Am 24. August 2018 fand in Fulda das erste Gießener-Fuldaer AOTrauma-Symposium unter
der Leitung von Prof. Dr. Martin Hessmann und Prof. Dr. Christian Heiß statt. Die
wissenschaftliche Veranstaltung befasste sich schwerpunktmäßig mit Kontroversen in
der Frakturbehandlung an der unteren Extremität. Insgesamt gliederte sich das mit
57 Teilnehmenden und 17 Referenten sehr gut besuchte Symposium in 4 Themenblöcke rund
um das proximale und distale Femur sowie rund um die proximale Tibia und den distalen
Unterschenkel mit Fuß.
Abb. 1 Die Leiter Martin Hessmann und Christian Heiß.(Quelle: AO Foundation)
Am proximalen Femur wurden die verschiedenen operativen Therapieoptionen einander
gegenübergestellt. Kritisch beleuchtet wurden die Vorteile und Grenzen der gelenkerhaltenden
Osteosynthese bei der medialen Schenkelhalsfraktur. Einig waren sich die Experten,
dass winkelstabile Implantate mechanische und funktionelle Vorteile aufweisen. In
Bezug auf die endoprothetische Versorgung wurden die Vor- und Nachteile der Hemi-
und Totalendoprothetik kontrovers diskutiert. Beide Verfahren sind etabliert. Eine
eindeutige Überlegenheit einer der beiden Prothesenvarianten ist bis heute nicht eindeutig
bewiesen. Bei der Wahl des Implantates sind Patientenfaktoren und Lebenserwartung
ausschlaggebend. Die Rolle der zementfreien Prothese, insbesondere in der Kurzschaftvariante,
wurde weiterhin kritisch gesehen und sollte einem ausgewählten Krankengut vorbehalten
bleiben.
Abb. 2 Die Referenten des Seminars. (Quelle: AO Foundation)
Bei der per- und intertrochantären Fraktur haben sowohl die intra- als auch die extramedulläre
Osteosynthese ihre Berechtigung. Die DHS-Osteosynthese mit oder ohne Trochanterabstützplatte
stellt insbesondere bei den stabilen A1- und A2-Frakturen nach wie vor eine gute und
kostengünstige Behandlungsalternative zur Nagelung dar. Im per- und subtrochantären
Bereich sind die Qualität der Reposition und die Implantatlage für das Ergebnis entscheidend.
Die gedeckt-offene Reposition ist daher bei geschlossen nicht anatomisch reponierbaren
Frakturen Methode der Wahl. Sparsam als Repositions- und Fixationshilfe eingesetzte
Cerclagedrähte haben bei grob dislozierten Frakturen ihre Berechtigung.
Abb. 3 Hörsaal. (Quelle: AO Foundation)
Bei den periprothetischen Frakturen ist die Therapiewahl, Osteosynthese oder Prothesenwechsel,
nicht nur von der Frakturmorphologie und -lokalisation abhängig, sondern auch von
der Anamnese (vorbestehende Schmerzen) und vom einliegenden Prothesentyp. Analyse
der Röntgenvoraufnahmen sowie die ergänzende CT-Diagnostik wurden einhellig als wichtige
Entscheidungshilfen bei der Therapiewahl gesehen.
Abb. 4 Ingo Marzi und Wolfgang Böcker diskutieren mit Auditorium. (Quelle: AO Foundation)
Am distalen Femur kommen sowohl die winkelstabile Platte als auch der retrograde Nagel
zum Einsatz. Da viele distale Femurfrakturen heute bei osteoporotischen Knochenverhältnissen
auftreten, haben auch kombinierte Verfahren aus Stabilitätsgründen ihre Berechtigung.
Kombinationsosteosynthesen werden daher zunehmend häufiger eingesetzt.
Bei den Tibiakopffrakturen sowie bei den metaphysären proximalen Tibiafrakturen sind
die Frakturmorphologie und die Knochenqualität für die chirurgische Strategie ausschlaggebend.
Zunehmend werden Doppelplattenosteosynthesen in unterschiedlichen Konfigurationen
vorgenommen. Mediale, laterale und dorsale Zugänge sollten daher heute zum Standardrepertoire
des Chirurgen gehören. Moderne Marknägel mit stabilen 3-D-Verriegelungsmöglichkeiten
sind heute bei den extraartikulären Frakturen eine Alternative zur winkelstabilen
eingeschobenen Platte. Neue, insbesondere suprapatellare Zugangswege erleichtern die
Reposition und Nagelinsertion und werden daher zunehmend verwendet, auch weil eindeutige
Nachteile des transartikulären Zugangs für das Kniegelenk bisher nicht nachgewiesen
werden konnten. Allerdings ist eine kritische Beobachtung möglicher Nachteile weiterhin
erforderlich.
Der letzte Teil des Symposiums befasste sich mit Verletzungen des Pilons und des Fußes.
Ähnlich wie an der proximalen Tibia sollte der Chirurg heute mit den unterschiedlichen
Zugängen zur distalen Tibia vertraut sein. Bei kritischen Weichteilverhältnissen stellt
die intramedulläre Osteosynthese bei den Frakturen mit einfacher Gelenkkomponente
eine gute Behandlungsalternative dar. Allerdings erfordert die Technik eine große
Erfahrung in der Marknagelung. Eine komplett neue, aber interessante Technik stellt
die retrograde Tibianagelung dar, auch wenn geeignete Implantate in Europa bisher
noch nicht verfügbar sind.
Am Fersenbein ist aufgrund einer ausgesprochenen Weichteilproblematik eine deutliche
Tendenz in Richtung einer minimalinvasiven Platten- oder Schraubenosteosynthese erkennbar.
In diesem Sinne stellt auch der Kalkaneusnagel bei ausgewählten Frakturen eine interessante
Behandlungsoption dar. Beide Methoden erfordern allerdings eine entsprechende Expertise.
Das 2. Seminar Gießen-Fulda findet am 15. Februar 2019 in Gießen statt.
Prof. Dr. Martin Hessmann, Fulda
Prof. Dr. Christian Heiß, Gießen