Material und Methoden
Das Patientenkollektiv, das zur Auswertung herangezogen wurde, umfasst 981 Patienten
des Vogtland-Klinikums Plauen in der Zeitspanne von 2007 bis einschließlich 2017,
die mit der Haupt- oder Nebendiagnose Erysipel (A46) im DRG-System zur Abrechnung
verschlüsselt wurden. Alle Patientenakten wurden auf die Plausibilität der Diagnose
Erysipel hin geprüft, Kriterien für die Plausibilität dieser Diagnose waren die typische
Anamnese und Klinik mit plötzlich aufgetretener flammender, zungenförmig begrenzter,
sich zentrifugal ausbreitender, schmerzhafter und überwärmter Hautrötung sowie Fieber
und/oder Schüttelfrost.
Fehlende Plausibilität mit dem Verdacht alternativer Diagnosen und/oder eine zu kurze
Antibiosendauer (< 5 Tage) führten zum Ausschluss von 169 Patienten. Bei weiteren
159 Patienten fehlte die Diabetesdiagnostik. Grundsätzlich wurden Patienten < 18 Jahre
von dieser Studie ausgeschlossen (61 Patienten).
Eingeschlossen wurden nur Patienten mit bereits bekanntem Diabetes mellitus Typ II
(insulinpflichtig 60,4 % [137 Pat.]), oraler DM-Medikation 35,2 % (80), diätetisch
geführte Diabetiker 4,4 % (10) oder Patienten mit erfolgter Diabetes-Diagnostik (HbA1c-Wert,
Nüchtern-Blutzucker oder oGTT entsprechend des Algorithmus zur Diagnose eines Typ
II-Diabetes [1]) während des Aufenthaltes. Am Ende wurden 592 Patienten weiter ausgewertet, die
den Kriterien der vorliegenden Studie entsprachen. 85 % dieser Patienten wurden in
der Hautklinik behandelt, 4,2 % zeitweise in der Intensiv- bzw. Wachstation.
Die Daten wurden aus dem Krankenhausinformationssystemen MCC Doit (Fa. Maierhofer)
bzw. ISHMed (Fa. SAP) erhoben. Zur Datenanalyse wurde das Programm Epi Info™ Vers.
7.2.2.6 (bereitgestellt vom Center for Disease Control and Prevention [CDC]) genutzt.
Das Programm bedient sich der Algorithmen und Formulare von OpenEpi.com und der Berechnung
der Standardabweichung des CDC’s Early Aberration Reporting System (EARS). Dabei wurden
die Odds Ratio (OR, Chancenverhältnis) und das 95 % Konfidenzintervall (CI) bestimmt.
Der korrigierte Chi²-Test mit einem p-Wert von ≤ 0,05 (zweiseitig) wurde als statistisch
signifikante Irrtumswahrscheinlichkeit angesehen.
Die laborchemische und mikrobiologische Diagnostik erfolgte durch das an das Klinikum
angeschlossene Labormedizinische Zentrum (Diagnosticum Plauen). Eine Unterteilung
entsprechend Entnahmeart und -ort (Hautabstrich, Wundabstrich, Ulkusabstrich, Punktat,
Blutkulturen) erfolgte.
Als Rezidiv wurden alle Fälle gewertet, die aufgrund eines Erysipels an der gleichen
Lokalisation in den letzten 4 Monaten eine Antibiose erhalten hatten und/oder eine
Rezidivprophylaxe-Empfehlung erhielten oder bei denen bereits eine Rezidivprophylaxe
erfolgte.
Ein Therapieversagen wurde durch die Kriterien eines nötigen Antibiotika-Wechsels
(inkl. Patienten mit vorbestehender ambulanter oraler Antibiose ohne Ansprechen) wie
bei Jenkins et al. [2] und/oder keinem messbareren CRP-Abfall (kein CRP-Abfall oder -Anstieg) und/oder
eine Antibiosendauer über 17 Tage in Anlehnung an die Empfehlung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft
2017 definiert.
Ergebnisse
[Abb. 1] zeigt die Alters- und Geschlechtsverteilung der 592 in die Untersuchung eingeschlossenen
Patienten.
Abb. 1 Alters- und Geschlechtsverteilung aller eingeschlossenen Patienten mit Erysipel.
Im Durchschnitt der untersuchten Jahre waren 42 % der stationär behandelten Patienten
mit Erysipel auch an einem Diabetes mellitus Typ II erkrankt oder hatten einen okkulten
Diabetes, während der Anteil von Diabetes-Patienten im Krankenhaus insgesamt nur konstant
ca. 20 % betrug (p < 0,001). Dieser Unterschied war auch in fast allen Alters- und
Geschlechtsgruppen signifikant ([Tab. 1] und [Tab. 2]).
Tab. 1
Verteilung männlicher Patienten mit Erysipel, mit und ohne Diabetes mellitus Typ II,
in den einzelnen Altersgruppen mit dem zugehörigen Chancenverhältnis (Odds Ratio),
95 % Konfidenzintervall und Signifikanz (Χ²-Test).
Alter Männer
|
alle Patienten mit Erysipel
|
Erysipel und Diabetes
|
Odds Ratio Diabetes
|
95 % Konfidenzintervall
|
Χ²-Test (zweiseitig)
|
18 – 39
|
19
|
1
|
6,5
|
0,91 – 42,9
|
p = 0,39
|
40 – 49
|
55
|
13
|
4,18
|
2,05 – 7,99
|
p < 0,005
|
50 – 59
|
55
|
14
|
1,72
|
0,86 – 3,11
|
p = 0,11
|
60 – 69
|
77
|
46
|
3,85
|
2,38 – 6,28
|
p < 0,005
|
70 – 79
|
87
|
41
|
1,72
|
1,1 – 2,68
|
p < 0,05
|
80 – 89
|
24
|
15
|
3,39
|
1,39 – 8,81
|
p < 0,005
|
90 – 104
|
5
|
2
|
1,62
|
0,26 – 9,73
|
p = 0,96
|
40 – 89
|
298
|
129
|
2,15
|
1,69 – 2,72
|
p < 0,005
|
Tab. 2
Verteilung weiblicher Patienten mit Erysipel, mit und ohne Diabetes mellitus Typ II,
in den einzelnen Altersgruppen mit dem zugehörigen Chancenverhältnis (Odds Ratio),
95 % Konfidenzintervall und Signifikanz (Χ²-Test).
Alter Frauen
|
alle Patienten mit Erysipel
|
Erysipel und Diabetes
|
Odds Ratio Diabetes
|
95 % Konfidenzintervall
|
Χ²-Test (zweiseitig)
|
18 – 39
|
9
|
1
|
165,3
|
44,01 – 621,2
|
p < 0,005
|
40 – 49
|
14
|
2
|
3,5
|
0,3 – 16,1
|
p = 0,25
|
50 – 59
|
35
|
12
|
4,4
|
2,0 – 9,3
|
p < 0,005
|
60 – 69
|
32
|
14
|
2,9
|
1,3 – 6,2
|
p < 0,005
|
70 – 79
|
74
|
45
|
3,5
|
2,2 – 5,7
|
p < 0,005
|
80 – 89
|
80
|
42
|
2,3
|
1,4 – 3,6
|
p < 0,005
|
90 – 104
|
26
|
6
|
0,72
|
0,29 – 1,81
|
p = 0,63
|
40 – 89
|
235
|
115
|
3,0
|
2,2 – 3,9
|
p < 0,005
|
Die in [Tab. 3] zusammengefassten Werte zeigen, dass der Diabetes mellitus Typ II und die Adipositas
(BMI > 30) signifikant voneinander abhängen (OR 2,7 [95 %CI 1,95 – 3,98]; p < 0,005).
Auch bez. eines BMI größer 25 und dem Diabetes mellitus Typ II bei Erysipelerkrankung
lässt sich eine hohe Signifikanz nachweisen (OR 4,1 [95 %CI 2,2 – 7,7]; p < 0,005).
Tab. 3
Einordnung anhand des BMI und prozentualer Anteil an allen Patienten mit Erysipel.
|
BMI Range
|
Medianer BMI
|
BMI > 30
|
BMI 25 – 29,9
|
BMI < 25
|
Diabetes mellitus Typ II
|
17,9 – 61
|
33,7
|
119 (68,4 %)
|
41 (23,6 %)
|
14 (8 %)
|
okkulter Diabetes mellitus
|
25 – 43,6
|
30,3
|
13 (54,4 %)
|
9 (37,4 %)
|
2 (8,2 %)
|
Kein Diabetes
|
17,9 – 66,8
|
28
|
92 (40 %)
|
82 (35,6 %)
|
56 (24,4 %)
|
Der mediane BMI aller Patienten mit Erysipel betrug 30,5 und lag somit im Bereich
der Adipositas. Im Bevölkerungsdurchschnitt liegt der BMI erwachsener Einwohner Sachsens
bei 25,9 (25,9 ebenfalls in Deutschland) und somit deutlich niedriger. Der Anteil
der adipösen Patienten (BMI > 30) mit Erysipel liegt zwischen 40 % (kein Diabetes)
bis zu 68,4 % (Diabetes) und ist somit deutlich höher als die 15,6 % im Mittel der
Erwachsenen in Sachsen (14,7 % deutschlandweit) [3]
[4].
Bei 88 % der 227 Patienten mit Diabetes mellitus Typ II und der 30 mit okkultem Diabetes
war das Erysipel an der unteren Extremität lokalisiert, bei den 335 Patienten ohne
Diabetes mellitus in 80 %.
Chronisch bestehende Ulzerationen wurden bez. der Ätiologie nicht unterteilt. Es gab
chronisch venöse, arterielle und Diabetes bedingte Ulzerationen. Dabei zeigte sich
ein signifikanter Unterschied zwischen Patienten mit Diabetes/entgleistem Blutzucker
13 % (77) zu Patienten mit Erysipel ohne Diabetes mellitus 9,8 % (58) bez. des Anteils
mit Ulzera (OR 2,04 [95 %CI 1,35 – 3,07]; p < 0,005).
Bei 81 % der ausgewerteten Patienten erfolgte eine mikrobiologische Diagnostik. Es
zeigt sich ([Tab. 4]) keinerlei Abweichung bei den nachgewiesenen Erregern bei Erysipel-Patienten in
Abhängigkeit vom Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ II. In allen Gruppen sind die
verschiedenen Erregerisolate ähnlich verteilt.
Tab. 4
Erfolgter Erregernachweis bei Patienten mit Erysipel nach Untergruppen unterteilt
(abweichende Zahlen: fehlende mikrobiologische Diagnostik und ggf. Mehrfachnachweis
verschiedener Erregergruppen) [Patientenzahlen n = Pat. mit mikrobiologischer Diagnostik/alle
Patienten der entsprechenden Gruppe].
|
Normalflora
|
Streptokokken Gr. A
|
Alle Streptokokken
|
S. aureus
|
Gram-negative Bakterien
|
Diabetes (n = 181/227) mit Ulzera (n = 45/48)
|
80 (44,2 %) 13 ( 28,8 %)
|
6 (3,3 %) 1 ( 2,2 %)
|
70 (38,7 %) 25 (55,5 %)
|
69 (38,1 %) 24 (53,3 %)
|
64 (35,4 %) 23 (51,1 %)
|
Okkulter Diabetes (n = 22/30) mit Ulzeration (n = 4/10)
|
10 (45,5 %) 2 (50 %)
|
2 (9,1 %) 1 (25 %)
|
10 (45,5 %) 1 (25 %)
|
6 (27,2 %) 1 (25 %)
|
7 (31,8 %) 1 (25 %)
|
Kein Diabetes (n = 280/335) mit Ulzeration (n = 55/58)
|
139 (49,6 %) 15 (27,3 %)
|
8 (2,9 %) 16 (29,1 %)
|
74 (26,4 %) 25 (45,5 %)
|
87 (31,1 %) 27 (49,1 %)
|
82 (29,3 %) 33 (60 %)
|
Gesamt (n = 483/592) Ulzerationen (n = 104/116)
|
229 (47,4 %) 30 (28,8 %)
|
16 (3,3 %) 5 (4,8 %)
|
154 (31,5 %) 51 (49 %)
|
162 (33,5 %) 52 (50 %)
|
153 (31,7 %) 57 (54,8 %)
|
In Abhängigkeit von der Entnahmeart in den Untergruppen zeigt sich naturgemäß in den
Hautabstrichen ein hoher Anteil an Normalflora (86,7 % bei Diabetikern/okkulten Diabetikern
und 77,6 % bei Patienten ohne Diabetes mellitus), wohingegen sich nur ein geringer
Anteil an gram-negativen Isolaten fand (11,1 % DM und 13,6 % kDM). In den Wundabstrichen
sind die Nachweise zugunsten der gram-negativen Bakterien verschoben (DM 35,4 % und
37,2 %). Betrachtet man die expliziten Ulkusabstriche, zeigt sich ein Normalfloranachweis
von 30,6 % bei Diabetikern und 27,3 % bei Patienten ohne Diabetes mellitus. Die gram-negativen
Erreger in Ulkusabstrichen fanden sich häufiger bei Patienten ohne Diabetes mellitus
(41,3 % DM/oDM [51,1 % DM allein] zu 60 % kDM).
Wie weit die nachgewiesenen gram-negativen Keime für die klinisch diagnostizierten
Erysipele verantwortlich waren, muss dahingestellt bleiben.
Die Patienten mit Erysipel in dieser Untersuchung erhielten initial 16 verschiedene
Antibiotika, als Monotherapie oder in unterschiedlichen Kombinationen. Bei dem Vergleich
aller verabreichter Antibiosen zeigen die Daten ([Tab. 5]) ein signifikant schlechteres Ansprechen der Patienten mit okkultem oder manifestem
Diabetes mellitus Typ II, das zur Therapieumstellung zwang (OR 1,7 [95 %CI 1,2 – 2,4];
p = 0,005).
Tab. 5
Vergleich aller verabreichten Antibiosen bei den Erysipelen.
Alle Antibiosen
|
DM und oDM
|
kDM
|
alle Erysipele
|
Patienten
|
257
|
335
|
592
|
Median i. v. Gabe (Tage)
|
9
|
9
|
9
|
Median ges. Antibiosen-Dauer (Tage)
|
10
|
10
|
10
|
Antibiose umgestellt im Verlauf
|
46,3 % (119)
|
33,1 % (111)
|
38,9 % (230)
|
In der Hautklinik in Plauen gab es, trotz der 10-Jahres-Spanne, 2 eindeutig favorisierte
initiale Therapien: Die Penicillin-Monotherapie und die Kombination von Ceftriaxon
und Ciprofloxacin. Diese wurden in der Auswertung besonders betrachtet ([Tab. 6] und [Tab. 7]).
Tab. 6
Patienten mit alleiniger Penicillin-Therapie initial bez. der Antibiose-Dauer und
-Effektivität.
Penicillin
|
DM und oDM
|
kDM
|
ges.
|
Patienten
|
81
|
77
|
158
|
Median i. v. Gabe (Tage)
|
8
|
8
|
8
|
Median ges. Antibiosen-Dauer (Tage)
|
10
|
10
|
10
|
Antibiose umgestellt im Verlauf
|
65,4 % (53)
|
41,5 % (32)
|
53,8 % (85)
|
Tab. 7
Patienten mit initialer Ceftriaxon/Ciprofloxacin-Therapie bez. der Antibiosen- Dauer
und -Effektivität.
Ceftriaxon/Ciprofloxacin
|
DM und oDM
|
kDM
|
ges.
|
Patienten
|
98
|
166
|
264
|
Median i. v. Gabe (Tage)
|
10
|
9
|
9
|
Median ges. Antibiosen-Dauer (Tage)
|
10
|
10
|
10
|
Antibiose umgestellt im Verlauf
|
31,6 % (31)
|
24,1 % (40)
|
26,8 % (71)
|
Unter den von uns mit Fluorchinolonen behandelten Patienten wurden keine Nebenwirkungen
[5]
[6] dokumentiert, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass während des stationären
Aufenthaltes nicht gezielt nach ihnen gesucht wurde.
Eine initiale Penicillinmonotherapie erfolgte bei 26,7 % (158) der Patienten. Im Median
erhielten diese Patienten 8 Tage intravenös und 10 Tage insgesamt diese Antibiose,
unabhängig vom Diabetes mellitus. Einen Unterschied konnte man im Ansprechen sehen.
Patienten, die initial mit Penicillin behandelt wurden und die zudem Patienten mit
okkultem oder manifestem Diabetes mellitus Typ II waren, wurden zu 65,4 % (50) im
Verlauf auf ein anderes Antibiotikum umgestellt. Bei Patienten ohne Diabetes mellitus
erfolgte dies nur zu 41,5 % (32) (OR 2,6 [95 %CI 1,4 – 5,0]; p < 0,005).
In 44,5 % (264) der Erysipelbehandlungen wurde die Kombination Ceftriaxon i. v./Ciprofloxacin
i. v. bzw. p. o. initial angesetzt. Von diesen erhielten 31,6 % (31) der Patienten
mit okkultem oder manifestem Diabetes mellitus Typ II im Verlauf ein anderes Antibiotikum,
demgegenüber 24,1 % (40) der Patienten ohne Diabetes mellitus, ohne dass dieser Unterschied
signifikant wäre (OR 1,4 [95 %CI 0,8 – 2,5]; p = 0,18).
Vergleicht man das Ansprechen der Patienten mit Diabetes mellitus Typ II bez. der
beiden Standard-Antibiosen, sieht man ein signifikant besseres Ansprechen auf die
Kombination Ceftriaxon/Ciprofloxacin als auf die Monotherapie mit Penicillin G (OR
4,1 [95 % CI 2,1 – 7,6]; p < 0,005).
Von 592 Patienten entwickelten 7,9 % (42) im Verlauf eine Sepsis oder positive SIRS-Kriterien.
33,3 % (14) dieser Sepsis-Patienten waren zeitweise intensivpflichtig. Patienten mit
Diabetes mellitus Typ II entwickelten häufiger eine septische Komplikation als Patienten
ohne Diabetes mellitus. Bei den Patienten mit Diabetes mellitus Typ II kam es in 10,9 %
(28 Pat.) zu einer Sepsis bzw. positiven SIRS-Kriterien, im Vergleich dazu bei Patienten
ohne Diabetes mellitus nur zu 4,2 % (14). Dieser Unterschied ist statistisch signifikant
(OR 2,8; [95 %CI 1,4 – 5,4]; p = 0,002).
Insgesamt wurden 39 % (208) der Patienten zwischen 40 und 89 Jahren mit klinischem
Erysipel als Therapieversager eingestuft. Die ausgewerteten Daten zeigen, dass unter
diesen Therapieversagern 53 % (110) einen okkulten oder manifesten Diabetes aufwiesen,
die Therapieversager waren zu 61 % (126) Männer. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen
einem Therapieversagen und einer Diabetes mellitus-Erkrankung konnte für die Gesamtheit
der ausgewerteten Männer (im Gegensatz zu den Frauen) gezeigt werden. Betrachtet man
beide Geschlechter gemeinsam, hatten Patienten (40 – 89-Jährige) mit Diabetes mellitus
Typ II einen signifikant höheren Anteil an Therapieversagern als Patienten ohne Diabetes
mellitus (OR 1,59 [95 %CI 1,12 – 2,27]; p = 0,01).
Die Datenauswertung ergab, dass der Diabetes mellitus insgesamt einen statistisch
signifikanten Risikofaktor (p < 0,01) für ein Rezidiv bei Männern darstellt. Betrachtet
man beide Geschlechter (40 – 89-Jährige) gemeinsam, so hatten Patienten mit Diabetes
mellitus Typ II einen signifikant höheren Anteil an den Patienten mit Rezidiv-Erysipel
als Patienten ohne Diabetes mellitus (OR 2,0 [95 %CI 1,22 – 3,29]; p = 0,007).
Diskussion
Eine Aussage darüber, ob der Diabetes mellitus Typ II tatsächlich – wie von uns gefunden
– ein Risikofaktor für die Inzidenzrate des Erysipeles ist, kann nur dann mit letzter
Sicherheit festgestellt werden, wenn ausgeschlossen ist, dass niedergelassene Ärzte
Patienten mit Diabetes mellitus und Erysipel häufiger einweisen als Patienten mit
Erysipel ohne Diabetes mellitus. Aus eigenen Erfahrungen kann nur festgestellt werden,
dass in der Rettungsstelle des Klinikums die Diagnose eines Diabetes mellitus keine
Rolle für die stationäre Aufnahme bei einer Erysipel-Erkrankung spielt.
In der weiteren Diskussion wird daher davon ausgegangen, dass der Diabetes mellitus
tatsächlich ein Risikofaktor ist, wenngleich die von uns gefundene Höhe des Risikofaktors
überhöht sein könnte.
Dem Diabetes mellitus wurde bereits mehrfach eine Prädisposition für Infektionen wie
dem Erysipel zugeschrieben [7]
[8]
[9]
[10]. Jedoch konnten nur wenige Autoren [11]
[12]
[13] in Studien diesen Zusammenhang definitiv als Risikofaktor für eine Infektion nachweisen.
Eine statistische Signifikanz des Zusammenhangs zwischen Diabetes mellitus und einer
Erysipelerkrankung konnte nur für spezielle Subgruppen gezeigt werden.
In Studien zum Erysipel wird der Diabetes mellitus oft nur als Grundkrankheit in der
Anamnese mit aufgenommen oder als Komorbidität erfasst [2]
[13]
[14]. Die Blutzuckerentgleisung [16]
[17] oder die Behandlung des Diabetes mellitus spielen selten eine wesentliche Rolle
bei der Analyse [18]. Trotz oft hoher prozentualer Anteile der Patienten mit Diabetes mellitus Typ II
unter den Patienten mit Erysipel wird dieser bei vielen Autoren nicht per se als Risikofaktor
für das Erysipel eingestuft [19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27], sondern nur angemerkt.
Krankheiten, die bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ II häufig vorkommen wie die
Tinea pedis, Onychomykose [7]
[21], Hautbarriere-Störungen [28]
[29]
[30]
[31]
[32] oder diabetesbedingte Komplikationen wie bspw. Neuropathie, Angiopathie, Lymphödeme
oder Adipositas, wurden dagegen häufig als Risikofaktor für das Erysipel identifiziert
[28]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]. Auch Klima, Jahreszeit und demografische Einflüsse sind in manchen Untersuchungen
Einflussfaktoren auf das Erysipel [12]
[40].
Dass Patienten mit Diabetes mellitus Typ II und Erysipel häufiger stationär behandelt
werden als Patienten mit Erysipel ohne Diabetes mellitus, wird bei Suaya et al. und
Wijayaratna et al. [16]
[18] für Neuseeland und die USA beschrieben.
Ein Zusammenhang einzelner Komplikationen im Rahmen einer Erysipelerkrankung und undefiniertem
Diabetes mellitus konnte gezeigt werden [10]
[16]
[17]
[41]
[42]. Weiterhin wurden ein verlängerter Krankenhausaufenthalt bzw. längere Antibiotikagaben
bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ II [43]
[44]
[45] gezeigt. Jenkins et al. [2] beschreiben die bevorzugte – jedoch in ihren Augen unbegründete – Gabe von Breitband-Antibiotika
bei Diabetikern mit bakteriellen Infektionen, unterscheiden jedoch die Entität Erysipel
in ihrer Auswertung nicht explizit von Abszessen der Haut.
Eine Verbindung zwischen Diabetes mellitus und erhöhter Rezidivrate beschreiben Wijayaratna
et al., Karppelin et al. und Garau et al. 2013 [18]
[42]
[46]. Diese Autoren werten jedoch Spezialfälle oder besondere Untergruppen aus. Zudem
wird bei Cox [47] eine vorangegangene Erysipelerkrankung im Sinne eines „Teufelskreises“ als mögliche
Ursache eines rezidivierenden Erysipels angeführt; er behandelt aber nicht gesondert
den Diabetes mellitus als Risikofaktor für Rezidive.
Der Diabetes mellitus Typ II ist in der vorliegenden Untersuchung ein Risikofaktor
für die Inzidenz von Erysipelen, für ein schlechteres Ansprechen auf die Antibiose
und eine höhere Rate an septischen Komplikationen.
Folgende mögliche Ursachen lassen sich dafür anführen:
-
Erhöhte Blutzuckerwerte begünstigen die eingedrungenen Bakterien. Für eine Begünstigung
des Bakterienwachstumes bei hohen (entgleisten) Blutzuckerwerten spricht die Abhängigkeit
der Bakterien von der Glukose in ihrem Stoffwechsel [48]
[49], auch glukoseabhängige Veränderungen der Virulenz bei A-Streptokokken konnten bereits
nachgewiesen werden [50], eine veränderte Immunantwort auf Bakterien bei gestörtem Glukosestoffwechsel wurde
beschrieben [51].
-
Ein geschwächtes Immunsystem resultiert aus einer Diabetes mellitus Typ II-Erkrankung,
zahlreiche Autoren beschreiben eine veränderte zelluläre und humorale Immunabwehr
bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ II, beispielhaft dafür seien Elkind-Hirsch
et al., Itariu und Stulnig, Lee und Frydrych et al. [52]
[53]
[54]
[55] genannt.
-
Spätfolgen des Diabetes mellitus Typ II auf Nerven und Blutgefäße der Haut und weitere
diabetesbedingte lokale Einflussfaktoren [7]
[21]
[28]
[29]
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39] können vermehrt zu Eintrittspforten für die Erreger des Erysipels führen.
Bei einer Dunkelziffer von 2 % unentdeckten Patienten mit Diabetes mellitus in Deutschland
[56] könnte man Erysipele und erhöhten BMI bei stationär behandelten Patienten als Indikatorkrankheit
für einen möglicherweise vorliegenden Diabetes mellitus benennen [57]
[58]. Das routinemäßige Screening von Patienten mit Erysipel, wie auch von Prä-/Adipositas
Patienten (BMI > 25) bez. eines Diabetes mellitus, ist sinnvoll.
Die große Diskrepanz zwischen den erwarteten „typischen“ Erysipel-Erregern und den
tatsächlichen Erregernachweisen verdeutlicht das therapeutische Dilemma in der täglichen
Praxis. Eine gut durchgeführte Erregergewinnung stellt eine Herausforderung dar [59]. Eine Abgrenzung in der Praxis zur begrenzten Phlegmone oder anderen Infektionen
der Haut und Unterhaut ist nicht immer möglich und sollte nicht alleinig von der unsicheren
Erregerdiagnostik abhängig gemacht werden. Eine Antibiotikaanpassung sollte aber nicht
automatisch ohne Betrachtung des klinischen Verlaufes erfolgen, da für das Erysipel
irrelevante Bakterien isoliert worden sein könnten.
Die Standard-Antibiose mit Penicillin als Mittel der Wahl bei Patienten mit Erysipel
[60] führt bei stationär behandelten Patienten mit gleichzeitigem Diabetes mellitus Typ
II, verglichen mit anderen Antibiosen, zu einem statistisch signifikant schlechterem
Ansprechen und Therapiewechsel. Daher empfiehlt es sich in diesen Fällen, eine breiter
wirksame Antibiose bereits initial zu erwägen, wie dies bereits in den gängigen Leitlinien
[60] bei initialem Therapieversagen empfohlen wird.
Limitationen dieser Untersuchung sind ihr retrospektiver Charakter und ihr selektioniertes
stationäres Patientengut, weitere Studien sind sinnvoll.