Nervenheilkunde 2019; 38(07): 502
DOI: 10.1055/a-0883-3195
Gesellschaftsnachrichten
Georg Thieme Verlag KG

Kopfschmerz News der DMKG

Monika Empl
1   München
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Publication Date:
10 July 2019 (online)

 

Migräne und chronische Migräne bei Männern: leichtere Ausprägung, aber mit höherem Risiko zur Chronifizierung

*** Scher AI, Wang SJ, Katsarava Z, Buse DC, Fanning KM, Adams AM, Lipton RB. Epidemiology of migraine in men: Results from the Chronic Migraine Epidemiology and Outcomes (CaMEO) Study. Cephalalgia 2019; 39: 296–305.

Eine populationsbasierte longitudinale US-amerikanische Studie untersucht geschlechtsspezifische Unterschiede bei Migräne und chronischer Migräne.


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Zusammenfassung

Die CaMEO Studie (Chronic Migraine Epidemiology and Outcomes Study) ist eine longitudinal angelegte, webbasierte Studie, die Migräne-Patienten in einer für die US-Bevölkerung repräsentativen Auswahl über 15 Monate (September 2012 bis November 2013) alle 3 Monate mittels Selbstauskunft untersucht hat. Die Publikation analysiert dabei geschlechtsspezifische Unterschiede. Von 489 537 Personen antworteten 80 783 (16,5 %) und von diesen gaben 58 418 (72,3 % der Responder) auswertbare Auskünfte. 16 789 (28,7 %) hiervon erfüllten die Kriterien einer Migräne nach einer modifizierten IHS-Klassifikation (ICHD-3b). Dabei wurde neben soziografischen Daten, der Behandlung und Belastung durch die Kopfschmerzen und Komorbiditäten, auch Risikofaktoren für den Wechsel in die chronische Form der Migräne untersucht.

Wie zu erwarten, hatten signifikant weniger Männer Migräne (25,6 %). Männer waren häufiger übergewichtig (73,4 % vs. 60.2 %) und hatten seltener als Frauen eine chronische Migräne (6,5 % vs. 9,6 %). Männer hatten auch weniger Kopfschmerztage pro Monat (4,3 vs. 5,3) und waren weniger durch die Kopfschmerzen belastet (geringerer MSSS Score (21,6 vs. 22,6)), und weniger häufig höhere Bereiche im MIDAS erreicht (Grad III: 13.9 % vs. 18.1 %; Grad IV: 15,7 % vs. 24,1 %), weniger Allodynie (32,6 % vs. 49,7 %) und weniger Aura-Symptome (41,3 % vs. 49,3 %). MSSS ist der Migraine Symptom Severity Scale Fragebogen, MIDAS der Migraine Disability Assessment Fragebogen.

Männer erhielten auch seltener die Diagnose einer Migräne beim Arztbesuch (41,9 % vs. 57,5 %) und suchten seltener einen Arzt wegen ihrer Kopfschmerzen auf (jemals 70,2 % vs. 77,2 % bei Frauen; aktuell 28,6 % vs. 31,1 % bei Frauen). Männer behandelten ihre Migräne häufiger gar nicht (14,3 % vs. 6,9 %) bei gleicher Prozentzahl für eine vorbeugende Behandlung (4,3 % vs. 3,3 % bei Frauen).

Unerwartet war, dass bei gleichen Rohdaten nach Korrektur anderer Faktoren wie Komorbiditäten Männer ein insgesamt um 43 % höheres Risiko für den Übergang in die chronische Form der Migräne hatten. Größter Risikofaktor für die Chronifizierung mit einer Hazard-Ratio von 5,896 war dabei eine hohe Attackenfrequenz mit 10–14,9 Attacken pro Monat. Ungewöhnlich ist hierbei jedoch die Angabe, dass das Gewicht, angegeben mit BMI, keinen Einfluss auf die Chronifizierung hatte, was sich sonst als robuster Risikofaktor herausgestellt hatte.


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Kommentar

Neben bekannten, erwarteten und in anderen epidemiologischen Studien bereits beobachtbaren Unterschieden zwischen Männern und Frauen erstaunt bei dieser Studie, dass Männer bei weniger starker Ausprägung und Belastung durch die Migräne ein höheres Risiko zur Chronifizierung nach Ausschalten anderer bekannter Risikofaktoren hatten. Ob dies z. B. nun auf einer selteneren, auch ärztlichen Behandlung der Migräne insgesamt, einem methodischen Fehler oder auf biologischen Unterschieden beruht, kann so nicht differenziert werden. Eine andere Behandlungsstrategie für männliche Migräne-Patienten lässt sich aus dieser Studie nicht herleiten.

INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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