Schlüsselwörter
Small-Fiber-Neuropathie - neuropathischer Schmerz - kleine Nervenfasern - Diagnostik
- Therapie
Keywords
small fiber neuropathy - neuropathic pain - small nerve fibers - diagnosis - therapy
Abkürzungen
CCM:
corneal confocal microscopy
CHEP:
contact heat evoked potentials
IENFD:
Intraepidermale Nervenfaserdichte
LEP:
Laser-evozierte Potenziale
NPSI:
Neuropathic Pain Symptom Inventory
NRS:
numerische Ratingskala
oGGT:
oraler Glukosetoleranztest
PREP:
pain-related evoked potentials
SEP:
somatosensorisch evozierte Potenziale
SFN:
Small-Fiber-Neuropathie
QST:
quantitative sensorische Testung
Einleitung
Der 46-jährige Patient Herr W. berichtete über permanentes Kribbeln an beiden Füßen
seit ca. 2 Jahren. Das Kribbeln sei insbesondere an den Fußsohlen lokalisiert, komme
aber auch am Fußrücken vor. Die Missempfindungen seien ständig vorhanden, wechselten
allerdings in der Intensität. Bei starker Intensität nehme er sie als sehr schmerzhaft
wahr. Die Schmerzstärke erreiche dann 8–9 / 10 auf einer 11-stufigen numerischen Ratingskala
(NRS) mit 0 = „kein Schmerz“ und 10 = „stärkster Schmerz“. Seit etwa 1½ Jahren beobachtete
Herr W. in den beschriebenen Arealen auch elektrisierende einschießende Schmerzattacken
mit einer Dauer von wenigen Sekunden. Zudem hatte er eine unangenehme Überempfindlichkeit
der Füße bei Berührung bemerkt, v. a. beim Barfußlaufen auf unebenem Untergrund. Seit
ca. 3 Monaten bestanden des Weiteren Kribbelparästhesien an den Händen und distalen
Unterarmen. Andere sensible Symptome, insbesondere ein Taubheitsgefühl, wurden verneint,
ebenso wie Lähmungserscheinungen oder andere neurologische Symptome.
Gabapentin war für ca. 1 Jahr wirksam gewesen. Unter der aktuellen Medikation mit
Pregabalin in einer Tagesdosis von 300 mg war Herr W. zwar nicht beschwerdefrei, aber
die Kribbelparästhesien seien damit erträglicher. An Vorerkrankungen wurden arterielle
Hypertonie, Tinnitus und eine Refluxösophagitis berichtet. Herr W. ist Raucher und
trinkt selten Alkohol. Seine Familienanamnese ist leer für neurologische Erkrankungen.
Das typische klinische Bild der Small-Fiber-Neuropathie (SFN) ist geprägt von akralen,
meist brennenden Schmerzen, die mit Dys- oder Parästhesien einhergehen können. Die
Schmerzen sind in der Regel an Zehen und Füßen lokalisiert; seltener können auch Fingerspitzen
und Hände betroffen sein. Manchmal berichten Patienten zusätzlich von einem leichten
Taubheitsgefühl im betroffenen Areal.
Kann die Diagnose SFN gestellt werden?
Die neurologische Untersuchung des Patienten in Fallbeispiel 1 zeigte eine Temperaturwahrnehmungsstörung
für Wärme- und Kältereize sowie eine Hypalgesie an den Füßen. Dies ist ein weiterer
Hinweis auf eine Funktionsstörung der kleinen Nervenfasern. Weitere neurologische
Ausfälle bestanden nicht, außer beidseits ausgefallenen Achillessehnenreflexen. Eine
milde Pallhypästhesie (nicht höher als Knöchelniveau) oder eine mäßige Lagesinnstörung
an den Großzehen wären noch mit der Diagnose SFN vereinbar gewesen, lagen aber bei
dem Patienten nicht vor. Ein Ausfall des Achillessehnenreflexes schließt die Verdachtsdiagnose
ebenfalls nicht aus. Paresen, Muskelatrophien, Areflexie oder schwere Sensibilitätsstörungen
als Hinweis auf eine Schädigung der dick bemarkten Nervenfasern gehen über eine reine
SFN hinaus [1]. Hätten diese beim Patienten vorgelegen, wäre die Diagnose SFN ausgeschlossen gewesen.
Die Elektroneurografie ergab praktisch durchweg Normalbefunde, was bei SFN erwartet
wird, da die A-delta- und C-Fasern diesen Untersuchungstechniken entgehen. Milde elektroneurografische
Auffälligkeiten, wie sie beim Patienten ausweislich der diskret reduzierten sensiblen
Reizantwortpotenziale bei den Neurografien des N. suralis beidseits nachweisbar waren,
sind bei einer SFN ebenfalls „erlaubt“.
Somit stützt sich die Verdachtsdiagnose SFN bei diesem Patienten auf:
-
die typische Anamnese,
-
den klinischen Befund der reduzierten Temperaturempfindung,
-
den klinischen und elektrophysiologischen Ausschluss einer Neuropathie der großen
Nervenfasern.
Fallbeispiel 1: Klinische Untersuchung
Der Untersuchungsbefund war unauffällig bis auf eine leichte Unsicherheit beim Seiltänzergang,
ausgefallene Achillessehnenreflexe und an den Füßen eine Hypästhesie für schwellennahe
Berührungsreize und thermische Reize. Hier fanden sich zudem eine Hypalgesie und eine
diskret gestörte Spitz-Stumpf-Diskrimination. Des Weiteren wurden bei Berührung der
Fußsohlen beidseits Dysästhesien angegeben.
Die Neurografien motorischer Nerven ergaben Normalbefunde. Das sensible Reizantwortpotenzial
des N. suralis war beidseits etwas reduziert (rechts: 6,8 μV; links: 8,4 μV; altersabhängiger
laborinterner Normwert: ≥ 10 μV) bei normaler Nervenleitgeschwindigkeit von 40 m/s.
Zudem fanden sich verlängerte P-40-Latenzen der Tibialis-SEP (rechts: 48,0 ms; links:
49,6 ms; größenabhängiger laborinterner Normwert: ≤ 46 ms).
Bei Herrn W. wurde die QST am rechten Fuß und zum internen Vergleich im Gesicht durchgeführt.
Es fanden sich deutlich angehobene Temperaturempfindungsschwellen für kalte und warme
Reize. Herr W. hatte somit die typischen Funktionseinschränkungen der kleinen Fasern
bei einer SFN mit angehobenen Wahrnehmungsschwellen für thermische Reize.
In der Hautprobe vom Unterschenkel waren keine intraepidermalen Nervenfasern nachweisbar,
während sie am Oberschenkel verglichen mit unseren laborinternen Normwerten auf 7,5
Fasern / mm reduziert waren. Somit lag eine distal betonte Verminderung der IENFD
vor, was die Verdachtsdiagnose weiter stützt.
Diagnosekriterien der SFN
Diagnosekriterien der SFN
Zusätzlich zur Anamnese kann man einen standardisierten Schmerzfragebogen (z. B. deutsche
Version des Neuropathic Pain Symptom Inventory, NPSI [2], [3]) verwenden, um den Schmerzcharakter und die Schmerzlokalisation zu dokumentieren.
Immer noch gültig sind die Ein- und Ausschlusskriterien von Stewart u. Lacomis [1], [4], die an einer großen Patientenkohorte überprüft wurden [5]. Demnach wird zur Diagnosestellung neben der typischen Anamnese der Nachweis einer
funktionellen oder morphologischen Störung der kleinen Nervenfasern in 2 der folgenden
drei Tests gefordert:
-
Klinisch-neurologische Untersuchung,
-
quantitative sensorische Testung (QST) oder spezielle Small-Fiber-Neurophysiologie,
-
Hautstanzbiopsie.
Wenn nur ein Zusatzkriterium erfüllt ist, kann man von einer möglichen SFN sprechen,
bei Vorliegen von 2 Kriterien von einer wahrscheinlichen und bei 3 Zusatzkriterien
von einer sicheren SFN [4]. Diese Einteilung ist mutmaßlich für viele der häufigen Formen von SFN gut brauchbar,
es sind jedoch 2 Vorbehalte zu beachten:
-
Die Kriterien können erfüllt sein, aber es liegen schwerwiegende Komorbiditäten vor,
die es nicht erlauben, die Diagnose einer isolierten SFN zu stellen.
-
Die Genetik lehrt uns, dass Fehlfunktionen der kleinen Fasern, insbesondere Überaktivität,
auch ohne Nachweis von Funktionsverlust in den o. g. Tests oder auch ohne Reduktion
der Hautinnervation in der Biopsie auftreten können (s. u.).
In der Literatur wird zum Teil auch die Mitbeteiligung von kleinen Nervenfasern bei
gemischten Polyneuropathien (z. B. Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung oder Guillain-Barré-Syndrom,
GBS) als SFN bezeichnet. Hier sollte von einer Mitbeteiligung der kleinen Fasern gesprochen
werden, der Begriff der SFN sollte hingegen für die oben genannte Definition reserviert
bleiben.
Spezielle Untersuchungstechniken für die kleinen Nervenfasern
Spezielle Untersuchungstechniken für die kleinen Nervenfasern
Quantitative sensorische Testung (QST)
Die QST für A-delta- und C-Faser-Funktionen wird nach dem standardisierten Protokoll
des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz e. V. (DFNS e. V.) durchgeführt
[6]. Die Untersuchungsergebnisse werden mit den Normwerten eines 180 Personen starken
Kontrollkollektivs verglichen [7]. Die QST untersucht mit einer Batterie von 13 Tests u. a. thermische und mechanische
Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen.
Hautstanzbiopsie
Mittels spezifischer Antikörper kann die Hautinnervation in einer einfachen Hautstanzbiopsie
immunhistochemisch dargestellt werden ([Abb. 1]). Die Hautproben sollten standardisiert am lateralen Unterschenkel (ca. 10 cm oberhalb
des Malleolus lateralis) und am proximalen Oberschenkel ca. 20 cm distal der Spina
iliaca anterior superior entnommen werden. Die Dichte der intraepidermalen Nervenfasern
(IENFD) wird nach international konsentierten Regeln quantifiziert [8]. Der Vergleich zwischen distaler und proximaler Hautinnervation hat 2 Vorteile:
-
Bei nur distaler Beteiligung kann das Ausmaß der Faserreduktion anhand der normalen
proximalen Probe besser abgeschätzt werden als anhand der sehr breit gestreuten Normwerte.
-
Bei auch proximaler Beteiligung kann eine „nicht längenabhängige SFN“ diagnostiziert
werden, was die Differenzialdiagnose deutlich einschränkt.
Abb. 1 A Gesunde Kontrollperson. Es sind zahlreiche intraepidermale Nervenfasern zu sehen,
die die Basalmembran kreuzen (Pfeilköpfe). Die Grenze der Epidermis (Basalmembran)
ist mit einer gestrichelten Linie angezeigt. Der weiße Pfeil zeigt auf den subepidermalen
Plexus, aus dem die intraepidermalen Nervenfasern hervorgehen. B Patient mit Small-Fiber-Neuropathie. Es ist nur eine intraepidermale Nervenfaser
erkennbar. Der schwarze Pfeilkopf zeigt auf ein Nervenfaserfragment. Um zu entscheiden,
ob dieses mit der subepidermalen Faser (schwarzer Pfeil) in Verbindung steht und somit
als intraepidermale Faser gezählt werden kann, muss der Untersucher den Fokus des
Mikroskops variieren, da bei diesen 50 μm dicken Schnitten jeweils nur Teile der Nervenfasern
im Fokus sind.
Beim Gesunden beträgt der Quotient von proximaler zu distaler IENFD 1,5–2 [9]. Bei deutlich erhöhtem Quotienten liegt eine längenabhängige SFN vor, deren pathophysiologische
Grundlage eine Axonopathie ist, während das Muster einer nicht längenabhängigen SFN
auf eine Ganglionopathie hinweist.
Eine nichtinvasive morphologische Analyse der Innervation ist an der Kornea mittels
konfokaler kornealer Mikroskopie (corneal confocal microscopy, CCM) möglich [10]. Mittlerweile wurden zahlreiche Arbeiten veröffentlicht, in denen eine Reduktion
der Innervationsdichte des kornealen subbasalen Plexus bei Erkrankungen mit Kleinfaserpathologie
nachgewiesen werden konnte ([Abb. 2]) [10], [11]. Insbesondere scheint die Stärke der CCM in der sehr frühen Detektion einer Innervationsänderung
zu liegen, während sich in den anderen Kleinfasertests wie etwa QST oder Hautstanzbiopsie
noch keine Auffälligkeiten finden – dies wurde zumindest für die diabetische Neuropathie
bzw. ihre Vorstufe, die Glukosetoleranzstörung, beschrieben [12], [13]. Die nichtinvasive und schnell durchführbare CCM ist derzeit allerdings noch nicht
Teil der Routinediagnostik, u. a. wegen nur begrenzter Verfügbarkeit der notwendigen
Gerätschaft und auch, weil die Methode noch nicht ausreichend standardisiert ist.
Spezielle Neurophysiologie
Mehrere Methoden sind etabliert, mit denen man die Funktion der A-delta und C-Fasern
bzw. ihrer aszendierenden Bahnen untersuchen kann. Hierzu gehört die Ableitung der
evozierten Potenziale:
-
nach peripherer Applikation von Laserreizen (Laserevozierte Potenziale, LEP) [14],
-
von Kontakthitze (contact heat evoked potentials, CHEP) [15],
-
von elektrischem Strom mit Spezialelektroden (pain-related evoked potentials, PREP)
[16].
In allen 3 Fällen werden die evozierten Summenpotenziale vom Schädel abgeleitet und
können hinsichtlich Amplituden und Latenzen analysiert werden:
-
Mittels LEP können relativ spezifisch A-delta-Fasern und unter bestimmten Konstellationen
auch C-Fasern stimuliert werden. Allerdings sind LEP kostenintensiv und stehen nur
wenigen Labors zur Verfügung.
-
Auch CHEP sind kostenintensiv, hier wurden kürzlich Normwerte veröffentlicht [17], [18].
-
Bei PREP handelt es sich um ein kostengünstigeres Verfahren, jedoch sind bislang nur
Normalwerte kleiner Kontrollkohorten veröffentlicht. Die Methode ist allerdings einfach
durchführbar und liefert bei Beachtung technischer Anforderungen in geübten Händen
robuste Daten.
Abb. 2 Bei der kornealen konfokalen Mikroskopie (corneal confocal microscopy, CCM) erscheinen
die Nervenfaserbündel als weiße unregelmäßige, horizontal verlaufende, verzweigte
Linien. Ihre Anzahl ist beim SFN-Patienten (A) im Vergleich zur gesunden Kontrolle (B) deutlich reduziert.
Während die evozierten Potenziale die gesamte Bahn vom Rezeptor bis zum Kortex untersuchen,
kann mittels Mikroneurografie die Aktivität einzelner C-Fasern in der Peripherie abgeleitet
werden [19].
Die Mikroneurografie liefert die direkteste und präziseste Analyse der elektrophysiologischen
Eigenschaften von C-Fasern. Der technische und zeitliche Aufwand ist allerdings sehr
hoch, und die Expertise ist weltweit nur an wenigen Orten vorhanden.
Ätiologie
Wenn die Diagnose einer SFN gestellt ist, ist der nächste Schritt, die Ätiologie zu
klären. [Tab. 1] zeigt die wichtigsten Ursachen für eine SFN. Man unterscheidet:
-
erworbene SFN,
-
genetisch bedingte SFN.
Wenn trotz ausführlicher Abklärung keine Ursache gefunden wird, spricht man zunächst
von einer idiopathischen SFN.
Die häufigsten Ursachen der erworbenen SFN sind Diabetes mellitus und eine gestörte
Glukosetoleranz [20], [21]. Daher gehören die Bestimmung von Blutzucker und HbA1c sowie die Durchführung eines
oralen Glukosetoleranztests (oGTT) zur Basisdiagnostik bei SFN.
Eine Hypothyreose kann durch TSH-Bestimmung aufgedeckt werden. An eine entzündliche
oder postinfektiöse Genese ist v. a. bei subakutem Beginn zu denken. Bei Sarkoidose
kann eine SFN auftreten, die zu den typischen akralen Brennschmerzen führt [22]. Auch unter den genetisch bedingten SFN finden sich behandelbare Formen. Bei familiären
Amyloidneuropathien ist die SFN häufig ein frühes Zeichen und kann wegweisend sein
für die Behandlung des Patienten. Patienten mit Morbus Fabry leiden an durch Fieber,
Hitze oder körperliche Anstrengung induzierbaren, brennenden Schmerzen an Handflächen
und Fußsohlen, die bereits im Kindesalter auftreten können [23]. Interessanterweise findet man bei Patienten mit Morbus Fabry auch subklinische
SFN, d. h. pathologische Befunde in den klinischen und Zusatzuntersuchungen (am häufigsten
angehobene Empfindungsschwellen für Kälte), ohne subjektive Angabe von Verlust des
Temperaturempfindens oder Schmerzen. Verschiedene Mutationen in Genen für spannungsabhängige
Natriumkanäle können ebenfalls das Bild einer SFN verursachen [24].
Fallbeispiel 1: Weitere Diagnostik und Verlauf
Die Labordiagnostik blieb bei Herrn W. negativ, inklusive oGTT und Liquoranalyse.
Bei gleichbleibender analgetischer Medikation zeigte sich keine Progredienz der Erkrankung.
Bei Wiedervorstellung nach 7 Jahren berichtet Herr W., dass seine Beschwerden im Wesentlichen
stabil geblieben seien. Das Kribbeln in beiden Füßen reiche nun zwar bis zur distalen
Wade, aber die Häufigkeit / Stärke der einschießenden Schmerzen sei praktisch unverändert.
Die Medikation mit Pregabalin sei weiterhin wirksam, selbst nach Reduktion der Tagesdosis
auf nur 75 mg abends. Bei Auslassversuchen komme es allerdings weiterhin zu einer
massiven Schmerzverstärkung. Die Überempfindlichkeit der Füße sei nicht mehr so stark
vorhanden und die Empfindlichkeit für mechanische und thermische Reize habe nachgelassen.
Als neues Symptom nannte Herr W. einen seit ca. 1 Jahr an Schienbeinen und Waden bestehenden
Juckreiz. Die Hände seien beschwerdefrei. Bezüglich seiner Vorerkrankungen gab Herr
W. an, dass zwischenzeitlich ein Diabetes mellitus Typ II diagnostiziert worden sei
und er eine orale antidiabetische Medikation begonnen habe. Klinisch-neurologisch
war im Vergleich zur Untersuchung 7 Jahre zuvor der Achillessehnenreflex beidseits
wieder erhältlich. Die Berührungsempfindung war normalisiert, während weiterhin eine
Hypalgesie an den Füßen bestand mit verminderter Spitzwahrnehmung. Elektroneurografisch
waren die motorischen Nerven unauffällig, während sich vom N. suralis keine Reizantwort
mehr ableiten ließ.
Tab. 1
Mögliche Ursachen für Small-Fiber-Neuropathien.
|
Durchzuführende Tests
|
Erworbene SFN
|
|
Diabetes, pathologische Glukosetoleranz
|
BZTP, HbA1c, oGTT
|
Alkohol
|
Anamnese, gamma-GT, MCV, CDT, klinische Zeichen
|
Chemotherapeutika
|
Anamnese
|
Hypothyreose
|
TSH, fT3, fT4
|
Vitamin-B6-Überdosierung
|
Anamnese, Vitaminspiegel
|
AIDS / HIV
|
HIV-Test
|
Hepatitis C
|
Hepatitis-Serologie
|
autoimmun, Kollagenose, Sjögren-Syndrom
|
Liquoruntersuchung, spezifische Antikörper, ggf. Lippenbiopsie
|
Zöliakie
|
Gliadin-AK
|
paraneoplastisch
|
spezifische Antikörper, Tumorsuche
|
Hereditäre SFN
|
|
Erythromelalgie, Natriumkanalmutationen
|
Anamnese, Gentest
|
Amyloidose
|
Nachweis von Amyloid in der Biopsie (z. B. Rektum, Haut, Nerv), Gentest
|
hereditäre sensible und autonome Neuropathie Typ I (HSAN I)
|
Familienanamnese, Elektroneurografie, Gentest
|
Morbus Fabry
|
alpha-Galaktosidase-Aktivität aus Blut, Gentest
|
idiopathische SFN
|
nach Ausschluss aller alternativen Differenzialdiagnosen, Verlaufskontrolle!
|
BZTP: Blutzucker-Tagesprofil; CDT: Carbohydrat-defizientes Transferrin; HIV: human
immune-deficiency virus; MCV: mittleres korpuskuläres Volumen der Erythrozyten; oGTT:
oraler Glukosetoleranztest; SFN: Small-Fiber-Neuropathie; TSH: Thyroidea-stimulierendes
Hormon.
|
Die Gruppe der „idiopathischen“ SFN setzt sich zum Teil aus unerkannten genetischen
Formen und aus noch nicht erkannten sekundären Formen zusammen. So kann bei einem
Teil der Fälle im Verlauf eine Ursache festgestellt werden [5]. Eine weitere Subgruppe ist wahrscheinlich durch ein Ungleichgewicht von De- und
Regeneration zu erklären, multifaktoriell bedingt oder im Rahmen von Alterungsvorgängen.
Pathophysiologie der Small-Fiber-Neuropathie
Pathophysiologie der Small-Fiber-Neuropathie
Mehrere Mechanismen sind denkbar, warum bei SFN selektiv die dünn bemarkten A-delta-Fasern
und die unbemarkten C-Fasern geschädigt sind. Die unbemarkten Endigungen der C-Fasern
in der Epidermis (intraepidermale Nervenfasern) haben eine sehr bezeichnende Eigenschaft,
nämlich, dass sie sich in ständiger Regeneration befinden. Die Epidermis wird beim
Erwachsenen etwa alle 30 Tage erneuert. Mit den abgeschilferten Keratinozyten gehen
auch die distalen intraepidermalen Nervenfasern verloren. Diese müssen also aus dem
subepidermalen Nervenplexus ständig regenerieren. Entsprechend sind bei Gesunden fast
alle intraepidermalen Nervenfasern positiv für den Regenerationsmarker GAP43 [25]. Man kann sich gut vorstellen, dass alle Faktoren, die die axonale Regeneration
behindern (z. B. Störungen des axonalen Transports, mitochondriale Funktionsstörungen),
zu einem Ungleichgewicht zwischen De- und Regeneration und somit zu einer SFN führen
können. Aus den Studien zu Genmutationen von Natriumkanälen wissen wir, dass auch
hier eine axonale Degeneration folgen kann, vermutlich bedingt durch die kontinuierliche
Überaktivität. Auch Mechanismen der mitochondrialen Schädigung und Störungen des Natrium / Kalzium-Austauschs
können dazu beitragen [24].
Ein anderer Pathomechanismus besteht in selektiver Degeneration von kleinen Neuronen
im Spinalganglion. Dies führt typischerweise zu einer generalisierten, nicht längenabhängigen
SFN. Beispiele sind Morbus Sjögren, Zöliakie und Hepatitis C, aber auch eine pathologische
Glukosetoleranz [26].
Warum entstehen Schmerzen bei SFN?
Es konnte mehrfach gezeigt werden, dass die Schmerzstärke nicht mit der Nervenfaserdichte
korreliert. Viel relevanter für die Schmerzentstehung als der Verlust von Fasern sind
wahrscheinlich die übrig gebliebenen, erkrankten Nervenfasern bzw. die zugehörigen
Spinalganglienneurone. Diese können spontan aktiv sein, durch vermehrten Einbau oder
vermehrte Aktivierung von Natriumkanälen bei der Regeneration, oder sensibilisiert
durch vermehrte Exposition zu algetischen Substanzen, wie pro-inflammatorische Zytokine
[27], [28].
Fallbeispiel 2: Familiäre SFN
Eine sportliche Dame von 46 Jahren klagte über belastungsabhängige Brennschmerzen
der Füße, die sie mittlerweile am Joggen hinderten, nachdem sie früher ohne Probleme
Marathon gelaufen war. Grund für die Vorstellung waren belastungsabhängige Brennschmerzen
nun auch an den Händen, die sie zunehmend bei ihrer Berufstätigkeit behinderten. Bei
der klinischen Untersuchung wie auch in der Elektrophysiologie fanden sich keine wegweisenden
Befunde, in der QST war lediglich eine pathologische Hitzeempfindung auffällig, und
die IENFD am Unterschenkel lag im unteren Normbereich. Die auffällige Familienanamnese
der Patientin, die eine ebenfalls betroffene Zwillingsschwester und eine milder betroffene
Mutter und Tante (Zwillingsschwester der Mutter) hatte, gab Anlass zu einer genetischen
Untersuchung. Es fand sich hierbei ein R1150 W-Aminosäureaustausch durch Polymorphismus
im Nav-1.7-Gen [29]. Dieser kommt zwar bei ca. 30 % der Bevölkerung vor, erhöht aber das Risiko für
Schmerzen bei verschiedenen Grunderkrankungen [30], [31]. Der Fall zeigt, dass bei entsprechendem klinischem Bild auch ohne die klassischen
Zeichen der SFN eine Funktionsstörung in den C-Fasern bestehen kann. Dies wirft die
Frage auf, ob die oben genannte Definition der SFN auf längere Sicht Bestand haben
wird.
Therapie von Schmerzen und Missempfindungen bei Small-Fiber-Neuropathie
Therapie von Schmerzen und Missempfindungen bei Small-Fiber-Neuropathie
Wenn eine Ursache für die SFN gefunden werden kann, sollte die Grundkrankheit behandelt
werden, und auch die Schmerztherapie richtet sich nach den entsprechenden Empfehlungen.
Bei hereditärer und idiopathischer SFN orientiert sich die Schmerztherapie derzeit
an den nationalen [32] und internationalen Leitlinien zur Behandlung neuropathischer Schmerzen im Allgemeinen
[33]. Dies bedeutet, dass in erster Linie in der Schmerztherapie bewährte Antikonvulsiva
wie Pregabalin oder Gabapentin eingesetzt werden bzw. Duloxetin bei diabetischer SFN.
Bei den Natriumkanalmutationen und bei Morbus Fabry können Antikonvulsiva mit Ansatzpunkt
am Natriumkanal wie Carbamazepin, Phenytoin oder Lamotrigin besser wirksam sein. Alternativen
sind trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin oder Nortriptylin. Bei therapierefraktären
Formen können opioidhaltige Präparate eingesetzt werden. Wenn das Schmerzareal nicht
zu groß ist, können topisch wirksame Substanzen verwendet werden. Hierzu stehen das
8 %ige Capsaicinpflaster Qutenza und das Lidocainpflaster Versatis zur Verfügung,
letzteres allerdings offlabel.
Zur spezifischen Therapie von Schmerzen und Missempfindungen bei SFN gibt es nur wenige
Arbeiten mit kleiner Fallzahl. In einer Fallserie wurden 4 Patienten mit akut aufgetretener
SFN einer oralen Steroidbehandlung unterzogen, was im Beobachtungszeitraum von 1 Jahr
in 3 Fällen zur Beschwerdefreiheit führte [34]. Dieses Vorgehen sollte allerdings nur im seltenen Fall der GBS-ähnlichen akuten
SFN angewendet werden. In einer zweiten Studie konnte an 18 SFN-Patienten ein positiver
analgetischer Effekt von Gabapentin und Tramadol nachgewiesen werden [35].
Epidemiologie und Verlauf
Epidemiologie und Verlauf
Epidemiologische Daten aus systematischen Studien liegen zur SFN nicht vor. In einer
niederländischen Studie wurde eine minimale Prävalenz von 53 Fällen/100 000 angegeben,
wobei die Patienten häufiger männlich und häufiger in der 2. Lebenshälfte waren [36]. Aus der klinischen Erfahrung lässt sich schließen, dass reine SFN einen gutartigen
Verlauf haben und nur in seltenen Fällen in eine Neuropathie der dick bemarkten Nervenfasern
übergehen [5]. Eine prospektive Langzeitstudie, die allerdings viele Patienten mit Diabetes mellitus
einschloss, zeigte eine progrediente Reduktion der IENFD um ca. 10 % pro Jahr. Ein
Übergang in eine gemischte Neuropathie mit Beteiligung auch der großen Nervenfasern
fand sich nur bei den Patienten mit Diabetes oder Prädiabetes, nicht in der Subgruppe
mit idiopathischer SFN [37].
Zusammenfassend ist die SFN eine seltene, aber zunehmend beachtete und sehr heterogene
Gruppe sensibler Neuropathien, die sich durch variabel ausgeprägte, überwiegend akrale
Brennschmerzen manifestieren und Ausdruck unterschiedlicher erworbener und genetischer
Erkrankungen sein kann. Die Erkennung und Therapie behandelbarer Ursachen steht im
Vordergrund. Die SFN sind in der Regel wenig progredient und können mittels symptomatischer
Schmerztherapie behandelt werden. Nicht selten manifestiert sich eine SFN deutlich
früher als die Grunderkrankung, nach der häufig über mehrere Jahre gefahndet werden
muss.
-
Eine Small-Fiber-Neuropathie (SFN) ist ein klinisches Syndrom mit akralen Brennschmerzen,
bei dem der pathologische Prozess ausschließlich bzw. ganz überwiegend dünn bemarkte
A-delta-Fasern und unbemarkte C-Fasern betrifft.
-
Bei der neurologischen Untersuchung findet man entsprechend typischerweise lediglich
Defizite in der Temperaturempfindung. Ebenso ergibt die elektrophysiologische Routinediagnostik
Normalbefunde.
-
Um den klinischen Verdacht auf SFN zu untermauern, sind spezielle psychophysische
und neurophysiologische Untersuchungen oder eine Hautbiopsie erforderlich.
-
Wichtig ist die Suche nach der Ursache der SFN. Am häufigsten findet man einen Diabetes
mellitus oder eine gestörte Glukosetoleranz.
-
Zunehmend werden Mutationen in Genen spannungsabhängiger Natriumkanäle und andere
genetische Ursachen beschrieben.
-
Die Therapie orientiert sich an der Ursache und an den Leitlinien zur Behandlung neuropathischer
Schmerzen.
Interessenkonflikt
CS: Honorare von den Firmen Air Liquide, Alnylam, Astellas, Baxalta, CSL Behring,
Genzyme, Grifols, Pfizer.
NÜ: Honorare von den Firmen Baxalta, Genzyme, Shire; Forschungsgelder von Idorsia,
Genzyme, Shire, Reisekosten von Genzyme
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Claudia Sommer, Würzburg.