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Endometriumkarzinom - adjuvante Therapie - Chemotherapie - Strahlentherapie - Rezidiv
Die Datenlage zur adjuvanten Therapie des Endometriumkarzinoms (EC) ist widersprüchlich.
Im letzten Jahr wurden die Ergebnisse von 2 wichtigen Studien, GOG-258 und GOG-249,
auf den Kongressen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) und der American
Society for Radiation Oncology (ASTRO) präsentiert [1], [2]. Darüber hinaus wurden die Ergebnisse der PORTEC-3-Studie als Vollpublikation veröffentlicht
[3]. Die Kommission Uterus möchte daher mit dieser Stellungnahme die neuen Daten interpretieren
und vor dem Hintergrund der gerade publizierten S3-Leitlinie [4] diskutieren.
In der 2011 publizierten Postoperative Radiotherapy in Endometrial Cancer (PORTEC)-1-Studie
konnte von den niederländischen Kollegen gezeigt werden, dass durch eine perkutane
Beckenbestrahlung mit 46 Gray (Gy) nach Hysterektomie und beidseitiger Adnexexstirpation
bei Frauen mit unbekanntem Lymphknotenstatus und „intermediate“ oder „high-intermediate“
Risikokonstellation (Fédération Internationale des Gynécologues et Obstétriciens [FIGO]-Stadium
in heute gültiger Fassung IA mit < 50% myometraner Infiltrationstiefe, G2 oder G3
oder FIGO-Stadium IB mit > 50% myometraner Infiltrationstiefe, G1 oder G2) eines endometrioiden
EC die lokoregionäre Kontrolle signifikant verbessert wird (Vaginalrezidive: 11 vs.
2,5%). Die Rate an pelvinen Rezidiven, Fernrezidiven und das Gesamtüberleben wurden
durch die adjuvante Bestrahlung nicht verbessert [5].
In der PORTEC-2-Studie wurde untersucht, ob bei Patientinnen mit sogenannter „high-intermediate“
Risikokonstellation eines endometrioiden EC (FIGO-Stadium nach heute gültiger Fassung
IA [< 50% Myometriuminfiltration] > 60 Jahre oder G3 oder FIGO-Stadium IB [> 50% Myometriuminfiltration],
G1 oder G2 oder FIGO-Stadium II mit endozervikalem Drüsenbefall, G1 oder G2 und < 50%
Myometriuminfiltration) die alleinige vaginale Brachytherapie mit 3 × 7 Gy oder 30 Gy
eine vergleichbare lokoregionäre, insbesondere vaginale Tumorkontrolle erreichen kann
wie eine externe Beckenbestrahlung mit 46 Gy und 3-D-Bestrahlungsplanung. Die vaginalen,
lokoregionären und distanten Rezidivraten waren in beiden Studienarmen nicht signifikant
unterschiedlich. Ebenso waren das Gesamt- und das krankheitsfreie Überleben nicht
signifikant unterschiedlich bei jedoch deutlich günstigerem Nebenwirkungsprofil in
der Brachytherapiegruppe [6].
In der kürzlich publizierten PORTEC-3-Studie untersuchte eine internationale Studiengruppe
an 103 Zentren den Nutzen einer zusätzlichen Chemotherapie während und nach einer
perkutanen adjuvanten Strahlentherapie ([Tab. 1]) [3]. Untersucht wurden Frauen mit „high risk“ EC (endometrioides Adenokarzinom, FIGO
IB mit G3, IA mit G3 und Lymphgefäßeinbruch; endometrioides Adenokarzinom, FIGO II
oder III; seröses oder klarzelliges EC FIGO I – III). Die Patientinnen erhielten entweder
nur eine Teletherapie mit 48,6 Gy oder zusätzlich simultan 2 × Cisplatin (50 mg/m2) in der 1. und 4. Bestrahlungswoche sowie anschließend 4 Zyklen Carboplatin (AUC5)
und Paclitaxel (175 mg/m2). 660 Patientinnen wurden in die Endauswertung einbezogen. Die mittlere Nachbeobachtung
betrug 60,2 Monate. Knapp 60% der Patientinnen hatten eine Lymphonodektomie, ca. 45%
waren im FIGO-Stadium III, 27% hatten ein endometrioides EC des Gradings G3, 25% ein
seröses oder klarzelliges EC. Für die Studie wurden das Failure-Free Survival (FFS),
definiert als Rezidiv bzw. Tod durch EC oder Therapie, und das Gesamtüberleben als
primäre Kostudienendpunkte gewählt.
Tab. 1 Rezente Studien zur adjuvanten Radiochemotherapie bei Patientinnen mit Hochrisiko-Endometriumkarzinom.
Name
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Quelle
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n
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Einschlusskriterien
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Therapie
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Rezidivfreiheit
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Gesamtüberleben
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Bemerkung
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PORTEC-3
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De Boer 2018 Lancet Oncol
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686
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endometrioides Adenokarzinom: FIGO IB und G3 oder L1, FIGO II – III
seröses oder klarzelliges Adenokarzinom FIGO I – III
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48,6 Gy à 1,8 Gy
versus
48,6 Gy à 1,8 Gy und 2 × Cisplatin 50 mg/m2 gefolgt von 4 × Carboplatin AUC-5 + Paclitaxel 175 mg/m2
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Failure free Survival nach 5 Jahren: 68,6 vs. 75,5%; adjustiertes HR: 0,71 (95%-KI:
0,53 – 0,95), p = 0,022
|
nach 5 Jahren: 76,7 vs. 81,8%; adjustiertes HR: 0,76 (95%-KI: 0,54 – 1,06), p = 0,109,
bei unreifen Daten
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1. Unreife Daten für Berechnung des Gesamtüberlebens, da die Anzahl der benötigten
Ereignisse erst Ende 2018 erreicht werden soll.
2. Zu beachten ist, dass die Autoren adjustierte HR angeben mussten.
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GOG-249
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Randall # LBA-1 ASTRO 2017
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601
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FIGO I – II mit entweder „high-intermediate“ endometrioidem Adenokarzinom oder mit
einem serösen bzw. klarzelligen Adenokarzinom
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perkutane Beckenbestrahlung (44,0–54,0 Gy) versus
vaginale Brachytherapie gefolgt von 3 × Carboplatin AUC-6 + Paclitaxel 175 mg/m2
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nach 5 Jahren kumulative Inzidenz von Rezidiven und Metastasen: 18% in beiden Gruppen
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nach 3 Jahren: 91 vs. 88% (p = 0,57) bei unreifen Daten
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Perkutane Bestrahlung als Standard gewählt, auch wenn Daten der PORTEC-2 zeigen, dass
vaginale Brachytherapie äquieffektiv, aber besser verträglich ist.
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GOG-258
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Matei # 5505 ASCO 2017
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813
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endometrioides Adenokarzinom FIGO III/IV, Tumorrest kleiner 2 cm oder seröses bzw.
klarzelliges Adenokarzinom und FIGO I – II
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6 × Carboplatin + Paclitaxel 175 mg/m2
versus
perkutane Beckenbestrahlung mit 2 × Cisplatin 50 mg/m2 gefolgt von 4 × Carboplatin AUC-6 + Paclitaxel 175 mg/m2
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rezidivfreies Überleben nach 5 Jahren: HR: 0,9 (95%-KI: 0,74 – 1,1)
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nach 5 Jahren: 73 versus 70%, bei unreifen Daten
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Chemotherapiearm wurde bei Konzeption als Standard angesehen.
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Die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate betrug 81,8% (95%-Konfidenzintervall [KI] 77,5 – 86,2)
mit Radiochemotherapie vs. 76,7% (95%-KI 72,1 – 81,6) mit alleiniger Radiotherapie
(adjustierte Hazard Ratio [HR] 0,76; 95%-KI 0,54 – 1,06; p = 0,11). Das 5-Jahres-FFS
war in der Gruppe mit Radiochemotherapie signifikant besser als in der Gruppe mit
alleiniger Radiotherapie (75,5% [95%-KI 70,3 – 79,9] vs. 68,6% [95%-KI 63,1 – 73,4];
adjustiertes HR 0,71 [95%-KI 0,53 – 0,95]; p = 0,02). Ohne Adjustierung war der Unterschied
im FFS nicht signifikant (HR 0,76 [95%-KI 0,57 – 1,02]; p = 0,067). Die Effekte der
Radiochemotherapie waren am deutlichsten bei Patientinnen mit FIGO-Stadium III zu
sehen (Steigerung des 5-Jahres-Gesamtüberlebens von 69,8 auf 78,7%; adjustierter p-Wert
0,074; Verbesserung des 5-Jahres-FFS 69,3 vs. 58,0%, unadjustierter p-Wert 0,031).
In der kleinen Subgruppe von Patientinnen mit serösem Karzinom wurde kein statistisch
signifikanter Unterschied festgestellt (5-Jahres-FFS von 58% nach Radiochemotherapie
und von 48% nach Radiotherapie (HR 0,63 [95%-KI 0,36 – 1,12]; p = 0,11). Nebenwirkungen
≥ Grad 3 traten in 60% der Patientinnen mit Radiochemotherapie gegenüber nur 12% der
Patientinnen mit alleiniger Radiotherapie auf (p < 0,0001). Persistierende Neuropathien
(≥ Grad 2) wurden nach 3 Jahren bei 8% der Frauen nach Radiochemotherapie gegenüber
nur 1% nach Radiotherapie beobachtet (p < 0,0001).
Auch wenn einer der beiden Studienendpunkte (FFS) nach statischer Adjustierung erreicht
wurde, schlussfolgern die Autoren aus diesen Ergebnissen, dass die Radiochemotherapie
bei Patientinnen mit „high risk“ EC im FIGO-Stadium I und II nicht als neuer Standard
empfohlen werden kann. Mit Patientinnen im Stadium III kann diese Therapie jedoch
unter Berücksichtigung der erheblichen Toxizität diskutiert werden [3]. Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass die Zahl der Ereignisse für die Berechnung
des Gesamtüberlebens niedriger war als geplant und nur 69% der erforderlichen Ereignisse
beobachtet wurden. Erst Ende 2018 werden voraussichtlich genügend statistische Ereignisse
vorliegen, um eine abschließende Bewertung der Gesamtüberlebensdaten vornehmen zu
können.
Die Kommission Uterus der AGO ist der Meinung, dass aufgrund der vorliegenden Ergebnisse
der PORTEC-3-Studie die adjuvante kombinierte Radiochemotherapie mit sequenzieller
Chemotherapie derzeit nicht als neuer Standard des „high-risk“ EC angesehen werden
kann.
Die Chemotherapie stellt in bestimmten Risikokonstellationen (z. B. FIGO-Stadium III
und IV nach Operation mit keinem oder minimalem Resttumor) die Grundlage der adjuvanten
Therapie dar [4]. Zu klären ist der Nutzen einer zusätzlichen Strahlentherapie. Unklar ist der Nutzen
einer adjuvanten Chemotherapie kombiniert mit einer vaginalen Brachytherapie bei Tumoren
mit hohem Rezidivrisiko im Vergleich zu einer perkutanen Strahlentherapie. Mit diesem
Thema befassten sich 2 Studien der Gynecologic Oncology Group (GOG), die allerdings
noch nicht als Vollpublikation vorliegen ([Tab. 1]). In der Studie GOG-258 wurden 813 Patientinnen mit EC Stadium III oder IVa und
postoperativem Tumorrest < 2 cm oder Patientinnen mit seröser Histologie im FIGO-Stadium
I und II mit 6 × Carboplatin (AUC5) plus Paclitaxel (175 mg/m2) (Standardarm) oder mit einer Radiochemotherapie gemäß dem Protokoll der PORTEC-3-Studie
behandelt [1]. Das rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben waren in beiden Gruppen gleich
(5-Jahres-Gesamtüberlebensrate 70 vs. 73%). In der Gruppe mit alleiniger Chemotherapie
waren nach 5 Jahren vaginale Rezidive (3 vs. 7%) sowie pelvine und paraaortale Rezidive
(10 vs. 19%) signifikant häufiger, dafür aber Fernmetastasen signifikant seltener
(27 vs. 21%). Die endgültigen Daten zum Gesamtüberleben stehen auch für diese Studie
noch aus.
Erste Ergebnisse der GOG-249-Studie liegen derzeit als Abstract vor ([Tab. 1]) [2]. In dieser Studie wurden 601 Patientinnen mit EC des FIGO-Stadiums I und II mit
„high-intermediate“ Risikokonstellation und endometrioidem EC oder mit serösem oder
klarzelligem EC eingeschlossen. Sie erhielten entweder eine perkutane Beckenbestrahlung
(44 Gy/25 Fraktionen oder 54 Gy/28 Fraktionen) oder eine vaginale Brachytherapie gefolgt
von 3 Zyklen Carboplatin (AUC6) und Paclitaxel 175 mg/m2. Das 3-Jahres-Gesamtüberleben (91 vs. 88%) und die Zahl der vaginalen Rezidive und
der Fernmetastasen (18 vs. 18%) waren nach 5 Jahren in beiden Gruppen gleich hoch.
Pelvine und paraaortale Rezidive waren in der kombinierten Brachytherapie/Chemotherapiegruppe
häufiger (4 vs. 9%), ebenso die Toxizität (≥ Grad 3-Eregnisse in 62 vs. 11%).
Für die abschließende Interpretation der 3 genannten Studien sind die Vollpublikationen
bzw. die endgültigen Überlebensdaten erforderlich. Rückblickend wäre es vielleicht
sinnvoll gewesen, in der GOG-249-Studie die Brachytherapie mit den üblichen 6 statt
3 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel zu kombinieren, um die volle Wirksamkeit der Chemotherapie
zu erzielen. In der GOG-258-Studie hätte man die lokoregionäre Kontrolle im Chemotherapiearm
möglicherweise durch eine zusätzliche Brachytherapie verbessern können. Es ist daher
zu befürchten, dass die Studien PORTEC-3, GOG-249 und GOG-258 auch nach Publikation
der endgültigen Überlebensdaten keine abschließenden Empfehlungen für den Einsatz
der adjuvanten Strahlen- und Chemotherapie beim EC erlauben werden.
Aktuell empfiehlt die S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientinnen
mit Endometriumkarzinom“ [4] folgendes Vorgehen:
-
„Bei Patientinnen mit Typ-II-EC sowie bei Patientinnen mit Typ-I-EC G3, pT1b und Stadium
pT2 (jeweils pN0) kann eine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden (Level of
Evidence [LoE] 2).“
-
„Patientinnen mit EC im Stadium pT3 und/oder pN1 sollten eine adjuvante Chemotherapie
erhalten (LoE1).“
-
„Patientinnen mit EC im Stadium pT4a, die makroskopisch tumorfrei operiert wurden
oder einen maximalen Resttumor unter 2 cm haben, sollten eine Chemotherapie erhalten
(LoE1).“
-
„Patientinnen im Stadium pT1b, pNx, G3 oder im Stadium pT2 pNx, endometrioides EC
(Typ I) sollten eine vaginale Brachytherapie erhalten. Alternativ kann eine perkutane
Strahlentherapie durchgeführt werden (Expertenkonsens, starker Konsens 96%).“
-
„Patientinnen nach systematischer Lymphonodektomie im Stadium pT1b, pN0, G3 oder im
Stadium pT2, endometrioides EC (Typ I), sollten eine vaginale Brachytherapie erhalten.
Eine perkutane Strahlentherapie soll hier nicht durchgeführt werden (Konsens 92%).“
-
„Bei Patientinnen im Stadium pT1, pNx (jegliches grading) mit ‚substanzieller Lymphgefäßinvasion‘
(höchste Stufe in einer 3-stufigen Graduierung der Lymphgefäßinvasion) kann anstatt
der vaginalen Brachytherapie eine perkutane Beckenbestrahlung durchgeführt werden
(Expertenkonsens 93%).“
-
„Für Patientinnen mit befallenen Lymphknoten, Befall der uterinen Serosa, der Adnexe,
der Vagina, der Blase oder des Rektums (also insgesamt FIGO-Stadien III–IVa) mit endometrioidem
EC (Typ I) kann zusätzlich zur Chemotherapie zur Verbesserung der lokalen Kontrolle
eine postoperative externe Beckenbestrahlung durchgeführt werden (Expertenkonsens
93%).“
-
„Die Indikationsstellung zur postoperativen vaginalen Brachytherapie bzw. externen
Beckenbestrahlung bei Typ-II-EC (seröse oder klarzellige Histologie) sollte sich an
den Empfehlungen für Typ-I-EC (endometrioides Adenokarzinom, G3) desselben Stadiums
orientieren (Expertenkonsens 95%).“
Diese Leitlinienempfehlungen sind auch nach der Publikation der PORTEC-3-Studie gültig.
Eine Änderung der oben genannten Empfehlungen aufgrund der bisher publizierten Ergebnisse
der PORTEC-3-Studie ist nicht erforderlich. Eine Überprüfung ist nach Ansicht der
Leitliniengruppe sinnvoll, wenn die endgültigen Überlebensdaten von PORTEC-3, GOG-258
und GOG-249 voll publiziert sind. Das erste Update der S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie
und Nachsorge der Patientinnen mit Endometriumkarzinom“ ist für Ende 2019 geplant.
Die Leitliniengruppe wird bis dahin alle Empfehlungen auch weiterhin auf Aktualität
überprüfen.