Der Klinikarzt 2019; 48(03): 49-50
DOI: 10.1055/a-0852-8521
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Made in Europe: Lohnt nicht, ist nicht.

Günther J. Wiedemann
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Publication Date:
01 April 2019 (online)

"When you give a child a hammer, everything becomes a nail." (Amerikanisches Sprichwort)

Ich wünschte, dieses Editorial hätte sich überholt. Denn am Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln arbeiten sich viele Kollegen seit Jahren ab – ohne nennenswerte Erfolge. Obwohl nach wie vor regelmäßig Breitbandantibiotika, Impfstoffe und Zytostatika nicht lieferbar sind, Patienten mit weniger wirksamen Medikamenten behandelt werden müssen (ja, auch Todesfälle werden in Kauf genommen), ist der große öffentliche Aufschrei ausgeblieben.

Gewiss, die Politik hat – ein bisschen – reagiert. Pharmazeutische Unternehmen müssen seit einiger Zeit Lieferengpässe dem BfArM melden (lieferengpass.bfarm.de). Stand 15. Januar 2019 waren auf der Website sage und schreibe 356 Arzneimittel gelistet. Hinzu kommen Probleme bei der Verfügbarkeit von Impfstoffen, hier hat vor allem das Fehlen des tetravalenten Grippeimpfstoffs für die Saison 2018/2019 einen öffentlichen Widerhall in den Medien gefunden (www.pei.de/lieferengpaesse-impfstoffe-human). Weniger bekannt ist, dass immer wieder auch Mehrfachimpfstoffe zur Grundimmunisierung von Kindern fehlen.

Die Erwähnung dieser Missstände gegenüber medizinischen Laien stößt auf ungläubige Reaktionen. Das kann doch gar nicht sein, dass ein Leukämiepatient nicht mit einem kurativ wirksamen Zytostatikum versorgt werden kann. Davon hat man doch noch nie was gehört… Das stimmt sogar, denn welcher Onkologe möchte sich schon öffentlich dazu bekennen, dass er seinen Patienten nur das zweitbeste Mittel anbieten kann, weil die Lieferungen aus China oder Indien ins Stocken geraten sind? Das käme einer fachlichen Bankrotterklärung gleich und würde den Ruf der betreffenden Praxis oder Klinik unweigerlich schädigen.

Der Hauptgrund der Lieferengpässe liegt in der Konzentration der Arzneimittelproduktion auf wenige, weltweit agierende Hersteller vorzugsweise in Asien, die häufig mit Qualitätsproblemen zu kämpfen haben – man erinnere sich nur an die jüngsten Beispiele einer Kontamination von Valsartanpräparaten mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) oder den Ausfall der Produktion von Piperacillin/Tazobactam nach einer Fabrikexplosion in China.

Deshalb werden nun zögerlich die Möglichkeiten einer Rückverlagerung der Produktion nach Europa diskutiert. Hierzu wurde vom Verband Pro Generika eine „Machbarkeitsstudie“ vorgelegt („Versorgungssicherheit mit Antibiotika: Wege zur Produktion von Antibiotikawirkstoffen in Deutschland beziehungsweise der EU“). In Wahrheit handelt es sich natürlich nicht um die Frage der Machbarkeit, denn dass deutsche Unternehmen in der Lage sind, Antibiotika zu produzieren, dürfte wohl unstrittig sein. Wie so oft wird das Kind nicht wirklich beim Namen genannt: Die Frage ist nicht, ob Wirkstoffe in Europa produziert werden können, sondern was das kostet – und ob die Politik, das Gesundheitssystem, wir alle willens sind, die Mehrkosten dafür zu tragen. Die Unternehmensberatung Roland Berger, die die Studie durchführte, gibt hier schon mal die Richtung vor: Die Rückverlagerung der Produktion von Antibiotikawirkstoffen sei „nicht wirtschaftlich“, dieses Fazit war im Deutschen Ärzteblatt vom 7. Dezember 2018 zu lesen.

Medikamente in Deutschland oder Europa zu produzieren ist also, wenig überraschend, teurer als in Asien. Und deshalb „lohnt“ sich das nicht? Da nehmen wir doch lieber in Kauf, dass lebensrettende Substanzen monatelang nicht lieferbar sind. Und das, obwohl laut Roland Berger bei einer Verlagerung der Herstellung nach Europa eine Kostensteigerung von gerade mal 0,25 % auf die Krankenkassen zukäme. Welche Kriterien werden hier eigentlich gänzlich unhinterfragt zugrunde gelegt – darf man wirklich die Versorgungssicherheit mit lebensnotwendigen Medikamenten nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit beurteilen? Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Mondpreise, wie sie mittlerweile beispielsweise in der Onkologie für Immuntherapeutika verlangt – und von den Kassen bezahlt – werden, sondern um etablierte kurative Standardpräparate.

Bleibt zu hoffen, dass den fruchtlosen Diskussionen um die sattsam bekannten Missstände vonseiten der Politik nun endlich Taten, beispielsweise im Sinne einer Förderung europäischer Produktion oder der Bevorratung einer ausreichenden nationalen Versorgungsreserve essenzieller Arzneimittel folgen werden.