Aktuelle Dermatologie 2019; 45(05): 224-227
DOI: 10.1055/a-0867-1442
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über ein partiell amelanotisches Schleimhautmelanom der Vulva

A Partial Amelanotic Mucosal Melanoma of the Vulva
S. Becker
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
,
A. Bennewitz
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
,
K. Blau
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
,
F. Meier
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
,
S. Beissert
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
,
U. Proske
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Sophie Becker
Ärztin in Weiterbildung
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

Publication History

Publication Date:
16 May 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Infolge ihrer häufig partiell oder vollständig amelanotischen Ausprägung, der verdeckten Lokalisation und fehlender Risikofaktoren werden die seltenen vulvo-vaginalen Melanome erst in späteren Stadien diagnostiziert und behandelt. Wir berichten über den Fall einer 70-jährigen Patientin, die sich mit einem Wundgefühl und zwei pigmentierten Läsionen des Labium majus dextrum vorstellte. Nach diagnostischer Exzision bestätigte die histologische Befundung ein partiell amelanotisches mukosales malignes Melanom. Die Nach-Exzision mit Sentinel-Lymphknotenexstirpation ergab das Vorliegen einer maximalen Tumordicke von 1,1 mm. Die erforderliche erweiterte Nach-Resektion erfolgte als vordere Vulvektomie. Das Exzidat der Vulvektomie zeigte weiterhin Reste der In-situ-Komponente bei jedoch tumorfreien Resektionsrändern und Sentinel-Lymphknoten (SLNB 0/1). Die abschließende Tumorklassifikation ergab AJCC (2017) Stadium IB. Nach komplikationsloser Primärheilung befindet sich die Patientin im interdisziplinären dermatologisch-gynäkologischen Nachsorgeprogramm.


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Abstract

Mucosal vulvo-vaginal melanoma are rare and often identified and treated at late stages due to their hidden localization, frequently partiell amelanotic expression and absent risk factors. We report the case of a patient of 70 years of age who presented with a sore feeling of the vulva with two pigmented lesions at the labium majus dextrum. A partiell amelanotic mucosal melanoma was identified by histopathological analysis. Resection with dissection of the sentinel lymph node revealed a maximum 1.1 mm tumor depth. The indicated additional resection required an anterior vulvectomy. The excised specimen presented with remnants of the in-situ component of the melanoma without affected sentinel lymph node (SLNB 0/1) at then pathological negative margins. The final tumor staging according to AJCC (2017) was IB. At uneventful postoperative course the patient is been taken care of by interdisciplinary dermatological-gynecological supervision.


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Einleitung

Unter den mukosalen Melanomen, die weniger als 2 % aller Melanomdiagnosen betreffen, bilden vulvo-vaginale Melanome als pigmentierte Tumore ektodermaler Schleimhäute des Urogenitaltraktes mit 18 % nach denen des Kopfbereiches (55 %) und des Anorektalbereiches (24 %) die dritthäufigste Gruppe [6] [7] [10]. In Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betrug die Inzidenz 0,5 Fälle pro Million Personen-Jahre bei einem Verhältnis von 1:71 relativ zu kutanen Melanomen [12]. Bezogen auf die Gesamtheit vulvo-vaginaler Tumore sind Melanome mit einer Häufigkeit von 2 – 4 % ebenfalls als selten anzusehen [6] [12]. Bedingt durch die verdeckte Lage und die häufig partiell amelanotische Ausprägung werden sie oft erst in späterem post-menopausalen Lebensalter (> 70 Jahre) und damit in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert [6] [12].

Vulvamelanome sind in ihrer Pathologie kutanen Melanomen ähnlich, sodass hier ebenfalls die AJCC TNM-Klassifikation angewendet wird. Im Unterschied zu anderen mukosalen Melanomen scheint hier nicht die Gesamttumordicke, sondern wie bei den kutanen Melanomen die Tumordicke nach Breslow (stratum granulosum bis zur tiefstliegenden Tumorzelle) ein wichtiger prognostischer Faktor zu sein [6] [10]. Eine valide histologische Einschätzung als primäres mukosales Melanom ist nur dann möglich, wenn eine Schleimhautbeteiligung vorliegt [4] [8]. Fehlt diese, ist eine Abgrenzung zu Melanommetastasen schwierig bis unmöglich [8]. Differenzialdiagnostisch sind benigne vulväre Veränderungen wie Nävi oder Melanosen insbesondere bei jüngeren Patientinnen abzugrenzen [9] [11].

Während für kutane Melanome UV-Strahlung/Sonnenlichtexposition der progredient führende Promoter ist, sind spezifische prädisponierende Risikofaktoren für mukosale und damit auch für vulvo-vaginale Melanome bislang nicht identifiziert worden [6]. Diskutiert werden neben genetischer Prädisposition chronische Entzündungen, virale Infektionen und Irritationen durch chemische Agenzien [6].

Molekularbiologisch unterscheiden sich mukosale von kutanen Melanomen durch eine 5- bis 10-fach geringere Mutationslast, die sich damit auf dem Niveau von Karzinomen befindet, deren Genese nicht mit bislang bekannten Umwelt-Karzinogenen assoziiert wird [5]. Verglichen mit kutanen Melanomen sind reduzierte aktivierende Mutationen der B-Raf proto-onkogenen Serin/Threonin Kinase (BRAF) und vermehrte aktivierende Mutationen der proto-onkogenen Rezeptor Tyrosin Kinase (KIT) (insbesondere bei Melanomen der Vulva) die bislang auffälligsten genetisch-ätiologischen Phänomene im RAS-RAF-MEK-ERK-Signalweg [1] [2] [5]. Letztere bieten Ansätze für gezielte molekularbiologische Interventionen bei Vorliegen von Metastasen (KIT-Hemmer Imatinib, Vemurafenib und BRAF-Hemmer Dabrafenib) [3] [10].

In Analogie zu kutanen Melanomen beruht die derzeitige Therapie vulvo-vaginaler Melanome in Zusammenarbeit mit der Gynäkologie primär auf der Exzision mit Sicherheitsabstand und fakultativer Exstirpation des Sentinel-Lymphknotens [3] [10]. Die Nachsorge erfolgt interdisziplinär und individuell patientenorientiert. Abhängig vom Stadium bei Intervention werden 5-Jahres-Überlebensraten von 24 – 77 % berichtet [10].


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Fallstudie/Kasuistik

Eine 70-jährige Patientin stellte sich aufgrund von pigmentierten Läsionen am Labium majus dextrum vor und führte aus, dass 2016 eine stecknadelkopfgroße bräunliche Macula im Rahmen gynäkologischer Vorsorgeuntersuchungen bemerkt worden war. Anamnestisch bestand bis 2018 ein stabiler Befund ohne Veränderung der Größe oder Pigmentierung. Nach komplikationsloser Durchführung einer gynäkologischen Intervention (Beckenboden-OP) im September 2018 entwickelten sich ein persistierend wundes Gefühl im Genitalbereich und eine zweite pigmentierte Läsion laterokranial zur primären Läsion.


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Befund

Am Labium majus dextrum zeigten sich je eine 6 × 7 mm und 3 × 4 mm große, blau-gräuliche bis tiefbraun inhomogen pigmentierte, unscharf begrenzte Makula. Angrenzend und teils umgebend zeigte sich ein weißlich-gräulicher flächiger Randsaum ([Abb. 1 a]).

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Abb. 1 a Prä-operative Situation. b Histologie des Primärexzidats bei 20-facher Vergrößerung – links: HE-Färbung, rechts: Melan A-Immunhistologie.

Zur histologischen Abklärung des Befundes erfolgte eine diagnostische Exzision mit immunhistologischer Identifikation von Melanozyten und deren Proliferation mit Antikörpern Melan A[1] ([Abb. 1 b]), Sox-10[2], HMB-45[3] und MIB-1[4]. Es wurde ein partiell amelanotisches mukosales malignes Melanom des Labium majus dextrum mit einer Tumordicke von 0,9 mm diagnostiziert. Die Tumormarker waren mit Serumkonzentrationen von 0,08 µg/l [Referenzwert 0,15 µg/l] für S-100 und 3,15 µmol/l [Referenzwert 2,25 – 3,55 µmol/l] für LDH im Normbereich.


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Verlauf/Therapie

Bei unauffälliger Lymknotensonografie wurden die Nachexzision mit 1 cm seitlichem Sicherheitsabstand in mikrografisch kontrollierter Chirurgie und die Exstirpation des Sentinel-Lymphknotens inguinal rechts vorgenommen mit abschließender Tumordicke von 1,1 mm ([Abb. 2 a]). Die immunhistologische Untersuchung des Exzidats erforderte bei R1-Situation eine Nachresektion, die aufgrund der anatomischen Situation als vordere Vulvektomie seitens der gynäkologischen Kollegen nach Ausschluss von Fernmetastasen durch Computer-Tomografie des Thorax, Abdomens und Beckens durchgeführt wurde.

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Abb. 2 a Befund nach Erstexzision. b Histologie des Nachexzidats bei 2-facher Vergrößerung – oben: HE-Färbung, unten: Melan A-Immunhistologie.

Das Exzidat der Vulvektomie zeigte weiterhin Reste der In-situ-Komponente bei jedoch tumorfreien Resektionsrändern ([Abb. 2 b]). Der Sentinel-Lymphknoten zeigte sich tumorfrei (SLNB 0 /1); Tumorklassifikation nach AJCC (2017)IB (pT2a, pN0 (sn) (0/1 LK), cM0).

Die Patientin befindet sich im Tumor-Nachsorgeprogramm sowohl der Dermatologen als auch der Gynäkologen.


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Diskussion

Der vorliegende Fall einer Patientin mit partiell amelanotischem mukosalen Melanom der Vulva reflektiert beispielhaft Anamnese, Befundung und Therapie dieses seltenen Tumors der urogenitalen Schleimhäute. Neben der Lokalisation erschwert insbesondere die amelanotische Komponente die Früherkennung, wodurch sich unter anderem das späte Stadium bei Erstdiagnose erklärt [10]. Entscheidend zur Diagnosesicherung ist die immunhistologische Befundung zusammen mit der klinischen Inspektion der einsehbaren Schleimhäute unter der Anwendung der Dermatoskopie [3]. Die chirurgische Intervention sollte anatomisch bewahrend und ebenso wie die regelhafte stadiengerechte Nachsorge in Zusammenarbeit mit dem lokalisationsbezogenen Fachbereich interdisziplinär erfolgen [10].


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1 Melan A/MART-1, ein Produkt des MART-1-Gens, ist ein Melanozyt-Differenzierungsmarker, der von autologen zytotoxischen T-Lymphozyten erkannt wird.


2 SOX10 (Sry-related HMg-Box gene 10) ist als Transkriptionsfaktor der Neuralleiste ein für maligne Melanome spezifischer Marker.


3 Human Melanoma Black 45, monoklonaler Antikörper zum Nachweis von premelanosome protein PMEL.


4 MIB-1, Antikörper zum Nachweis des Proliferationsmarkers KI-67.


  • Literatur

  • 1 Omholt K, Grafström E, Kanter-Lewensohn L. et al. KIT pathway alterations in mucosal melanomas of the vulva and other sites. Clin Cancer Res 2011; 17: 3933-3942
  • 2 Furney SJ, Turajlic S, Stamp G. et al. Genome sequencing of mucosal melanomas reveals that they are driven by distinct mechanisms from cutaneous melanoma. J Pathol 2013; 230: 261-269
  • 3 Tyrrell H, Payne M. Combatting mucosal melanoma: recent advances and future perspectives. Melanoma Manag 2018; 5: MMT11
  • 4 Kalampokas E, Kalampokas T, Damaskos C. Primary Vaginal Melanoma, A Rare and Aggressive Entity. A Case Report and Review of the Literature. In Vivo 2017; 31: 133-139
  • 5 Hou JY, Baptiste C, Hombalegowda RB. et al. Vulvar and vaginal melanoma: A unique subclass of mucosal melanoma based on a comprehensive molecular analysis of 51 cases compared with 2253 cases of nongynecologic melanoma. Cancer 2017; 123: 1333-1344
  • 6 Spencer KR, Mehnert JM. Mucosal Melanoma: Epidemiology, Biology and Treatment. Cancer Treat Res 2016; 167: 295-320
  • 7 Lerner BA, Stewart LA, Horowitz DP. et al. Mucosal Melanoma: New Insights and Therapeutic Options for a Unique and Aggressive Disease. Oncology (Williston Park) 2017; 31: e23-e32
  • 8 Garg R, Gupta N. Immunohistochemistry: sole tool in diagnosing a rare case of primary vaginal amelanotic melanoma. Obstet Gynecol Sci 2018; 61: 698-701
  • 9 García-Rodiño S, Rosón E, Suárez-Peñaranda JM. et al. Vulvar and areolar melanosis: a case report and review of the literature. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 832-835
  • 10 S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms Version 3.1. AWMF-Register-Nummer: 032/024OL. 2018 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-024OL_l_S3_Melanom-Diagnostik-Therapie-Nachsorge_2018-07_01.pdf
  • 11 Gadducci A, Carinelli S, Guerrieri ME. et al. Melanoma of the lower genital tract: Prognostic factors and treatment modalities. Gynecol Oncol 2018; 150: 180-189
  • 12 Stang A, Streller B, Eisinger B. et al. Population-based incidence rates of malignant melanoma of the vulva in Germany. Gynecol Oncol 2005; 96: 216-221

Korrespondenzadresse

Dr. med. Sophie Becker
Ärztin in Weiterbildung
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

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Zoom Image
Abb. 1 a Prä-operative Situation. b Histologie des Primärexzidats bei 20-facher Vergrößerung – links: HE-Färbung, rechts: Melan A-Immunhistologie.
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Abb. 2 a Befund nach Erstexzision. b Histologie des Nachexzidats bei 2-facher Vergrößerung – oben: HE-Färbung, unten: Melan A-Immunhistologie.