ABB. 1 Da ist für jeden etwas dabei: Bilder und Themen lassen sich in HeadApp altersentsprechend
auswählen.
Abb.: HelferApp AG
Hirnleistungstraining ist veraltet und hat wenig mit moderner Ergotherapie zu tun
– so dachten wir zumindest. Um es im Rahmen unserer Bachelorarbeit an der Zuyd Hogeschool
in Heerlen kritisch zu beleuchten, nahmen wir den Auftrag der HelferApp AG an, HeadApp
durch erfahrene Therapeuten testen zu lassen und Vor- und Nachteile herauszufinden.
Dadurch änderte sich unsere Haltung gegenüber digitalem Hirnleistungstraining jedoch
deutlich – wir halten es mittlerweile sogar bei älteren Menschen mit beginnender Demenz
für geeignet.
HeadApp in eine betätigungsorientierte Ergotherapie zu integrieren, gelingt mit dem
Top-to-Bottom-up-Ansatz!
Hirnleistungstraining versus Betätigungsorientierung
Hirnleistungstraining versus Betätigungsorientierung
Hirnleistungstraining ist ein Mittel zum kognitiven Training. Es sollte jedoch nicht
als alleinige Ergotherapie verwendet werden, da es keinen direkten Alltagsbezug hat.
HeadApp in eine betätigungsorientierte Ergotherapie zu integrieren ermöglicht der
Top-To-Bottom-Up-Ansatz: Im Erstgespräch erhebt die Ergotherapeutin mittels betätigungsorientiertem
Assessment die Performanzprobleme des Klienten. Anschließend klärt sie die Ursachen
dafür ab, indem sie die personenbezogenen Faktoren, Körperfunktionen sowie die physische
und soziale Umwelt analysiert (Bottom-up). Nach der Intervention evaluiert sie, ob
der Klient das Betätigungsanliegen erreicht hat (Top-down) [1].
Top-to-Bottom-up-Ansatz in der Geriatrie
Top-to-Bottom-up-Ansatz in der Geriatrie
Nach diesem Prinzip verlief die Therapie bei einer 78-jährigen Klientin. Frau Müller
war aufgrund einer beginnenden Demenz vorübergehend stationär in der geriatrischen
Reha. Zum ergotherapeutischen Erstgespräch erschien sie zusammen mit ihrer Tochter
und ihrem Schwiegersohn, sodass sie ihre Betätigungsanliegen anhand des COPM gemeinsam
definieren und besprechen konnten.
Dabei kam heraus, dass Frau Müller in einer eigenen kleinen Wohnung im Haus ihrer
Tochter wohnte und gerne am heimischen Computer spielte. Sie formulierte den Wunsch,
wieder regelmäßig an einer Tagesgruppe teilzunehmen. Zu dieser Zeit war ihr das nicht
möglich: Sie schaffte es nicht, pünktlich zum Gruppengeschehen zu erscheinen, da sie
immer wieder einzelne Schritte ihrer morgendlichen Routine vergaß. An diesem Punkt
entschied die behandelnde Ergotherapeutin, HeadApp mit Frau Müller auszuprobieren.
Denn: Mit dem Programm kann man unter anderem Lernstrategien anhand von Abläufen in
einer Wohnung üben und vertiefen.
Instrumentelle Alltagsaktivitäten erheben
Instrumentelle Alltagsaktivitäten erheben
Der Einstieg in das Programm ist einfach. Die Therapeutin legt eine Maske für einen
Klienten an und hinterlegt persönliche Daten, zum Beispiel den Grund für die Therapie
oder ob ein Neglekt vorliegt. Außerdem bietet HeadApp die Möglichkeit, einen IADL-Fragebogen
(IADL = Instrumental Activities of Daily Living) mit Klienten auszufüllen. Die Benutzung
eines Telefons, Einkaufen und Haushaltsführung sind einige der Betätigungen, die dort
abgefragt werden. Wiederholt man diesen Fragebogen, dient er der Verlaufskontrolle
bzw. Überprüfung des Therapieerfolgs.
Bei Frau Müller zeigte sich, dass sie in den IADL-Bereichen stets von ihren Angehörigen
begleitet und angeleitet werden muss. Vor allem bei der Haushaltsführung und Zubereitung
der Mahlzeiten.
HeadApp als kognitives Training
HeadApp als kognitives Training
HeadApp eignet sich für verschiedene Fachbereiche und trainiert Aufmerksamkeit, Konzentration,
Fokus, Gedächtnis und die Sprache. Um die Vorlieben eines Klienten zu berücksichtigen,
kann er eine Themenauswahl treffen, zum Beispiel Alltag, Tiere oder Sport. Diese bezieht
sich auf die im Training angezeigten Inhalte und bleibt für jeden Klienten gespeichert.
Darüber hinaus kann man Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit und Sprache (Deutsch, Englisch)
einstellen.
HeadApp besteht aus zehn Modulen, die verschiedene kognitive Bereiche trainieren,
zum Beispiel Gedächtnis oder Reaktionsgeschwindigkeit (HEADAPP). Schwierigkeitsgrad
und Dauer des Trainings lassen sich jeweils anpassen. Durch Fotos und eine ansprechende
Benutzeroberfläche lassen sich sowohl junge als auch ältere Klienten sehr gut motivieren.
Stellt die Therapeutin den Neglektmodus ein, erscheint auf der Hauptseite und während
der Module eine sich bewegende Punktewolke im Hintergrund des Bildschirms. Diese soll
die Aufmerksamkeit des Klienten auf die vernachlässigte Seite ziehen.
Bestimmte Module verfügen zusätzlich über einen Aphasie-Modus. Damit lernt der Klient,
Gedächtnisinhalte von Bildern zu Worten und von Worten zu Bildern zu transferieren.
Motivationsschub: Punktevergabe und Themenauswahl
Motivationsschub: Punktevergabe und Themenauswahl
Gemäß der Loci-Methode erhielt Frau Müller den Auftrag, sich verschiedene Stationen,
die sie in einer fiktiven Wohnung in HeadApp durchlief, einzuprägen und in der richtigen
Reihenfolge wiederzugeben: im Schlafzimmer aufstehen, sich im Badezimmer waschen,
in der Küche frühstücken etc. ([ABB. 3], S. 36). Die Klientin kam schnell mit dem Programm zurecht und fand die freundliche
Aufmachung sehr ansprechend. Da sie Schwierigkeiten beim Lesen der Textaufgaben hatte,
ließ sie sich die Aufgabe über die Sprachausgabe vorlesen.
ABB. 3 Mit HeadApp können die Klienten eine fiktive Wohnung durchlaufen und sich verschiedene
Stationen einprägen.
Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG
Das Modul „Flip It“ richtet sich an die Gedächtnisleistung (HEADAPP). Ähnlich wie
bei einem Memory musste sich Frau Müller hier Bilder einprägen und das richtige Paar
finden. Für jedes gefundene Paar bekam sie Punkte – das motivierte sie sehr. Besonders
gefiel ihr die Themenauswahl; sie entschied sich für Tiere, Pflanzen und Essen mit
Fleisch.
Auch Frau Müllers Angehörige lernten HeadApp kennen. Die Therapeutin erklärte ihnen,
wie sie das Programm downloaden, was es kostet, wie sie einen Account anlegen, Frau
Müller bei Bedarf helfen und auf ihre Werte und Fortschritte zugreifen können.
Für das Eigentraining geeignet
Für das Eigentraining geeignet
HeadApp ist in zwei Versionen erhältlich: für Therapeuten und für Klienten (STECKBRIEF,
S. 36). Damit kann es zusätzlich zur Therapie im Eigentraining stattfinden. Beide
Versionen eignen sich für den PC, das Tablet oder das Smartphone und können immer
und überall genutzt werden, zum Beispiel als kurzes Training in der Mittagspause oder
abends auf der Terrasse.
Anhand des digitalen Therapieverlaufs können Therapeuten über die Professional-Version
auf die Daten der Klienten zugreifen, Trainingsintensität, erreichte Punktzahl und
Fortschritte des Klienten einsehen und ggf. mit ihm besprechen.
HeadApp – Module und therapeutischer Nutzen
Pick It: Der Klient sucht aus einer Gruppe von Bildern das heraus, das mit dem Vergleichsbild
identisch ist. Die Unterschiede nehmen mit steigendem Schwierigkeitsgrad ab, die Anzahl
der Bilder nimmt zu.
-
eignet sich zum Training von Aufmerksamkeit, visuellem Scannen, Fokussierung
-
enthält einen Aphasiemodus
See It: Der Klient prägt sich eine Straßenszene mit visuellen und akustischen Reizen ein
und beantwortet Fragen dazu.
Match It: Die vier Trainingsmodi beinhalten Basics wie Zahlen und/oder Buchstaben, Bilder vergleichen,
Rechenaufgaben lösen, Aufgaben mit Geld und Aufgaben zur mentalen Rotation.
Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG
Hit It: Der Klient reagiert bei einem Reiz (Bild) mit dem Drücken auf die Leertaste. Die
Reize erscheinen je nach Schwierigkeitsgrad in konstanten oder unregelmäßigen Abständen.
Das Programm zeigt außerdem an, ob die Reaktion auf die jeweilige Karte richtig und
schnell genug war. Das Modul steigert sich auch dahingehend, dass man beispielsweise
nur auf Karten mit roten Objekten reagieren darf.
-
eignet sich zum Training von Reaktionsgeschwindigkeit, Reaktionssicherheit, Impulskontrolle,
Aufmerksamkeitsintensität
Learn It: Dieses Modul vermittelt Lern- und Gedächtnisstrategien mittels der Fünf-Schritte-
und der Loci-Methode. Ziel ist es, sich mithilfe von interaktiven Möglichkeiten Dinge
besser zu merken. Diese können dann optimal in den Alltag integriert werden.
Flip It und Pair It: Der Klient prägt sich in beiden Modulen Bilder und deren Position ein und wird dazu
aufgefordert, sie wiederzufinden.
Word It, Struct It, Sequence It und Reason It: Mit diesen Modulen trainieren Klienten mit erworbenen Sprachstörungen wie Aphasie
Grammatik, Redewendungen und die Verwendung von Wörtern [2].
Nutzt ein Klient die Home-Version, kann die behandelnde Therapeutin mit dem Klienten
festlegen, welche Module von HeadApp er zu Hause nutzen soll. Die Therapeutin kann
auch bestimmte Bereiche für den Klienten einschränken oder die Dauer eines Moduls
begrenzen, um eine Überforderung zu vermeiden.
Ergänzt die ergotherapeutische Intervention
Ergänzt die ergotherapeutische Intervention
Frau Müller vereinbart mit ihrer Ergotherapeutin, dass sie mindestens 3-mal pro Woche
für je 30 Minuten mit HeadApp trainiert. Dabei achten ihre Angehörigen darauf, dass
sie die Lernstrategien auf ihren Alltag überträgt, indem sie ihre Morgenroutine zum
Beispiel auf Papier visualisiert und diese, wie vorher mit dem Programm, verinnerlicht
und im Alltag anwendet.
Zusätzlich kommt die Klientin weiterhin zur Einzelintervention. Dazu bringt sie die
Auswertung von HeadApp mit, damit sie das Programm zusammen mit ihrer Therapeutin
anpassen, die Lernstrategien vertiefen und ggf. erproben kann. Auf diese Weise lernt
sie im Zeitraum von sechs Wochen, ihre Morgenroutine selbstständig durchzuführen.
Dadurch kann sie wieder an der Tagesgruppe teilnehmen und hat somit ihr Betätigungsanliegen
erreicht.
Empfehlung für die Ergotherapie
Empfehlung für die Ergotherapie
In unserer Bachelorarbeit stellten wir uns die Frage, wie Ergotherapeuten die Anwendung
von HeadApp in der Intervention bei Klienten mit mittleren kognitiven Einschränkungen
erleben und wo sie den Transfer in den Alltag sehen [3]. Ihren Rückmeldungen zufolge
würde die Mehrheit HeadApp weiter nutzen. Dabei heben sie besonders die einfache und
schnelle Anwendung sowie die grafische Darstellung des Programms hervor. Insbesondere
die Lernstrategien ermöglichen ihrer Meinung nach einen Transfer des am PC Gelernten
in den Alltag. Die Home-Version fördert die aktive Rolle des Klienten in der Therapie,
sodass er eigenverantwortlich an seinen kognitiven Defiziten arbeitet. Der einzige
Schwachpunkt von HeadApp ist, dass man eine funktionierende Internetverbindung benötigt.
Digitale Medien und Programme kommen immer stärker in der Therapie zum Einsatz, und
auch die Betätigungsziele der Klienten ändern sich dahingehend. Die Technologiebasierung
als neue Säule der Ergotherapie führt uns bereits in die Richtung, die Klienten zum
Gebrauch von digitalen Medien zu beraten und zu begleiten. Wirken Therapeuten auch
an der Entwicklung, Durchführung und Evaluation neuer technischer Anwendungen wie
HeadApp mit, stellen sie sicher, dass sich solche Programme in eine betätigungsorientierte
Praxis integrieren lassen [4].
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Einsatzbereiche: Menschen mit erworbenen Hirnschäden wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung,
psychiatrischen Erkrankungen, Demenz, Morbus Parkinson, MS oder ADHS
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Anwendung: stationär, ambulant, zu Hause
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Kosten: Professional-Version für Therapeuten ab 10 Euro monatlich, Home-Version für Klienten
einmalig ab 10 Euro
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Endgeräte: Smartphone, Tablet, PC
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Voraussetzungen: Windows- oder Apple-Gerät, WLAN und eine E-Mail-Adresse
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Kognitive Trainingsbereiche: Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Fokus, Konzentration, Sprache
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Besonderheiten: Neglektmodus, Trainingsbereich für Menschen mit Aphasie
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Video: http://bit.ly/HeadApp_erste_Schritte
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Firma: HelferApp AG, www.headapp.com, info@helferapp.com