Jahrelang ist es ruhig, umso größer ist die Überraschung, wenn er plötzlich eintrifft:
Der Bescheid über die Heranziehung zum ärztlichen Notfalldienst[1] durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV), der die Zuordnung zu einem Notfalldienstbezirk
und die Einteilung zum Notfalldienst anordnet.
Grundsätzlich haben alle Ärzte[2], die an der ambulanten Versorgung mitwirken, die Pflicht, ihre Patienten „rund um
die Uhr“, auch außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten, zu versorgen. Dies gilt
sowohl für Vertragsärzte als auch für Ärzte, die ausschließlich an der privatärztlichen,
ambulanten Versorgung mitwirken,[3] sowie gleichermaßen für Haus- und Fachärzte. Die Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst
leitet sich aus den Kammer- und Heilberufsgesetzen der einzelnen Bundesländer und
der auf ihrer Grundlage erlassenen Satzungen (Berufsordnungen) sowie aus der Zulassung
zur vertragsärztlichen Versorgung ab.
Organisierter Notfalldienst
Organisierter Notfalldienst
Der an der ambulanten Versorgung mitwirkende Arzt wird dadurch, dass die gesamte Ärzteschaft
gemeinsam einen Notfalldienst organisiert, von der täglichen Notfalldienstbereitschaft
rund um die Uhr entlastet. Er ist damit einhergehend verpflichtet, den Notfalldienst
gleichwertig mitzutragen, solange er in vollem Umfang ambulant ärztlich tätig ist.[4] Die Organisation des Notfalldienstes erfolgt durch die jeweilige Kassenärztliche
Vereinigung, zuweilen auch unter Hinzuziehung der zuständigen Ärztekammer.[5] Die Kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern können dabei arbeitsteilig zusammenwirken
und gemeinsam eine Notfalldienstordnung erlassen.
Die Notfalldienstordnungen regeln einerseits die Voraussetzungen, nach denen die ambulant
tätigen Ärzte zu Notfalldiensten verpflichtet werden können, andererseits die Organisation
des Notfalldienstes. Der Notfalldienst ist in jedem KV-Bezirk unterschiedlich ausgestaltet.
Im Regelfall erfolgt dieser in den Praxen der niedergelassenen Ärzte, die den jeweiligen
Notfalldienst erfüllen. Im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin ist beispielsweise
ein zusätzlicher Fahrdienst organisiert, der den diensthabenden Arzt zu den Patienten
fährt. Dadurch soll auch erreicht werden, die Notfallambulanzen der Krankenhäuser
zu entlasten.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind in der Ausgestaltung des Notfalldienstes frei.
Ihnen steht ein erheblicher Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu, die Teilnahmepflicht
für bestimmte Fallgruppen einzuschränken oder auszuweiten, in den die Gerichte nur
beschränkt eingreifen dürfen.[6] Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich in diesen Fällen darauf, ob die Kassenärztliche
Vereinigung bei ihrer Entscheidung sachfremde Erwägungen einbezogen oder willkürlich
gehandelt hat.
Verpflichteter und Pflichten
Verpflichteter und Pflichten
Gemäß den Notfalldienstordnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen haben die niedergelassenen,
an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung mitwirkenden Ärzte die Versorgung
der Patienten zu jeder Zeit sicherzustellen. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen,
ob der Arzt zum Notfalldienst herangezogen werden kann. Im Regelfall richtet sich
die Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst gegen die Vertragsärzte, einschließlich
der Job-Sharing-Partner, ambulante Privatärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren.
Vereinzelt können auch Ärzte persönlich zum Notfalldienst herangezogen werden, die
im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses an der ambulanten Versorgung nach § 32b Ärzte-ZV,
§ 95 Abs. 9 SGB V, § 101 Abs. 1 Nr. 5 SGB V mitwirken,[7] anderenorts erhöht sich die Teilnahmeverpflichtung des anstellenden Vertragsarztes
bzw. des jeweiligen BAG-Partners entsprechend der Anzahl der erteilten Anstellungsgenehmigungen.[8]
Für die Ärzte, die zum Notfalldienst verpflichtet sind, besteht eine Fortbildungsverpflichtung.
Der verpflichtete Arzt kann sich nicht auf seine fehlende fachliche Eignung berufen
und sich so der Notfalldienstverpflichtung entziehen.
Übt ein Arzt seine Tätigkeit an weiteren Orten, beispielsweise in einer Zweigpraxis/Filiale,
aus, so kann er auch an diesem weiteren Tätigkeitsort zur Teilnahme am Notfalldienst
verpflichtet werden. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat entschieden[9], dass ein Arzt, der mehrere Praxen an verschiedenen Standorten betreibt, eine entsprechend
umfangreichere Mitwirkungspflicht an der Notversorgung habe und zum Notdienst in mehreren
Bezirken heranzuziehen sei. Die Heranziehung des Vertragsarztes zum Notfalldienst
am Haupt-Tätigkeitsort mit dem Einteilungsfaktor 1,0 und am Ort der Zweigpraxis mit
dem Faktor 0,5 sei zumutbar. Ob sich die Notfalldienstverpflichtung auch zukünftig
auf die Zweigpraxis erstreckt, wird 2019 höchstrichterlich entschieden werden. Das
BSG[10] hat in Kürze darüber zu urteilen, ob die Regelungen in einer Bereitschaftsdienstordnung
einer Kassenärztlichen Vereinigung, wonach Betreiber einer Filialpraxis, die in einem
anderen Bereitschaftsdienstbereich als dem Vertragsarztsitz betrieben wird, verpflichtet
sind, zusätzlich auch im Bereitschaftsdienstbereich der Filiale am Bereitschaftsdienst
teilzunehmen, gegen höherrangiges Recht verstoßen.
Je nach KV-Bezirk und Notfalldienstordnung muss die Tätigkeit in der Filiale/Zweigpraxis
nicht zwingend zu einer höheren Teilnahmepflicht führen. In manchen KV-Bezirken wird
dies ausdrücklich ausgeschlossen.[11]
Ob die Voraussetzungen zur Teilnahmepflicht am Notfalldienst erfüllt sind, ist daher
im Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten zu beurteilen.
Sanktionen bei Verstoß
Kommt der Arzt seiner Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst nicht nach, drohen ihm
Sanktionen nach der Notfalldienstordnung oder nach den Disziplinarordnungen der Kassenärztlichen
Vereinigungen. Die Sanktionen sind unterschiedlich ausgestaltet: Beispielsweise kann
die Kassenärztliche Vereinigung einen pauschalen Aufwendungsersatz zur Abgeltung der
mit der Vertreterbeauftragung anfallenden Kosten geltend machen. Bei Anwendung der
Disziplinarordnungen der Kassenärztlichen Vereinigungen kann ein Pflichtenverstoß
mit einer Geldbuße geahndet werden.[12]
Die Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst ist nicht höchstpersönlich zu erfüllen.
Es ist möglich, sich durch einen anderen fachlich geeigneten Arzt vertreten zu lassen
oder Notfalldienste untereinander zu tauschen.
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst
Ärzte können auf schriftlichen Antrag durch den Bezirksstellenleiter vom Notfalldienst
auf Dauer oder befristet befreit werden, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen. Bei
der Festlegung der Befreiungsgründe durch die Notfalldienstordnungen sind die Kassenärztlichen
Vereinigungen frei. Aufgrund ihres weiten Gestaltungsspielraums sind die Kassenärztlichen
Vereinigungen nicht verpflichtet, bestimmte Befreiungsgründe anzuerkennen und zu berücksichtigen.[13]
Schwere Erkrankung
In der Regel können sich an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung mitwirkende
Ärzte vom Notfalldienst befreien lassen, sofern sie ernsthaft erkrankt sind.
Die Vorlage eines ärztlichen Attests mit der Bestätigung der Erkrankung ist oftmals
nicht ausreichend, um sich vom Notfalldienst befreien zu lassen. Die Kassenärztliche
Vereinigung kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit abwägen, ob der Notfalldienst aufgrund der vorgetragenen Erkrankung
unzumutbar ist. Hat die vorgetragene Erkrankung keine eingeschränkte Praxistätigkeit
zur Folge – dies lässt sich beispielsweise durch das Abhalten der Sprechstundenzeiten
nachweisen – kann dies als Indiz gewertet werden, dass die Erkrankung die Teilnahmefähigkeit
am Notfalldienst nicht einschränkt und daher zumutbar ist.[14]
Belegärztliche Tätigkeit als Befreiungsgrund
Das LSG Baden-Württemberg[15] entschied jüngst, dass die belegärztliche Tätigkeit des Vertragsarztes nicht als
Grund für die Befreiung von der Teilnahme am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst
zu berücksichtigen sei. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hatte
die Kassenärztliche Vereinigung in der erlassenen Notfalldienstordnung geregelt, dass
„das Erreichen eines bestimmten Lebensalters, belegärztliche oder berufspolitische
Tätigkeiten oder fehlende aktuelle Kenntnisse und Fähigkeiten für die Durchführung
des Notfalldienstes“ keine schwerwiegenden Gründe seien, sich von der Teilnahme am Notfalldienst befreien
zu lassen. Das LSG Baden-Württemberg urteilte, dass eine solche Regelung rechtlich
nicht zu beanstanden sei und insbesondere nicht gegen das Willkürverbot verstoße.
Ermächtigter Krankenhausarzt
Dahingegen soll ein nach § 116 SGB V persönlich ermächtigter Krankenhausarzt nicht
zum vertragsärztlichen Notfalldienst herangezogen werden dürfen. Die Ermächtigung
wird gemäß § 116 Satz 2 SGB V i. V. m. § 31a Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV nur erteilt, soweit
und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der GKV-Versicherten ohne die besonderen
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse des Krankenhausarztes nicht
sichergestellt werden kann. Dies folge einerseits aus der Nachrangigkeit der Ermächtigung
gegenüber der Zulassung, andererseits aus dem begrenzten Versorgungsbedarf, so das
Hessische LSG. Der ermächtigte Krankenhausarzt verfüge auch weder über die Betriebsmittel
noch die Infrastruktur, um den Notfalldienst sicherstellen und ausführen zu können.[16] Das BSG hat die Entscheidung des Hessischen LSG mit Urteil vom 12.12.2018, Aktenzeichen:
B 6 KA 50/17 R, bestätigt.[17]
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass aufgrund der vielseitigen, voneinander abweichenden
Notfalldienstordnungen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen und der punktuellen
höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall geprüft werden sollte, ob und in
welchem Umfang die Pflicht zur Teilnahme am Notfalldienst besteht.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Dina Gebhardt, B.A.
Rechtsanwältin
Rechtsanwälte Wigge
Scharnhorststraße 40
48151 Münster
Tel.: (0251) 53 595 – 0
Fax: (0251) 53 595 – 99
Email: kanzlei@ra-wigge.de
Internet: www.ra-wigge.de