Die Behandlung der sekundär progredienten Multiplen Sklerose mit Siponimod – die Phase-III-Studie
EXPAND
Die Behandlung der sekundär progredienten Multiplen Sklerose mit Siponimod – die Phase-III-Studie
EXPAND
Nach wie vor fehlt es an Therapieoptionen für die progrediente Multiple Sklerose.
Die hier vorgestellte Phase-III-Studie EXPAND untersucht die Wirkung von Siponimod
bei der sekundär progredienten MS im Vergleich zu Placebo [1]. Siponimod moduliert die Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren (S1P) S1P1 und S1P5. Durch
diese Rezeptormodulation werden Lymphozyten am Austritt aus Lymphknoten gehindert
und damit eine antientzündliche Wirkung erreicht. Zudem zeigt Siponimod eine gute
Liquorgängigkeit und S1P-Rezeptoren werden im ZNS exprimiert, sodass mögliche zentrale
Therapieeffekte postuliert werden.
In die Studie eingeschlossen wurden insgesamt 1645 erwachsene Patienten (EDSS 3.0 – 6.5)
mit einer 2:1 Randomisierung für Siponimod 2 mg täglich oder Placebo. Primärer Endpunkt
war die bestätigte Behinderungsprogression nach 3 Monaten. Signifikant weniger Patienten
mit einer Siponimod-Behandlung erreichten diesen Endpunkt im Vergleich zu der Placebo-Gruppe,
der Unterschied fiel jedoch gering aus (26 % versus 32 %, Risikoreduktion von 21 %).
Die mediane Behandlungsdauer betrug 18 Monate. Auch weitere sekundäre Endpunkte, wie
die Zunahme der T2-Läsionslast oder der Hirnatrophie, zeigten sich signifikant gebessert
unter der Siponimod-Therapie. Als Nebenwirkungen traten wie vorbekannt Bradykardien
bei Behandlungsbeginn, ein Bluthochdruck, eine Lymphopenie, Makulaödeme und Krampfanfälle
häufiger unter Siponimod auf. Auch kam es häufiger zu einer Herpes-Zoster-Reaktivierung
(2 % unter Siponimod versus 1 % unter Placebo).
Es stellt sich die Frage, ob der therapeutische Effekt durch direkte neuroprotektive
Mechanismen bedingt ist oder sich durch den bekannten antiinflammatorischen Wirkmechanismus
erklärt. Dies bleibt unklar. Die Autoren führen an, dass die Studienkohorte einen
typischen progredienten Verlauf zeigte, der auf neurodegenerative Pathomechanismen
hinweist: 2/3 der Patienten hatten keine nachweisbaren Schübe in den 2 Jahren vor
Studienbeginn, lediglich 20 % der Patienten zeigten Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen
und die Patienten wiesen eine fortgeschrittene Behinderung auf (> 50 % waren auf eine
Gehhilfe angewiesen). Andererseits zeigten Subgruppenanalysen, dass insbesondere Patienten,
bei denen eine Entzündungsaktivität angenommen wird, von der Therapie profitierten:
jüngere Patienten mit einer kürzeren Krankheitsdauer, Patienten mit einer geringeren
Behinderung sowie Patienten mit Schüben oder Kontrastmittel-aufnehmenden Läsionen
vor Therapiebeginn.
Zusammenfassend zeigt sich ein gewisser therapeutischer Effekt von Siponimod bei der
sekundär progredienten Multiplen Sklerose, unabhängig von Schubaktivität. Der genaue
Wirkmechanismus bleibt ungeklärt. Eine bessere Einschätzung der Therapie ergibt sich
hoffentlich aus der laufenden offenen Verlängerungsstudie, mit der Langzeitdaten zur
Wirksamkeit und Sicherheit von Siponimod generiert werden.
Weitere Evidenz für die Pathogenität von Antikörpern gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein
(MOG-Ak)
Weitere Evidenz für die Pathogenität von Antikörpern gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein
(MOG-Ak)
Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper (MOG-Ak)-assoziierte Erkrankungen
kristallisieren sich immer mehr als eigene Krankheitsentität heraus, die sich von
der klassischen Multiplen Sklerose und der Neuromyelitis optica unterscheiden. MOG-Ak-assoziierte
Erkrankungen weisen distinkte klinische, bildgebende und immunologische Charakteristika
auf [2]. Histopathologische Studien zeigen entzündlich-entmarkende Läsionen mit Nachweis
von Immunglobulin- und Komplementfaktoren, die eine Rolle der humoralen Immunität
nahelegen [2]. Eine Studie von Spadaro et al. liefert nun neue Evidenz für die Pathogenität von
humanen MOG-Antikörpern [3].
In ihrer Studie identifizierten die Autoren mit Hilfe eines zellbasierten Assays 17
Patienten mit MOG-Ak, untersuchten die Kreuzreaktivitäten mit murinem MOG und reinigten
dann diese kreuzreagierenden MOG-Antikörper von 2 Patienten mittels Affinitäts-Reinigung
auf. Die gereinigten humanen MOG-Antikörper wurden anschließend Ratten intrathekal
verabreicht, die zuvor mit zwei verschiedenen myelinspezifischen T-Zellen immunisiert
wurden. Hierbei konnten die Autoren zeigen, dass humane MOG-Ak zusammen mit T-Zellen,
welche gegen MOG gerichtet sind, eine Verstärkung der Entzündung hervorrufen. Bei
Gabe von MOG-Ak zusammen mit T-Zellen, welche gegen das basische Myelin-Protein (MBP)
gerichtet waren, zeigte sich eine Zunahme der Entmarkung mit Nachweis von Immunglobulin-
und Komplementablagerungen, und somit eine Pathologie, wie sie auch bei MOG-Ak positiven
Patienten beschrieben wurde.
Somit lieferten die Autoren nun weitere Evidenz für die Pathogenität von humanen MOG-Antikörpern
und trugen einen wichtigen Baustein in der Beschreibung dieser neuen Entität bei.
Was hat Zellstoffwechsel mit der Multiplen Sklerose zu tun – die Bedeutung des Immunmetabolismus
bei Autoimmunerkrankungen
Was hat Zellstoffwechsel mit der Multiplen Sklerose zu tun – die Bedeutung des Immunmetabolismus
bei Autoimmunerkrankungen
Seit Längerem ist bekannt, dass Immunzellen nach ihrer Aktivierung eine tiefgreifende
Veränderung ihres Zellstoffwechsels durchlaufen. Hierbei kommt es zu einer starken
Aktivierung der sogenannten aeroben Glykolyse, also des intrazellulären Abbaus von
Glukosemolekülen zur raschen Gewinnung von Energie sowie Bausteinen für die Zellsynthese
im Rahmen der Zellproliferation [4]. Dieses Phänomen kennt man bereits seit Längerem aus der Krebsforschung, da auch
Tumorzellen aufgrund ihres starken Wachstums ähnliche Stoffwechselveränderungen durchlaufen;
nach seinem Erstbeschreiber auch Warburg-Effekt genannt. In den letzten Jahren wurden
die metabolischen Veränderungen verschiedener Immunzellpopulationen eingehender untersucht.
Man konnte zeigen, dass proentzündliche Immunzellen interessanterweise andere metabolische
Veränderungen aufweisen als antientzündliche oder regulatorische Zellpopulationen
[5]
[6]. Dies führte zu der Entwicklung des Konzepts einer gezielten Immuntherapie durch
Modifikation des Immunzellstoffwechsels. Eine rezente Arbeit aus dem renommierten
Journal Science konnte nun nachweisen, dass eine bereits gut bekannte MS-Therapie,
nämlich das Dimethylfumarat (DMF; Tecfidera®) spezifisch in den Immunzellmetabolismus eingreift. DMF führt zu einer Modifikation
und letztlich Inaktivierung eines Schlüsselenzyms der Glykolyse, der Glyceraldehyde-3-phosphat
Dehydrogenase (GAPDH) [7]. Hierdurch wird die Zellaktivierungs-assoziierte Steigerung der Glykolyseaktivität
zur Energiegewinnung unterbunden. In Zellen des angeborenen Immunsystems wie z. B.
Makrophagen kommt es hierdurch zu einer Hemmung proentzündlicher Makrophagenpopulationen
sowie zur Reduktion der Produktion inflammatorischer Mediatoren. Antientzündliche
Makrophagenpopulationen hingegen werden durch DMF begünstigt. In den Zellen des adaptiven
Immunsystems, den Lymphozyten, führt die DMF-assoziierte Hemmung der GAPDH und hierdurch
der Glykolyse zu einer verminderten Differenzierung proentzündlicher Th1- und Th17-Zellen,
während regulatorische T-Zellen hingegen durch DMF induziert wurden. Auch in vivo
konnte diese mechanistische Verbindung zwischen DMF, der hierdurch bedingten Hemmung
der Glykolyse in aktivierten Immunzellen und den entsprechenden protektiven Effekten
im Rahmen der ZNS-Autoimmunität in einem Mausmodell der Multiplen Sklerose demonstriert
werden.
Was macht diese Studie so interessant? Zum einen zeigt sie auf, dass wir die Wirkmechanismen
selbst bereits zugelassener Therapien nicht immer in Gänze verstanden haben und dass
es sich lohnt, ihre Wirkweise weiter zu erforschen. Vor allem illustriert diese Studie
jedoch eindrücklich die hohe Relevanz des (Immun-)Zellmetabolismus für die Regulation
selbst komplexer immunologischer Vorgänge und stellt somit ein Paradigma für eine
zukünftige gezielte Immunmodulation durch Modifikation des Immunzellstoffwechsels
dar.