Einleitung
Die qualitative Forschung kennt viele Methoden, um Erkenntnisse aus Daten zu ziehen,
wie z. B. die Grounded Theory [1], die Objektive Hermeneutik [2] und die Qualitative Inhaltsanalyse [3]
[4]
[5]. Die Qualitative Inhaltsanalyse (QIA; [6]) hat sich zu einer nicht nur im sozial- und erziehungswissenschaftlichen Bereich
[3]
[7], sondern auch in der Versorgungsforschung [8] etablierten Form der Datenauswertung entwickelt. Sie hat sich dabei für verschiedenste
Fragen der Rehabilitationsforschung (z. B. Exploration von Problemlagen als Indikation
für orthopädische Rehabilitation [9] oder der Bedeutung des Wunsch- und Wahlrechts für Reha-Antragssteller [10]) und Anwendungsbereiche (Auswertung von Gruppendiskussionen, Interviews, Patientenakten
und Fragebögen; vgl. [9]
[11]
[12]
[13]) als angemessen und praktikabel erwiesen. Der Grundgedanke der QIA ist die systematische
interpretative Analyse von Textmaterial verschiedenster Form (z. B. transkribierte
Interviews [9]
[11]
[13] oder Dokumente, wie z. B. Fragebögen [14] und Patientenakten [13]) durch die Bearbeitung des Materials mit einem aus der Theorie oder am Material
entwickelten Kategoriensystem [6].
Im deutschsprachigen Raum kommt die QIA nach dem von Mayring beschriebenen Verfahren
[3]
[15] sehr häufig zur Anwendung [4]. Sie gilt als ein effizientes Verfahren, umfangreiche Mengen qualitativen Textmaterials
zu analysieren [3]. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch noch eine große Anzahl anderer
qualitativ-inhaltsanalytischer Verfahren gibt, die sich durch teilweise recht unterschiedliche
Herangehensweisen auszeichnen [7].
Qualitative Inhaltsanalyse wird im Folgenden als eine Methode zur subjektiven Interpretation
von Textdaten durch die systematische Klassifikation mittels Kodierung und der Identifikation
von Themen oder Mustern verstanden [16]. Das Ziel hierbei ist es, Wissen und Verständnis über das untersuchte Phänomen zu
erzeugen [17]. Das Instrument aller qualitativ inhaltsanalytischen Verfahren, die das Ziel haben,
Kommunikationsinhalte zu systematisieren und regelgeleitet zu interpretieren, ist
hierbei das Kategoriensystem, wobei bei diesem Begriff noch erheblicher Klärungsbedarf
besteht ([7], siehe unten). Insgesamt kann man es aber wohl als System zur Strukturierung von
Textmaterial verstehen, das aus Haupt- und Unterkategorien besteht [18] und die im Forschungsprozess gebildeten Kategorien in Gänze abbildet [7].
Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der QIA
und führt in die QIA nach Mayring und ihr allgemeines Ablaufmodell [15] ein. Es folgen Überlegungen zu inhaltsanalytischen Kategoriensystemen, zur Kategorienbildung,
zur Präsentation der Ergebnisse und zu Gütekriterien.
Entstehung der qualitativen Inhaltsanalyse
Der Entstehungsursprung der QIA liegt in quantitativen Verfahren der Kommunikationswissenschaften
[19], hierbei galt die Beschränkung auf den manifesten Inhalt von Texten [3]. Die Verfahren waren in der Regel durch Systematik, Regelgeleitetheit, intersubjektive
Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gekennzeichnet. Kritisiert wurden diese Verfahren,
da die Auswertung auf Quantifizierung beschränkt war, es nicht immer einfach war Häufigkeiten
zur Beantwortung der Forschungsfragen richtig zu interpretieren, und latente Sinnstrukturen
nicht berücksichtigt werden konnten [15].
Die Vorteile der Beschreib- und Überprüfbarkeit wollte Mayring nun auch für die QIA,
die eine interpretative Textanalysetechnik darstellt, nutzbar machen [3]. In seinen Augen nimmt die QIA eine Stellung zwischen den quantitativen und qualitativen
Verfahren ein [15], während andere Protagonisten die QIA aufgrund ihres (wenn auch stark regelgeleiteten)
interpretativen und sinnrekonstruierenden Vorgehens zu den qualitativen Verfahren
zählen [4]
[20]. Mayrings 1983 erschienenes Buch ‚Qualitative Inhaltsanalyse‘ [15] stellt die erste explizit als Methodenlehrbuch gedachte Veröffentlichung zu dieser
Forschungsmethode dar [5]. Damit bildet es nach den Überlegungen Kracauers zur notwendigen Erweiterung der
Inhaltsanalyse um interpretative Elemente ([21] zitiert nach [5]) die Grundlage der Entwicklung der QIA im deutschsprachigen Raum. Schreier beschreibt
eine Vielzahl von Varianten der QIA, die sich mehr oder minder stark auf den von Mayring
entwickelten Ansatz beziehen oder Fortentwicklungen beschreiben [4].
Zwischen den einzelnen Beschreibungen inhaltsanalytischer Verfahren gibt es immer
wieder Überschneidungen, aber auch Unterschiede [4]. Es gibt nicht nur eine einzige Form der ‚Qualitativen Inhaltsanalyse‘. Verschiedene
Verfahren, oft mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen, tragen hier mitunter
den gleichen Namen. Während Mayring die QIA eher als reduktives (also materialreduzierendes)
Verfahren versteht [15], ist sie bei Krippendorff grundsätzlich explikativ (also materialerweiternd) [19]. Einige Autoren betonen die große Bedeutung der induktiven Entwicklung von Kategorien
am Material [5]
[18], während andere die QIA im Wesentlichen als theoriegeleitetes, deduktiv geprägtes
Verfahren verstehen [15]
[22]. Wieder andere halten grundsätzlich die Kombination beider Ansätze für angebracht
(deduktiv-induktives Vorgehen) [23]. Außerhalb des deutschsprachigen Raumes wurden die Ansätze von Mayring und deren
Fortentwicklungen wenig rezipiert. Unter dem Begriff der ‚Content Analysis‘ finden
sich im englischsprachigen Raum eher quantitative Verfahren. Das im englischen Sprachraum
weit verbreitete ‚thematic coding‘ [24] ist der QIA ähnlich [4], andere Autoren sprechen von der ‚conventional‘ (induktiven) und ‚directed‘ (deduktiven)
‚content analysis‘ [16].
Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
Nach Mayring [15] gibt es drei grundlegende Formen des inhaltsanalytischen Interpretierens: Zusammenfassung,
Explikation und Strukturierung (inhaltlich, formal, typisierend und skalierend). Die
QIA nach Mayring, die er selbst mittlerweile als ‚qualitativ orientierte kategoriengeleitete
Textanalyse‘ (S. 604, [3]) bezeichnen würde, soll hier nun als eine der möglichen Varianten der Qualitativen
Inhaltsanalyse [4] exemplarisch in Bezug auf ihre Varianten und das allgemeine Ablaufmodell ausführlicher
dargestellt werden.
Zusammenfassende, explikative und strukturierende Inhaltsanalyse nach Mayring
Bei der ‚Zusammenfassenden Inhaltsanalyse‘ [15] ist es das Ziel, das vorliegende Textmaterial durch einen abstrahierenden Arbeitsschritt
so zu reduzieren, dass das Ergebnis ein Abbild des Grundmaterials bleibt. Dabei orientiert
sich die Zusammenfassung immer an der vorab festgelegten Forschungsfragestellung und
dem festgelegten Abstraktionsniveau. Unwichtige und inhaltsgleiche Passagen werden
in diesem Prozess gestrichen, sodass die übrig bleibenden Aussagen schließlich das
endgültige Kategoriensystem bilden. Dieses wird dann am Ausgangsmaterial darauf geprüft,
ob es dieses adäquat repräsentiert. Die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse
eignet sich auch als Instrument der induktiven Kategorienbildung (siehe unten), z. B.
zur Bildung des Kategoriensystems für eine ‚Strukturierende Inhaltsanalyse‘.
Die ‚Explikative Inhaltsanalyse‘ [15] ist im Gegensatz zur ‚Zusammenfassenden Inhaltsanalyse‘ kein textreduzierendes Verfahren.
Hier wird zu den zu interpretierenden Textstellen weiteres Material gesucht, dass
die entsprechende Textstelle weiter erklärt und verständlich macht. Man spricht von
enger Explikation [15], wenn nur Textstellen aus demselben Text zugelassen sind, die in direkter Beziehung
zu der bearbeiteten Textstelle stehen. Hier muss geprüft werden, ob die zu explizierende
Textstelle in ähnlicher oder gleicher Form wiederholt auftaucht und ggf. auch dieser
Textkontext zur Explikation hinzugezogen werden muss. Im Fall einer weiten Kontextanalyse
[15] wird auch Material außerhalb des Textes zur Explikation des Sinns hinzugezogen,
z. B. Informationen über den Verfasser oder die Entstehungsbedingungen des Textes
sowie das theoretische Vorverständnis. Die weiteste Form der Explikation lässt das
Hinzuziehen des gesamten Vorwissens der Textinterpreten zu. Schlussendlich wird die
originale Textstelle durch die zusammengefasste Explikation ersetzt.
Nicht nur in der Versorgungsforschung ist die ‚Strukturierende Inhaltsanalyse‘ das
wichtigste inhaltsanalytische Verfahren [4]. Ihr Ziel ist es, eine bestimmte Struktur im Material klar erkennbar zu machen.
Das Kategoriensystem bildet die Struktur, die auf das zu interpretierende Material
angelegt wird. Die Strukturierungskategorien können entweder aus den Fragestellungen
und dem Vorwissen abgeleitet [15] oder mittels ‚Zusammenfassender Inhaltsanalyse‘ auch direkt am Material gebildet
werden [4]. Das Vorgehen ist dreischrittig: Es werden die Kategorien definiert, Ankerbeispiele
(konkrete typische Textstellen) festgelegt und Kodierregeln (eindeutige Zuordnungs-
und Abgrenzungsregeln) erstellt.
Bei der ‚Strukturierenden Inhaltsanalyse‘ wird zwischen formaler, inhaltlicher, typisierender
und skalierender Strukturierung unterschieden. Die formale Strukturierung zielt auf
die Hervorhebung von Strukturen im Material, die entweder syntaktisch, thematisch,
semantisch oder dialogisch sein können [15]. Die Grundlage einer meist vorrangig deduktiven Entwicklung des Kategoriensystems
können bspw. linguistische Theorien sein [4]. Denkbar sind z. B. Analysen von Sprach- oder Argumentationsstilen. Bei der inhaltlichen
Strukturierung (s. o.) werden die Inhalte eines Textes mittels deduktiv entwickelter
Haupt- und Unterkategorien bezeichnet. Das extrahierte Material wird dann nach den
Regeln der Zusammenfassung reduziert. Die typisierende Strukturierung zielt darauf
ab, besonders markante Inhalte („Typen“) aus dem Material zu ziehen. Zur Bestimmung
der besonders typischen Ausprägungen einer Typisierungsdimension sind als Kriterien
z. B. folgende denkbar: besonders häufige, besonders extreme oder Ausprägungen, die
in Bezug zur zugrunde liegenden Theorie besonders interessant sind [15]. Im Grunde genommen werden hier 2 Verfahren kombiniert [4], nämlich die Qualitative Inhaltsanalyse und das Verfahren der Typenbildung [25]. Bei der skalierenden Strukturierung ist es das Ziel, das Material in Bezug auf
eine Skala einzuschätzen. Dabei stehen die Unterkategorien in (meist) ordinalem Verhältnis
zueinander [15]. Diese Form der QIA wird von anderen Autoren auch evaluierende qualitative Inhaltsanalyse
genannt [4].
Ablaufmodell der Analyse
Mayring beschreibt ein allgemeines Ablaufmodell der QIA. Es zerlegt die Analyse in
einzelne regelgeleitete Interpretationsschritte, die für andere Forscherinnen und
Forscher nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar sein sollen [15]: 1) Zunächst muss das zu analysierende Material, also z. B. die Interviews oder
andere Dokumente, bestimmt werden. Soll das gesamte verfügbare Material oder nur eine
Auswahl davon analysiert werden? Wenn eine Auswahl getroffen werden soll, müssen Überlegungen
angestellt werden, nach welchen Kriterien das Material ausgewählt wird. Diese Kriterien
müssen sorgfältig abgewogen und dokumentiert werden. 2) Der nächste Schritt ist die
Analyse und Dokumentation der Entstehungssituation des Materials. Hierzu gehört z. B.
auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorannahmen, die in die Interviewführung,
aber auch später in die Materialinterpretation eingeflossen sein können. 3) In einem
weiteren Schritt gilt es auch, die formalen Charakteristika des Materials festzuhalten.
Hierunter fällt zum Beispiel die Kenntlichmachung verwendeter Transkriptionsregeln.
4) Bevor mit der Datenanalyse begonnen werden kann, muss nun die Richtung der Analyse
festgelegt werden. Die Frage ist hier, worauf sich der Interpretationsfokus richten
soll, z. B. eher auf kognitive oder emotionale Aspekte. 5) Die eigentliche Fragestellung,
deren Beantwortung das Ziel der Analyse darstellt, muss theoretisch begründet werden,
d. h. dass sie an bestehende Erfahrungen anknüpfen sollte, um einen Erkenntnisfortschritt
zu gewährleisten. 6) Angepasst an die jeweilige Fragestellung der Studie muss nun
die anzuwendende Analysetechnik, d. h. zusammenfassende, explikative oder strukturierende
Interpretation oder eine Kombination hieraus, bestimmt werden. Ebenso wird nun der
weitere konkrete Ablauf festgelegt. 7) Für jede Variante der Interpretation gilt,
dass die Analyseeinheiten (Kodiereinheit, Kontexteinheit, Auswertungseinheit) vorab
festgelegt werden sollten. Während die Kodiereinheit die kleinste auszuwertende Texteinheit
darstellt (z. B. ein Halbsatz), ist die Kontexteinheit der größte auszuwertende Textbestandteil
(z. B. ein oder mehrere Absätze). Die Auswertungseinheit legt die Reihenfolge der
auszuwertenden Textteile fest, Interviews werden z. B. in der Regel von Beginn zum
Ende hin ausgewertet. 8) Nun erfolgt die Analyse des Datenmaterials gemäß der gewählten
Interpretationsvariante, d. h. das Material wird kodiert. Beim induktiven Kategorienbilden
werden zunächst die Kategoriendefinitionen und das Abstraktionsniveau festgelegt und
dann Kategorien aus dem Material heraus gebildet. Deduktive Kategorien hingegen werden
aus der Theorie abgeleitet, in einem Kodierleitfaden festgeschrieben und dann auf
das Material angewendet. In beiden Fällen wird zunächst nur ein Teil des Materials
von einem oder mehreren Forschern bearbeitet. Deduktive und induktive Kategorienbildung
können miteinander kombiniert werden [15]. 9) Nach der Rücküberprüfung (und unter Umständen Ergänzung/Überarbeitung [3]) des Kategoriensystems am Material und der theoretischen Fragestellung wird nun
auch der Rest des Materials kategorisiert. 10) Schlussendlich erfolgt die Interpretation
der Analyseergebnisse in Hinblick auf die Haupt- und Unterfragestellungen der Studie
[15].
Mayring ([15], 12. Aufl., Seite 73–84) stellt das Vorgehen gemäß dem von ihm postulierten Ablaufmodell
in seinem Standardwerk an einem Beispiel aus der Arbeits- und Organisationspsychologie
dar. Ausführliche Darstellungen der praktischen Umsetzung der QIA nach Mayring aus
dem Kontext der Rehabilitationsforschung finden sich z. B. bei Brzoska und Kollegen
[26], die Interviews, Fokusgruppen und Dokumente (Webseiten) zum Thema ‚Migrationshintergrund
und Medizinische Rehabilitation‘ oder Stamer und Kollegen [14], die Interviews, Gruppendiskussionen und schriftliche Befragungen zum Thema ‚Merkmale
einer guten und erfolgreichen Reha-Einrichtung‘ mittels QIA analysiert haben.
Kategoriensystem und Kategorienbildung
Das Kategoriensystem ist das Herzstück jeder QIA. Es bildet die Grundlage zur Strukturierung
des Materials in Bezug auf die an das Material herangetragene Forschungsfrage [18]. In der Regel umfasst das Kategoriensystem die Gesamtheit der entwickelten Kategorien
[7] und besteht aus Hauptkategorien (manchmal auch Dimensionen genannt) und Unterkategorien.
Das Kategoriensystem sollte den in [Tab. 1] dargestellten Anforderungen genügen [18].
Tab. 1 Anforderungen an inhaltsanalytische Kategoriensysteme [18].
Anforderung
|
Beschreibung
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Unidimensionalität
|
Jede Hauptkategorie sollte nur einen Aspekt des Materials umfassen.
|
Gegenseitiger Ausschluss
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Die Unterkategorien sollten sich gegenseitig ausschließen, d. h. eine Textstelle sollte
in einer Hauptkategorie nur in eine der Unterkategorien fallen können.
|
Vollständigkeit
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Jede bedeutsame Textstelle soll in eine der vorhandenen Unterkategorien eingeordnet
werden. Dies kann auch durch eine ‚Reste‘-Kategorie gewährleistet werden.
|
Sättigung
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Jede Unterkategorie ist mit mindestens einer kodierten Stelle befüllt, d. h. keine
Unterkategorie bleibt leer. Dies sollte jedoch nicht mit dem Konzept der theoretischen
Sättigung [27] verwechselt werden.
|
Die Hauptkategorien stehen dabei im Fokus der Analyse, bilden also die gemäß der Forschungsfrage
interessierenden Aspekte ab. Unterkategorien dagegen bilden ab, was über die interessierenden
Aspekte gesagt wurde [18]. Die Frage, wie Kategorien gebildet werden können, wird in der Literatur zur QIA
oft wenig ausgiebig behandelt [7]
[22]. Unterschieden werden die deduktive theoriegeleitete und induktive materialgeleitete
Strategie [22]. In der Regel werden die Hauptkategorien deduktiv und die Unterkategorien deduktiv
bzw. induktiv gebildet [18].
Die ‚Strukturierende Inhaltsanalyse‘ kann als Beispiel einer potenziellen Anwendung
ausschließlich deduktiver, vorab festgelegter Kategorien dienen [15]. Deduktive Kategorien werden aus theoretischen Konzepten abgeleitet. Dies können
meta- oder objekttheoretische Konzepte, der aktuelle empirische Forschungsstand und
das Forschungsinteresse, die sich im Interviewleitfaden wiederfinden, sein [7]. Insgesamt wird ein rein deduktives Verfahren nur selten genutzt, da es wenig offen
ist und somit auch nur bedingt zur Entdeckung neuer Erkenntnisse beitragen kann. Oft
wird in der Versorgungsforschung jedoch eine Kombination aus deduktiven und induktiven
Kategorien genutzt, wobei die deduktiven Kategorien dann meist der Grobstrukturierung
des Kategoriensystems dienen [4]
[5].
Brzoska et al. ([26], S. 26) beschreiben in ihrer Untersuchung zur Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund
in Rehabilitationseinrichtungen für die Auswertung von Fokusgruppentranskripten die
Ableitung deduktiver Hauptkategorien aus den Fragen des Interviewleitfadens und einer
ersten Sichtung des Materials. Induktive Kategorien, die diese vor Beginn der eigentlichen
Analyse gebildeten Kategorien aus der Bearbeitung des Materials heraus ausdifferenzieren,
wurden während des Kodierprozess ergänzt. Die Hauptkategorien sind hier z. B. Sprache,
Kultur, Migrationssensibilität und Hürden und Hindernisse. Die Unterkategorien der
Hauptkategorie „Hürden und Hindernisse“ lauten z. B.: finanzielle Ressourcen, strukturelle
Probleme und Organisationsschwierigkeiten.
Nach Mayring [15] werden 2 Formen des induktiven Kodierens unterschieden. Deduktive Hauptkategorien
vorausgesetzt [7], stellt die Subsumtion, also die kleinschrittige Durchsicht des Materials auf neue
Aspekte [4], eine Form der deduktiv-induktiven Kategorienbildung dar. Die schrittweise Zusammenfassung
des Materials ist die zweite von Mayring vorgeschlagene Form der induktiven Kategorienbildung
[4]
[15]. Induktive Kategorienbildung wird vornehmlich dann angewandt wenn es gilt, Unterkategorien
für die strukturierende Inhaltsanalyse zu entwickeln, das zu studierende Phänomen
noch wenig untersucht wurde und die Analyse nicht auf vorgefassten Konzepten beruhen
kann oder soll [16].
Die Reproduzierbarkeit einer Analyse, also der Anwendung eines wie oben beschrieben
entwickelten Kategoriensystems (durch verschiedene Beurteilerinnen oder Beurteiler/Analysandinnen
oder Analysanden), lässt sich nach Mayring [15] über die Berechnung der Interkoderreliabilität abbilden. Andere Autoren sehen dies
kritischer [28]
[29]. Die Interkoderreliabilität ist nach Mayring jedoch ein zentrales und für die von
ihm entworfene Form der QIA spezifisches Gütekriterium [15]. Hinweise zur Berechnung von Maßen zur Abbildung von Beurteiler-Übereinstimmungen
bei kategorialen Daten geben Wirtz und Kutschmann [30].
Exkurs: Quantifizierung
Des Öfteren begegnet man in Verbindung mit der QIA nach Mayring auch quantitativen
Auswertungsschritten, wobei häufig die Bedeutsamkeit oder Stärke einer Kategorie mit
der Häufigkeit der in ihr zu findenden Paraphrasen gleichgesetzt wird [15]. Die Gleichsetzung von Häufigkeit und Wichtigkeit ist jedoch, gerade unter der Bedingung
eines nicht-randomisierten bzw. nicht-repräsentativen Samplings, kritisch zu betrachten
[31]. Aufgrund der völlig unterschiedlichen Entstehungsbedingungen von qualitativem und
quantitativem Material sollten Schlüsse von der Häufigkeit des Auftretens einer Aussage
(man denke z. B. an einen ‚Vielredner‘ in einer Fokusgruppe) auf ihre Bedeutsamkeit
für das untersuchte Thema oder etwa die Vorkommenshäufigkeit im untersuchten Feld
mit großer Vorsicht gezogen werden. Letztendlich bleibt es auch die Leistung des Forschenden,
die Bedeutsamkeit eines im Material identifizierten Phänomens oder Themas für die
zu untersuchende Forschungsfrage zu bestimmen und in Relation zu vorhandenem Wissen
zu setzen.
Computergestützte Datenanalyse
Seit mehreren Jahrzehnten wird zunehmend und heute fast ausschließlich Software zur
computergestützten Analyse qualitativer Daten genutzt. Diese Programme sind eine unschätzbare
Hilfe beim Daten- und Kategorienmanagement und dem Schreiben von Memos. Besonders
bei größeren Datenmengen sind sie unverzichtbar [5]. Neben f4analyse (http://www.audiotranskription.de/f4-analyse), MAXQDA (http://www.maxqda.de/)
und ATLAS.ti (http://www.atlasti.com/de/) ist vor allem das speziell für die Qualitative
Inhaltsanalyse nach Mayring entwickelte open access-Programm QCAmap (http://www.qcamap.org/)
zu erwähnen. Dieses orientiert sich an dem Ablaufmodell der von Mayring beschriebenen
QIA mit induktiver und deduktiver Kategorienbildung. Einige dieser Programme bieten
auch die Möglichkeit quantitativer Analysen, z. B. zur Auszählung von Kategorienhäufigkeiten
[22].
Präsentation der Ergebnisse
In vielen Werken zur QIA [5]
[15] fehlen Ausführungen zur geeigneten Darstellungsweise der mit dieser Methode gewonnenen
Ergebnisse. Ausnahmen bilden hier u. a. die Werke von Schreier [18] sowie Gläser und Laudel [23], die einige Hinweise zur Ergebnispräsentation liefern.
In der Regel ist es in Zeitschriftenbeiträgen und selbst in umfangreicheren Werken
wie Promotionsarbeiten nicht möglich, alles vorhandene Material darzustellen. Hier
müssen die Autorinnen und Autoren eine Auswahl treffen und Zitate präsentieren, um
ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen zu belegen. Tut er oder sie das nicht, ist
es oft schwierig ihre Schlussfolgerungen nachzuvollziehen und die Forschungsergebnisse
bleiben wenig plastisch. Auch wenn die Bedeutung der ausführliche Darstellung von
Textstellen in der Präsentation der Ergebnisse betont werden muss, so soll darauf
hingewiesen sein, dass Zitate eine inhaltliche Argumentation nur illustrieren, aber
nicht ersetzen können [23]. Selbstverständlich muss bei ausführlichen Zitierungen und auch bei anderen Formen
der Ergebnisdarstellung darauf geachtet werden, dass die befragte Person trotz eventuell
umfangreich gegebener Kontextinformationen anonym bleibt [23], dies stellt eine Herausforderung besonders bei fallbezogenen Darstellungen dar.
Schreier [18] gibt pragmatische Hinweise zur Darstellung der Ergebnisse einer QIA. Abhängig davon,
ob a) das Kategoriensystem oder b) der einzelne Fall den Fokus der Forschungsfrage
bildet, ist es sinnvoll a) eine Kategorie nach der anderen zu beschreiben und mit
Zitaten zu unterlegen oder b) die Fälle nach einer Überblicksdarstellung des Kategoriensystems
ausführlich zu beschreiben. Für die Darstellung des Kategoriensystems kann bei beiden
Varianten entweder die Darstellung im Fließtext oder einer Textmatrix genutzt werden,
wobei Textmatrizen sich besonders für sehr umfangreiches Material eignen [18].
Vertrauenswürdigkeit und spezifisch inhaltsanalytische Gütekriterien
Die QIA ist ein interpretatives Verfahren der Textanalyse. Wie bei allen interpretativen
Verfahren gilt es auch hier die Vertrauenswürdigkeit (‚trustworthiness‘) der Forschungsergebnisse
zu sichern [32]. Dies haben alle Formen der qualitativen Forschung gemeinsam. Mayring hat schon
von frühen Tagen an Gütekriterien, u. a. Nachvollziehbarkeit (Verfahrensdokumentation),
Regelgeleitetheit, Gegenstandsnähe, Triangulation mit anderen Forschungsmethoden,
die argumentative Interpretationsabsicherung und die kommunikative Validierung, vorgeschlagen
und diskutiert [6]
[15].
Als Aspekte der Vertrauenswürdigkeit sollen Glaubwürdigkeit (‚credibility‘), Verlässlichkeit
(‚dependability‘) und Übertragbarkeit (‚transferability‘) [32] angesprochen werden. Bezüglich der Glaubwürdigkeit stellt sich z. B. die Frage,
ob die richtigen und ausreichend viele Personen mit der richtigen Methode befragt
wurden. Weitere Überlegungen beziehen sich auf die Festlegungen einer angemessenen
Kodiereinheit, die umfassende Abbildung der Daten im Kategoriensystem und die intersubjektive
Nachvollziehbarkeit von Interpretationen durch andere Forscher oder auch die Befragten.
Die Verlässlichkeit bezieht sich auf die Veränderlichkeit der Datenerhebungs- und
Auswertungsprozesse. Mit zunehmendem Wissen oder Erfahrung können sich diese Prozesse
im Laufe eines Forschungsprojekts verändern. Dies sollte kritisch im Forschungsteam
diskutiert und transparent dokumentiert werden. Unter der Übertragbarkeit versteht
man nun die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse auf andere Personengruppen als
die Befragten. Hier dient eine ausführliche Beschreibung des gesamten Forschungsprozesses
inklusive des Kontexts, der Befragten- und Forschendencharakteristika, der Leitfäden
und des genutzten Auswertungsverfahrens dem Rezipienten bei der Beurteilung der Übertragbarkeit
der Ergebnisse auf andere Kontexte oder Personengruppen [32].
Mayring [6] legt viel Wert auf die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses durch ausführliche
Verfahrensdokumentation. Hierbei geht es vor allem um die Explizitmachung des eigenen
Vorverständnisses, die Darstellung des Analyseinstrumentariums (Kategoriensystem),
der Durchführung der Datenerhebung und des genauen Ablaufs der Datenerhebung. Zur
Orientierung, welche Angaben essentiell von Bedeutung sind, sei auf existierende Reporting-Checklisten
(z. B. [33]) verwiesen. Die notwendige Offenheit [34] des qualitativen Forschungsprozesses darf nicht zu einem unsystematischen Vorgehen
führen. Verfahrensregeln müssen festgelegt und stringent eingehalten werden. Das Ablaufmodell
der QIA nach Mayring bildet hierfür eine gute Grundlage [15]. Das Gelingen der Herstellung der Nähe zum Gegenstand, also die möglichst unverfälschte
Datenerhebung und Anknüpfung an die Lebenswelt der Forschungspartner und -partnerinnen,
muss kritisch geprüft werden [6]. Hier gilt es auch den eigenen Einfluss im Forschungsfeld wahrzunehmen und zu reflektieren.
Mayring spricht sich auch für die Triangulation verschiedener Forschungsmethoden,
sei es verschiedener qualitativer oder qualitativer und quantitativer Ansätze aus
[6]
[13]. Zum einen können so die Ergebnisse untereinander verglichen und aneinander geprüft
werden [6], zum anderen können die Forschungsergebnisse so zu einer Gesamtevidenz zusammengefügt
werden [13]. Die argumentative Interpretationsabsicherung (die Begründung und Überprüfung von
Interpretationen und die Suche nach Alternativinterpretationen) [6] sowie die kommunikative Validierung (Rücküberprüfung der Interpretationen und Schlüsse
des Forschers und der Forscherin durch die Befragten) stellen weitere Verfahren zur
Qualitätssicherung dar und können wichtige Argumente für die Bedeutung und Belastbarkeit
der Forschungsergebnisse liefern [15].
Im Bereich der Rehabilitationsforschung ist die QIA nach Mayring [15] ist ein gut geeignetes und häufig benutztes Verfahren zur systematischen Beschreibung
der Bedeutung und Inhalte qualitativen Datenmaterials [8]
[18]. Es ist für viele verschiedene Fragestellungen und Textarten geeignet [7]. Die Kombination definierter Arbeitsschritte mit vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten
ist ein typisches Merkmal der QIA. Während die festgelegten Schritte ein systematisches,
regelgeleitetes Vorgehen gewährleisten, sichern die Realisierungsmöglichkeiten die
Offenheit [34] und Gegenstandsangemessenheit des Verfahrens [4]
[35]. Software kann die QIA unterstützen [22]. Mayring [6]
[15] schlägt qualitätssichernde Verfahrensweisen für die QIA vor (z. B. Berechnung der
Interkoderreliabilität [19]
[30] und Beachtung verschiedener Gütekriterien).