodass wiederholt gespült werden kann ([ Abb. 3 ]) [2].

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Abb. 3 Anschluss der Punktions-Butterfly und der Spülinfusion am Druckwandler.

Im Rahmen der Untersuchung begibt sich der stehende Patient wiederholt rhythmisch ca. 8–10 mal in den Zehenstand und zurück, sodass über die aktivierte Muskel-Waden-Pumpe das Blut aus dem venösen Gefäßsystem gepumpt wird ([ Abb. 4 ]) [2], [3]. Aufgrund dieses Manövers sollte der Druck im venösen Gefäßsystem im Normalfall auf ca. 50 % des (von der Körpergröße abhängigen) Ausgangswertes herabsinken.

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Abb. 4 Wiederholte, rhythmische Zehenstände.

Als Nächstes wird das potentiell auszuschaltende variköse Gefäß durch einen Stauschlauch funktionell verschlossen und das potentielle Operationsergebnis somit simuliert ([ Abb. 5 ]). Im Anschluss wird das zuvor beschriebene Manöver erneut durchgeführt, dieses Mal mit anliegendem Stauschlauch [2], [3].

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Abb. 5 Simulation des Zustandes nach operativer Entfernung des varikösen Gefäßes durch Anlegen eines Stauschlauches.

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Funktionsprinzip

Bei der PDM können über eine punktierte Vene an der unteren Extremität absolute Drücke und Druckschwankungen im tiefen venösen Gefäßsystem ermittelt werden. Somit kann das Ausmaß einer potentiellen ambulatorischen venösen Hypertonie festgestellt werden. Es ist möglich, Rückschlüsse auf den Charakter einer venösen Funktionseinschränkung zu ziehen (Erkrankung durch Klappeninsuffizienz und/ oder Verschluss im tiefen Venensystem bedingt?) [2], [3], [4].


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Indikationen

Die PDM wid vor allem bei der Frage eingesetzt, ob bei einem postthrombotischen Syndrom (PTS) die Ausschaltung von bestimmten Varizen mit geringem Reflux von Vorteil ist, oder ob es sich bei den entsprechenden Gefäßen um eine sekundäre Varikosis im Rahmen eines intakten Umgehungskreislaufes handelt [2], [3], [4]. Die PDM ist als diagnostische Methode bei dieser Fragestellung der D-PPG überlegen, da bei ausgeprägten klinischen Befunden häufig trophische Störungen der Haut vorliegen, welche die Anwendung der D-PPG unmöglich machen.


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Messparameter und Interpretation

Die [ Abb. 6 ] zeigt die primären Parameter, welche bei der PDM dargestellt werden.

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Abb. 6 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM ohne anliegenden Stauschlauch.

Auf der x-Achse ist der zeitliche Verlauf dargestellt, auf der y-Achse der Druck im venösen Gefäßsystem, angegeben in mmHg.

Anhand der dargestellten Parameter kann abgelesen werden, auf welchen Wert P2 der intravasale Ruhedruck P1 im venösen Gefäßsystem nach Betätigung der Muskel-Wadenpumpe gesenkt werden kann. Die entsprechende Druckdifferenz wird als maximaler Druckabfall (∆P) bezeichnet und stellt eine entscheidende Variable dar, die bei der PDM berechnet wird. Eine weitere Variable ist die sogenannte Druckausgleichszeit (t2, angegeben in Sekunden). Sie beschreibt die Zeit, die vergeht, bis sich das venöse Gefäßsystems nach (Teil-)Entleerung wieder so weit gefüllt hat, dass der ursprüngliche Ruhedruck erreicht ist. Die Bedeutung der Druckausgleichszeit im Rahmen der PDM entspricht der Aussagekraft der venösen Wiederauffüllzeit bei der D-PPG [2], [3].

[ Abb. 7 ] zeigt die Ergebnisse nach Durchführung des o. g. Manövers mit anliegendem Stauschlauch. Man sieht, dass der Druck im venösen Gefäßsystem im Vergleich zum Testdurchlauf davor deutlich stärker gesenkt werden konnte (der Betrag von ∆P ist größer). Weiterhin ist zu erkennen, dass in [ Abb. 6 ] die Druckausgleichszeit t2 im Vergleich zur [ Abb. 7 ] deutlich verkürzt ist. Denn in [ Abb. 6 ] ist der Ruhedruck bereits nach ca. 20 Sekunden wieder erreicht, im Gegensatz dazu in [ Abb. 7 ] erst nach mehr als 40 Sekunden. Bei dem Patienten liegt somit eine „besserbare“ Varikosis vor. Man würde daher empfehlen, die entsprechenden Varizen operativ zu entfernen.

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Abb. 7 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM bei anliegendem Stauschlauch.

Hätte sich der Betrag von ∆P im Rahmen des Tests mit angelegtem Tourniquet jedoch nicht verändert oder hätte der Betrag von ∆P bei angelegtem Tourniquet sogar abgenommen, dann würde der Patient von einer Operation nicht profitieren [2], [3], [4].


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Potentielle Fehlerquellen

Fehlerhafte Messungen treten auf, wenn eine inadäquate Venenpunktion erfolgt oder wenn die punktierte Vene thrombosiert ist. Auch kann es dazu kommen, dass sich die zur Venenpunktion verwendete Kanüle im Rahmen des o. g. Manövers an die Venenwand anlegt. In letzterem Fall kann oft Abhilfe geschaffen werden, wenn ein Zellstofftupfer unter die Kanüle gelegt wird [2], [3].

Es ist zu beachten, dass das Verfahren standardisiert ist für eine Zimmertemperatur von ca. 20° Celsius, so dass eine Hauttemperatur des Patienten von 20–24° C vorliegt.

FAZIT

Die praktische Anwendung der PDM ist prinzipiell nicht schwer. Für die Durchführung wird jedoch geschultes Personal benötigt, um Anwendungs- und Messfehler zu vermeiden.

Trotz der Dominanz der farbkodierten Duplexsonografie in der Diagnostik der Phlebologie gibt es weiterhin einige Fragestellungen, bei denen klassische Verfahren der phlebologischen Funktionsdiagnostik eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spielen [1], [2], [3], [5], [6]. Denn während die farbkodierte Duplexsonografie detallierten Aufschluss über die Gefäßkaliber und die Refluxsituation des Venensystems liefert, ist sie jedoch nicht in der Lage, eine abschließende Aussage zur Hämodynamik zu treffen. Hierzu dient die venöse Funktionsdiagnostik und als Referenzverfahren insbesondere die invasive Phlebodynamometrie. Sie kann Auskunft darüber geben, ob ein Patient von einem varizenausschaltenden Verfahren profitieren würde. Letztere Information kann mit Hilfe der Duplexsonografie nicht gewonnen werden.


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Interessenkonflikte

S. Kahl: Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

G. Bruning: Reisekostenübernahme im Rahmen von Kongressbesuch durch die Firma Bauerfeind AG.

J. Woitalla-Bruning: Reisekostenübernahme im Rahmen von Kongressbesuch durch die Firma Bauerfeind AG. Vortragshonorar von der SIGVARIS GmbH.

  • Literatur

  • 1 Mühlberger D, Reich-Schupke S, Mumme A. et al. Funktionsdiagnostik in der Phlebologie. vasomed 2018; 30: 283-287
  • 2 Rabe E, Gerlach HE. Praktische Phlebologie, Empfehlung zur differenzierten Diagnostik und Therapie phlebologischer Krankheitsbilder. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag; Stuttgart, New York: 2006
  • 3 Rabe E, Hartmann K, Gerlach H. et al. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 037/013 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Phlebodynamometrie.
  • 4 Hach W, Gruss JD, Hach-Wunderle V. et al. VenenChirurgie: Leitfaden für Gefäßchirurgen, Angiologen, Dermatologen und Phlebologen. 2. Auflage. Schattauer; 2007
  • 5 Gerlach HE, Rabe E, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/014 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Venenverschlussplethysmographie mittels Dehnungsmessstreifen.
  • 6 Pannier F, Gerlach H, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/008 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Licht-Reflexions-Rheographie/Photoplethysmographie.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Sebastian Kahl
Facharzt im Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG
Kösterbergstraße 32
22587 Hamburg
Phone: 040 86692 200   

  • Literatur

  • 1 Mühlberger D, Reich-Schupke S, Mumme A. et al. Funktionsdiagnostik in der Phlebologie. vasomed 2018; 30: 283-287
  • 2 Rabe E, Gerlach HE. Praktische Phlebologie, Empfehlung zur differenzierten Diagnostik und Therapie phlebologischer Krankheitsbilder. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag; Stuttgart, New York: 2006
  • 3 Rabe E, Hartmann K, Gerlach H. et al. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 037/013 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Phlebodynamometrie.
  • 4 Hach W, Gruss JD, Hach-Wunderle V. et al. VenenChirurgie: Leitfaden für Gefäßchirurgen, Angiologen, Dermatologen und Phlebologen. 2. Auflage. Schattauer; 2007
  • 5 Gerlach HE, Rabe E, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/014 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Venenverschlussplethysmographie mittels Dehnungsmessstreifen.
  • 6 Pannier F, Gerlach H, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/008 Entwicklungsstufe. 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012. Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Licht-Reflexions-Rheographie/Photoplethysmographie.

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Abb. 1 Mobiles Komplett-System inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung.
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Abb. 2 Venenpunktion bei der PDM.
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Abb. 3 Anschluss der Punktions-Butterfly und der Spülinfusion am Druckwandler.
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Abb. 4 Wiederholte, rhythmische Zehenstände.
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Abb. 5 Simulation des Zustandes nach operativer Entfernung des varikösen Gefäßes durch Anlegen eines Stauschlauches.
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Abb. 6 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM ohne anliegenden Stauschlauch.
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Abb. 7 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM bei anliegendem Stauschlauch.