Schlüsselwörter
Asthma - Neuraltherapie - Regulationstherapie - Störfeld
Key words
Asthma - neural therapy - regulation therapy - interference field
Abb. 1 Aufzweigung des N. maxillaris (= 2. Ast des N. trigeminus). (© Wesker/Thieme; Quelle: Schünke M et al. Prometheus. Stuttgart: Thieme; 2009)
Die Neuraltherapie gehört zu den Regulations- und Umstimmungstherapien. Regulationstherapien haben zum Ziel, Fehlfunktionen des Organismus durch Ausschaltung von
Fehlinformationen und Anregung von Regulationsprozessen zu normalisieren. Dazu werden Lokalanästhetika, bevorzugt Procain, eingesetzt. Jede Abwehr löst lokal oder
systemisch eine Entzündung aus, die wiederum das sympathische System induziert. Lokalanästhetika hemmen die Expression von Entzündungsmediatoren und sind in der
Lage, die Dysbalance von Sympathikus und Parasympathikus auszugleichen.
Gezielte Injektionen in erkrankte oder schmerzhafte Bereiche des Körpers und an sog. Störfelder (neuromodulative Trigger) verbessern die Durchblutung und führen so
zur Ausschaltung des Schmerzes und zur Beseitigung von Störfeldern. Damit kommt es zur Ausschaltung ihrer auf dem Nervenweg oder die Funktionskette der Wirbelsäule
übermittelten, krankmachenden Wirkungen auf entfernte Körperorgane oder Organsysteme.
Der Einsatz der Lokalanästhetika erfolgt unter Berücksichtigung der von dem britischen Neurologen Henry Head veröffentlichen These, wonach ein über den Spinalnerv
vermittelter nervlicher Zusammenhang mit bestimmten Körperpartien besteht, die über die Haut beeinflussbar sind (kutiviszeraler Reflex). Die mit dem Wirkort in
Verbindung stehenden Hautareale werden als Reflexzonen oder Head‘sche Zonen bezeichnet.
Die Lunge spielt embryologisch und psychologisch eine besondere Rolle. Die Atemnot wird als lebensbedrohlich empfunden und psychisch besonders verarbeitet. Die
Atemmuskeln sind quergestreifte Muskeln und unterliegen unserer Willkür. Wir können bewusst tief und schnell atmen, aber sie unterliegen auch der unwillkürlichen
Steuerung. Ewig bewusst den Atem anhalten gelingt uns allen nicht. Das Vegetativum hat also seine bestimmende Hand im Spiel.
Embryologisch entstand die Lunge als Ausstülpung aus dem Darm, also des Endoderms. Aber auch die Nasennebenhöhlen sind solche Ausstülpungen. Dieser Zusammenhang
schlägt sich als „Sinubronchiales Syndrom“ oder gar als „Sinukolitis“ in der Klinik nieder. Eine chronische Sinusitis lässt sich sehr schwierig völlig ausheilen.
Darum muss beim Asthma immer wieder das gesamte Atemsystem in die Therapie einbezogen werden.
Strategien der Neuraltherapie am Beispiel Asthma
Am Beispiel Asthma, kann die Relevanz solcher Therapiestrategien nachvollzogen werden. Asthma ist eine obstruktive Ventilationsstörung mit Spasmus der Bronchien und
Bronchiolen sowie pathologischer Schleimproduktion. Es bestehen ein erhöhter Tonus des Parasympathikus mit Bronchokonstriktion und ein erhöhter Tonus der
Einatemmuskeln mit erhöhtem Sympathikotonus.
In der täglichen Praxis hat sich ein dreistufiges Vorgehen bewährt.
Behandlung im Segment
Quaddelungen in den Dermatomen von C4 bis Th 10, den Lungensegmenten ([
Abb. 2
]).
Abb. 2 Lungensegment: Quaddelungen und Injektionen. (© Wander)
Das Segment C4 hat eine Verbindung zum Nervus phrenicus und zur Tonsille und dem Ohr. Die Injektion an die Tonsillenpole oder in die Tonsillennarben ist absolute
Pflicht. Dadurch werden Reizerhöhungen mit einer Inspirationsstellung des Zwerchfells reduziert, die Atemkapazität kann steigen. Natürlich sollten Narben in
diesen Segmenten immer mit behandelt werden.
Facetteninfiltration bei Th 3/4 und Th7/8, sog. indirekter Grenzstrang nach Mink ([
Abb. 3
])
Abb. 3 Facetteninfiltration indirekter Grenzstrang nach MINK. (© Wander)
Das Segment Th3/4 ist das funktionelle Übergangssegment von der HWS zur BWS. Es hat eine besondere Bedeutung für die Steuerung der intercostalen Atemmuskeln (in
der Akupunktur Zustimmungspunkt der Lunge Bl.13). Bei seiner Reizsenkung kann es wieder zur verbesserten Atemkapazität kommen. Das Segment Th 7/8 entspricht dem
thorakalen Ansatz des Zwerchfells, seine segmentale Beeinflussung lässt auch die anhaltende Inspirationsstellung des Asthmatikers geringer werden (in der
Akupunktur Meisterpunkt des Zwerchfells Bl.17).
Die sympathischen Fasern begleiten vom Grenzstrang ausgehend die Trigeminusäste, die Spinalnerven und die Blutgefäße. Die Thoraxorgane von Th2 bis Th7
projizieren ihre Erregungsimpulse in die perivasalen Geflechte der A. subclavia und somit in die A. radialis und A. ulnaris. Nach Wancura sind somit die
Nadelungen oder Umflutungen der A. radialis und der A. ulnaris an den Pulstaststellen hilfreich, die Eutonisierung der Thoraxorgane zu verbessern. Injektionen
an die Akupunkturpunkte Lu 9 und Lu 7 sowie He 7 und He 5 sind ins therapeutisch Programm zu integrieren.
Zum Atemtrakt gehören auch die Nasennebenhöhlen. Deren neuraltherapeutische Behandlung könnte man zum Segment, zum erweiterten Segment rechnen, aber ebenso als
Störfeld interpretieren. Wir alle kennen die Sinubronchitis oder gar Sinukolitis – noch ausgeprägt bei Kleinkindern.
Die einfachen Injektionen an die Stirnhöhle, die Siebbeinzellen und an die Kieferhöhle sollten in erster Sitzung mit erfolgen. Die Adenotomienarbe nach
Polypentfernung hat Beziehung zur Keilbeinhöhle und damit zur Hypophyse und sollte nicht vergessen werden.
Behandlung im erweiterten Segment
Den Injektionen an die Stirnhöhle und Kieferhöhle sind die segmentüberschreitenden Reize der Zähne, von Tonsille und Ohr sowie die dazu gekoppelten Ggl.
pterygopalatinum und oticum zuzuordnen. Diese Ganglien sind beides parasympathische Ganglien und das Asthma ist ein parasympathischer Reizzustand. Durch
diese Reizreduktion ist der beste Einfluss auf die Bronchokonstriktion zu nehmen.
Die Injektionen an das Ggl. stellatum oder Ggl. cervikale superius sind für die Durchblutung der Lunge und der Atemmuskeln zuständig. Diese sind in der
Kombination mit den bereits genannten Injektionen die wichtigsten Voraussetzungen für eine Ausheilung bzw. Linderung des Asthmas.
Die Injektion an den N. accessorius wirkt entspannend für die auxiliäre Atemmuskulatur des M. trapezius und M. sternocleoidomastoideus. Der Nerv hat aber
noch Rami pharyngici, laryngici und Rami cardiaci, hilft also auch die Reizung dieser Schleimhäute zu reduzieren und die Belastung auf das Herz zu verringern.
Der N. laryngeus superior ist ein Abkömmling des Vagus, seine Reizunterbrechung lindert den trockenen Hustenreiz und wirkt parasymapthikolytisch.
Haben sich Atem- und Atemhilfsmuskeln mit Ausbildung von Triggerpunkten verselbstständigt, sind natürlich diese zu infiltrieren und nachfolgend mit
postisometrischer Relaxation zu dehnen.
Klinghardt berichtet über eine antiasthmatisch wirksame Injektion an den M. infraspinatus ([
Abb. 4
]). Dabei soll
der Übergang der Muskelfasern in die Rotatorenmanschette der Schulter infiltriert werden.
Abb. 4 Injektion an den Asthma-Punkt nach Klinghardt. (© Wander)
In der älteren Literatur wird eine retrosternale Injektion ([
Abb. 5
]) mit Absenken des Medikaments hinter das
Brustbein empfohlen. Denkbar wären eine Broncholyse sowie eine Wirkung auf den Thymus.
Abb. 5 Retrosternale Injektion. (© Wander)
Die segmentale intercostale parasternale Injektion ([
Abb. 6
]) der 2. bis 7. Rippe wäre bei therapieresistentem
Emphysemthorax noch zu versuchen. Die Inspirationsstellung des Asthmatikers ist damit noch beeinflussbar. Mit einer Quaddelung entspricht sie etwa der
„Pyramideninjektion“ zur Verbesserung der Immunitätslage.
Abb. 6 Parasternale Injektion „Pyramide“. (© Wander)
Behandlung über das Störfeld
Alle Stellen des Körpers kommen als Störfeld infrage. Die größte Bedeutung haben folgende Störfelder:
-
Nasennebenhöhlen
-
Tonsillen
-
Zähne
Ebenso kann eine kraniomandibuläre Dysfunktion die Reizschwelle überfordern und zu einer Dekompensation führen. Die sakralen Ursprungskerne des Parasympathikus
versorgen über den N. pudendus die Unterleibsorgane. Ein Reiz dieser Organe kann nach kranial transportiert und trigeminal-parasympathisch und
zervikal-sympathisch projiziert werden. Zur parasympathischen Reizschwellensenkung sind also die Injektionen in den Unterleib, suprapubisch nach Becke oder
nach Dosch oder transvaginal (Frankenhäuser Plexus) bzw. transperineal (Prostata) bei Asthma besonders von Bedeutung.
Fälle aus der Praxis
Patientin mit beginnender Atemnot 8 Wochen nach Entbindung
30-jährige Patientin, Z. n. 3. Geburt mit Beckenendlage, große Episiotomie mit Sekundärheilung. Acht Wochen nach der Entbindung leidet sie unter beginnender
Atemnot.
Therapien Injektionen an das Ggl. sphenopalatinum beidseits, Quaddeltherapie im Lungensegment. Drei Behandlungen im Abstand von 2 Wochen brachten
Linderung, aber keine Beschwerdefreiheit. Daraufhin Injektion an die Episiotomienarbe und an den Frankenhäuser Plexus. Diese Injektion führte zur
Beschwerdefreiheit.
Daraus ist zu schlussfolgern, dass sich der sakrale parasympathische Reizzustand nach cranial parasympathisch projiziert und als Bronchokonstriktion manifestiert
hatte.
Leistungssportler mit akutem Asthma
52-jähriger Patient, ehemaliger Tennis-Leistungssportler und Hobby-Radfahrer. Akutes Asthma seit einer Woche. Tags zuvor akuter Zahnschmerz 25-Devitalisierung
und Wurzelfüllung. Nach dieser Anamnese besteht der Verdacht, dass der Zahn 25 Primärauslöser oder auch „Zweitschlag“ des Asthmas sein könnte. Der Zahn 25 ist
nach Gleditsch Lunge/Dickdarm zugeordnet. Durch Reizung der Kieferhöhle links und des zweiten Trigeminusastes kann ein sinubronchiales Syndrom ausgelöst
werden.
Therapien Die Behandlungen wurden im Abstand von ein bis zwei Woche durchgeführt.
-
Injektion an den Zahn 25 von bukkal und palatinal, Injektion an die Kieferhöhlenvorderwand, Injektionen an die Tonsillenpole. Quaddeltherapie im
Lungensegment.
-
Injektion an den Zahn 25 von bukkal und palatinal, Injektion an die Kieferhöhlenvorderwand, an die Siebbeinzellen und die Stirnhöhle, Injektionen an das
Ggl. sphenopalatinum, Quaddeltherapie im Lungensegment.
-
Injektion an den Zahn 25 von bukkal und palatinal, Injektionen an die Tonsillenpole, die Kieferhöhlenvorderwand, Injektion an das Ggl. sphenopalatinum,
an das Ggl. stellatum, Quaddeltherapie im Lungensegment. Facetteninfiltration (indirekter Grenzstrang nach MINK Th3/4, Th 7/8
Das Behandlungsschema 3. wurde daraufhin noch drei Mal im Abstand von einer Woche wiederholt. Diese Therapien blieben alle ohne Erfolg.
Auch Schröpfen und die Baunscheidt-Behandlung blieben erfolglos. Deshalb wurden die naturheilkundlichen Behandlungen abgebrochen. Die empfohlene Zahnextraktion
lehnte der Patient ab. Der Patient wurde auf Cortison und Asthma-Sprays eingestellt. Das Allgemeinbefinden war weiterhin eingeschränkt. Sport war nicht
möglich.
Nach 2 Jahren stellte sich der Patient in Rennradbekleidung vor. Das Asthma war plötzlich weg – warum? Er bekam Schmerzen am gefüllten Zahn 25. Nach
Zahnextraktion war er im „Sekundenphänomen“ asthmafrei.
Fazit
Jeder segmentale Reiz bedeutet auch segmentaler Stress und induziert eine neurogene Entzündung. Nach den Mechanismen der Stressverarbeitung kann dies zeitabhängig
krankmachen. Das in der Neuraltherapie favorisierte Lokalanästhetikum Procain kann mit seinen Spaltprodukten im Gewebe eine echte antientzündliche Wirkung
und damit eine Antistresswirkung entfalten und ist damit allen anderen Lokalanästhetika überlegen.
Durch die neuraltherapeutische Behandlung werden das Gewebe und das System wieder in die Lage versetzt, auf segmentale Reize und segmentalen Stress adäquat zu
reagieren. Mittels einer Kombination bestimmter Homöopathika kann eine spezifische immunologische Wirkung auf Lunge und Bronchien erreicht und damit der Heileffekt
potenziert werden.
Die Relevanz der neuraltherapeutischen Injektionen wird durch genaue Kenntnis der anatomischen, neurologischen und physiologischen Zusammenhänge in der
Neuraltherapieausbildung der Deutschen Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie gelehrt (www.dgfan.de).