Hat ein Patient Schmerzen in der Leiste und reagiert positiv auf den FAI-Test ([ABB. 1]), gibt die aktuelle Fachliteratur eine klare Diagnose an: femoroazetabuläres Impingement
(FAI) [1–4]. Möglicherweise ist das jedoch zu kurz gefasst. Bei Schmerzen im Bewegungssystem
kommen prinzipiell artikuläre, myofasziale und neurale Strukturen als Schmerzgeneratoren
in Frage. Beim FAI-Provokationstest provoziert man gleichermaßen artikuläre und myofasziale
Strukturen, die somit beide für Leistenschmerzen ursächlich sein können.
ABB. 1 FAI-Test: Die Bewegung Flexion, Adduktion und Innenrotation im Hüftgelenk provoziert
artikuläre und myofasziale Strukturen.
Abb.: R. Gautschi (nachgestellte Situation) [rerif]
Anfangs beide Diagnosen in Erwägung ziehen
Anfangs beide Diagnosen in Erwägung ziehen
Auf der artikulären Seite löst der FAI-Test mechanischen Stress auf den kraniomedialen
Pfannenrand und das Labrum aus. Ist der Test schmerzhaft, kann das auf ein vorderes
Cam- oder Pincer-Impingement hindeuten.
Neben den harten, artikulären Strukturen komprimiert man beim FAI-Test jedoch auch
die weichen, das heißt myofaszialen, neuralen und vaskulären Strukturen. Auftretende
Leistenschmerzen können deshalb auch von ventral liegenden Weichteilen herrühren.
Muskulär betrachtet können hier der M. iliopsoas und der M. pectineus positiv sein
(Kompressionsprovokation). In diesen Muskeln liegende myofasziale Triggerpunkte (mTrPs)
können dabei durch Druck provoziert werden und Leistenschmerzen verursachen, da das
Schmerzausstrahlungsgebiet (Referred-Pain-Muster) der beiden Muskeln die Leistenregion
umfasst ([ABB. 2] und [3]). Zudem bringt man beim FAI-Test den M. obturatorius externus auf Dehnung [9]. mTrPs
liegen in Hartspannsträngen, die bei Dehnung eines Muskels am stärksten unter Zug
geraten. Das Referred-Pain-Gebiet des M. obturatorius externus ist ebenfalls in der
Leiste lokalisiert ([ABB. 4]), sodass auch in diesem Muskel die Ursache für die Leistenschmerzen liegen kann
(Dehnprovokation).
ABB. 2 M. iliopsoas: Triggerpunkte und ihr Ausstrahlungsgebiet
Abb.: M. Hoffmann, Neu-Ulm
ABB. 3 M. pectineus: Triggerpunkte und ihr Ausstrahlungsgebiet
Abb.: M. Hoffmann, Neu-Ulm
ABB. 4 M. obturatorius externus: Triggerpunkte und ihr Ausstrahlungsgebiet
Abb.: M. Hoffmann, Neu-Ulm
Beim FAI-Provokationstest provoziert man gleichermaßen artikuläre und myofasziale
Strukturen.
Ebenfalls möglich wäre, dass die in der Leiste verlaufenden neurovaskulären Strukturen
(N. femoralis, R. femoralis des N. genitofemoralis, A. und V. femoralis) die Schmerzen
provozieren. Meist ist das jedoch eher unwahrscheinlich, denn der durch den Test hervorgerufene
Leistenschmerz nimmt typischerweise am Ende der Bewegung rasch und stark zu und bleibt
dann konstant. Bei einer neurovaskulären Kompression würde der Schmerz dagegen erst
verzögert auftreten und dann in der Intensität langsam zunehmen.
In Anamnese und Funktionsuntersuchung die Ursache eingrenzen
In Anamnese und Funktionsuntersuchung die Ursache eingrenzen
Wie kann man nun unterscheiden, ob die artikuläre oder die myofasziale Komponente
für den Leistenschmerz verantwortlich ist? Als eine der Hauptursachen für ein femoroazetabuläres
Impingement gilt intensiver Sport mit repetitiven Bewegungen (repetitive strain injury)
oder akuten Überlastungen [5–8]. Dieselben Ursachen können ebenso mTrPs auslösen.
Allein durch die entsprechenden Informationen in der Anamnese lässt sich demnach nicht
zwischen einem artikulären und einem myofaszialen Problem differenzieren.
In der Funktionsuntersuchung lassen sich mögliche Unterschiede besser eingrenzen.
Entstehen die bekannten Schmerzen bei der passiven Beweglichkeitsprüfung schon während
der Bewegung (Phasenschmerz), ist eine artikuläre Ursache wahrscheinlich, denn in
diesem Fall entsteht das Problem sicherlich nicht myofaszial, weil weder ein Muskel
aktiv noch gedehnt oder komprimiert ist.
Tritt der Leistenschmerz erst am Ende der Bewegung auf, kann eine artikuläre und/oder
eine myofasziale Ursache vorliegen. Werden die Schmerzen deutlich schlimmer, wenn
der Therapeut passiv die Innenrotation verstärkt, deutet das aus myofaszialer Sicht
auf ein Problem im M. obturatorius externus hin, der dabei vermehrt gedehnt wird [9].
Gleichzeitig ist eine verstärkte Innenrotation jedoch auch eine zusätzliche Provokation
für das Gelenk.
Verschlechtern sich die Schmerzen nicht bei verstärkter Innenrotation, sondern bei
vermehrter Flexion, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kompressionsprovokation
vor: Hier können sowohl der M. iliopsoas als auch der M. pectineus und/oder das Gelenk
(Labrum) betroffen sein.
Ein im MRT strukturell nachgewiesenes FAI kann vollkommen symptomlos sein.
Folglich bekommt der Therapeut beim FAI-Test nur eine zuverlässige Aussage: Ist der
Test negativ, hat der Patient kein klinisch relevantes FAI. Ist der Test dagegen positiv,
können ein FAI und/oder eine myofasziale Ursache vorliegen.
Bildgebende Verfahren geben keine Sicherheit
Bildgebende Verfahren geben keine Sicherheit
Auch bildgebende Verfahren können die Ursache der Leistenschmerzen nicht zweifelsfrei
darstellen. Zur Diagnostik eines FAI kommen Röntgenbilder, MRT sowie MRT mit Kontrastmittel
zum Einsatz, wobei die Kontrastmittel-Arthrografie die beste Sensitivität hat [7,
10]. 23 Prozent der Durchschnittsbevölkerung und 55 Prozent der Sportler, die keinerlei
Beschwerden haben, zeigen Veränderungen im Sinne eines FAI [11, 12]. Ein strukturell
nachgewiesenes FAI kann also vollkommen symptomlos sein. Man sollte demnach bei einem
Patienten mit Leistenschmerzen und bildgebend dokumentiertem FAI nicht automatisch
davon ausgehen, dass damit die Schmerzursache geklärt ist.
In vielen Fällen ist der funktionelle Aspekt des Impingements entscheidend dafür,
ob es zu Leistenschmerzen kommt. Hilfreich ist es hier, die kurzen, gelenknahen Muskeln
im Hinterkopf zu haben, die den Femurkopf im Hüftgelenk zentrieren. Sind diese insuffizient,
kann ein funktionelles Impingement entstehen [13, 14]. Der M. obturatorius externus
bildet eine Art „Hängematte“ für den Femurkopf und trägt, ebenso wie der M. pectineus
(sowie der M. piriformis, M. obturatorius internus mit den Mm. gemelli und die Mm.
gluteus medius und minimus), wesentlich dazu bei, dass das Hüftgelenk stabilisiert
ist. Ist diese muskuläre Führung des Gelenks nicht optimal, kann ein funktionelles
Impingement resultieren, das sich durch Behandlung der dysfunktionsverursachenden
mTrPs in Kombination mit funktionellem Training behandeln lässt.
Trial and Error anhand einer Probebehandlung
Trial and Error anhand einer Probebehandlung
Die effektivste Art, zu klären, ob der Leistenschmerz eine artikuläre oder myofasziale
Ursache hat, ist eine Probebehandlung. Hier haben die myofaszialen Strukturen Vorrang,
denn ihre Behandlung ist im Vergleich zu einer OP einfach, ungefährlich und kostengünstig.
Empfehlenswert ist, zuerst im M. obturatorius externus (bzw. je nach Befund im M.
pectineus oder M. iliopsoas) nach aktiven mTrPs (PHYSIOPRAXIS 2/17, S. 51) zu suchen
([TAB. 1]) und diese bei entsprechendem Befund gezielt zu behandeln. Bei der manuellen Untersuchung
des M. obturatorius externus ist es nicht möglich, Hartspannstränge zu palpieren,
da der Muskel vom M. pectineus überdeckt ist. Der Therapeut kann jedoch überprüfen,
ob bei mittelstarkem Palpationsdruck Stellen im Bereich des M. obturatorius externus
erhöht druckempfindlich sind (Spot Tenderness) und die dem Patienten bekannten Leistenschmerzen
auslösen (Pain Recognition) ([ABB. 5a] und [b]).
TAB. 1
Klinische Diagnosekriterien aktiver myofaszialer Triggerpunkte [15]
Hauptdiagnosekriterien
|
Ergänzende Diagnosekriterien
|
-
Hartspannstrang (Taut Band)
-
maximale Druckempfindlichkeit (Spot Tenderness) im Hartspannstrang
-
Reproduktion der Symptome (Pain Recognition) durch mechanische Stimulation:
|
-
ausstrahlende Schmerzen (Referred Pain) oder andere übertragene Phänomene:
-
sensorisch
-
motorisch
-
autonom
-
Gewebsverdichtung bzw. lokale, ödematöse Verquellung innerhalb des Hartspannstrangs
-
lokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response)
-
Reproduktion der Symptome durch:
-
Muskeldehnung
-
Muskelkontraktion
-
Muskelschwäche ohne Atrophie
-
propriozeptive Störungen mit Beeinträchtigung der Koordination
-
autonom-vegetative Phänomene
|
ABB. 5A UND B Palpatorische Diagnostik des M. obturatorius externus
ABB. 5A Der Zugang zum M. obturatorius externus erfolgt palpatorisch durch den M. pectineus
hindurch. Medial der A. femoralis palpiert man den M. pectineus (oberflächlich) und
tastet anschließend vom vorderen Schambeinast nach kaudal-dorsal Richtung Foramen
obturatus. Durch den M. pectineus hindurch wird der M. obturatorius mit dem Daumen
provoziert.
Abb.: R. Gautschi (nachgestellte Situation) [rerif]
ABB. 5B Während der Daumen die Druckprovokation konstant beibehält, führt der Therapeut das
linke Bein des Patienten in transversale Abduktion. Dabei wird der oberflächlich liegende
M. pectineus gedehnt. Nehmen im Verlauf die Leistenschmerzen ab, liegen die aktiven
mTrPs im M. obturatorius externus.
Abb.: R. Gautschi (nachgestellte Situation) [rerif]
Eine Probebehandlung kann am effektivsten klären, ob der Leistenschmerz artikulär
oder myofaszial ist.
Der anschließende Wiederbefund zeigt, ob es sich tatsächlich um ein myofasziales Problem
handelt. Nehmen die Schmerzen ab und werden die schmerzfreien Intervalle nach jeder
Behandlung länger, ist ein primäres myofasziales Syndrom wahrscheinlich, und es ist
zu erwarten, dass die konservative Therapie effektiv sein wird. Dabei sollten die
Hands-on-Maßnahmen mit Dehnen und funktionellem Training kombiniert werden. Zudem
ist es wichtig, Faktoren wie die Ergonomie zu beachten, die das myofasziale Problem
möglicherweise aufrechterhalten.
Werden die Schmerzen nach der Behandlung nur kurzzeitig besser und kehren danach immer
wieder, sind die mTrPs vermutlich infolge eines artikulären Primärproblems (FAI) entstanden
(sekundäres myofasziales Syndrom). Die Therapie sollte sich in diesem Fall auf das
primäre Problem ausrichten.
Schlägt die myofasziale Probebehandlung überhaupt nicht an, ist das im Sinne der Ausschlussdiagnostik
hilfreich – als problemverursachende Struktur rückt dann das Gelenk (FAI) in den Vordergrund.
Mit der Triggerpunkt-Therapie das funktionelle Training vorbereiten
Mit der Triggerpunkt-Therapie das funktionelle Training vorbereiten
Nehmen beim FAI-Test die Leistenschmerzen zu, wenn man die Hüftgelenkflexion forciert,
sollte der Therapeut mTrPs im M. iliopsoas ([ABB. 6]) und M. pectineus ([ABB. 7]) behandeln (Kompressionsprovokation). Ist vor allem die Innenrotation schmerzverstärkend,
ist es wichtig, den M. obturatorius externus ([ABB. 8]) zu behandeln (Dehnprovokation).
ABB. 6 Behandlung des M. iliopsoas distal des Leistenbandes Richtung Trochanter minor: Durch
Flexion, etwas Abduktion und Außenrotation im Hüftgelenk wird der Trochanter minor
nach ventral gedreht, und der M. iliopsoas ist damit lateral der A. femoralis einfach
zu tasten und zu behandeln.
Abb.: O. Vogl, Affalterbach (nachgest. Sit.)
ABB. 7 Manuelle Therapie von Triggerpunkten im M. pectineus (medial der A. femoralis)
Abb.: O. Vogl, Affalterbach (nachgest. Sit.)
ABB. 8 Manuelle Therapie von Triggerpunkten im M. obturatorius externus erfolgt durch den
M. pectineus hindurch.
Abb.: O. Vogl, Affalterbach (nachgestellte Situation)
Das funktionelle Training der Muskulatur ist bei der Therapie myofaszialer Strukturen
grundsätzlich wichtig – auch im Kontext eines FAI. Da mTrPs in der Lage sind, sowohl
Schmerz [15, 16] als auch Dysfunktion der Muskulatur (verzögerte Aktivierung, rasche
Ermüdbarkeit, verlangsamte Erholung, Schwäche) zu verursachen [15, 17–21], können
mTrPs ein effektives funktionelles Training der Muskulatur behindern. Indem er das
Störpotenzial der Triggerpunkte beseitigt, schafft der Therapeut optimale Voraussetzungen
für das funktionelle Training, etwa für die wichtige Kräftigung der hüftgelenkstabilisierenden
Muskulatur [10, 13, 22].