Einleitung
Berufliche Hautkrankheiten zählen zu den häufigsten Berufskrankheiten in den Industrieländern.
In Deutschland machen sie 35 % aller gemeldeten beruflichen Krankheiten aus [1]. Meldungen auf Verdacht einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 (Hautkrankheiten mit
Ausnahme von Hautkrebs) stehen dabei ganz vorne. Sie stiegen bis Mitte der 1990er-Jahre
stetig an und zählen mittlerweile zu den am häufigsten angezeigten Berufskrankheiten.
Allein bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften fielen im Jahr 2017 von insgesamt
75 187 angezeigten Berufskrankheiten 21 063 auf die BK Nr. 5101 [2].
Schwere und/oder sich wiederholende Hauterkrankungen können in vielen Berufen auftreten.
Das Friseurhandwerk, die Metallbearbeitung, das Baugewerbe, die Lebensmittelindustrie
sowie das Gesundheitswesen sind besonders betroffen. In diesen Bereichen ist die Haut
der Beschäftigten oft arbeitsspezifischen Reizstoffen, Allergenen und Wasser ausgesetzt.
Reinigungsmittel, organische Lösungsmittel, Flüssigkeiten zur Metallbearbeitung, Mehl,
Zement, Klebstoffe oder Chemikalien sind z. B. Substanzen, die eine Berufsdermatitis
verursachen können [3]. Die in den oben genannten Berufsfeldern Tätigen tragen ein hohes Risiko, ein Kontaktekzem,
am häufigsten an den Händen, zu entwickeln ([Abb. 1 – 4]).
Abb. 1 Schweres hyperkeratotisches Handekzem (a) bei einem 59-jährigen Malermeister mit vollständiger Abheilung nach einer Maßnahme
der Tertiären Individualprävention (TIP) und (b) Konstanz des unauffälligen Hautbefundes 4 Wochen nach Wiederaufnahme der beruflichen
Tätigkeit und nach Umsetzung von individuellen Arbeits- und Hautschutzmaßnahmen.
Abb. 2 Leichtes pruriginöses Handekzem (a) bei einer 62-jährigen Altenpflegerin mit Beteiligung der Füße (b) in Form von Prurigoknötchen und leichten Fußekzemen beidseits. Auch bei einer Maßnahme
der Sekundären oder Tertiären Individualprävention sollten immer die Füße und die
gesamte weitere Körperhaut inspiziert werden, da sich hierdurch die relevanten Differenzialdiagnosen
rasch eingrenzen lassen.
Abb. 3 27-jähriger Metallfacharbeiter mit einem subtoxisch-kumulativen Handekzem beidseits
seit 9 Monaten. Solche Hautbefunde sind bez. der Morphologie und der Bestandsdauer
typisch für SIP-Seminar-Teilnehmer.
Abb. 4 Schweres atopisches Handekzem mit Beteiligung der Handgelenksbeuge und hauptsächlicher
Manifestation an den Handtellern.
Meist handelt es sich um subtoxisch-kumulative und allergische Kontaktekzeme. Es sollte
bedacht werden, dass auch die Füße ([Abb. 2 b]) oder andere Körperstellen von Ekzemen betroffen sein können, insbesondere bei Versicherten
mit einer atopischen Hautdiathese oder einer atopischen Dermatitis (AD).
Berufliche Hautkrankheiten sind auf individueller Ebene mit einem deutlichen Verlust
der Lebensqualität verbunden. Die sozioökonomische Belastung ist enorm. Schätzungen
zufolge verursachen berufliche Hauterkrankungen in Deutschland jährlich über 1,5 Milliarden
Euro Kosten – v. a. bedingt durch Fehlzeiten und mangelnde Produktivität. Kleinere
und mittlere Betriebe sind dadurch mit Blick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit stark belastet
[1].
Meist sind lange Behandlungszeiten notwendig und die häufig jungen Betroffenen stehen
erst am Anfang ihrer beruflichen Karriere. Oft sind Umschulungen nötig.
Berufliche Hautkrankheiten sind besonders präventiv beeinflussbar. Eine frühe Intervention
mit geeigneten präventiven und therapeutischen Strategien sollte angestrebt werden,
da dies für den Verlauf von berufsbedingten Hauterkrankungen entscheidend ist [27]. Hier setzen spezielle ambulante Vorsorge- und Behandlungsmaßnahmen an.
Informationsbedarf zum Thema Hautschutz
Frühzeitig eingeleitete ambulante Präventions- und Therapiemaßnahmen können der Manifestation
einer Berufserkrankung nach BK 5101 entgegenwirken und Kosten sparen. Nach dem großen
Erfolg präventiver Maßnahmen für Friseure [4]
[5] wurden entsprechende Programme und Hautschutzseminare ([Abb. 5]) für Mitarbeiter im Gesundheitswesen und in der Metallindustrie ausgebaut [6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14].
Abb. 5 Üben des richtigen Eincremens der Hände mit einer Fluoreszenzfarbstoff enthaltenden
Creme und dem Dermalux Gerät.
Der Bedarf solcher Programme ist groß. Viele in Risikoberufen Tätige wissen nicht,
wie man sich hautschützend verhält, oder erkennen die Notwendigkeit entsprechender
Hautschutzmaßnahmen nicht. Eine Fragebogenstudie aus Dänemark [28] konnte aufzeigen, dass Patienten mit einer berufsbedingten Hauterkrankung (Handekzem)
immer noch zu wenig über den Hautschutz wissen – unabhängig von ihrem Bildungsniveau
und der Ekzemaktivität. Insbesondere Männer und Patienten über 50 Jahre benötigten
noch mehr Informationen, um sich hautschützend zu verhalten. Die Ergebnisse einer
deutschen Studie mit 1355 Metallarbeitern, überwiegend männlich (n = 1310), veranschaulichen
darüber hinaus, dass die ärztliche Empfehlung zur Verwendung entsprechender Schutz-
und Feuchtigkeitscremes für die Hände zum Schutz vor einem Handekzem nur auf wenig
Akzeptanz stieß [15].
Empfehlungen und evidenzbasierte Mindestnormen für die Prävention
Leitlinien geben Empfehlungen zur Prävention berufsbedingter Hauterkrankungen. Darüber
hinaus konnten Experten der Berufsdermatologie im Jahr 2017 europaweit einen Konsens
über die Festlegung von evidenzbasierten Mindestnormen für die Prävention und das
Management von berufsbedingten Hauterkrankungen erzielen [25]
[26].
Primäre, sekundäre, tertiäre Prävention
In Deutschland wird seit über 15 Jahren seitens der gesetzlichen Unfallversicherungsträger
ein mehrstufiger, multidisziplinärer Interventionsansatz verfolgt, der primäre, sekundäre
und tertiäre Präventionsmaßnahmen beinhaltet (Osnabrücker Modell). Mit dem seit 06. 12. 2005
existierenden „Stufenverfahren Haut“ soll erreicht werden, dass die Unfallversicherungsträger
individuell erforderliche Präventionsmaßnahmen und Leistungen möglichst frühzeitig
erbringen. Auf ambulanter Versorgungsebene spielt die sekundäre Individualprävention
(SIP) eine wesentliche Rolle. Sie beinhaltet das ambulante dermatologische Heilverfahren
im Rahmen des § 3 BKV (Berufskrankheiten-Verordnung) sowie das Angebot von ärztlichen
und gesundheitspädagogischen Hautschutzseminaren.
Primäre Prävention
Die primäre Prävention soll bei Hautgesunden das Entstehen von beruflichen Hautkrankheiten
verhindern. Die primäre Prävention beinhaltet daher die entsprechende (technische/organisatorische)
Ausstattung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber sowie entsprechende individuelle
Hautschutzmaßnahmen durch die Beschäftigten, wie z. B. das Tragen von Schutzhandschuhen
[16] und Schutzkleidung. Effektive Trainingsprogramme zeichnen sich dadurch aus, dass
sie mit Blick auf den Inhalt, die Art der Bereitstellung und den Zeitplan ähnlich
sind, branchenspezifisch konzipiert sind und dabei multimodales Lernen, partizipative
Elemente, Bereitstellung von Hautpflegemitteln, wiederholte Sitzungen sowie das Engagement
des Managements beinhalten [29]. Je früher und spezifischer präventive Maßnahmen umgesetzt werden, umso effektiver
kann der Entwicklung einer beruflichen Hauterkrankung vorgebeugt werden. Beschäftigte
in Riskoberufen sollten frühzeitig über entsprechende Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz
informiert werden. Ergebnisse von Studien mit Auszubildenden in Risikoberufen legen
dar, dass speziell auf diese Gruppe zugeschnittene Präventionsmaßnahmen wirksam sind
[23]
[30]. Eine aktuelle Studie mit 140 Auszubildenden aus Hochrisikoberufen konnte zeigen,
dass sich bereits ein einmalig stattfindendes Hautschutzseminar positiv auf das Wissen
über berufliche Hautkrankheiten auswirken kann [23].
Sekundäre Prävention
Liegt bereits eine berufliche Hauterkrankung vor, sollte im Sinne einer sekundären
Prävention dem Wiederaufleben oder gar einer Chronifizierung durch entsprechende Maßnahmen
vorgebeugt werden. Vorrangiges Ziel ist es hierbei, die Manifestation des Handekzems
zu vermeiden, das Arbeits- und Hautschutzverhalten zu verbessern, die Motivation zu
steigern und eine Sensibilisierung durch Allergene zu verhindern. Übergeordnetes Ziel
ist es, eine Berufskrankheitheit nach BK 5101 zu vermeiden. Bei den Teilnehmern handelt
es sich i. d. R. um Versicherte mit leichten Handekzemen ([Abb. 3]).
Die seit Mitte der 1990er-Jahre entwickelten berufsdermatologischen, berufsspezifischen
Präventions-Seminare sind spezielle – in Zusammenarbeit mit der Berufsgenossenschaft
für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) durchgeführte – Schulungskurse, bei
denen Berufskrankheiten der Haut auf individueller Ebene im Fokus stehen. Der Erfolg
solcher Maßnahmen konnte in mehreren Studien bestätigt werden [5]
[6]
[8]
[10]
[13]
[17]. SIP-Seminare sind bei Friseuren und Beschäftigten aus Gesundheitsberufen seit über
10 Jahren etabliert [4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[18].
Seminare der Sekundären Individualprävention (SIP)
Im Januar 2002 wurden erstmals in der Abteilung Klinische Sozialmedizin des Universitätsklinikums
Heidelberg SIP-Seminare für Versicherte mit berufsbedingten Hauterkrankungen bei Angehörigen
von Gesundheitsberufen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsberufe und Wohlfahrtspflege
etabliert und durchgeführt [6]. Rasch folgten die Seminare für Reinigungs- und Küchenberufe. Ziel der Intervention
ist es, Veränderungen des individuellen Hautschutz- und Hautpflegeverhaltens zu erzielen,
Empfehlungen zur weiteren Diagnostik und Behandlung festzulegen sowie eine langfristige
Verbesserung und Stabilisierung des Hautzustandes zu erreichen. In den zweitägigen
Seminaren erhalten bis zu 14 Hauterkrankte Informationen über den Aufbau und die Funktion
der Haut und über notwendige Schutzmaßnahmen. In praktischen Seminareinheiten lernen
die Teilnehmer, Hautschutzmaßnahmen in tägliche Arbeitsabläufe zu integrieren. Ergänzt
wird das Angebot durch eine ausführliche ärztliche Anamnese und Untersuchung. Der
Arzt hat dadurch die Möglichkeit, ein auf die individuellen Bedürfnisse angepasstes
Hautschutz- und Hautpflegeprogramm auszuarbeiten.
Seit November 2004 werden SIP-Seminare auch für Beschäftigte aus Reinigungs- und Küchenberufen
angeboten. Eine Nachbeobachtungsstudie mit Beschäftigten aus Reinigungs- und Küchenberufen
[19] konnte den Erfolg von SIP-Seminaren hinsichtlich des Verlaufes der Hauterkrankung
und des subjektiven Wohlbefindens bestätigen.
Die Universität Osnabrück bietet seit Ende der 80er-Jahre Hautschutzseminare für Friseure
an, die die Grundlage für die großen Erfolge der SIP-Seminare bis heute begründen
[5]. In den folgenden Jahren folgten SIP-Seminare für Gesundheitsberufe. Seit Juni 2007
bietet die Universität Osnabrück, Fachbereich Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie,
Versicherten der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft Seminare zur sekundären
Prävention von berufsbedingten Hauterkrankungen an. Die eintägigen Hautschutzseminare
werden von bis zu 10 Patienten besucht. Die Teilnehmer erhalten Informationen über
den Hautaufbau und die Hautfunktion, über die Entstehung von berufsbedingten Hauterkrankungen,
über persönliche Risikofaktoren sowie über notwendige Schutzmaßnahmen. Ergänzt wird
das Angebot durch eine individuelle Handschuh- und Hautmittelberatung. Eine Evaluation
nach einjähriger Durchführung konnte die positiven Auswirkungen der Schulungsmaßnahmen
belegen [13].
Mittlerweile werden SIP-Seminare auch von anderen Berufsgenossenschaften wie der Nahrungsmittel-BG
und der BG für Metall und Holz durchgeführt [22]. Die Wirksamkeit von Hautschutzseminaren bei Metallarbeitern demonstrierte ein interdisziplinäres
Projekt zur sekundären Individualprävention [14]. Nach einer dermatologischen Eingangsuntersuchung und einer Befragung der Erkrankten
erfuhren die 128 Patienten in einem eintägigen Schulungsseminar von Gesundheitspädagogen
Wissenswertes über die Ekzementstehung und die Präventionsmöglichkeiten. Mitarbeiter
der Berufsgenossenschaft überprüften die Hautschutzmaßnahmen vor Ort und optimierten
diese individuell. Nach 3 bis 6 Monaten wurde der Erfolg des Seminars durch die Teilnehmer
und durch einen Dermatologen evaluiert. Von ärztlicher Seite wurde der Seminarerfolg
als sehr erfolgreich (27,0 %) und erfolgreich (54,1 %) gewertet [14].
Tertiäre Prävention
Tertiäre, stationäre Präventionsmaßnahmen kommen dann zum Einsatz, wenn die Maßnahmen
der primären und sekundären Prävention zu keinem Erfolg geführt haben. Diese enthalten
ebenfalls zumeist wöchentliche Schulungseinheiten zum Thema „Arbeits- und Hautschutz“,
und die diesbezüglichen Inhalte resultieren aus den jahrelangen Erfahrungen der SIP-Seminare.
Tertiäre individuelle Präventionsmaßnahmen (TIP) sind dann angezeigt, wenn „der konkrete
Zwang zur Unterlassung der schädigenden Tätigkeit bzw. die Anerkennung einer Berufskrankheit
nach BK 5101 der BKV droht“. Hierbei handelt es sich i. d. R. um schwere, therapieresistente,
chronische Handekzeme, ätiologisch unklare Handekzeme und Hauterkrankungen, die sich
auch oft am Körper manifestieren und bei denen ein Zusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit vermutet wird. Darunter sind auch zunehmend Versicherte mit AD bzw. schwerem
atopischem Handekzem. Der große Erfolg und die signifikante Wirksamkeit der TIP-Maßnahme
wurde für sämtliche medizinische und psychologische Parameter, insbesondere auch für
den Berufsverbleib, gezeigt [1]
[11]
[20]
[21]
[22]. Alle Versicherten wurden über 3 Jahre nachbeobachtet, und es konnte gezeigt werden,
dass die TIP-Maßnahme die Krankheitsschwere, Arbeitsfähigkeit, Lebensqualität und
Prognose der Betroffenen nachhaltig verbessert [1].