Schlüsselwörter
Gehirntumor - Hirntumor - Neurologie - Onkologie - Molekulargenetik
Abkürzungen
ADH:
antidiuretisches Hormon
APVAC:
aktiv personalisierter Peptidimpfstoff
ATRX:
α-Thalassemia mental Retardation X-linked
BCNU:
Bis-Chlorethyl-Nitroso-Urea (Carmustin)
CCNU:
Chlorethyl-Cyclohexyl-Nitroso-Urea (Lomustin)
dMMR:
Mismatch-Repair-Defizienz
EANO:
European Association for Neuro Oncology
FLAIR:
Fluid attenuated Inversion Recovery
GAPVAC:
Glioma Actively Personalized Vaccine Consortium
HE:
Hämatoxylin-Eosin
HER2:
Human Epidermal Growth Factor Receptor 2
HR:
Hazard Ratio
IDH:
Isozitratdehydrogenase
IL13R:
Interleukin-13-Rezeptor
KPS:
Karnofsky Performance Status
MGMT:
Methyl-Guanin-DNA-Methyltransferase
MSI-H:
hohe genomische Mikrosatelliteninstabilität
NCT:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen
NOA:
Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft
NOS:
not otherwise specified (ohne molekulare Zuordnung)
PCV:
Procarbazin + CCNU + Vincristin
PTEN:
Phosphatase and Tensin Homolog on Chromosome 10
RT:
Radiotherapie
TDO:
Tryptophan-2,3-Dioxygenase
TERT:
Telomerase Reverse Transcriptase
TMZ:
Temozolomid
TTF:
Tumor-treating Field (Tumortherapiefeld)
VEGF:
vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor
Einleitung
Die Diagnose eines diffusen Glioms wird hauptsächlich aufgrund des mikroskopischen
Erscheinungsbildes und aktuell zusätzlicher Bestimmung epigenetischer Parameter sowie
Mutationsanalysen gestellt. Der Umfang der molekularen Diagnostik in verschiedenen
Zentren ist stark heterogen.
Merke
Gemäß der Revision der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Hirntumoren
sollten für Gliome des Erwachsenenalters der Mutationsstatus der Isozitratdehydrogenase (IDH-Mutation oder Wildtyp) sowie die Ko-Deletion von chromosomalem Material auf 1p und
19q im Tumorgewebe berücksichtigt werden.
Die Expression von α-Thalassemia mental Retardation X-linked (ATRX) (ja/nein) sowie
der Mutationsstatus von p53 sind charakteristisch für die jeweiligen Gliomsubgruppen, für die Diagnose jedoch
nicht gefordert ([Abb. 1], [Tab. 1]) [1].
Abb. 1 Diffuse Gliome: Histologie und molekulare Parameter führen zur Diagnose. Bei Fehlen
molekularer Diagnostik können diffuse Gliome weiterhin rein histopathologisch diagnostiziert
werden. Um die damit verbundene diagnostische Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen,
werden diese mit dem Zusatz „ohne molekulare Zuordnung (not otherwise specified; NOS)“
versehen (IDH = Isozitratdehydrogenase). (Quelle: Prof. Wolfgang Wick.)
Tab. 1 Standardtherapieschemata nach Leitlinien der European Association for Neuro Oncology
(EANO).
Diagnose
|
Standardtherapie nach Operation/Diagnosestellung
|
KPS = Karnofsky Performance Status; PCV = Procarbazin, CCNU (Lomustin) und Vincristin
|
Astrozytom WHO Grad II
|
Radiochemotherapie mit PCV (Temozolomid)
|
Astrozytom WHO Grad III
|
Radiotherapie gefolgt von 12 Zyklen Temozolomid
|
Oligodendrogliom WHO Grad II
|
Radiochemotherapie mit PCV
|
Oligodendrogliom WHO Grad III
|
Radiochemotherapie mit PCV
|
Glioblastom
|
Radiochemotherapie mit Temozolomid gefolgt von 6 Zyklen Temzolomid
|
ältere Patienten mit KPS < 70
|
hypofraktionierte Radiochemotherapie mit Temozolomid gefolgt von 6 – 12 Zyklen Temozolomid
|
Zusätzlich sind Gewinne auf Chromosom 7 und Verluste auf Chromosom 10 deutliche Hinweise
für Malignität, jedoch ebenfalls nicht diagnostisch gefordert. Die Erhebung von Hochdurchsatzdaten
zu epigenetischen Methylierungsmustern im Tumorgewebe scheint die Treffsicherheit
der Diagnose zu verbessern und zudem durch Entfaltung mehrerer Subgruppen eine größere
Präzision zu erlauben [2]. Inwieweit die jüngste Entdeckung von Tumornetzen neue Therapien stimulieren wird,
ist Gegenstand intensiver Forschung [3].
Maßnahmen der Primärprävention stehen nicht zur Verfügung. Es gibt eine diskrete familiäre
Komponente bei der Gliomentstehung, die aber nur bei genetisch definierten Tumorsyndromen
klinisch relevant ist. Dazu zählen u. a. Neurofibromatose Typ I und II, Li-Fraumeni-Syndrom
und Turcot-Syndrom. Weitere publizierte genetische Assoziationen [4] sind schwach und ohne Einfluss auf Vorsorge oder Diagnostik.
Einfach zu erhebende Parameter wie z. B. die Bestimmung eines gliomassoziierten Markers
im Serum oder Liquor stehen noch nicht routinemäßig zur Verfügung, obwohl erste Publikationen
eine Bedeutung als Verlaufsparameter nahelegen [5]. Aus kasuistischen Beobachtungen ist bekannt, dass sich zumindest Glioblastome innerhalb
weniger Wochen entwickeln können, sodass bildgebende Screening-Untersuchungen nicht
sinnvoll erscheinen. Aus diesen Gründen spielt die Früherkennung bisher bei Gliomen
klinisch keine Rolle.
Aktuelle Therapieoptionen
Aktuelle Therapieoptionen
Primärtherapie
Bei klinischem Verdacht auf ein Gliom ist die Magnetresonanztomografie (MRT) ohne
und mit Kontrastmittel die diagnostische Methode der 1. Wahl (s. a. Fallbeispiel).
Die Verwendung eines geeigneten und in der Folge beibehaltenen Protokolls ist für
die Qualität der Diagnostik relevant [6]. Eine Computertomografie kommt nur bei Kontraindikationen für die MRT in Betracht.
Wegen der Relevanz kognitiver Veränderungen, der sich entwickelnden neurologischen
Funktionsbeeinträchtigung und der Beeinflussung der Lebensqualität sind strukturierte
Erhebungen dieser Parameter in Studien, aber insbesondere für die beiden erstgenannten
Bereiche auch in der Routine sinnvoll.
Unabhängig vom Alter sollten sich alle Patienten nach Untersuchung und Beratung sowie
Vorstellung des Falles in einem interdisziplinär besetzen Tumorboard einer maximalen
sicheren Resektion unterziehen.
Die Patienten sollten bei Behandlungsbedarf eine Chemoradiotherapie mit Temozolomid
oder Procarbazin, CCNU (Lomustin) und Vincristin (PCV) (s. u.: Abschn. „Systemtherapie
für Patienten mit Gliomen“) erhalten, wobei Bestrahlungsdetails und die Wahl der Chemotherapie
an den WHO-Grad, den Funktionsstatus, das Alter und die anatomische Tumorlage angepasst
werden.
Hintergrundinformation
Zusammensetzung des interdisziplinären Tumorboards bei Gliomen
Merke
Die Effektstärke der Ergänzung der Chemotherapie zur Strahlentherapie ist interessanterweise
invers zum WHO-Grad korreliert; d. h., Patienten mit prognostisch günstigeren Tumoren scheinen
am stärksten von der intensiveren Therapie zu profitieren.
Die in regelmäßigen Abständen durchzuführende Magnetresonanztomografie ist der Surrogatparameter
der Wahl für die Nachuntersuchung (Leitlinien der European Association for Neuro Oncology
[EANO]; [7]). Dazu kommen eine idealerweise standardisierte Erhebung der neurologischen Funktionsbeeinträchtigung
[8] und eine Bestimmung der neurokognitiven Funktion [9].
Die Bestimmung der Progression oder des Rezidivs eines Glioms ist immer noch eine
Herausforderung.
Tipp
Patienten mit klinisch und/oder radiografisch bestätigtem Progress sollten nach Diskussion
in einem interdisziplinär besetzten Tumorboard hinsichtlich eines erneuten chirurgischen
Eingriffs beraten werden, um eine weitere makroskopische Entfernung des Tumors zu
erreichen oder um Gewebe für eine aktualisierte histologische oder molekulare Analyse
(s. u.) zu erhalten.
Meist folgt der Operation oder der häufigeren Entscheidung gegen einen erneuten neurochirurgischen
Eingriff eine weitere alkylierende Chemotherapie. Einige Patienten profitieren von
einer zweiten Strahlentherapie.
Merke
Spätestens in dieser Phase der Erkrankung spielt die ausführliche Beratung zu supportiven
und palliativen Maßnahmen eine Rolle für die umfassende Patientenbetreuung.
Fallbeispiel
In [Abb. 2] sind die MRT vor und nach der Teilresektion, eine exemplarische HE-Histologie sowie
der ausführliche molekulare Befund dargestellt. Ein 32-jähriger Mann stellte sich
nach einem unprovozierten fokal eingeleiteten generalisierenden epileptischen Anfall
ohne permanente neurologische Einschränkungen in der Notfallambulanz vor. Die erste
Entscheidung zwischen einem initial abwartenden Vorgehen und der Sicherung der Diagnose
und initialen (chirurgischen) Therapie wurde leitliniengerecht getroffen. Die histologische
und molekulare Aufarbeitung folgt den aktuellen WHO-Vorgaben.
Abb. 2 Prä- und postoperative MRT, HE-Histologie, molekularer Befund. (Quelle: Prof. Wolfgang
Wick.)
Gebräuchliche Systemtherapieregimes für Patienten mit Gliomen
Temozolomid begleitend zur Strahlentherapie (TMZ/RT)
-
Behandlungsplan:
-
Temozolomid 75 mg/m2, per os 1 – 2 h vor Strahlentherapie (7 Tage pro Woche) vom ersten bis letzten Tag
der Strahlentherapie (inklusive Tage ohne Bestrahlung, z. B. Wochenenden).
-
Nach Ende der Strahlentherapie und einer 4-wöchigen Pause wird TMZ für bis zu 6 Zyklen
weitergeführt (s. u.).
-
Die Behandlung wird bei Leukozytenzahlen < 1500/µl oder Thrombozytenzahlen < 100 000/µl
pausiert und bei Erreichen dieser Werte wieder aufgenommen. Die Behandlung wird bei
Leukozytenzahlen unter 500/µl oder Thrombozytenzahlen unter 25 000/µl abgebrochen.
-
Supportivmaßnahmen:
-
Antiemese:
-
Während der ersten 2 – 3 Therapietage erfolgt eine Prophylaxe mit 5-HT3-Antagonisten,
dann ist meist ein Wechsel auf Metoclopramid oder Domperidon oral möglich.
-
Chronische 5-HT3-Antagonisten-Einnahme führt zu Obstipation.
-
Bei etwa der Hälfte der Patienten kann im Verlauf auf eine antiemetische Prophylaxe
verzichtet werden.
-
Eine Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie-Prophylaxe (3 × pro Woche 1 Tablette Trimethoprim-Sulfamethoxazol
oder Pentamidin-Inhalationen alle 4 Wochen) ist notwendig, insbesondere, wenn gleichzeitig
Kortikosteroide verabreicht werden.
-
Kontrollen:
-
Unerwünschte Wirkungen:
-
Myelosuppression,
-
Übelkeit, Erbrechen.
Temozolomid als Erhaltungstherapie oder Monotherapie
-
Behandlungsplan:
-
200 mg/m2 oral nüchtern, Tag 1 – 5 eines 28-Tage-Zyklus, 150 mg/m2 im 1. Zyklus nach vorausgehender Strahlentherapie oder nach chemotherapeutischer
Vorbehandlung, Wiederholung alle 4 Wochen
-
Beginn des nächsten Zyklus erst, wenn Leukozyten > 3000/µl und Thrombozytenzahlen
> 100 000/µl liegen.
-
Dosisreduktion auf 75% der zuletzt verabreichten Dosis bei Abfall der Leukozyten unter
1500/µl oder der Thrombozyten unter 50 000/µl.
-
Dosissteigerung von 150 auf 200 mg/m2 bei Leukozyten > 3000/µl und Thrombozyten > 100 000/µl.
-
Supportivmaßnahmen:
-
Antiemese mit 5-HT3-Rezeptorantagonist, z. B. 4 – 8 mg Ondansetron oder 5 mg Tropisetron
oral.
-
Pneumocystis jirovecii-Pneumonie-Prophylaxe begleitend (s. o.), wenn gleichzeitig
Steroide gegeben werden, bzw. bei Lymphozytenwerten unter 800/µl.
-
Kontrollen:
-
Blutbild wöchentlich,
-
Differenzialblutbild an Tag 21 und 28, bei Bedarf häufiger.
-
Vor Beginn einer Behandlung sollte über das Risiko von Fertilitätsstörungen aufgeklärt
werden.
-
Unerwünschte Wirkungen:
-
Myelosuppression,
-
Übelkeit, Erbrechen
-
Therapiedauer:
-
In der Erhaltungstherapie beim Glioblastom 6 Zyklen (bei älteren Patienten ggf. 12
Zyklen), beim anaplastischen Gliom 12 Zyklen.
-
Im Rezidiv 8 – 12 Zyklen oder bis zur Progression.
PCV (Procarbazin + Lomustin [CCNU] + Vincristin)
-
Beginn:
-
Behandlungsplan:
-
CCNU:
-
Vincristin:
-
Procarbazin:
-
Wiederholung alle 8 Wochen.
-
Beginn des nächsten Zyklus erst, wenn Leukozyten > 3000/µl und Thrombozyten > 100 000/µl.
-
Dosisreduktion von CCNU auf 75% der zuletzt verabreichten Dosis, wenn im letzten Zyklus
nach dem 25. Tag Abfall der Leukozyten < 1500/µl oder der Thrombozyten < 50 000/µl.
-
Dosisreduktion von Procarbazin auf ⅔ der zuletzt verabreichten Dosis, wenn im letzten
Zyklus zwischen dem 10. und 20. Tag Abfall der Leukozyten auf < 1500/µl oder der Thrombozyten
auf < 50 000/µl.
-
Absetzen von Vincristin bei symptomatischer Polyneuropathie.
-
Supportivtherapie:
-
1 h vor CCNU-Applikation 5-HT3-Rezeptorantagonist, z. B. 4 – 8 mg Ondansetron oder
5 mg Tropisetron oral.
-
Während der Procarbazin-Therapie Metoclopramid oral bei Bedarf, bei stärkerer Übelkeit
auch Ondansetron.
-
Für Vincristin allein ist keine Antiemese erforderlich.
-
Kontrollen:
-
Wöchentlich Blutbild, Differenzialblutbild alle 2 Wochen.
-
Retentionswerte und Leberenzyme alle 2 Wochen.
-
Lungenfunktionstest (1-Sekunden-Kapazität, Vitalkapazität) vor dem 1. Zyklus, dann
nach individuellem Verlauf.
-
Nervenleitgeschwindigkeit vor dem 1. Zyklus, dann ebenfalls individuell bzw. nach
Klinik.
-
Vor Beginn einer Behandlung sollte über das Risiko von Fertilitätsstörungen aufgeklärt
werden.
-
Unerwünschte Wirkungen:
-
Procarbazin:
-
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Myelosuppression, allergische Dermatose.
-
Selten Polyneuropathie, Ataxie, orthostatische Hypotension, Leberfunktionsstörungen,
anhaltende Infertilität.
-
CCNU:
-
Übelkeit und Erbrechen, meist 1 – 8 Stunden nach Applikation, klingen meist innerhalb
von Stunden ab.
-
Protrahierte Myelosuppression: Leukozytennadir nach 4 – 6 Wochen, Thrombozytennadir
nach 3 – 5 Wochen, meist innerhalb von 2 Wochen Erholung, bei wiederholter CCNU-Gabe
evtl. kumulative Myelotoxizität.
-
Selten (kumulativ) Lungenfibrose.
-
Anhaltende Infertilität.
-
Vincristin:
-
Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen, Parasthäsien und motorischen Ausfällen,
Obstipation, Darmkrämpfe, Ileus.
-
Praktisch nie Myelosuppression.
-
Selten: inadäquate ADH-Sekretion, Unverträglichkeitsreaktion, schwere Gewebenekrosen
bei paravenöser Injektion, potenziell tödlich bei intrathekaler Injektion.
-
Therapiedauer:
Monotherapie mit Nitrosoharnstoffen
-
Beginn:
-
Behandlungsplan:
-
CCNU:
-
BCNU:
-
Die Dosis ist generell von der vorherigen Chemotherapie und der erwarteten Knochenmarkreserve
abhängig.
-
Wiederholung alle 6 – 8 Wochen.
-
Beginn des nächsten Zyklus erst, wenn Leukozyten > 3000/µl und Thrombozyten > 100 000/µl.
-
Dosisanpassungen orientieren sich am Nadir, der meist nach 4 – 6 Wochen eintritt.
-
Dosisreduktion: auf 75% der zuletzt verabreichten Dosis, wenn im letzten Zyklus Abfall
der Leukozyten < 1500/µl oder der Thrombozyten < 50 000/µl (s. o.: PCV-Schema).
-
Supportivtherapie:
-
Kontrollen:
-
Differenzialblutbild wöchentlich.
-
Retentionswerte und Leberenzyme alle 2 Monate.
-
Lungenfunktionstest (1-Sekunden-Kapazität, Vitalkapazität) vor dem 1. Zyklus, dann
nach individuellem Verlauf.
-
Unerwünschte Wirkungen:
-
Übelkeit und Erbrechen:
-
Protrahierte Myelosuppression:
-
Leukozytennadir nach 4 – 6 Wochen, Thrombozytennadir nach 3 – 5 Wochen.
-
Meist innerhalb von 2 Wochen Erholung.
-
bei wiederholter Gabe evtl. kumulative Toxizität.
-
Lungenfibrose: vermutlich häufiger bei BCNU als bei CCNU.
-
Infertilität: Vor Beginn einer Behandlung sollte über das Risiko von Fertilitätsstörungen
aufgeklärt werden.
-
Therapiedauer:
Diffuse Astrozytome
Histologisch diffuse Astrozytome des WHO-Grads II sind wegen der diagnostischen Vorgaben
meist IDH-mutiert ([Abb. 1]). Patienten mit IDH-mutierten Tumoren, die 40 Jahre oder jünger sind, deren Tumor bildgebend vollständig
reseziert wurde und die außer epileptischen Anfällen keine neurologischen Defizite
haben, können postoperativ zunächst beobachtet und klinisch und bildgebend verlaufskontrolliert
werden (s. Fallbeispiel mit [Abb. 3]). Bei Patienten mit diffusen Astrozytomen ohne IDH-Mutation bleibt dieses Vorgehen kontrovers, weil viele dieser Tumoren eine ungünstigere
Prognose aufweisen. Das allein rechtfertigt aber ohne entsprechende Studiendaten keine
intensivere Therapie. Zudem existiert eine Subgruppe von jüngeren Patienten mit diesen
Tumoren ohne IDH-Mutation, die keine ungünstige Prognose zeigen. Allerdings sollte
insbesondere bei Patienten über 40 Jahren mit diffusen Astrozytomen ohne IDH-Mutation in Erwägung gezogen werden, dass der Tumor eine Glioblastom-ähnliche molekulare
Signatur aufweisen könnte.
Abb. 3 FLAIR MRT-Dokumentation der asymptomatischen Progression nach 4 bzw. 5 Jahren. (Quelle:
Prof. Wolfgang Wick.)
Generell profitieren Patienten mit diffusen Astrozytomen von einer Strahlentherapie
kombiniert mit einer Chemotherapie mit oralem Procarbazin, oralem CCNU und intravenösem
Vincristin (PCV) [10]. Alternativ kann eine kombinierte Chemoradiotherapie mit täglichem Temozolomid und
nachfolgend bis zu 12 Zyklen Temozolomid an 5 von 28 Tagen eingesetzt werden. Dass
Temozolomid in dieser Indikation genauso wirksam ist wie PCV, ist nicht belegt [11].
Procarbazin ist wegen seines allergenen Potenzials diesbezüglich ausführlich aufzuklären.
Vincristin wird wegen seiner peripher neurotoxischen Effekte und seiner unklaren Relevanz
in einigen Zentren weggelassen oder bei ersten Hinweisen für eine Neuropathie ausgesetzt.
Bei IDH-Wildtyp-Tumoren wird an vielen Zentren Temozolomid analog zum Glioblastom allerdings
nur bei Patienten mit Tumoren mit methyliertem O6-Methylguanin DANN-Methyltransferase (MGMT)-Promotor eingesetzt.
Fallbeispiel
[Abb. 3] zeigt die FLAIR-MRT-Dokumentation der asymptomatischen Progression im Zeitverlauf.
Zu diesem Zeitpunkt wird die Indikation zu einer Radiotherapie des Teilhirns gestellt.
Die Therapie wird aufgrund der Verfügbarkeit in Heidelberg und aufgrund der präklinischen
Hinweise für eine höhere Effektivität mit Protonen durchgeführt. Prinzipiell würde
heute in einer ähnlichen Situation zusätzlich eine Chemotherapie durchgeführt.
Anaplastische Astrozytome
Die meisten anaplastischen Astrozytome (WHO Grad III) weisen IDH-Mutationen auf. Basierend auf den Ergebnissen der CATNON-Studie werden Patienten
mit diesen Tumoren nach der Tumorresektion mit einer Strahlentherapie gefolgt von
bis zu 12 Zyklen einer Erhaltungstherapie mit Temozolomid behandelt.
Der Stellenwert der begleitenden Temozolomid-Therapie während der Strahlentherapie
wurde in der CATNON-Studie in einem 2 × 2-Design untersucht, ließ sich aber in der
ersten Analyse der Studie noch nicht beurteilen [12]. Die kleinere Gruppe der Patienten mit IDH-Wildtyp-anaplastischen Astrozytomen, die molekular oft Glioblastomen ähneln, profitiert
wahrscheinlich nur bei Vorliegen eines hypermethylierten MGMT-Promotors von Temozolomid
[13].
Oligodendrogliome (WHO Grad II)
Merke
Patienten mit nach WHO-Definition IDH-mutierten und 1p/19q-kodeletierten prognostisch besonders günstigen Tumoren profitieren
nachweislich von einer Ergänzung der chirurgischen und Strahlentherapie durch eine
PCV-Chemotherapie (PCV = Procarbazin + CCNU [Lomustin] + Vincristin).
Sowohl das progressionsfreie als auch das Gesamtüberleben wurden relevant verlängert
(RTOG 9802) [10]. Ähnlich der Situation bei diffusen Astrozytomen erscheint Zuwarten unter regelmäßigen
Kontrollen vor allem bei jüngeren Patienten < 40 Jahren, mit vollständiger Resektion
sowie ohne neurologische Defizite (mit der Ausnahme epileptischer Anfälle) vertretbar
(EANO-Leitlinien; [7]) (s. Fallbeispiel).
Fallbeispiel
Im Verlauf von weiteren 2 Jahren – 6 resp. 7 Jahre nach Erstdiagnose – kommt es zur
Entwicklung von Strahlennekrose und Blutung, dargestellt in verschiedenen MRT-Sequenzen
([Abb. 4]).
Abb. 4 Entwicklung von Strahlennekrose und Blutung in verschiedenen MRT-Sequenzen im Verlauf.
(Quelle: Prof. Wolfgang Wick.)
Anaplastische Oligodendrogliome
Gemäß zweier randomisierter Studien, RTOG 9402 und EORTC 26951, sollten diese Tumoren,
die nach WHO-Definition ebenfalls IDH-mutiert und 1p/19q-kodeletiert sind, nach der
Tumorresektion mit einer Kombination aus Strahlentherapie und PCV-Chemotherapie behandelt
werden [14], [15]. Der Austausch von PCV gegen Temozolomid ist nachvollziehbar und möglicherweise
in Einzelfällen sinnvoll, aber nicht evidenzbasiert und hinsichtlich der Effektstärke
nicht sicher bewertbar (EANO-Leitlinien; [7]).
Glioblastom
Patienten mit Glioblastom werden in der Regel nach der Tumorresektion mit der Kombination
aus einer z. T. an das Alter und den Funktionsstatus angepassten Strahlentherapie
und Temozolomid behandelt, gefolgt von in der Regel bis zu 6 Zyklen einer Erhaltungstherapie
mit Temozolomid [16], [17]. Eine Fortführung der Temozolomid-Therapie über 6 Zyklen hinaus ist zumindest für
die Mehrzahl der Patienten nicht indiziert [18], wobei vergleichende Daten zur Anzahl der Erhaltungszyklen bei älteren Patienten
nach hypofraktioniertem Radiotherapieschema nicht vorliegen und in der relevanten
Studie bis zu 12 Zyklen eingesetzt wurden.
Temozolomid verlängert das Gesamtüberleben in relevantem Ausmaß nur, wenn der Tumor
einen methylierten MGMT-Promotor aufweist. Aufgrund der guten Verträglichkeit von
Temozolomid erfolgt jedoch bei jungen Patienten in der Regel eine kombinierte Chemoradiotherapie.
Insbesondere bei älteren Patienten oder Patienten in reduziertem Allgemeinzustand
(oder beidem) kann alternativ zur kombinierten Chemoradiotherapie in Abhängigkeit
vom MGMT-Status auch eine Monotherapie mit hypofraktionierter Strahlentherapie (MGMT nicht
methyliert) oder Temozolomid (MGMT methyliert) durchgeführt werden [19], [20].
Tumortherapiefelder (TTF) sind eine nicht hirninvasive lokale Hirntumortherapie, bei der ein tragbares Gerät
über an der Kopfhaut befestigte Elektroden elektrische Wechselfelder im tumortragenden
Gehirn erzeugen soll.
Merke
Die Kombination dieser Tumortherapiefelder mit der Temozolomid-Erhaltungstherapie
verlängerte das Gesamtüberleben bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom
[21].
Aktuell werden die Kostenerstattung und Patientenakzeptanz dieser Therapie diskutiert.
Außerdem gibt es kontroverse Ansichten zur Aussagekraft der Studie, zur Patientenselektion
und zu potenziellen Placeboeffekten [22], [23].
Progression
Merke
In der Progression verschwimmen die Grenzen zwischen den Optionen für die verschiedenen
WHO-Grade.
Es erscheint plausibel, dass in dieser Phase vor allem Funktionszustand, Zeit seit
der Erstlinientherapie und verfügbare Optionen eine Rolle spielen; differenzielle
Erwägungen werden vor allem für eine Studienteilnahme getroffen, da hier häufig die
Primärdiagnose relevant ist.
Operatives Vorgehen
Wie bereits erwähnt, wird eine Operation in Betracht gezogen, um die Symptome zu verbessern.
Dies gilt sowohl für früh progrediente Tumoren oder späte Progresse, wenn jeweils
geeignete Rezidivtherapien zur Verfügung stehen. Es ist nicht sicher, wie sich eine
zweite Operation auf das Gesamtüberleben auswirkt. Es wird mehrheitlich davon ausgegangen,
dass eine weitere Resektion des gewachsenen Tumors relevant ist, es fehlen jedoch
prospektiv kontrollierte Daten. In letzter Zeit gibt es eine zunehmende Nachfrage
nach Gewebegewinnung zum Zeitpunkt der Progression, um im Falle der frühen Progression
scheinbares Tumorwachstum (Pseudoprogression) auszuschließen und in jedem Fall Material
für molekulare Diagnostik zu gewinnen (s. u.).
Re-Bestrahlung
Die Wirksamkeit der Re-Bestrahlung ist bis heute ungewiss. Ihre Einschätzung variiert
zwischen Standorten, Ländern, Rezidivmustern und dem Zeitintervall seit der ersten
Behandlung. Die Fraktionierung hängt von der Tumorgröße und dem zeitlichen und räumlichen
Abstand zur Ersttherapie ab. Es wurden Fraktionen zwischen 2,0 und 2,4 Gy getestet,
aber auch höhere Dosen pro Fraktion von 5 – 6 Gy unter Verwendung einer stereotaktischen
hypofraktionierten Radiotherapie mit einer Gesamtdosis von 30 – 36 Gy sowie eine Radiochirurgie
mit einer Einzeldosis von 15 – 20 Gy. Die Gesamttoxizität scheint nicht das Hauptproblem
zu sein [24]. Wie bei systemischen Therapien fehlt es an relevanter Wirksamkeit mit einer progressionsfreie
Überlebensrate von 3,8% nach 6 Monaten in der randomisierten APG101-Studie bei 18
Fraktionen von 2 Gy [25].
Es besteht Bedarf an einer Definition für einen Standard für die Wiederbestrahlung,
an der Entwicklung von Biomarkern, die an Radioresistenz beteiligt sind, sowie an
Studienkonzepten, die kontrollierte Informationen darüber liefern, ob eine Re-Bestrahlung
überhaupt ein vernünftiger Ansatz ist oder nicht.
Aktuell wurde mit der Phosphorylierung von PTEN am Tyrosin 240 (pY240-PTEN) ein erster
relevanter Biomarker für eine mögliche Radioresistenz experimentell postuliert [26].
Therapie
Die Erwägungen zur Effektivität einer Re-Bestrahlung gelten vor allem für die herkömmliche
Photonentherapie; die Relevanz unterschiedlicher Strahlungsqualitäten wie C12-Ionen
oder Protonen ist ebenfalls offen (s. Fallbeispiel, bei dem eine Protonenbestrahlung
zu einer bildgebend schwierig zu bewertenden, aber asymptomatischen Strahlennekrose
geführt hat).
Medikamentöse Therapie
Die meisten Studien zur Progressionstherapie mit systemisch wirksamen Medikamenten
sind von begrenzter Größe und daher durch die Heterogenität der Krankheit beeinflusst,
nicht vergleichend oder ohne einen Kontrollarm, dem das experimentelle Medikament
fehlt.
Zusätzlich zur erneuten Exposition mit Temozolomid bei Standarddosis erhalten die
meisten Patienten einen der Nitrosoharnstoffe, d. h. Carmustin [BCNU], Lomustin [CCNU]
oder Fotemustin. Sie alkylieren an den N7- und O6-Positionen von Guanin und führen
Quervernetzungen zwischen den DNA-Strängen ein; zudem wirken sie durch Carbamoylierung
von Aminosäuren, die Transkriptions-, Translations- und Posttranskriptionsprozesse
stören. Hierbei handelt es sich um DNA-Alkylierungs- und Methylierungsmedikamente,
welche die Blut-Hirn-Schranke überwinden und bei der Behandlung von Gliomen intensiv
eingesetzt wurden. Sie können eine beträchtliche hämatologische Toxizität mit langanhaltender
Knochenmarksuppression, Leber- und Nierentoxizität und -insbesondere Carmustin-interstitielle
Lungenerkrankungen verursachen. Die Wirksamkeit hängt sowohl in der AVAREG-Studie
[27] als auch in der EORTC-26101-Studie [28] vom MGMT-Status ab.
Eine erneute Exposition mit Temozolomid ist nur von Bedeutung, wenn bei Patienten
ein progredientes MGMT-hypermethyliertes Glioblastom diagnostiziert wird [29].
Die vorliegenden Daten lassen keine Empfehlung für die Verwendung dosisintensivierter
Temozolomid-Schemata zu.
Pragmatische Optionen
Sicherlich können viele Behandlungen bei Patienten mit progredientem Glioblastom nach
den o. g. Konzepten versucht werden.
Tipp
Zum jetzigen Zeitpunkt würden wir wann immer gemäß Funktionsstatus und allgemeiner
medizinischer Einschränkungen möglich als erste Option eine Studienteilnahme empfehlen.
Nachdem weitere Medikamente nicht zugelassen sind und freie Heilversuche limitierte
Optionen darstellen, empfehlen wir einen weiteren pragmatischen Ansatz, in dem das
Gewebe – der Primäroperation oder präferenziell nach der Progression – gewonnen wird
und mögliche molekular fundierte Behandlungsentscheidungen untersucht werden [30]. Für die Frage der Wertigkeit molekularer Untersuchungen aus dem Primärgewebe für
die Rezidivsituation existieren allerdings aktuell unterschiedliche Vorstellungen;
eine kürzlich erschienene Arbeit relativiert den molekularen Selektionsdruck in der
Progression von Gliomen [31].
Cave
Die elektrischen Therapiefelder sind keine Option im Progress, wenngleich sie manchmal
anders beworben wurden [32].
Therapieentwicklung
Aus unserer Sicht wird die nahe Zukunft dazu beitragen, den erstaunlichen Fortschritt
beim Verständnis des molekularen Hintergrunds von Glioblastomen in komplexere, aber
vielversprechendere Therapiekonzepte umzusetzen.
Antiangiogenese
Der antiangiogene Antikörper Bevacizumab, der den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor
(VEGF) neutralisiert, verlängert bei Neudiagnose oder im Rezidiv eines Glioblastoms
nicht das Gesamtüberleben, hat möglicherweise steroidsparende Effekte und verlängert
das progressionsfreie Überleben bei vermutlich erhaltener Lebensqualität [33], [34], [35]. Ob die Auswahl auf der Grundlage molekularer oder bildgebender Parameter erfolgen
kann, muss noch festgelegt werden.
MGMT-abhängige Therapie
Die Verwendung von Temozolomid kann entsprechend dem Methylierungsstatus des Methyl-Guanin-DNA-Methyltransferase-(MGMT-)Promotors überdacht werden; Patienten mit einem aktiven Promotor können, falls verfügbar,
hinsichtlich der Teilnahme an einer Studie oder einer weiteren molekularen Aufarbeitung
des Gewebes aufgeklärt werden, um Temozolomid möglicherweise zu ersetzen. Die Kombination
von Temozolomid mit CCNU verstärkt vermutlich in der Erstlinientherapie die Wirksamkeit
der Chemostrahlentherapie bei Glioblastompatienten mit methyliertem MGMT-Promoter
[36]. Daher kann Patienten mit einem inaktiven (hypermethylierten) MGMT-Promotor für
die Begleitbehandlung mit der Methylierungs- und Alkylierungsverbindung Lomustin zusätzlich
zu Temozolomid empfohlen werden.
Immuntherapie
Immuntherapeutische Ansätze können von Tumortypen und molekularen Signaturen abhängen.
Die Immuntherapie wird als eine gültige Option für Patienten mit Glioblastom angesehen,
obwohl die Daten zum Nachweis dieser Hypothese weitgehend auf Fallberichte beschränkt
sind und analog zu den Erfolgen bei anderen Malignomen formuliert wurden.
Unabhängig vom Ansatz (z. B. Checkpoint-Hemmung, gezielter Impfstoff, adoptiver T-Zelltransfer)
müssen die klonale Repräsentation des Zielantigens und die immunsuppressive Mikroumgebung
für die klinische Entwicklung berücksichtigt werden. Beispielsweise ist EGFRvIII ein
subklonales Antigen mit heterogener Expression im Tumorgewebe, das theoretisch einer
Immunevasion unterliegt. Trotz vielversprechender, wenngleich unkontrollierter Daten
aus einer kleinen monozentrischen Studie scheiterte eine Phase-III-Studie.
VXM01 kodiert für den vaskulären Endothel-Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (VEGFR2), um
eine Immunreaktion hervorzurufen, die spezifisch gegen die Tumorgefäße gerichtet ist.
Es befindet sich derzeit in der klinischen Entwicklung zur Behandlung solider Krebstypen.
Eine aktuell in Studien untersuchte orale DNA-Impfstoffplattform basiert auf dem zugelassenen,
abgeschwächten Salmonella-typhi-Impfstoffstamm Ty21a, der bei Millionen von Menschen
zur prophylaktischen Impfung gegen Typhus eingesetzt wurde. Die Plattform erlaubt
eine Integration gegen unterschiedliche Tumorantigene gerichteter Sequenzen.
IDH1R132H und H3.3K27 M als frühe Gründermutationen repräsentieren klonale Antigene,
jedoch müssen noch kontrollierte klinische Daten über ihre Relevanz generiert werden.
Das Glioma Actively Personalized Vaccine Consortium (GAPVAC) realisierte eine Immuntherapie, bei der die Auswahl aktiv personalisierter Peptidimpfstoffe
(APVAC) für die Behandlung von Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom nicht
nur auf der Sequenzierung des gesamten Exoms, sondern auch auf Präsentation der Antigene
und Immunogenität beruhte. Ligandomanalysen lieferten Informationen über die tatsächliche
Darstellung relevanter Epitope im Tumor. Durch Sequenzierung und Massenspektrometrie
identifizierte mutierte Peptide wurden nicht nur für die Peptidimpfung verwendet,
sondern dienen als Plattform für personalisierte Immuntherapien mit potenziell aggressiveren
zellbasierten Behandlungen [37].
Kontrollierte klinische Studien untersuchen die Wirksamkeit von Nivolumab bei Patienten
mit progredienten und neu diagnostizierten Glioblastomen. Während die Studien mit
neu diagnostizierten Patienten, die nach dem MGMT-Promotor-Methylierungsstatus aufgetrennt wurden, noch laufen, wurden Ergebnisse der
Studie mit progredientem Glioblastom, in denen Nivolumab und Bevacizumab verglichen
wurden, berichtet. 369 Patienten, deren Tumor nach einer Standardbehandlung progredient
war, wurden alle 2 Wochen (n = 184) mit 3 mg/kgKG Nivolumab oder alle 2 Wochen (n = 185)
mit 10 mg/kgKG Bevacizumab behandelt. Das progressionsfreie Überleben war im Bevacizumab-Arm
[HR = 1,97 (1,57, 2,48)] mit einem Median von 3,5 Monaten [2, 9, 4, 6] bzw. 1,5 Monaten
[1, 5, 1, 6] überlegen.
Es gab kein Signal für einen Unterschied im Gesamtüberleben bei dieser nicht selektionierten
Patientenpopulation (HR = 1,04 [0, 83, 1, 30], p = 076) mit einem Median von 10,0
Monaten (9,0, 11,8) für Bevacizumab und 9,8 Monaten (8,2, 11,8) Nivolumab [38].
Nivolumab oder Temozolomid in Kombination mit einer Strahlentherapie bei neu diagnostizierten
Patienten mit MGMT-unmethyliertem Glioblastom werden in CheckMate 498 behandelt. CheckMate 548 untersucht
Nivolumab oder Placebo in Kombination mit Strahlentherapie und Temozolomid bei Patienten
mit MGMT-methyliertem oder hinsichtlich MGMT nicht bestimmbarem Glioblastom.
Checkpoint-Inhibitoren bei Glioblastomen arbeiten möglicherweise nur mit einem spezifischen
immunogenen Hintergrund, der möglicherweise durch hohe genomische Mikrosatelliteninstabilität
(MSI-H) oder eine Mismatch-Repair-Defizienz (dMMR) definiert wird, oder bei einer
immunaktivierenden Behandlung, z. B. Impfung oder Strahlentherapie. Die prominentesten
sogenannten Checkpoints bei anderen Malignomen sind möglicherweise nicht die wichtigsten
beim Glioblastom; andere Faktoren wie das CD95-System oder Tryptophan-2,3-Dioxygenase
(TDO) oder andere können von größerer Bedeutung sein.
Neben der Beschränkung auf der Grundlage der molekularen Stratifizierung gibt es Konzepte,
die einen stärkeren Immuneffekt versprechen. Mehrere chimäre Antigenrezeptoren befinden
sich derzeit in der klinischen Entwicklung für Patienten mit Glioblastom. Die derzeit
verfügbaren Daten beziehen sich auf Interleukin-13-Rezeptor (IL13R)-α2, den epidermalen
Wachstumsfaktor-Rezeptor Variante III und HER2 als Zielmoleküle. Es gibt bereits Fälle
und Kleinserien, die die Durchführbarkeit und die überschaubare Toxizität belegen,
die translationalen Forschungen hinsichtlich der Wirksamkeit und der Resistenzmechanismen
laufen jedoch weiter.
Molekular zielgerichtete Therapie
Biomarker, die das Ansprechen vorhersagen und letztendlich von einer gegebenen Therapie
sowie einer effektiven Behandlung profitieren, sind die Eckpfeiler der präzisen Neuroonkologie.
Tipp
MGMT ist ein gutes Beispiel für einen prädiktiven Biomarker im Bereich der Gliome.
Es gibt jedoch keinen offiziell anerkannten (akkreditierten) Test. Es ist außerdem
möglich, dass die Vorhersage der Reaktion auf Temozolomid komplexer ist, als die Bestimmung
des MGMT-Methylierungsstatus nahelegt. Die Abgrenzung der korrekten Untergruppen kann nach
aktuellen Daten auch globale Methylierungsprofile und den TERT-Status umfassen.
Eine Strategie für die Behandlung neu diagnostizierter oder rezidivierender Glioblastome
sowie Beispiele für mutmaßliche prädiktive Biomarker ([Tab. 2]) lässt sich wie folgt skizzieren:
-
molekulare Analyse eines für die aktuelle Progression repräsentativen Gewebes; d. h.
ggf. neue Gewebeprobe/Operation für die Durchführung der Analytik;
-
Verwendung von Hochdurchsatzverfahren, möglicherweise standortabhängigen Genpanels
oder gezielter molekularer Tests oder Immunhistochemie.
Tab. 2 Beispiele für biomarkerassoziierte Therapien aus der N2M2-Studie.
vermuteter Biomarker
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Medikation
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Wirkmechanismus
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CDK = Cyclin-dependent Kinase; CDKN = Cyclin-dependent Kinase Inhibitor 2A; MDM = Mouse
Double Minute 2 Homolog; mTOR = Mechanistic Target of Rapamycin; SHH = Sonic Hedgehog
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Alk-Fusion/Punktmutation
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Alk-Inhibitor
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Alk-Kinase-Hemmung
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CDK4/6-Amplifikation, CDKN2A/B-Deletion, Rb-Wildtyp
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CDK4/6-Inhibitor
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CDK4/6-Hemmung
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mTOR Ser2448-Phosphorylierung
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mTOR-Inhibitor
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mTOR-Hemmung
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P53-Wildtyp und MDM2-Amplifikation
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MDM2-Inhibitor
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MDM2-Hemmung
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SHH-Amplifikation
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SHH-Inhibitor
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SHH-Hemmung
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Es existieren einzelne zielgerichtete Medikamente bzw. Wirkprinzipien) ([Tab. 2]) und interessante Beispiele für die Umwidmung von Medikamenten mit weniger intuitiven
Verbindungen für das Glioblastom-Feld (Repurposing). Diese Medikamente sollten in
einer ansonsten ausweglosen klinischen Situation und mit assoziierten Biomarkern getestet
werden. In einer Pilotuntersuchung, die als Modell für die in der aktuellen Übersicht
enthaltenen Beispiele dient, wurden sogar häufig Medikamentenkombinationen empfohlen,
womit dem Konzept gefolgt wird, dass das Blockieren mehrerer Signalwege mit einer
Kombinationstherapie möglicherweise wirksamer ist als die Einzelwirkstofftherapie,
insbesondere bei der Behandlung von rezidivierenden, progressiven Glioblastomen [39].
Eine gut definierte Zuordnung von Patienten mit neu diagnostiziertem und progredienten
Gliomen in klinische Studien, die auf molekularen Charakteristika des Tumors basieren,
sowie die notwendige retrospektive Validierung potenzieller Biomarker im klinischen
Umfeld erscheinen unerlässlich. Ein aktuelles Konzept, das prospektiv Biomarker zur
Anreicherung für potenziell vorteilhafte Patienten nutzt, ist das Neuro Master Match
(N2M2/NOA-20) des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) und der NOA. Es handelt
sich um eine Studie mit molekular abgestimmten zielgerichteten Therapien plus Strahlentherapie
bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom ohne Methylierung des MGMT-Promotors.
Das AGILE-Konsortium für ein adaptives, globales, innovatives Lernumfeld für Glioblastoma
(AGILE) plant einen differenziellen Ansatz, indem es potenzielle Biomarker aus einer
nicht ausgewählten Kohorte mit den gegebenen Therapien zuerst bewertet und diese Informationen
über adaptive Prozesse integriert, um die Anreicherung während der Studie zu steigern.
Schlussfolgerungen und Zukunftsvisionen
Schlussfolgerungen und Zukunftsvisionen
Die Heterogenität und eine auf verschiedenen Ebenen greifende primäre und erworbene
Resistenz gegenüber allen bekannten Therapieformen (zumindest bei Patienten mit Glioblastom)
lassen an der Effektivität aller bekannten Ansätze zweifeln. Ausnahmen könnten nach
heutigem Stand immuntherapeutische Konzepte gegenüber multiplen Antigenen und starker
Entzündungsreaktion sowie Angriffe gegen übergeordnete Prinzipien des Gliomwachstums
darstellen. Hier stellen die Tumornetzwerke besonders beachtenswerte Zielstrukturen
dar. Zum einen ist es möglich, dass andere als die bisher untersuchten Substanzklassen,
wie z. B. Modulatoren von Ionenkanälen oder Neurotransmittern, eine wichtige Funktion
haben, und zum anderen die Netzwerke als Vehikel für die Verbreitung relevanter Therapien
im Tumor genutzt werden können.
Ein letzter, auf den ersten Blick trivialer, aber mit Blick auf aktuell auch in Deutschland
laufende oder geplante Studien relevanter Punkt betrifft die Frage nach der prinzipiellen
Geeignetheit der jeweils untersuchten Medikamente und deren Dosierung mit Blick auf
die Blut-Tumor-Schranke und den interstitiellen Druck.
Kernaussagen
Bei Vorliegen des Verdachts einer Hirntumorerkrankung nach Durchführung der Bildgebung
der Wahl – MRT – ist prinzipiell eine histologische Sicherung anzustreben.
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Eine leitliniengerechte Diagnostik erfordert gemäß der aktuellen WHO-Klassifikation
auch die Bestimmung molekularer Marker.
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Patienten mit einem Hirntumor sollten vor einer diagnostischen oder therapeutischen
Maßnahme in einem interdisziplinär besetzten Tumorboard beraten werden. Dies gilt
auch für die Planung eines chirurgischen Eingriffs (außer in Notfallsituationen).
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Prinzipiell ist eine leitliniengerechte Therapie anzustreben. Hierbei unterscheiden
sich die nationalen und die europäischen Leitlinien nicht.
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Insbesondere Patienten mit prognostisch günstigen (gem. WHO-Grad oder molekular) Tumoren
profitieren von einer Ergänzung der Strahlentherapie durch eine Chemotherapie.
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Tumortherapiefelder verlängern in einer Studie bei Patienten mit neu diagnostiziertem
Glioblastom das Gesamtüberleben, stellen allerdings keinen Therapiestandard dar.
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In der Progression kommen in Abhängigkeit vom Gesamtzustand, einer Möglichkeit für
Re-Operation oder Re-Bestrahlung, Studienoptionen, Patientenwunsch und bisher eingesetzten
Therapien sehr individuelle und nicht mehr formal nach WHO-Grad differenzierte Schemata
zum Einsatz.
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Für keine der molekular zielgerichteten Therapien oder Immuntherapien liegen bisher
vergleichende Daten mit Signalen für Effektivität vor. Dennoch stellen molekulare
Untersuchungen, Immunintervention und die aktuell erforschten Gliomnetzwerke attraktive
Konzepte für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Gliomen dar.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Wolfgang Wick, Heidelberg.