Abb.: OSINSTITUT
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Die Standwaage
Den Beginn unserer Serie „Übung des Monats“ macht die Standwaage. Lesen Sie mehr ab
S. 28!
Abb.: OSINSTITUT
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Abb.: OSINSTITUT
Matthias Keller und Volker Hacker sind Physiotherapeuten und Dozenten im OSINSTITUT.
Ihr therapeutischer Schwerpunkt liegt in der aktiven Therapie, der muskuloskelettalen
Reha und dem funktionellen Training. In den nächsten Ausgaben von physiopraxis präsentieren
sie die Rubrik „Übung des Monats“. Dabei stellen sie nicht nur wichtige Übungen vor,
sondern gehen auch auf die Feinheiten ein. Neben einer optimalen Anleitung für die
Übung geben sie einen Überblick, welche Fehler häufig auftreten und wo sich die Übungen
am besten einsetzen lassen. Alle Übungen sind auch als Video abrufbar (S. 28).
Trainingspläne zu erstellen und dabei passende Übungen auszuwählen, gehört zur Domäne
von Physiotherapeuten und Sportwissenschaftlern. Immer häufiger kommt es jedoch vor,
dass Ärzte ihren Patienten Broschüren mit Übungen an die Hand geben und diese empfehlen,
anstatt aktive Therapie zu verordnen. Das so wichtige Anleiten und Coachen einer Übung
findet nicht statt. Für das motorische Lernen und um Bewegungsmuster zu verbessern,
ist dies aber elementar. Eine Broschüre gibt dem Patienten kein Feedback und zeigt
auch keine Alternativen, wenn eine Übung nicht funktioniert.
Bei der Erstellung eines Trainingsplans ist es wichtig, verschiedene Aspekte zu bedenken.
Es steht nicht nur die Auswahl der Übung, sondern auch das richtige Coaching im Vordergrund.
Dabei geht es vor allem darum, eine Übung so anzuleiten, dass der Patient sie korrekt
ausführt. Progressionen und Regressionen helfen Physiotherapeuten dabei, eine Basisübung
so zu steuern, dass sie schwerer oder einfacher in der Ausführung wird oder einen
völlig neuen Charakter bekommt. Veränderungen an einer Übung, die keinen neuen Effekt
hervorrufen, sondern nur eine Version der eigentlichen Übung sind, bezeichnet man
als Variation (ABB. 1).
Für die Auswahl der Übung sind folgende Überlegungen wichtig:
-
Was möchte ich mit der Übung erreichen?
-
Stimmt die Übung mit dem Patientenziel überein?
-
Passt die Übung zum Anforderungsprofil des Patienten?
-
Lassen eine mögliche Pathologie und das Wundheilungsstadium die Ausführung der Übung
zu?
-
Sind die logistischen Voraussetzungen vorhanden (Equipment, Platz usw.)?
Die Basisübung
Die Basisübung kann als „Reinform“ eines Bewegungsmusters bezeichnet werden. Sie wird
im Idealfall einfach vom Therapeuten angeleitet und vom Patienten umgesetzt. In der
Regel ist dafür kein oder nur wenig Equipment erforderlich. Die richtige Ausführung
spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die Auswahl der Übung. Die Möglichkeiten,
eine Übung zu korrigieren, wenn ein Patient diese nicht ganz korrekt umsetzt, sind
visuelles, akustisches und taktiles Feedback.
Regression und Progression
Regression und Progression
Therapeuten können eine Übung durch viele Stellschrauben verändern und wie bei einem
Mischpult mit Reglern sehr fein justieren. Dadurch kann sich die Basisübung so verändern,
dass die Ausführung für den Patienten einfacher oder schwerer wird. Hinsichtlich dieser
Übungsmodifika- tionen kann man grundsätzlich von einer methodischen Reihe sprechen
([TAB. 1]). Diese schematische Einteilung lässt sich jedoch nicht auf jede Übung und jeden
Patienten unreflektiert übertragen. So kann beispielsweise ein leichtes Zusatzgewicht
als Führungswiderstand auch eine Hilfe für den Patienten sein, die Übung durchzuführen.
Manche Übungen fallen dem Patienten auch schwerer, wenn er sie sehr langsam ausführen
soll. Damit bleiben die Auswahl und das Coaching einer Übung immer für jeden Patienten
individuell.
TAB. 1
Eigenschaften progredienter und regressiver Übungsmodifikationen
Regression
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Progression
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Abb.: E. Kurz
Übung des Monats – Die Standwaage
Übung des Monats – Die Standwaage
Die Standwaage zählt zu den bekanntesten Übungen im Einbeinstand. Sie fordert Kraft,
Mobilität und motorische Kontrolle und wird im Yoga, Functional Training und in der
muskuloskelettalen Reha eingesetzt.
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Regression
Gerade für unsichere und ältere Menschen ist die Standwaage eine koordinative Herausforderung.
Oft kann die Übung aufgrund eines unzulänglichen Gleichgewichtssinns nicht über das
volle Bewegungsausmaß durchgeführt werden.
Eine geeignete Regression für diese Gruppe ist es, sich vor einen Gegenstand zu stellen,
auf den sie sich zubewegen können. In der Endposition kann sich der Trainierende kurz
festhalten und dann zurück in die Ausgangsstellung bewegen. Der Gegenstand bietet
ihm dabei Sicherheit.
Abb.: OSINSTITUT
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Progression
Um bei der Standwaage die Komponente Kraft zu betonen, kann der Trainierende die Übung
mit Zusatzgewichten durchführen. Des Weiteren kann er in der Endposition beispielsweise
eine Ruderbewegung mit Kettlebells machen.
Dadurch wird nicht nur der koordinative Anspruch der Übung größer, auch der Oberkörper
wird hinsichtlich einer ziehenden Übung trainiert. Die Höhe des Gewichts und die Umfänge
bestimmen dabei die Intensität.
Abb.: OSINSTITUT
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Coaching Cues
Phase 1 Kniehub: „Stelle dich auf dein rechtes Bein. Beuge gleichzeitig Knie und Hüfte deines linken
Beins, bis die Hüfte maximal gebeugt ist, ohne eine Bewegung in Becken und Wirbelsäule
zuzulassen.“
Phase 2 Standwaage: „Bewege aus dieser Position deinen Oberkörper mit neutraler Wirbelsäule über eine
Beugung der rechten Hüfte so weit nach vorne, bis er sich möglichst parallel zur Unterlage
befindet. Gleichzeitig führst du dein linkes Bein (Spielbein) nach hinten, bis es
in der Endstellung in Knie und Hüfte gestreckt ist und eine Gerade mit dem Oberkörper
bildet. Halte während der ganzen Bewegung das Kniegelenk deines rechten Beines (Standbein)
in einer leichten Beugung (Entriegelung Kniegelenk).“
Die Übung im Video
Auf
www.osinstitut.de
bzw. unter dem QR-Code finden Sie unsere „Übungen des Monats“ auch im Video, inklusive
Beispielen von häufigen Fehlern und wie man sie in der Therapie korrigiert.
Background
Die Standwaage ist auch als Viravadrasana III, Krieger III, Inverted Hamstring, Single
Leg Deadlift und Single Leg Romanian Deadlift bekannt. Es handelt sich um eine Hip-Hinge-(Hüftscharnier-)
Bewegung – der Drehpunkt ist immer das Hüftgelenk. In der Wirbelsäule und im Kniegelenk
findet keine aktive Bewegung statt. Dadurch eignet sich die Übung sehr gut, um die
statische Kontrolle zu verbessern, und ist relativ früh nach Knieverletzungen einsetzbar.
Auch bei Dysfunktionen der motorischen Kontrolle (Control Impairment) an der LWS hat
die Übung eine große Relevanz, da der Patient seine Lordose während der Bewegung immer
kontrollieren muss. Durch die einbeinige Ausgangsstellung trainiert man die posturale
Kontrolle. Da die Standwaage ein umgekehrter Active Straight Leg Raise ist, kommt
in der Endposition die dorsale Kette auf Länge, sodass die Hamstrings und auch der
N. ischiadicus mobilisiert werden.
Die Standwaage vereint motorische Kontrolle und Mobilisation und wird daher im Sport
gerne innerhalb des Warm-ups eingesetzt. Dabei ist sie fester Bestandteil innerhalb
der dynamischen Beweglichkeit und den Movement Preps. Um eine Standwaage ausführen
zu können, muss der Patient auf einem Bein stehen können, und eine Vollbelastung ist
als Voraussetzung erforderlich. Außerdem ist eine gewisse Mobilität in der dorsalen
Kette notwendig.
Häufige Fehler und Korrekturmöglichkeiten
Häufige Fehler und Korrekturmöglichkeiten
Fehler 1: Der Trainierende kann die geforderte Kniegelenksstellung des Standbeins während der
Übung nicht stabilisieren. Er überstreckt das Kniegelenk oder beugt es vermehrt.
Korrektur: Er hält sich in der Endposition fest und beugt und streckt isoliert nur das Kniegelenk,
bis der korrekte Gelenkwinkel erarbeitet ist.
Fehler 2: Der Trainierende hält die neutrale Ausrichtung der Wirbelsäule in den Bewegungsphasen
nicht. In der Kniehubphase zieht die endgradige Beugung des Hüftgelenks des Spielbeines
weiterlaufend das Becken nach posterior und somit die LWS in Flexion.
Korrektur: Der Trainierende hält sich als Feedback für eine neutrale Wirbelsäulenaufrichtung
einen Stab in den Rücken. Die Kontaktpunkte sind Hinterhaupt, Scheitelpunkt der BWS-Kyphose
und Kreuzbein.
Fehler 3: Der Patient dreht das Becken auf der Spielbeinseite über eine Außenrotation des Hüftgelenks
des Standbeins auf.
Korrektur: Der Therapeut korrigiert über reaktives neuromuskuläres Training: Der Trainierende
muss das Becken gegen diesen taktilen Reiz über eine aktive Hüftgelenkinnenrotation
des Standbeins in die Horizontale bewegen.