Zeitschrift für Phytotherapie 2018; 39(06): 249
DOI: 10.1055/a-0740-8113
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10 January 2019 (online)

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Prof. Dr. med. Jost Langhorst

In Deutschland kommen viele Kinder oft schon in sehr frühem Alter mit naturheilkundlichen und komplementärmedizinischen Methoden und speziell auch mit Phytotherapie in Berührung. Beispielsweise gaben Eltern, die mit ihren Kindern ein Pädiatriezentrum aufgesucht hatten, bei einer Befragung zu über 75 % an, dass sie ihren Nachwuchs schon einmal selbstständig mit komplementärmedizinischen Methoden behandelt hatten. Besonders pflanzliche Mittel wie Tees, pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel, Honig, Vitaminpräparate und homöopathische Mittel standen bei den Eltern hoch im Kurs. Nur in der Hälfte der Fälle wurde die behandelnde medizinische Fachkraft hierüber in Kenntnis gesetzt. Auch beim medizinischen Personal gibt es oftmals Wissenslücken hinsichtlich der Behandlung pädiatrischer Patienten mit phytotherapeutischen und komplementären Therapiemethoden. In Deutschland gibt es keine standardisierte Ausbildung für Pädiater in diesem Schwerpunkt. Dementsprechend gibt es auch – trotz der hohen Nachfrage seitens der Eltern – so gut wie keine institutionalisierte Versorgung mit Phytotherapie in der Pädiatrie. Dies hat verschiedene Gründe: Auch wenn innerhalb der letzten Jahre gerade aus Deutschland einige systematische Übersichtsarbeiten hinsichtlich Phytotherapie bei Kindern erschienen sind, gibt es insgesamt nur wenige hochwertige klinische Studien zur Anwendung von Phytotherapie bei Kindern. Dementsprechend erfolgt die Anwendung in der Regel im off-label use, weswegen Informationen zu Dosierung und Kontraindikationen zumeist nur aus dem Erfahrungsschatz der wenigen Experten abgeleitet werden können. Außerdem ist die Transparenz, welche Präparate überhaupt für Kinder und Jugendliche zugelassen sind, häufig nicht gegeben, kindgerechte Verabreichungsformen liegen oft nicht vor und die Abrechnungsmodalitäten sind schwierig. Es besteht somit dringender Handlungsbedarf. Zwar betrifft dies nicht allein die Phytotherapie – die European Medicines Agency (EMA) und die European Commission haben aufgrund des großen Bedarfs einer Weiterentwicklung der Pädiatrie einen generellen Handlungsplan zur Förderung der Pädiatrie veröffentlicht. Allerdings wird die Phytotherapie hier recht stiefmütterlich behandelt.

Im Jahr 2015 kam in die pädiatrische Phytotherapie Bewegung: In zwei Kinderkliniken in Deutschland wurde ein Projekt zur Institutionalisierung der phytotherapeutischen Versorgung initiiert. Dennis Anheyer und Kollegen berichten in dieser Ausgabe von den Erfolgen und Schwierigkeiten der Implementierung von Phytotherapie im Rahmen des Versorgungskonzepts zweier Kinder- und Jugendmedizinischer Akutstationen. Weiterhin wird in der aktuellen Ausgabe vom Stellenwert der Phytotherapie innerhalb der Leitlinienaktualisierung der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf / Schlafstörungen“ berichtet: Qualitativ hochwertige Studien liegen nicht in ausreichender Anzahl vor, weswegen die Phytotherapie lediglich auf Grundlage von Empfehlungen der EMA Erwähnung findet. Auch hier ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten.

Im Hinblick auf die wissenschaftliche Akzeptanz und die Anerkennung der Seriosität der Leitlinienarbeit ist im November 2018 berufspolitisch ein weiterer wichtiger Schritt im Bereich Naturheilkunde erfolgt: Die Deutsche Gesellschaft für Naturheilkunde (DGNHK) wurde in die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgenommen. Die Allianz für eine evidenzbasierte und hochqualitative phytotherapeutisch-naturheilkundliche Arbeit in Deutschland wurde damit nachhaltig gestärkt.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Jost Langhorst