Die akute Leukämie ist die häufigste Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter. In
den vergangenen Jahrzehnten konnten die Gesamtüberlebensraten von Patienten mit akuter
lymphoblastischer Leukämie (ALL) auf über 80% erhöht werden. Die Prognose von Patienten
mit akuter myeloischer Leukämie (AML) ist schlechter. Primär refraktäre oder rezidivierende
ALL bleibt mit 40 – 60% Überlebensrate jedoch prognostisch unbefriedigend [1]. Risikofaktoren der ALL sind in den verschiedenen Protokollen klinische und genetische
Marker sowie Therapieansprechen (Prednisonresponse, MRD [minimal residual disease]).
Marker der Immuninteraktion sind für die Prognoseeinschätzung der pädiatrischen ALL
bislang nicht bekannt. Akute Leukämien gelten als niedrig immunogene Erkrankungen.
Sie sind als Bestandteil des Immunsystems häufig selbst nicht sichtbar für das Immunsystem.
Durch Antikörper oder Zellinfusionen kann die Hürde jedoch überwunden werden. Der
bispezifische T-Zell-Engager Blinatumomab (Anti-CD3/-CD19) ist ein synthetisches Molekül
aus variablen Antikörperfragmenten, welches jede T-Zelle des Körpers zu einer Reaktion
gegen Leukämiezellen zwingt (sofern diese CD19 auf der Oberfläche tragen). Mit dem
Start des IntReALL-Protokolls kommt seit 2015 bei Patienten mit rezidivierter ALL
vor allogener Stammzelltransplantation Blinatumomab zum Einsatz. CAR-T-Zellen sind
genetisch modifizierte T-Zellen, welche einen chimären Antigenrezeptor (CAR) auf der
Oberfläche tragen. Dieser besteht aus einer extrazellulären Domäne eines Antikörperbindungsfragmentes
und einer intrazellulären CD3zeta-Kette mit Co-Stimulation. Seit 2017 sind in den
USA CAR-T-Zellen gegen die ALL als Therapie zugelassen. Seit Sommer 2018 ist diese
Therapie auch in Deutschland zugelassen. Die pädiatrische AML ist bislang unzureichend
untersucht auf die Möglichkeiten der Immuntherapie.
Leukämie und Immunsystem
Maligne Zellen sind in der Lage, das Immunsystem aktiv über die Expression co-stimulatorischer
oder co-inhibitorischer Checkpointmoleküle zu modifizieren [2], [3]. Bei anderen Krebserkrankungen wie dem malignen Melanom konnte bereits gezeigt werden,
dass eine Überexpression inhibitorischer Checkpointmoleküle auf der Oberfläche der
Tumor- und der korrespondierenden Immunzellen mit einer schlechteren Prognose assoziiert
ist und eine Therapie mit den entsprechenden Checkpointinhibitoren eine vielversprechende
Alternative darstellt [4], [5]. Für die pädiatrische akute lymphatische Leukämie wurden bislang keine systematischen
Studien durchgeführt, um die Relevanz immunmodulatorischer Checkpointmoleküle für
Prognose und Therapie der Erkrankung zu beleuchten.
Immuntherapie der ALL
Neben der allogenen Stammzelltransplantation zeigen neue immuntherapeutische Ansätze
für die Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie wegweisende Erfolge. Allerdings
bleibt bislang ungeklärt, warum manche ALL-Patienten auf die T-Zelltherapien ansprechen
und wiederum andere resistent sind.
Der CD3-CD19-bispezifische T-Zell-Engager (BiTE) Blinatumomab erhielt im Dezember
2014 die FDA-Zulassung, nachdem er große Erfolge in Phase I/II-Studien bei der Behandlung
von rezidivierenden oder refraktären Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) und akuten lymphatischen
Leukämien aufweisen konnte [6].
Im Feld des adoptiven Zelltransfers zeigen gentechnisch veränderte T-Zellen mit chimärem
Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) eine signifikante Steigerung des Event-free-Survivals
bei Patienten nach Zweit- oder Drittlinientherapie. Gegen CD19 gerichtete Zweitgenerationen-CAR-T-Zellen,
die neben der antigenbindenden Domäne co-stimulatorische Abschnitte wie CD3zeta und
CD28 oder 4 – 1BB beinhalten, werden aktuell in über 15 US-amerikanischen Phase-I/II-Studien
evaluiert und zeigen bei primär refraktärer oder mehrfach (≥ 2) rezidivierter pädiatrischer
ALL ein Therapieansprechen von 70 bis 93% [7], [8]. Kürzlich erfolgte die Zulassung von zwei gegen CD19 gerichteten CAR-T-Zell-Präparaten
durch die FDA und die EMA.
Antikörper, welche inhibitorische Signale der Tumorzellen blockieren und damit eine
T-Zellantwort gegen Tumorzellen verstärken, nennt man Checkpointinhibitoren. Diese
wurden bislang im Wesentlichen bei soliden Tumoren eingesetzt. Eine Überexpression
der co-inhibitorischen Moleküle CTLA-4 und PD-1/-L1 im Tumor ist mit einer schlechten
Prognose assoziiert. CTLA-4 ist auf T-Zellen exprimiert und konkurriert mit CD28 um
die Bindung von CD80 und CD86. Bindet CTLA-4 an CD80/86, wird nicht ein stimulierendes,
sondern ein inhibierendes Signal an die T-Zelle vermittelt. PD-1 ist ebenfalls auf
T-Zellen exprimiert und löst bei Bindung an seine Liganden PD-L1 oder PD-L2 eine Inhibierung
der T-Zelle aus. Antikörper gegen PD-1 (Pembrolizumab, Nivolumab) und CTLA-4 (Ipilimumab)
zeigten in Phase I-/II-Studien vielversprechende Ansprechraten bei Patienten mit malignem
Melanom, Bronchialkarzinom u. a. [4], [5]. In der Zwischenzeit wurde eine Vielzahl weiterer Immuncheckpointmoleküle identifiziert
(unter ihnen TIM-3, Lag-3 und BTLA). Für einige von ihnen werden bereits Antikörper
für die klinische Anwendung entwickelt. In der Behandlung der akuten lymphatischen
Leukämie des Kindesalters ist die Gabe von anti-PD-1 bislang Einzelfällen vorbehalten
[9].
Zusammenfassend ist die Immuntherapie der ALL ein beispielloser Erfolg der aktuellen
Therapieentwicklung. Sowohl Antikörper als auch zelluläre Therapien wurden entwickelt.
Gemeinsam ist beiden, dass die Wirkung auf der Funktion von T-Zellen aufbaut. Die
pädiatrische AML wird erst noch präklinische Forschung zur erfolgreichen Nutzung dieses
Effektes benötigen. Der klinische Stellenwert der Immuntherapie in der Behandlung
kindlicher Leukämien wird sich in den nächsten Jahren in klinischen Studien beweisen
müssen, um die exakte Indikation und Patientenpopulation zu kennen, welche optimal
von diesen Therapien profitieren wird.