Einleitung
In der Birkenrinde sind 2 Schichten klar zu unterscheiden: Die äußere weiße Schicht,
der Kork, und die innere eigentliche Rinde. [Abb. 1] zeigt den Querschnitt durch ein Rindensegment eines 11-jährigen Birkenastes. Darin
sind die innere Rinde und die äußere weiße Korkschicht gut zu erkennen.
Abb. 1 Querschnitt durch ein Rindensegment eines 11-jährigen Birkenastes.
Die Korkschicht von weißrindigen, baumbildenden Birken enthält etwa 20 – 22 % Betulin
neben etwa 3 – 5 % nahe verwandten pentazyklischen Triterpenen wie Betulinsäure, Lupeol,
Erythrodiol, Caffeoyl-Betulin und Oleanolsäure.
Diese Anreicherung einer nahe verwandten Wirkstoffgruppe mit der Leitsubstanz Betulin
in einem relativ leicht zugänglichen pflanzlichen Gewebe ist extrem. Noch verblüffender
jedoch ist, dass Betulin zwar schon 1788 erstmals beschrieben [1], aber erst mit der hier dargestellten Innovation zum kosmetischen und Arzneiwirkstoff
aufgearbeitet wurde.
Unerwartet zeigten sich 2 galenische Eigenschaften des raffinierten, weißen, pulvrigen
Trockenextrakts, die für die therapeutische Anwendung von Bedeutung sind:
-
Betulin stabilisiert Wasser-in-Öl-Emulsionen als Feststoffstabilisator und nicht als
oberflächenaktive Substanz. Dabei wirkt es multifunktional, indem Mikropartikel die
Grenzfläche zwischen Öl und Wasser stabilisieren und gleichzeitig im Öl ein Gelnetzwerk
ausbilden [2].
-
Betulin geliert Öle. Es entstehen thixotrope Gele, deren Festigkeit bei Körpertemperatur
höher ist als bei Raumtemperatur. Thixotrop bedeutet, sie verflüssigen unter Bewegung,
sodass sie komfortabel appliziert werden können, und festigen sich in Ruhe [3].
Beide Erfindungen sind patentiert [4]
[5]. Die Patente bildeten die Grundlage für die Gründung und Finanzierung der Birken
GmbH im Jahr 2000 (ab 2011 Birken AG, ab 2017 Amryt AG), einer Ausgründung aus dem
Carl Gustav-Carus-Institut, Öschelbronn.
Beschaffung, Extraktion und Lernen am Kosmetikum
Beschaffung, Extraktion und Lernen am Kosmetikum
Mit der Firmengründung ergab sich die Aufgabe der Rohstoffbeschaffung. Im Labormaßstab
konnten wir pro Tag grammweise Trockenextrakt gewinnen und Birkenrinde aus den umgebenden
Wäldern einsetzen. Die Funktion des Betulins als Emulsionsstabilisator (Creme) und
als Oleogelbildner war der Leitfaden für die Qualität des Extrakts. Für eine Produktion
mussten größere Mengen hergestellt werden. Da die Extraktion auf herkömmliche Weise
und erst recht im Lohnauftrag auf erhebliche Schwierigkeiten stieß, entschlossen wir
uns zur Neuentwicklung eines kontinuierlichen Fest-Flüssig-Extraktionsverfahrens,
wodurch das gesamte Wissen für eine wirkstoffgerechte Herstellung mit der notwendigen
Qualitätssicherung im Haus blieb.
Die zirkumpolar wachsenden, weißrindigen, baumbildenden Birken (Betula pendula Roth, Betula pubescens Ehrh. und deren Hybride) werden in Europa in großen Mengen nachhaltig in der Zellstoff-
und Furnierindustrie verwertet. Damit ist die nachhaltige Beschaffung für ein Kosmetikum
oder Arzneimittel mit einer europäischen Kapazität von mehreren 100 000 t Betulin/Jahr
mehr als gesichert.
Die toxikologische und sicherheitspharmakologische Prüfung des Extrakts ergab eine
hervorragende Verträglichkeit, sodass die Betulin-Emulsion zu einer neuen tensidfreien
Kosmetik entwickelt, ab 2004 als Birkencreme und ab 2007 unter der Marke Imlan vertrieben
werden konnte. Dieses Vorgehen führte durch die fortlaufend erforderliche Produktion
mit steigenden Mengen zu einem Erfahrungsschatz in der Wirkstoffgewinnung und Produktherstellung,
der für die Arzneimittelentwicklung im Zulassungsverfahren essenziell war. Alle Verfahren
zur Qualitätssicherung, die akzeptable Bandbreite von Prozessparametern (design space),
Funktion und Eigenschaften des Wirkstoffs, kosmetische Wirkungstests und nicht zuletzt
die pharmakologische Wirkungsanalyse konnten in dieser Zeit erarbeitet werden.
Schutz gegen irritierende Tensidwirkungen
Schutz gegen irritierende Tensidwirkungen
Das chronische Irritationsmodell ist geeignet, den klinischen Zustand der Kontaktdermatitis
nachzustellen. In diesem Modell wird die Hautbarriere durch wiederholte Irritation,
bevorzugt mit Tensidlösungen geringer Konzentration, geschädigt. Die Schädigung manifestiert
sich in einer Verringerung der Hornschichtfeuchte, einem Anstieg des transepidermalen
Wasserverlustes und einer Erythembildung, die dem Bild der Kontaktdermatitis ähneln.
Dieses Modell wurde angewendet, um die Eignung von Betulin-Emulsionen zum Schutz der
Haut vor hautreizenden Noxen und der Ausbildung einer Kontaktdermatitis zu untersuchen.
Geprüft wurden 2 Betulin-Emulsionen, von denen eine Harnstoff, die zweite keinen Harnstoff
enthielt [6].
An der Volarseite der Unterarme von je 30 gesunden Probanden erfolgten 3-mal täglich
standardisierte Waschungen mit 0,01 N Natriumdodecylsulfatlösung über einen Zeitraum
von 7 Tagen. 15 min vor jeder Waschung wurden je 200 μl der Prüfsubstanzen auf die
entsprechenden Testareale appliziert. Vor der ersten Anwendung der Prüfsubstanzen
am Tag 0 (T0) sowie nach 3 und 7 Tagen (T3 und T7) wurden die Hautfeuchte mittels
Corneometer, der transepidermale Wasserverlust (TEWL) mittels Tewameter sowie die
koriale Durchblutung mittels Laser-Doppler-Flowmetrie gemessen.
Die repetitiven Waschungen führten erwartungsgemäß zu einem Verlust an Hornschichtfeuchtigkeit
(T0: 45,0; T3: 40,3; T7: 36,7 SKT), einer Erhöhung des transepidermalen Wasserverlustes
(T0: 8,4; T3: 11,8; T7: 17,1 g/h*cm2) sowie einer Erhöhung des korialen Blutflusses (T0: 30,6; T3: 38,1; T7: 62,3 %).
Der Verlust an Hornschichtfeuchtigkeit konnte durch die vorherige Behandlung mit Imlan®-Creme Pur und Imlan®-Creme Plus nicht nur vollständig verhindert werden, sondern eine Erhöhung der Hornschichtfeuchte
wurde erzielt (Creme Pur: T0: 45,7; T3: 48,7; T7: 47,1 SKT; Creme Plus: T0: 47,8;
T3: 50,3; T7: 49,6 SKT). Die Erhöhung des transepidermalen Wasserverlustes wurde durch
die Behandlung mit Imlan®-Creme Pur und Imlan®-Creme Plus signifikant verringert (Creme Pur: T0: 9,7; T3: 11,9; T7: 14,3 g/h*cm2; Creme Plus: T0: 9,3; T3: 11,1; T7: 14,0 g/h*cm2). Ebenso wurde die Erhöhung der korialen Durchblutung durch die Behandlung signifikant
verringert (Creme Pur: T0: 31,0; T3: 31,2, T7: 39,5 %; Creme Plus: T0: 32,4; T3: 32,9;
T7: 41,9 %).
Im beruflichen Umfeld resultiert die Kontaktdermatitis meist aus häufiger und langer
Exposition der Haut gegenüber schwachen Noxen wie Wasser (Nassarbeit), Seifen, Tensiden,
Chemikalien, Kühlschmiermitteln oder abrasiven Hilfsstoffen [7]. Ein Schutz der Haut mit Hautpflegemitteln ist Teil des Hautschutzplans. Die Betulin-Emulsionen
sind als feststoffstabilisierte, tensidfreie Wasser-in-Öl-Emulsionen dafür geeignet.
Betulin zur Beschleunigung des Wundschlusses
Betulin zur Beschleunigung des Wundschlusses
Für eine Arzneimittelentwicklung braucht es neben dem anwendbaren Medikament eine
zu prüfende Indikation. Aus der Anwendung von Imlan bekamen wir Hinweise auf die Wirksamkeit
bei aktinischer Keratose, was sich auch in einer kleinen monozentrischen Phase-II-Studie
zeigen ließ [8]. Allerdings waren die Ergebnisse einer multizentrischen Phase-IIb-Studie zu schwach,
um damit einen teuren Zulassungsprozess zu wagen.
Die Phase II
Den Durchbruch brachte 2010 eine Phase-II-Studie zur Beschleunigung des Wundschlusses
an Spalthautentnahmestellen. Intraindividuell wurde Episalvan mit Wundauflage gegen
eine nicht haftende silikonisierte Wundauflage ohne Medikament auf je einer Wundhälfte
verglichen. Das Studiendesign ist von Jäger und Zahn beschrieben (Fig. 6 in [9]). Weitere illustrative Abbildungen sind in [10] enthalten. Die unabhängige Auswertung erfolgte verblindet durch 2 externe Gutachter
an Makroaufnahmen der Wunde. Bei jedem Verbandswechsel wurde die Reepithelialisierung
beider Wundhälften unverblindet durch die behandelnden Ärzte (prozentuale Schätzung)
und anhand der Fotos verblindet durch die unabhängigen Experten beurteilt, wobei die
stärker geschlossene Hälfte mit 1, die andere mit 0, sowie Unentschiedene für beide
Hälften mit 0 bewertet wurden. Für jeden Wundverlauf wurde ein Score gebildet.
Zur Justierung der Patientenzahl war eine Zwischenauswertung nach 20 auswertbaren
Verläufen vorgesehen. Das Ergebnis war überraschend eindeutig: Von 24 Wunden waren
20 unter Episalvan schneller reepithelialisiert, 2 unter dem Wundverband allein und
2 wurden unentschieden beurteilt. Das Ergebnis war hochsignifikant (p < 0,0001), und
die Studie wurde abgeschlossen. Ein typischer Verlauf ist in Fig. 3 in [11] dargestellt.
Die Ergebnisse sind ausführlich in Skin Pharmacology and Physiology publiziert [11], sowie Untersuchungen zur Validität des Studiendesigns in der Zeitschrift Trials
[12].
Beweis der klinischen Wirksamkeit durch 3 Phase-III-Studien
3 Phase-III-Studien an insgesamt 48 Hospitälern in 13 Ländern von Valencia in Spanien
bis Pori in Finnland, von Birmingham in England bis Varna in Rumänien und Athen in
Griechenland mit 280 Patienten dienten dem Wirksamkeits- und klinischen Unbedenklichkeitsnachweis.
Neben 2 Studien an der Spalthautentnahmestelle ähnlich wie in der Phase II wurden
60 Patienten mit Brandwunden 2. Grades in der dritten Studie behandelt. Ein repräsentativer
Verlauf an einer Brandwunde ist in Abb. 1 in [13] dargestellt.
Alle 3 Studien zeigen unter Episalvan einen hochsignifikant schnelleren Wundschluss
um 1 – 2 Tage, ermittelt durch die verblindete Fotoauswertung, und um 1,8 - 2,5 Tage
in der offenen Beurteilung durch den Arzt. Beeindruckend und für den Patienten deutlich
schmerzlindernd ist das rasche Abklingen der Rötung unter Episalvan. Noch wichtiger
ist allerdings das Langzeitergebnis. Die Wunden wurden nach 3 Monaten und nach einem
Jahr erneut begutachtet.
Soweit noch ein Unterschied im Narbenbild zu erkennen war, ähnelte die mit Episalvan
behandelte Hälfte der gesunden Haut deutlich häufiger als die unter dem Wundverband
allein reepithelialisierte. Die Ergebnisse für die Spalthautstudien sind in der Zeitschrift
Burns im Detail publiziert [13].
Generell hat eine beschleunigte Wundheilung Vorteile für den Patienten: verminderte
Schmerzen, geringeres Infektionsrisiko und weniger Komplikationen wie hypertrophe
Narbenbildung. Allgemein gilt: Je schneller sich eine Wunde schließt, umso besser
fällt das kosmetische Ergebnis aus. Die neue Haut gleicht eher der unverletzten. Dies
konnte im Phase-III-Programm, wie erwähnt, eindrücklich gezeigt werden und führte
im Januar 2016 zur zentralen europäischen Zulassung von Episalvan.
Das Arzneimittel ist Mitte 2018 noch nicht auf den Markt gebracht worden, denn die
Entwicklung geht weiter. Auch für die seltene Erkrankung Epidermolysis bullosa konnte
in einer Phase-II-Studie der beschleunigte Wundschluss gezeigt werden [14]. Derzeit wird in einer pivotalen Phase-III-Studie (EASE), der größten bisher bei
Epidermolysis bullosa durchgeführten internationalen Studie, die Wirksamkeit untersucht
[15]. Bei Erfolg soll das Medikament in dieser Indikation in Europa und den USA eingeführt
werden.