Nervenheilkunde 2019; 38(05): 330-334
DOI: 10.1055/a-0876-9552
Gesellschaftsnachrichten
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kopfschmerz News der DMKG

Thomas Dresler
1   Tübingen
,
Torsten Kraya
2   Halle
,
Ruth Ruscheweyh
3   München
,
Stefan Evers
4   Coppenbrügge
,
Antonella Palla
5   Zürich
› Institutsangaben
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Mai 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Studien legen nahe, dass bei Jugendlichen mit Migräne nur etwa 75 % der Medikamenteneinnahmen wie verordnet erfolgen. Es wäre somit wünschenswert, kostengünstige Interventionen anzubieten, um die Adhärenz und dadurch den Therapieerfolg zu verbessern. Auch die Einbeziehung von Angehörigen stellt hierbei eine Möglichkeit dar, unterstützend einzugreifen.


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Apps und Erinnerungs systeme, um Adhärenz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu ver bessern

** Ramsey RR, Holbein CE, Powers SW, Hershey AD, Kabbouche MA, O’Brien HL, Kacperski J, Shepard J, Hommel KA. A pilot investigation of a mobile phone application and progressive reminder system to improve adherence to daily prevention treatment in adolescents and young adults with migraine. Cephalalgia 2018; 38: 2035–2044.

Diese Pilotstudie liefert erste Hinweise, wirft allerdings auch viele zukünftig noch zu beantwortende Fragen auf.

Die Autoren bewerteten die Verwendung einer Smartphone-App inkl. eines stufenweisen Erinnerungssystems in einer Stichprobe von 35 Migränepatienten (mit/ohne Aura/chronisch) im Alter von 13–21 Jahren, die über eine pädiatrische Klinik rekrutiert wurden. Eingesetzte Prophylaxe waren Amitriptylin, Topiramat, aber auch Valproat und Levetiracetam. Die Patienten durchliefen zunächst eine 8-wöchige Baseline-Phase, in welcher die Adhärenz mittels spezieller Tablettenfläschchen elektronisch erfasst wurde (Anzahl der Öffnungen). Es schloss sich eine gleich lange Interventionsphase an, in welcher durch die Verwendung einer App (www.medacheck.com) abgefragt wurde, ob die Einnahme wie verordnet zum jeweiligen Zeitpunkt erfolgte. Wurde dies vergessen oder vom Patienten nicht bestätigt, erfolgte ein Anruf. Wurde dieser vom Patienten nicht angenommen oder die Einnahme verneint, wurden die Bezugspersonen/Eltern angerufen und informiert.

Verglichen wurden die letzten 4 Wochen der Baseline-Phase, Woche 1–4 und Wochen 5–8 der Interventionsphase. In der Baseline-Phase lag die mittlere Adhärenz (Öffnungen der Tablettenfläschchen) bei 82 %. Diese stieg in den Wochen 1–4 der Intervention auf 88 % und fiel in den Wochen 5–8 wieder auf 78 %. Zusätzliche Analysen (nach Mediansplit) legen nahe, dass dieser Effekt durch die zunächst wenig adhärenten Patienten bedingt war, während es bei den zunächst hoch adhärenten Patienten insgesamt zu einer Abnahme der Adhärenz kam. Eine Regressionsanalyse zeigte, dass die Adhärenz (Öffnungen der Tablettenfläschchen) bei höherem Alter höher ausfiel. Interessant war, dass die mittels App erfragte Adhärenz geringer war als die über die Öffnungen der Tablettenfläschchen erfasst Adhärenz. Die durch das Erinnerungssystem erreichte Adhärenz war mit den Öffnungen der Tablettenfläschchen vergleichbar. Insgesamt waren die meisten Patienten mit der App zufrieden, über 50 % der Patienten sowie fast 75 % der Angehörigen erachteten die Erinnerungsanrufe als hilfreich.

Die Studie zeigt, dass insbesondere Patienten mit zunächst geringer Adhärenz positiv auf solche Interventionen reagieren, sodass therapeutische Angebote zur Adhärenzförderung hier sinnvoll wären. Die Autoren sprechen mehrere Einschränkungen ihrer Studie an, so waren mögliche Wirkfaktoren nicht bestimmbar, die Stichprobengröße war sehr gering, es gab keine Randomisierung, es wurde nur eine Klinik betrachtet, eine bestimmte Altersgruppe, etc. Bei den Interessenkonflikten ist angegeben, dass einer der Autoren CEO bei medacheck ist, aber kein Einfluss auf die Datenanalyse hatte.


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Kommentar

Wie die Studie schon im Titel anklingen lässt, handelt es sich um eine Pilotstudie – nicht mehr und nicht weniger. Bei insgesamt nur 35 Patienten ist die Möglichkeit, bestimmte Analyseverfahren (z. B. Regressionsanalysen) anzuwenden, von vornherein eingeschränkt. Nicht parametrische Verfahren wären bei manchen Vergleichen besser gewesen. Ein Mediansplit ist methodisch mit einigen Problemen verbunden. Von daher sind die Ergebnisse noch mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Auch gab es bei den 6 Benutzern von Android-Systemen Probleme, sodass diese Patienten in bestimmten Analysen fehlen. Bei der hohen Prävalenz von Migräne und der Verbreitung von Smartphones sollten größere Studien möglich sein, um robustere Ergebnisse zu erzielen.

Da die durch die App erfragte Adhärenz geringer war, als die durch die Öffnung der Tablettenfläschchen ermittelte, lässt sich die wahre Adhärenz schwer abschätzen. Die Erfassung durch die App könnte die wahre Adhärenz unterschätzen. Durch das Erinnerungssystem ließ sich die durch die App erfragte Adhärenz auf ein mit der Öffnung der Tablettenfläschchen vergleichbares Niveau anheben. Daraus ergibt sich die Frage: Hat das Erinnerungssystem wirklich einen Einfluss auf die Adhärenz gehabt oder hat das Erinnerungssystem nur zur korrekten Angabe der Medikamenteneinnahme geführt, die sonst vergessen worden wäre?

Aufgrund des hier gewählten AB-Designs ohne Wartekontrollgruppe bleiben viele Fragen offen: Wie hoch war die Adhärenz vor dem Start der Studie? Hat das Wissen um die Teilnahme an der Studie bei einem Teil der Patienten eventuell zu einer höheren Adhärenz schon in der Baseline-Phase geführt? Zeigte die Intervention bei diesen Patienten deswegen keine Effekte bzw. reduzierte die Adhärenz am Ende der Interventionsphase? Ist das Öffnen von Tablettenfläschchen wirklich eine objektive Erfassung der Adhärenz? So könnten Patienten Fläschchen auf- und zudrehen, ohne die Medikamente zu nehmen.

Trotz aller Einschränkungen aufgrund des Pilotstudiencharakters scheint es relevant, insbesondere bei Patienten mit geringer Adhärenz die Möglichkeit zusätzlicher (möglicher App-unterstützter) Interventionen auszuloten, um die Adhärenz zu verbessern. Hier könnte sich der Einbezug von Angehörigen anbieten. Bei Patienten mit ohnehin hoher Adhärenz könnte der Einsatz sogar problematisch sein, da es aufgrund ungeklärter Prozesse (z. B. Gefühl der Überwachung, gegängelt sein) die Adhärenz reduzieren kann. Deshalb sind größere und bessere Studien, die über den Pilotcharakter hinausgehen, nicht nur bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wünschenswert, um insbesondere Einflussfaktoren und motivationale Prozesse der Adhärenz besser zu verstehen. Ob es dann einer App bedarf oder anderer Interventionen, wird sich zeigen.


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Frühe Wirksamkeit von Fremanezumab in der Migränetherapie

*** Silberstein SD, Rapoport AM, Loupe PS, Aycardi E, McDonald M, Yang R, Bigal ME. The Effect of Beginning Treatment With Fremanezumab on Headache and Associated Symptoms in the Randomized Phase 2 Study of High Frequency Episodic Migraine: Post-Hoc Analyses on the First 3 Weeks of Treatment. Headache 2019; 59: 383–393.

In einer Post-hoc-Analyse der Daten aus der Phase-II- Studie zur Wirksamkeit von Fremanezumab wurde die Wirksamkeit der Substanz in den ersten 3 Wochen untersucht


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Zusammenfassung

Das Neuropeptid Calcitonin-Gene-related-peptide (CGRP) spielt in der Pathophysiologie der Migräne eine entscheidende Rolle. Fremanezumab ist ein Antikörper, der sich direkt gegen CGRP richtet und dieses inaktiviert. In der folgenden Studie wurden Daten aus der Phase-II-Studie, die die Wirksamkeit der monatlichen Gabe von 225 mg und 675 mg Fremanezumab gegen Placebo bei der episodischen hochfrequenten Migräne untersucht hat, einer Post-hoc-Analyse unterzogen. Fragestellung war hier die Wirksamkeit jeder Dosis von Fremanezumab in den ersten 3 Wochen hinsichtlich der Reduktion der Migränetage, assoziierter Migränesymptome und der Anzahl der Akutmedikation. Insgesamt wurden Daten von 297 Patienten mit einer hochfrequenten Migräne (8–14 Kopfschmerztage) ausgewertet. 104 Patienten erhielten Placebo, 96 Patienten Fremanezumab 225 mg und 97 Patienten Fremanezumab 625 mg.

In der ersten Woche zeigte sich eine signifikante Reduktion der Migränetage gegen Placebo bei 225 mg von –0,93 vs. 675 mg von –1,02, in der zweiten Woche –0,76 vs. –0,79 und in der dritten Woche –0,64 vs. 0,64. Zudem berichteten die Patienten über eine Reduktion der Begleitsymptome (Übelkeit, Erbrechen, Phono- und Photophobie) während der ersten 3 Wochen. Die Analyse der Einnahmehäufigkeit der Akutmedikation in der ersten Woche ergab gegenüber Placebo für Fremanezumab 225 mg eine Änderung um –1,02 und für 625 mg um –1,06, in der zweiten Woche 225 mg, –1,01 und 625 mg –0,90 und in der dritten Woche entsprechend 225 mg,-0,91 und 625 mg, –0,83. Bis auf die Reduktion der Tage mit Übelkeit/Erbrechen in Woche 2 und 3 waren all diese Änderungen statistisch signifikant.


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Kommentar

Diese Post-hoc-Analyse der Daten aus der Phase-II-Studie zur Wirksamkeit von Fremanezumab bestätigt die eindrücklichen Erfahrungen über die schnelle Wirksamkeit der Antikörper gegen CGRP (Fremanezumab, Galcazenumab) aus den zurückliegenden Studien, sowie gegen den CGRP-Rezeptor (Erenumab) auch aus den ersten klinischen Erfahrungen. Dies gilt sowohl für die episodische als auch die chronische Migräne. Entscheidend ist hierbei nicht nur die schnelle Attackenreduktion, sondern auch der Rückgang der Begleitsymptome und der Akutmedikation. Dies stellt einen deutlichen Vorteil gegenüber den etablierten Migräneprophylaktika dar, die mitunter mehrere Wochen eingenommen werden müssen, um den Effekt beurteilen zu können. Diese schnelle Wirksamkeit stellt neben der sehr guten Verträglichkeit und der unkomplizierten Applikation den Hauptvorteil dieser Substanzen dar. Limitation der Studie ist die Post-hoc-Analyse, da der schnelle Wirkeintritt initial nicht erwartet wurde. Zudem wurden keine Daten zu den Akutmedikamenten und den Veränderungen der Lebensqualität bei diesen Patienten erhoben. Dies sollten folgende Studien gezielt bei allen Substanzen untersuchen.


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Woher kommt und wo wirkt CGRP im trigeminovaskulären System?

**** Messlinger K. The big CGRP flood – sources, sinks and signalling sites in the trigeminovascular system. J Headache Pain 2018; 19: 22.

Dieser Review bietet einen guten Überblick über Quellen und Wirkorte von CGRP.


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Hintergrund

Die Ausschüttung von Calcitonin gene related peptide (CGRP) spielt eine entscheidende Rolle beim Migräneschmerz, und spezifische Medikamente zur Hemmung der CGRP-Wirkung sind als Antikörper gegen CGRP oder seinen Rezeptor oder als CGRP-Rezeptorantagonisten (Gepante) neu auf dem Markt oder in Entwicklung, und effektiv in Prophylaxe und Akuttherapie der Migräne. Der Wirkort und -mechanismus dieser Substanzen ist jedoch nur unvollständig verstanden. Karl Messlinger fasst in dieser Übersichtsarbeit den aktuellen Kenntnisstand zur Lokalisation von CGRP und seinem Rezeptor im trigeminalen System zusammen.


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Zusammenfassung

Nozizeptive periphere trigeminale Nervenfasern haben ihren Zellkörper im Ganglion trigeminale, ihre peripheren Endigungen z. B. in Haut und Meningen sowie an Gefäßen, und ihre zentralen Endigungen im spinalen Trigeminuskern. CGRP findet sich in ca. 50 % der trigeminalen Nervenfasern, wahrscheinlich v. a. den C-Fasern, sowohl in der Peripherie (Endigungen in Dura und an meningealen Gefäßen), im Ganglion (kleine Ganglienzellen) als auch zentral (oberflächliche Laminae des spinalen Trigeminuskerns). Der CGRP-Rezeptor findet sich ebenfalls auf trigeminalen Nervenfasern, es gibt aber keine Überlappung mit den CGRP-exprimierenden Neuronen. Während die Expression im Ganglion (mittelgroße Ganglienzellen) und im Hirnstamm (oberflächliche Laminae des spinalen Trigeminuskerns) unstrittig ist, wird kontrovers diskutiert, ob der CGRP-Rezeptor auch auf peripheren A-(delta)-Fasern vorhanden ist, oder nur in den sie begleitenden Schwann-Zellen. Zusätzlich findet sich der CGRP-Rezeptor in der Peripherie auf den glatten Muskelzellen der duralen, pialen und intrazerebralen Arterien, und im Ganglion auf Satellitenzellen (Gliazellen).

Bei Ausschüttung von CGRP aus peripheren trigeminalen Endigungen kommt es zu einer Vasodilatation. Eine direkte Aktivierung oder Sensitivierung von peripheren Nervenendigungen durch CGRP scheint nach aktuellem Kenntnisstand eher nicht stattzufinden, aber eine verzögerte Sensibilisierung durch intrazelluläre Signalkaskaden ist denkbar. Kontrovers diskutiert wird, ob CGRP nicht doch zu einer direkten Aktivierung von A-delta-Fasern führen könnte, die möglicherweise den CGRP-Rezeptor exprimieren. Besonders beachtet wird aktuell die Möglichkeit, dass CGRP-Ausschüttung aus trigeminalen Nervenzellen im Ganglion über eine Neuron-Glia-Kommunikation-Prozesse in Satellitenzellen in Gang setzen könnte (z. B. Aktivierung von purinergen Rezeptoren und der iNOS), die dann wieder auf die Neurone zurückwirken (z. B. über Ausschüttung von NO) und dort über eine Erhöhung der CGRP-Produktion oder eine Produktion von BDNF und Transport dieser Substanzen nach zentral die Nozizeption im Hirnstamm steigern könnten.

Die Hauptwirkung von CGRP in der akuten Nozizeption wird aus Sicht der Grundlagenforschung aber im Hirnstamm gesehen, wo die Ausschüttung von CGRP und nachfolgende Aktivierung von CGRP-Rezeptoren auf zentralen trigeminalen Terminalen zu einer Steigerung der Glutamatausschüttung aus diesen Terminalen und damit zu einer gesteigerten nozizeptiven Übertragung im Hirnstamm führt. Dies wird als hauptsächlicher pronozizeptiver Wirkort von CGRP angesehen, der jedoch über die periphere CGRP-Wirkung, v. a. im Ganglion trigeminale, moduliert werden kann. So erklärt man sich, dass ein CGRP-Antagonismus außerhalb der Bluthirnschranke antinozizeptive Rückwirkungen auf den Hirnstamm haben kann. Das Ganglion trigeminale und natürlich die peripheren Endigungen liegen außerhalb der Bluthirnschranke, der Hirnstamm innerhalb.


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Kommentar

Dies ist eine hervorragende, umfassende und gut lesbare Zusammenstellung der Produktions- und Wirkorte von CGRP im trigeminalen System. Die spannendste offene Frage derzeit ist sicher, ob CGRP nicht doch eine direkte Aktivierung peripherer trigeminaler Afferenzen (z. B. der A-delta-Fasern) bewirken kann. Man nimmt ja an, dass Triptane einen erheblichen Teil ihrer Wirkung über eine Reduktion der CGRP-Ausschüttung erzielen. Die schnelle Wirkung von Triptanen, die nur zum Teil und auch dann nur wenig liquorgängig sind, legt einen direkten (und nicht nur modulierenden) Einfluss auf die trigeminale Nozizeption in der Peripherie oder im Ganglion nahe.


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Migräne – Vererbung innerhalb der Familie

*** Børte S, Zwart JA, Stensland SO, Hagen K, Winsvold BS. Parental migraine in relation to migraine in offspring: Family linkage analyses fromthe HUNT Study. Cephalalgia 2019; doi: 10.1177/0333102419828989.

Die Studie geht der Frage nach, ob Migräne eher von Müttern oder von Vätern auf ihre Nachkommen vererbt wird.


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Hintergrund

Seit der Antike wird die Migräne als eine familiäre Erkrankung beschrieben und bis heute haben wir zahlreiche bevölkerungsepidemiologische und molekulargenetische Befunde, die dies belegen. Dennoch sind die genauen Mechanismen bis heute nicht bekannt. Auf jeden Fall muss die „normale” Migräne eine heterogenetische Erkrankung sein, deren Ausprägung sehr stark auch Umweltfaktoren unterliegt. Auch zur Frage der Vererbung im maternalen oder paternalen Erbgang ist noch kein einheitliches Bild gefunden worden. Zum einen ist der maternale Erbgang häufiger anzutreffen, allerdings ist die Heredität im paternalen Erbgang möglicherweise ausgeprägter, dies haben zumindest frühere Studien gezeigt.


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Zusammenfassung

Die hier zu besprechende Studie aus Norwegen hat den Ansatz gewählt, die Wahrscheinlichkeit, eine Migräne (oder Kopfschmerzen im Allgemeinen) zu haben, aus dem Vorliegen einer Migräne (oder von Kopfschmerzen) bei den Eltern abzuleiten. Dazu wurde das große Kollektiv der HUNT-Studie herangezogen, die zahlreiche Daten zu Krankheiten flächendeckend in einem Gebiet in Mittelnorwegen erhoben hatte. Insgesamt wurde der Migränestatus bei 13731 Eltern und bei 8970 Nachkommen ermittelt. Daraus wurden dann verschiedene Odds Ratios berechnet zum Risiko von Migräne oder Kopfschmerzen, wenn ein Elternteil ebenfalls betroffen war. So betrug die Odds Ratio für das Vorliegen einer Migräne, wenn die Mutter ebenfalls Migräne hatte, 2,8 (CI: 2,2–3,5). Wenn der Vater Migräne hatte, lag die Odds Ratio dagegen nur bei 1,7 (CI: 1,3–2,3), war aber immer noch signifikant. Für nicht-migräneartige Kopfschmerzen war die Odds Ratio noch niedriger, allerdings für den maternalen Erbgang immer noch signifikant, für den paternalen dagegen nicht mehr.

Die Autoren schließen aus ihren Daten, dass Migräne überwiegend (und evtl. spezifisch) einem maternalen Erbgang folgt.


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Kommentar

Diese Studie ist methodisch sehr aufwendig und kann sich auf gut evaluierte Daten stützen. Insofern müssen die Ergebnisse sehr ernst genommen werden. Das Problem ist nur, dass der gefundene maternale Erbgang sich auch molekulargenetisch in anderen Untersuchungen wiederfinden lassen müsste. Hier hat es aber bis heute keinerlei Hinweise gegeben, dass Migräne wirklich einem maternalen Erbgang folgt. Sowohl in der Modellerkrankung der Familiären Hemiplegischen Migräne als auch in den mehreren großen genomweiten Analysen hat sich kein Hinweis auf eine spezifische Beteiligung des X-Chromosoms bei der Entstehung der Migräne ergeben.

Dies liegt möglicherweise an einem strukturellen methodologischen Problem. Ob jemand als Migränepatient gilt oder nicht, wird im Allgemeinen anhand der 1-Jahres-Prävalenz festgemacht. D. h. wenn jemand länger zurückliegend Migräne hatte, dann wird dies entweder nicht erinnert oder es wird gar nicht erst erfragt. Dabei müsste ein solcher Patient aber auch als Überträger von Migräne gelten. Im Alter von 18 bis 45 aber, und hier lag der Hauptanteil des Kollektivs der Studie, sind Frauen häufiger betroffen als Männer aus Gründen, die nichts mit der Genetik zu tun haben müssen. Es kann also sein, dass es sich um einen pseudo-maternalen Erbgang handelt. Wir werden wohl weiter auf Ergebnisse der molekulargenetischen Forschung warten müssen, bis wir die Genetik der Migräne genauer einordnen können.


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Cefaly zur Akut- Migräne-Attacken-Behandlung

*** Chou DE, Shnayderman Yugrakh M, Winegarner D, Rowe V, Kuruvilla D, Schoenen J. Acute migraine therapy with external trigeminal neurostimulation (ACME): A randomized controlled trial. Cephalalgia 2019; 39: 3-14.

Die transkutane supraorbitale Nervenstimulation mit dem Cefaly®-Gerät ist effektiv und sicher bei der Behandlung von akuten Migräneanfällen.


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Hintergrund

Migräne ist mit einer Punktprävalenz von 20 % bei Frauen und 8 % bei Männern eine der häufigen neurologischen Erkrankungen. Medikamente wie z. B. Aspirin, NSAR, Paracetamol und Triptane gelten nach wie vor als die primäre Therapie in der Akutbehandlung. Dabei ist die beste Wirksamkeit für Triptane belegt, wobei gerade diese häufig mit Nebenwirkungen assoziiert sind. Zudem besteht bei allen Akutmedikamenten die Gefahr bei einem übermäßigen Konsum einen Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz zu entwickeln.

Neurostimulatoren finden seit einigen Jahren zunehmend Beachtung in der Behandlung primärer Kopfschmerzen, dies vor allem dank der Weiterentwicklung nicht invasiver Verfahren. Nebst dem gammaCore®, einem nicht invasiven Vagusnervstimulationsgerät, dem Spring TMS®, einem transkraniellen Magnetstimulationgerät, bietet auch das Cefaly®-Gerät, ein transkutaner Stimulator der Nn. supraorbitalis und supratrochlearis, eine valable Option. Seine Wirksamkeit in der Behandlung der Migräne-Prophylaxe wurde bereits nachgewiesen [[1]–[3]].


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Zusammenfassung

In der vorliegenden Studie wurde erstmals doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert die Wirksamkeit und Sicherheit des Cefaly® zur Behandlung akuter Migräneattacken untersucht. An 3 Kopfschmerzzentren in den USA wurden 106 Migräne-Patienten mit und ohne Aura in die Studie eingeschlossen, davon 52 in die Verumgruppe und 54 in die Placebogruppe. Jede Migräne-Attacke die länger als 3 Stunden andauerte wurde für 1 Stunde mit dem Neurostimulator behandelt. Das 3 Stundenfenster wurde gewählt um einerseits das ‚Risiko‘ einer spontanen Kopfschmerz-Rückläufigkeit zu minimieren und andererseits in der Annahme, dass nach 3 Stunden eine möglichst ‚stabile‘ Schmerzintensität erreicht wurde. Die Stimulationsparameter unterschieden sich in der Verum- und Placebogruppe: 1 mA und 3 Hz wurden in der Placebogruppe und 16 mA und 100 Hz in der Verumgruppe eingesetzt. Als primärer Endpunkt wurde die Schmerzreduktion 1 Stunde nach Stimulationsbeginn gegenüber der Baseline, d. h. vor Stimulation, anhand der visuellen Analogskala gemessen. Als einer der sekundären Endpunkte wurde die Schmerzreduktion 2 und 24 Stunden nach Stimulationsbeginn verglichen mit Baseline gemessen.

Gegenüber der Placebogruppe zeigte die Verumgruppe eine signifikante Schmerzreduktion 1 Stunde nach Stimulationsbeginn. Konkret verringerte sich der Schmerz gegenüber Baseline um 59 % (± 35 %) bei den ‚Verumpatienten‘ und um 30 % (± 31 %) bei den ‚Placebopatienten‘. Eine signifikante Schmerzreduktion wurde auch nach 2 und nach 24 Stunden erreicht (VAS Reduktion nach 2 h um 50 % ± 36 % Verum und um 32 % ± 36 % Placebo; nach 24 h um 57 % ± 37 % Verum und um 40 % ± 40 %Placebo). Im sekundären Endpunkt, der Schmerzfreiheit nach Behandlung, war ein signifikanter Effekt nur nach 1 Stunde zu finden, nicht hingegen nach 2 bez. 24 h Stunden. Dies könnte auf einen eher kurz andauernden Effekt hindeuten bzw. dafür sprechen, dass eine Weiterführung der Stimulation über 1 Stunde hinaus sinnvoll sein könnte. Die Schmerzfreiheit nach 2 Stunden ist der übliche primäre Endpunkt in Medikamenten-Studien zur Akuttherapie der Migräne.

Von den 106 eingeschlossenen Patienten schieden 7 Patienten vorzeitig aus der Studie aus, 3 aufgrund von Parästhesien im Bereich der elektrischen Neurostimulation auf der Stirn (2 in der Verumgruppe, 1 in der Placebogruppe), 4 Patienten (3 in der Verum-, 1 in der Placebogruppe) wiederriefen die Einverständniserklärung. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden nicht beobachtet.


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Fazit

Anhand des Cefaly®-Geräts zeigt diese Studie erstmals die effiziente Wirksamkeit eines transkutanen Trigeminusnerven-Neurostimulator in der Migräne-Akutbehandlung, bei sehr guter Verträglichkeit. Das Cefaly® stellt somit eine sinnvolle Ergänzung und/oder Alternative in der Akut- und Prophylaxe-Behandlung migräniformer Kopfschmerzen dar, insbesondere auch mit dem Potenzial die Einnahme von Akutmedikation zu reduzieren. Die für einen anhaltenden schmerzlindernden Effekt an der besten geeigneten Dauer der Stimulation muss noch genauer untersucht werden.

INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovations-charakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

*

Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth. ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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  • Literatur

  • 1 Schoenen J. et al. Migraine prevention with a supraorbital transcutaneous stimulator: a randomized controlled trial.. Neurology 2013; 80 (08) 697-704.
  • 2 Vikelis M. et al. Clinical experience with transcutaneous supraorbital nerve stimulation in patients with refractory migraine or with migraine and intolerance to topiramate: a prospective exploratory clinical study.. BMC Neurol 2017; 17 (01) 97.
  • 3 Di Fiore P. et al. Transcutaneous supraorbital neurostimulation for the prevention of chronic migraine: a prospective, open-label preliminary trial.. Neurol Sci 2017; 38 (Suppl. 01) 201-206.

  • Literatur

  • 1 Schoenen J. et al. Migraine prevention with a supraorbital transcutaneous stimulator: a randomized controlled trial.. Neurology 2013; 80 (08) 697-704.
  • 2 Vikelis M. et al. Clinical experience with transcutaneous supraorbital nerve stimulation in patients with refractory migraine or with migraine and intolerance to topiramate: a prospective exploratory clinical study.. BMC Neurol 2017; 17 (01) 97.
  • 3 Di Fiore P. et al. Transcutaneous supraorbital neurostimulation for the prevention of chronic migraine: a prospective, open-label preliminary trial.. Neurol Sci 2017; 38 (Suppl. 01) 201-206.