ABB. 1 Das Os lunatum (Mondbein) als Teil der Handwurzelknochen der rechten Hand
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U et al. 1.9 Knochen der freien Gliedmaße:
Handwurzelknochen. In: Schünke M, Schulte E, Schumacher U et al., Hrsg. Prometheus
LernAtlas - Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 5., vollständig überarbeitete
Auflage. Thieme; 2018. doi:10.1055/b-006-149643
Bei Morbus Kienböck (Synonyme: Lunatumnekrose, Mondbeintod) handelt es sich um eine
aseptische Knochennekrose des Handwurzelknochens Os lunatum (Mondbein). Dabei stirbt
Knochengewebe ohne wesentliche begleitende Entzündung ab [1]. Benannt ist die Erkrankung nach dem Röntgenarzt Robert Kienböck aus Wien, der die
Lunatumnekrose erstmals 1910 beschrieb.
Aktuell wird die Mondbeinnekrose als Folge eines Kompartmentsyndroms des Os lunatum
diskutiert. Das heißt, entweder führt die Blockierung einer Vene zur Druckerhöhung,
oder es kommt durch eine Fraktur des Os lunatum zur Verletzung des Venenplexus und
dadurch zur venösen Hypertonie im Mondbein. Sowohl die arterielle Ischämie als auch
der venöse Verschluss führen zu einem interstitiellen Ödem. Die Knochenmarkfettzellen
schwellen an, sodass die Stase verstärkt wird und der Druck im Knochen weiter ansteigt
[16].
Tatsächlich ist die Krankheitsursache jedoch bis heute ungeklärt. Man vermutet eine
Kombination verschiedener Risikofaktoren [2]:
-
anatomische Faktoren wie Größe und Spongiosastruktur des Os lunatum, Niveauunterschiede
zwischen Radius und Ulna, Varianten in der arteriellen Gefäßversorgung, Theorie der
venösen Stase
-
systemische Erkrankungen wie Vaskulitiden
-
Einfluss von Kortikoiden
-
akute Traumen durch berufsbedingte Belastungen [3]–[5]
Seltene Erkrankung
Die Lunatumnekrose ist eine seltene Erkrankung, die zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr
auftritt. Prävalenzangaben von weniger als 5 von 10.000 Personen sind kritisch zu
sehen, da es in der Vergangenheit nur unzureichende diagnostische Möglichkeiten gab.
Durch die Entwicklung des Kontrastmittel-MRT ist mit einem Anstieg diagnostizierter
Erkrankungen zu rechnen [1].
Häufig beginnt die Lunatumnekrose asymptomatisch. Im Verlauf des ersten Stadiums (es
gibt insgesamt fünf Stadien) kommt es zu unspezifischen Handgelenksschmerzen, die
oftmals mit einer Tendovaginitis (Sehnenscheidenentzündung) verwechselt werden. Patienten
klagen zunächst über Belastungs-, dann über Bewegungsschmerzen und später im vierten
Stadium auch über Schmerzen in Ruhe. Die Greifkraft verringert sich, und die Beweglichkeit
nimmt ab. Es besteht ein Druckschmerz auf dem Os lunatum und ein axialer Stauchungsschmerz
über dem 3. Fingerstrahl.
Diagnostik
Seit 2017 nutzt man zur diagnostischen Beurteilung des Os lunatum sowie zur Einteilung
in verschiedene Schweregrade drei bildgebende Verfahren:
-
Röntgen (Beurteilung des Knochens, in Stadium 1 unauffällig)
-
MRT (vaskuläre Beurteilung, bereits in Stadium 1 auffällig)
-
Arthroskopie (Beurteilung des Knorpels)
Lediglich in Stadium 1, bei Kindern, Jugendlichen und Personen über 70 Jahren wird
ein konservativer Therapieversuch unternommen – hinsichtlich einer Ausheilung haben
sie eine günstigere Prognose.
Nach aktuellem Stand erfolgt die konservative Therapie durch eine Gipsruhigstellung
von zwei bis drei Monaten (zum Teil bis sechs Monate) und Gabe von antiphlogistischen
Medikamenten. Dies soll zu einer Druckentlastung des Os lunatum führen, die Schmerzen
verringern sowie die Durchblutung und damit auch die Ernährung verbessern. Ist der
Patient nach erfolgter Ruhigstellung nicht beschwerdefrei oder verschlechtert sich
die Bildgebung, wird operiert [6]. Dafür gibt es verschiedene Techniken, unter anderem die Verlegung des Os pisiforme
in den Raum des nekrotisierten Lunatums oder eine Verkürzung der Ulna.
Nachteile einer Ruhigstellung
Eine konservative Therapie, die nur aus einer Ruhigstellung besteht, hat mehr Nachteile
für die Strukturen des Körpers als Vorteile:
Die Reißfestigkeit von Sehnen und Bändern nimmt zum Beispiel ab. Nach vier Wochen
Ruhigstellung haben sie nur noch 20 Prozent ihrer ursprünglichen Belastbarkeit. Zudem
kommt es zu Verklebungen zwischen Sehnen und Sehnenscheiden [7].
Durch lange Ruhigstellungen treten Ernährungsstörungen im Gelenkknorpel auf, die Störungen
im Gleitverhalten der Handwurzelknochen untereinander bewirken. Es entstehen Ablagerungen
auf der Knorpelgleitfläche, die zu einer erhöhten Kompression führen [7]. Der Knorpel wird in unbelasteten Gebieten bindegewebig umgebaut, während an Kontaktstellen
tiefe Defekte entstehen. Beeinträchtigungen beginnen schon ab der sechsten Woche Immobilisation
irreversibel zu werden. Diese Veränderungen am Knorpel können bereits durch kleine
Bewegungen verlangsamt werden [8].
Darüber hinaus bilden sich Kontrakturen des Kapselgewebes, die wiederum Bewegungseinschränkungen
verursachen. Ist die Synovia mitbetroffen, kann es zu chronischen Reizungen und Ergüssen
kommen. Die Immobilisation wirkt sich auch negativ auf die Muskulatur aus: Atrophien,
Kontrakturen und Kraftverlust sind die Folge.
Forscher untersuchten die Auswirkung von Immobilisationen auf den Kortex und konnten
anhand von MRT-Studien nach 16 Tagen Ruhigstellung nachweisen, dass es zu einem Verlust
von grauer und weißer Hirnsubstanz in den Bewegungsarealen kommt. Je länger die Ruhigstellung
andauert, desto schlechter wird die Fähigkeit zur Aktivierung der Muskulatur. Immobilisationen
sollten deshalb so kurz wie möglich vorgenommen werden [9].
Immobilisation entgegenwirken
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, ein Behandlungskonzept zu entwerfen, das den
negativen Folgen einer langen Immobilisation entgegenwirkt und geeignet ist, die Progredienz
der Lunatumnekrose zu verhindern. Dabei gilt es
-
eine Kompression des Os lunatum zu vermeiden,
-
seine Ernährungssituation zu verbessern und
-
schmerzlindernde Maßnahmen zu ergreifen.
Eine konservative Therapie, die nur aus Ruhigstellung besteht, hat mehr Nachteile
für die Strukturen als Vorteile.
1. Vermeidung der Kompression des Os lunatum
Um eine Kompression und damit ein Zusammensintern (Zusammenfallen) des Os lunatum
zu verhindern, sollte im Rahmen der Handtherapie eine Schiene zum Einsatz kommen.
Sie sollte genau so viel Bewegung zulassen, wie für das Os lunatum zur Regeneration
unbedenklich ist. Dafür eignet sich eine Schiene, die die schräge Bewegungsrichtung
der Dart Throwing Motion (DTM) zulässt ([ABB. 2]). Die DTM ist eine Bewegung, die aus einer Dorsalextension (Dext) und Radialduktion
(RD) in eine Palmarflexion (Pflex) und Ulnarduktion (UD) führt. Es handelt sich um
eine gekoppelte Bewegung, die um eine schräge Achse stattfindet. Sie findet fast ausschließlich
im Mediokarpalgelenk statt, und die proximale Handwurzelreihe bleibt dabei sehr stabil.
Das heißt, es finden kaum gegensätzliche Bewegungen von Os scaphoideum und Os lunatum
statt, sodass es weder zu Scherkräften zwischen diesen beiden Knochen kommt noch zu
starken Zugkomponenten durch das Lig. scapholunatum. Wird diese Bewegung ohne Greifaktivitäten
durchgeführt, minimiert sich der Druck vom Os capitatum auf das Os lunatum.
ABB. 2 Die AFH-DTM-Orthese ermöglicht ein begrenztes Bewegen bei Druckentlastung des Mondbeins.
Abb.: C. Paries [rerif]
Die DTM ist also die schonendste Bewegung für das Os lunatum [10]–[12]. Da der Druck im Handgelenk bei bis auf 20° limitierte Pflex, Dext und UD sowie
auf 5° begrenzte RD am geringsten ist, muss die DTM-Schiene entsprechend limitiert
werden [13]. Dadurch kann das Os lunatum im geschützten Bewegungsausmaß unbelastet bewegt werden,
und Knochen und Knorpel sind weiterhin formativen Bildungsreizen (gerichteter Zug
und Druck) ausgesetzt, die sie zum Um- und Aufbau benötigen. Eine komplette Ruhigstellung
würde zur Demineralisierung des Knochens führen [7], [14].
Da die Patienten möglichst viel unbelastet bewegen sollen, müssen sie dazu angeleitet
werden, einen kraftvollen Faustschluss zu vermeiden, da er eine starke Kompression
des Os lunatum bewirkt. Das gilt sowohl für die Phase mit der DTM-Schiene (die Tragedauer
hängt von den MRT-Kontrollbefunden des Os lunatum ab) als auch für die Zeit danach.
Weiterhin sollten Patienten grobe Schlag-, Stoß- und Vibrationsbelastungen, zum Beispiel
beim Fahrradfahren auf unebenem Gelände, bis zur kompletten Ausheilung unterlassen.
Das Gleiche gilt für Stützaktivitäten. Der Einsatz von Hilfsmitteln kann den Druck
auf das Mondbein verhindern. Im Haushalt eignen sich elektrische Dosenöffner oder
Hebel für weniger kraftvolles Greifen.
2. Verbesserung arterielle Durchblutung und venöse Drainage
Um eine gute Durchblutung des Mondbeins zu erreichen, ist es wichtig, dass es weder
zu einer venösen Stase kommt, die den Abfluss des venösen Blutes und das Heranführen
von arteriellem Blut verhindert, noch zu wiederholten Ischämien durch Kompressionen
auf der arteriellen Seite. Beides kann primär durch das Verhindern einer starken Dext
geschehen, da die arteriellen Gefäße hier dorsal eingestülpt und gequetscht werden
und die venöse Drainage mit zunehmender Dext behindert wird [15].
Nach der Schienenversorgung sollte der Patient seine Körperwahrnehmung so schulen,
dass er ein Bewusstsein für zu viel Dext und RD bekommt. Ein solches Training könnte
unterstützend mittels Biofeedbackgerät erfolgen. Der Patient kann aber auch zunächst
unter Augenkontrolle üben, um später seine Tätigkeiten mit gelegentlichen Korrekturen
der Handposition verrichten zu können.
Zur Unterstützung der venösen Drainage bieten sich Fingerbewegungen in der DTM-Orthese
unter Hochlagerung an, zum Beispiel Beugen und Strecken der Finger ohne Kraft. Der
Patient sollte dazu angeleitet werden, diese Muskelpumpe selbstständig durchzuführen,
um die Venenklappen zu unterstützen und zu vermeiden, dass vermehrt lymphpflichtige
Last im Gewebe liegen bleibt. Darüber hinaus kann der venöse Stau durch eine manuelle
Lymphdrainage beseitigt werden [17]. Unterstützend auf die venöse Drainage wirkt die heiße Rolle, da sie mittels Aktivierung
des Axonreflexes die Drainage verbessert [14], [18].
Eine weitere Therapiemöglichkeit besteht in der vegetativen Behandlung: Mit dämpfenden
Maßnahmen im Bereich der Brustwirbelsäule (TH1–L2) kann der Sympathikustonus gesenkt
und die arterielle Durchblutung verbessert werden. Die Applikation von Wärme und Hitze
eignet sich im BWS-Bereich genauso wie Massagen und Nadelreizmatten [19]. Auch insgesamt entspannende Atemtechniken aus dem Yoga und Qi-Gong wirken sympathikusdämpfend
und haben dadurch einen positiven Einfluss auf die Durchblutung der oberen Extremität
[20]. Hierzu kann die Handtherapeutin beraten.
3. Schmerzlinderung
Zur Schmerzlinderung eignen sich neben lokalen Maßnahmen wie gelenkschonende Bewegungen
auch vegetative Techniken wie spinale Mobilisationen durch passive oszillatorische
Bewegungen an der BWS [21]. Eine Schmerzüberdeckung durch mechanozeptive Reizung mittels transkutaner elektrischer
Nervenstimulation (TENS) im entsprechenden Segment ist schmerzdämpfend [22]. Darüber hinaus stehen thermotherapeutische Möglichkeiten wie Kälteapplikationen
oder auch die Schmerzhemmung durch Hitze zur Verfügung. Da eine hohe Wahrscheinlichkeit
für ein Kompartmentsyndrom besteht, sollte eine Therapie mittels Hitze bevorzugt werden,
weil durch die heiße Rolle eine venöse Drainage verbessert wird.
Therapie bei Erkrankungsbeginn
Das Therapiekonzept geht auf die für die Regeneration des Os lunatum relevanten Teilaspekte
ein und gibt therapeutische Maßnahmen zur Druckentlastung, Schmerzlinderung sowie
zur Ernährungsverbesserung vor. Dieser Therapieansatz für Patienten mit M. Kienböck
im Stadium 1 ist noch nicht durch Studien belegt und erfordert deshalb weitere Forschung.
Erste Ergebnisse aus den USA sind jedoch positiv [23].
Dieses Therapiemanagement ist so besonders, da konservativ bislang lediglich ruhiggestellt
wird. Therapeutische Maßnahmen kommen erst postoperativ zum Einsatz. Beginnt die Handtherapie
jedoch direkt nach der Diagnosestellung, kann sie dazu beitragen, dass sich das Knochenmarködem
zurückbildet und eine Regeneration des Lunatums möglich wird.