JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2018; 07(04): 138-139
DOI: 10.1055/a-0635-2581
Kolumne
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Schnittstellenpflege ist das A und O

Heidi Günther
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Publication Date:
07 August 2018 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

Sekretärinnen haben keine Vollmacht, aber Allmacht.

(Arthur Miller (1915–2005), US-amerikanischer Schriftsteller)

Auch wenn Außenstehende es kaum für möglich halten werden: In einem Krankenhaus – und sei es noch so klein – arbeiten nicht nur überaus pfiffige, gut aussehende und vor allen Dingen stets und immer gut gelaunte und vor Empathie strotzende Ärzte und Schwestern. Meist gibt es mindestens acht verschiedene Berufsgruppen: vom medizintechnischen Personal über Haustechnik und Küche bis hin zur Verwaltung. Jeder arbeitet in seinem Bereich und bestenfalls alle irgendwie gemeinsam. Das ist in unserem sehr übersichtlichen Haus nicht besonders schwierig. Jeder kennt den Koch Siggi, den Haustechniker Ludwig, die Laborantin Bianca, und jeder fürchtet den Bettenmanager Jürgen. Bei unserem kaufmännischen Direktor, bei den Menschen vom Controlling oder beim Personalchef sieht das schon ein bisschen anders aus. Ich als Stationsleitung kenne diese Menschen gerade noch so – gehe aber davon aus, dass die anderen Kollegen den einen oder anderen Protagonisten der Geschäftsleitung nicht kennen. Von deren Sekretärinnen ganz zu schweigen. Hat überhaupt jeder eine Sekretärin? Und begebe ich mich gerade auf einen schmalen Grat, wenn ich von Sekretärinnen spreche? Na ja, ein Sekretär könnte immerhin auch ein Funktionsmöbelstück sein oder ein zugegeben sehr hässlicher, krächzender Vogel, der schon mit seinen Tritten töten kann. Vielleicht sollte ich lieber von Office-Managern, Büroassistenten oder Teamassistenten sprechen. Denn was nicht jeder weiß: Sekretärin ist gar keine geschützte Berufsbezeichnung, und es gibt demnach auch keine spezielle staatlich anerkannte Ausbildung. Berufstätige Sekretärinnen verfügen in der Regel über eine abgeschlossene Berufsausbildung im kaufmännischen Bereich. Zum Beispiel als Fachangestellte für Bürokommunikation oder als Kauffrau für Bürokommunikation. Das ist ähnlich wie mit den Flugbegleiterinnen. Auch kein Ausbildungsberuf, obwohl die jungen Damen mir oft den Eindruck vermitteln, dass ich ihnen das Wasser nicht reichen kann.

Aber schließlich will ich niemandem auf den Schlips treten und daher: Ehre, wem Ehre gebührt. Die Zeiten, in denen eine Sekretärin eine Schreibkraft war und mich mit unleserlichen Hieroglyphen und atemberaubender Schnelligkeit an der Schreibmaschine beeindruckte, sind längst vorbei. Das Aufgabenfeld dieses Berufs hat sich doch sehr gewandelt. Heute sind sie Manager, die ihren Chefs den Rücken frei halten, deren Berufsalltag koordinieren und eigenständig Projekte betreuen. Für Außenstehende sind die Grenzen zwischen einer Sekretärin und deren Chef oft sehr fließend.

Dabei hat der Beruf einer „Sekretärin“ durchaus Potenzial und avancierte in den Fünfzigerjahren zum Traumberuf für junge Frauen. Liz Mohn begann als Sekretärin im Bertelsmann-Unternehmen, heiratete ihren Chef und ist heute die wichtigste Person im Konzern. Oder die Witwe des Großindustriellen Herbert Quandt, Johanna Quandt. Sie begann als Sekretärin und endete als Milliardärin. Auch in den Familien Mehdorn und Ackermann lief es ähnlich.

Für die „Sekretärin“, über die ich hier berichten will, hat es sich allerdings ein bisschen anders ergeben. Es war von vornherein absehbar, dass sie nicht irgendwann ihre Chefin, unsere PDL, heiraten und damit zu schier unermesslichem Wohlstand gelangen sollte. Erstens ist diese schon lange verheiratet und Mutter zweier Kinder, und zweitens wäre es ja „nur“ die PDL und nicht die Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens und daher mit dem zu erwartenden Reichtum nicht so weit her. Aber ich gehe mal davon aus, dass es andere Gründe gibt, warum sie sich entschieden hat, vielleicht noch einmal woanders ihr berufliches Glück zu finden. Und das, obwohl sie doch schon an der 60 kratzt und hier bei uns noch gut und gern bis zur Rente durchhalten könnte. Gerade deshalb habe ich übrigens allergrößten Respekt vor dieser Entscheidung und weiß gleichzeitig ganz genau, dass das für mich nicht infrage käme.

Jeder von uns auf Station kennt Elisabeth, so will ich sie mal nennen. Zumindest der erste Kontakt, wenn man sich entschlossen hat, in unserem Haus als Krankenschwester oder Krankenpfleger arbeiten zu wollen, geht in den allermeisten Fällen über das Sekretariat der PDL. Und damit über Elisabeth. Sie verkörpert all das, was ich klischeehaft von einer heutigen Sekretärin erwarten kann und soll. Bei ihr muss man schon ein gewisses Prozedere gemeistert und Durchhaltevermögen entwickelt haben, um an ihr vorbei an unsere PDL zu kommen. Früher war es noch sehr trickreich, im Büro der PDL anzurufen, wenn man sich sicher war, dass Elisabeth gerade nicht an ihrem Schreibtisch sitzt. In Zeiten der Headsets für Telefonanlagen ist das natürlich vorbei. Elisabeth ist immer und überall. Und sie ist mit ihrem Headset auch für hausfremde Menschen als nichtpflegende, aber durchaus kundige Person erkennbar.

Ich persönlich finde ja, dass so ein schnittiges Headset mir auch gut stehen und einen gewissen Touch Professionalität und Unabkömmlichkeit verleihen würde. Ich wäre noch mehr busy – das wäre dann allerdings auch fast nicht mehr auszuhalten. Nur wäre es bei mir Vortäuschung falscher Tatsachen, während Elisabeth ganz offensichtlich immer viel zu tun hat und für ihre und unsere Chefin unverzichtbar und wichtig ist. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass sie das in den letzten Jahren auch so empfunden hat und ebenfalls zufrieden und fröhlich auf die vergangenen Jahre zurückblicken wird.

Nicht dass es ihr so geht wie Johann Peter Eckermann, dem seinerzeit stets verkannten und völlig unterschätzten Sekretär von Johann Wolfgang von Goethe. Eckermann sagte über Goethe: „Mein Verhältnis zu Goethe war eigentümlicher Art und sehr zarter Natur. Es war das des Schülers zum Meister, das des Sohnes zum Vater, das des Bildungsbedürftigen zum Bildungsreichen. Er zog mich in seine Kreise und ließ mich an den geistigen und leiblichen Genüssen eines höheren Daseins teilnehmen.“ Und Goethe über Eckermann: „Eckermann schleppt, wie eine Ameise, meine einzelnen Gedichte zusammen; ohne ihn wäre ich nie dazu gekommen.“

Nun ist es ja so: Elisabeth geht – und das sei ihr auch von Herzen gegönnt – ihre neuen Wege, und wir beginnen mit der „Schnittstellenpflege“ ganz von vorn. Was mühsam über Jahre gewachsen ist und sich ganz speziell zwischen den Stationen und Elisabeth entwickelt hat, ist perdu. Wir müssen sehen, wer danach kommt und wie wir alle das Beste daraus machen.

Lust habe ich darauf nicht – aber danach fragt leider niemand.

In diesem Sinne,

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de