IgG4-RD (IgG4-related diseases) sind in den Formenkreis inflammatorisch fibrosierende
Systemerkrankungen einzuordnen und können unterschiedlichste Organsysteme befallen.
Charakteristisch ist eine lymphoplasmatische Infiltration von IgG4-positven Plasmazellen
in das betroffene Organsystem sowie ein erhöhtes Serum-IgG4 Die genaue Pathogenese
ist bislang ungeklärt. Es wird unter anderem diskutiert, dass über molekulares Mimikry
die Th2- und Treg-Zellen stimuliert werden, was u. a. die Ausschüttung von Th2- und
Treg-assoziierten Zytokinen wie IL-6 begünstigt. Diese induzieren im weiteren Verlauf
IgG4-B-Zellen, was zu einer IgG4-Antikörperinfiltration und Organfibrose führt. Die
lymphoplasmatische Infiltration von IgG4 prägt das charakteristische pathologische
Bild der Erkrankung [[2], [3]].
Die Inzidenz im Kindesalter ist aufgrund der bislang fehlenden systematischen Erfassung
nicht zu eruieren [[4]]. Im japanischen Raum liegt die geschätzte Inzidenz bei Erwachsenen zwischen 0,28-1,08/100
000. Dieses entspricht ungefähr 336-1300 Neuerkrankungen pro Jahr [[5]].
Im Kindes- und Jugendalter ist die häufigste Manifestationsform der Pseudotumor Orbitae,
gefolgt von Pankreatitiden oder Cholangitiden. Beschrieben sind unter anderem auch
Manifestationen in der Lunge, Schilddrüse, Speichel-/Tränendrüse sowie in Form einer
fibrosierenden Mediastinitis. Darüber hinaus wurde wiederholt eine begleitende interstitielle
Nephritis beobachtet [[1]]. Die allgemeinen Diagnosekriterien lassen eine Diagnosestellung auf Basis der klinisch/serologischen
Befunde, klinisch/histologischen Befunde aber auch auf Grundlage der serologisch/histologischen
Befunde zu oder auch rein auf Grundlage der Histologie (siehe Kasten „Diagnosekriterien”)
[[4]].
Zur Remissionsinduktion hat sich Prednison bewährt. Dieses kann in reduzierter Dosis
auch als Erhaltungstherapie gegeben werden. Insbesondere im Kindesalter ist eine steroidsparende
Immunsuppression anzustreben mit entweder Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil
oder Rituximab, die je nach Aktivität der Erkrankung, Grundvoraussetzungen des Patienten
und Erfahrung des betreuenden Arztes gewählt werden kann [[4]].
Anamnese
Ein sechsjähriger kinderkardiologischer Patient osteuropäischer Herkunft wird bei
subjektivem Wohlbefinden zur Mitbeurteilung in der Kinderrheumatologie vorgestellt.
Zuvor wurde im Rahmen einer Aortenteilresektion mit Prothesenersatz bei Mehrstufenstenose
anhand des intraoperativ gewonnenen histologischen Materials der Verdacht auf eine
Großgefäßvaskulitis gestellt.
Anamnestisch waren Schwangerschaft und Geburt unauffällig gewesen, die entwicklungsneurologische
Reifung war regelrecht verlaufen. Der Junge hatte in den ersten zwei Lebensjahren
rezidivierende Analabszesse. Im Alter von drei Jahren wurde eine solitäre Nierenzyste
mit Harntransportstörung marsupialisiert und ebenfalls ein frühkindliches Asthma bronchiale
diagnostiziert. Mit fünf Jahren fiel in der Vorsorgeuntersuchung eine arterielle Hypertonie
auf, als dessen Ursache sich eine hochgradige Mehrstufenstenose der thorakalen und
abdominellen Aorta herausstellte. Bei zum Teil kritischen Stenosen wurde die Indikation
zur (partiellen) operativen Korrektur mit Aorteninterponat gestellt.
Diagnostik
Differenzialdiagnostisch wurden bei Großgefäßvaskulitis folgende Erkrankungen in Betracht
gezogen: Takayasu-Arteriitis, Polyarteriitis nodosa inkl. Adenosin-Deaminase (ADA)-2-Defizienz,
IgG4-related disease, Morbus Behcet, das Cogan-Syndrom sowie eine Treponemeninfektion.
Die einzige laborchemische Auffälligkeit war ein erhöhter IgG4-Spiegel mit erhöhten
IgG4/IgG- und IgG4/IgG1-Ratios. Die Inflammationsparameter (C-reaktives Protein, Blutsenkung
und Leukozyten) waren bei Vorstellung in der rheumatologischen Ambulanz normwertig.
Antinukleäre Antikörper oder Antikörper gegen neutrophile Granulozyten (ANCA) waren
nicht nachweisbar und eine Komplementaktivierung bestand zu keinem Zeitpunkt. Eine
histologische Nachuntersuchung des Aortenresektats zeigte in der multiplen Myeloma
Oncogene 1 (MUM1)-Immunhistochemie nur vereinzelte MUM1-positive Plasmazellen, wobei
ein geringer Teil dieser sich auch positiv in der IgG4-Immunhistochemie färbte.
Diagnosekriterien
Allgemeine Diagnosekriterien für IgG4-RD
-
Diffuse oder fokale Vergrößerung/ Raumforderung in einem/ mehreren Organen
-
Erhöhung des Serum-IgG4 > 135 mg/dl oder > 1,5 x der oberen Norm
-
Histologische Veränderungen:
-
a. Organ-Infiltration mit Lymphozyten/Plasmazellen mit Fibrose
-
b. Infiltration IgG4-positiver Plasmazellen ins Gewebe (> 10/GF)
-
c. und/oder IgG4-/IgG-Verhältnis > 40 %
-
d. geschichtete/gewirbelte Fibrose
-
e. obliterative Phlebitis
Die Diagnose kann bei Erfüllen folgender Kriterien gestellt werden: 1 + 2 oder 1 +
3a/b oder 2 + 3a/b oder
3a/b/c/d.
Histologische Kriterien für IgG4-RD Major-Kriterien
Minor-Kriterien
-
obliterative Phlebitis
-
Gewebs-Eosinophilie
Die Diagnose kann bei Erfüllen folgender Kriterien gestellt werden:
Klinische Kriterien für IgG4-RD
-
Schwellung oder Dysfunktion in einem/mehreren Organen (charakteristisch für IgG4-RD)
-
Typische radiologische Veränderungen für IgG4-RD IgG4-Serumtiter > 1,5 x über dem
oberen Normwert nach [[4]]
► Abb. 1 Bild links: MRT Thorax-Aorta präoperativ bei Verdacht auf Midaortic-Syndrom; Bild
Mitte: MRT Thorax-Aorta postoperativ (Aorteninter-ponat) vor Beginn der immunsuppressiven
Therapie; Bild rechts: MRT Thorax-Aorta drei Monate nach Beginn der immunsuppressiven
Therapie.
Therapie
Anhand der allgemeinen und klinischen Diagnosekriterien kann bei Vorliegen einer inflammatorischen
abdominellen Aortitis und entsprechender IgG4-Erhöhung die Diagnose einer IgG4-assoziierten
Erkrankung gestellt werden, allerdings in diesem Fall bei Nichterfüllen der histologischen
Kriterien.
Nach Diagnosestellung wurde eine Therapie mit Prednison 0,8 mg/kg KG = 20 mg/d absolut
für zwei Wochen begonnen, gefolgt von einer Reduktion auf 0,6 mg/kg KG = 15 mg/d absolut
für weitere zwei Wochen. Anschließend wurde monatlich um 2,5 mg/d bis zu einer Erhaltungsdosis
von 2,5 mg absolut reduziert. Zeitgleich mit dem Beginn der Steroidtherapie wurde
mit Methotrexat (MTX) 13,2 mg/m2 Körperoberfläche/Woche subkutan begonnen.
Verlauf
Nach Beginn der immunsuppressiven Therapie hatte der Junge im MRT der Aorta einen
stabilen Befund. Serologisch zeigte sich ein deutlicher Abfall des IgG4 s und konsekutiv
eine Normalisierung der IgG4/ IgG-Ratio und IgG4/IgG1-Ratio.
Begleitend zum Beginn der immunsuppressiven Therapie entwickelte der Patient als neues
Symptom eine Hyperthyreose ohne nachweisbare Antikörper oder sonografische Auffälligkeiten
der Schilddrüse. Hier wurde daraufhin eine Carbimazol-Therapie initiiert. Drei Monate
nach Beginn der Carbimazol-Therapie war die Hinzunahme von L-Thyroxin notwendig, um
eine euthyreote Stoffwechsellage einzustellen. Zu keinem Zeitpunkt war ein reduzierter
Allgemeinzustand oder eine sonstige Einschränkung im Alltag beobachtet worden.
► Abb. 2Verlauf von IgG1 und IgG4 vor und nach Beginn der immunsuppressiven Therapie mit systemischen
Steroiden und Methotrexat (initial IgG4 : IgG1-Ratio = 0,39; im Verlauf nach Beginn
der Therapie IgG4 : IgG1-Ratio = 0,23).
Diskussion
Wir berichten hier über einen sechsjährigen Jungen mit der Erstmanifestation einer
Aortitis als IgG4-RD. Bislang ist dies der erste publizierte Fall im Kindesalter.
Die Diagnose wurde anhand der klinischen und allgemeinen Diagnosekriterien gestellt
mit einer erhöhten IgG4/IgG-Ratio und entsprechender Organveränderung mit histologisch
gesicherter Aortitis.
Ob die anderen geschilderten Symptome mit rezidivierenden Analabszessen, Nierenzyste,
das vorbeschriebene frühkindliche Asthma bronchiale sowie die Hyperthyreose Teil dieses
Krankheitsbildes sind, bleibt unklar. Zumindest wäre die Hyperthyreose als frühes
Zeichen einer sich entwickelnden entzündlich fibrosierenden Veränderung der Schilddrüse
denkbar. Zumal die Riedel-Thyreoiditis eine häufige Manifestationsform von IgG4-RD
im Kindesalter ist [[1]].
Das Besondere an dem vorliegenden Fall ist die Erstbeschreibung einer Aortitis im
Rahmen von IgG4-RD bei einem Kind. Diese Manifestationsform ist normalerweise eine
nur im Erwachsenalter beobachtete Verlaufsform [[6]].
Bislang sind keine geeigneten Aktivitätsparameter noch gute Möglichkeiten zur Unterscheidung
zwischen möglicher Krankheitsaktivität und bleibenden Organschäden für die IgG4-RD
bei Kindern beschrieben. In einer retrospektiven Evaluation von 40 erwachsenen Patienten
mit Periaortitis haben Mizushima et al. beispielsweise einen Rückgang der periaortalen
Dicke im Schnitt 30 Monate nach Beginn einer immunsuppressiven Therapie gesehen [[7]].
Beim IgG4-Spiegel wird vermutet, dass es bei Patienten, die bei Diagnosestellung ein
erhöhtes Serum-IgG4 hatten, dieses durchaus die Krankheitsaktivität widerspiegeln
kann [[8]]. Somit kann bei unserem Patienten der stetige Abfall des Serum-IgG4 s und ein drei
Monate nach Beginn der Therapie stabiler Befund im MRT (►
[Abb. 1]
, ►
[Abb. 2]
) als Behandlungserfolg gewertet werden. Jedoch sind weitere kinderrheumatologische
Verlaufskontrollen notwendig und der weitere Verlauf sollte abgewartet werden.
Fazit
In der Pädiatrie gibt es seltene bzw. bisher nicht beschriebene Manifestationsformen
von IgG4-assoziierten Autoimmunerkrankungen. Aufgrund der Seltenheit ist es sehr schwer,
eine solche Diagnose zu stellen bzw. verschiedene Symptome der Erkrankungsgruppe zuzuordnen.
Nach aktuellem Wissenstand bleibt stets eine Restunsicherheit über die Richtigkeit
der Diagnose und der dementsprechenden Therapieoptionen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Der Patient und seine Eltern haben ihr schriftliches Einverständnis für die Publikation
dieses Manuskripts gegeben.