ergopraxis 2018; 11(07/08): 34-36
DOI: 10.1055/a-0603-0605
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

HeadApp – Hirnleistungstraining 2.0

Selina Reiter
,
Robert Striesow

Subject Editor:
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Publication History

Publication Date:
06 July 2018 (online)

 

Die Software HeadApp eignet sich für das Hirnleistungstraining bei Klienten nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma und anderen Schädigungen des Gehirns. Es kann stationär, ambulant und im Eigentraining zum Einsatz kommen. Selina Reiter und Robert Striesow untersuchten die Anwendung von HeadApp in ihrer Bachelorarbeit und zeigen anhand eines Fallbeispiels aus der Geriatrie, wie sie es in eine betätigungsorientierte ergotherapeutische Intervention integrieren.


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Selina Reiter , Ergotherapeutin BSc, arbeitet seit fünf Jahren in der stationären Gerontopsychiatrie und seit Ende 2017 als Dozentin. 2018 schloss sie das Ergotherapiestudium an der Zuyd Hogeschool in Heerlen, Niederlande, ab. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie über das Programm HeadApp – gemeinsam mit

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Robert Striesow, Ergotherapeut BSc, der die Ergotherapie, Fachbereich Neurologie, der Klinik Bavaria in Bad Kissingen leitet und 2018 in den Fachausschuss Technische Medien und Mittel vom DVE berufen wurde.

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ABB. 1 Da ist für jeden etwas dabei: Bilder und Themen lassen sich in HeadApp altersentsprechend auswählen.
Abb.: HelferApp AG

Hirnleistungstraining ist veraltet und hat wenig mit moderner Ergotherapie zu tun – so dachten wir zumindest. Um es im Rahmen unserer Bachelorarbeit an der Zuyd Hogeschool in Heerlen kritisch zu beleuchten, nahmen wir den Auftrag der HelferApp AG an, HeadApp durch erfahrene Therapeuten testen zu lassen und Vor- und Nachteile herauszufinden. Dadurch änderte sich unsere Haltung gegenüber digitalem Hirnleistungstraining jedoch deutlich – wir halten es mittlerweile sogar bei älteren Menschen mit beginnender Demenz für geeignet.

HeadApp in eine betätigungsorientierte Ergotherapie zu integrieren, gelingt mit dem Top-to-Bottom-up-Ansatz!

Hirnleistungstraining versus Betätigungsorientierung

Hirnleistungstraining ist ein Mittel zum kognitiven Training. Es sollte jedoch nicht als alleinige Ergotherapie verwendet werden, da es keinen direkten Alltagsbezug hat.

HeadApp in eine betätigungsorientierte Ergotherapie zu integrieren ermöglicht der Top-To-Bottom-Up-Ansatz: Im Erstgespräch erhebt die Ergotherapeutin mittels betätigungsorientiertem Assessment die Performanzprobleme des Klienten. Anschließend klärt sie die Ursachen dafür ab, indem sie die personenbezogenen Faktoren, Körperfunktionen sowie die physische und soziale Umwelt analysiert (Bottom-up). Nach der Intervention evaluiert sie, ob der Klient das Betätigungsanliegen erreicht hat (Top-down) [1].


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Top-to-Bottom-up-Ansatz in der Geriatrie

Nach diesem Prinzip verlief die Therapie bei einer 78-jährigen Klientin. Frau Müller war aufgrund einer beginnenden Demenz vorübergehend stationär in der geriatrischen Reha. Zum ergotherapeutischen Erstgespräch erschien sie zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, sodass sie ihre Betätigungsanliegen anhand des COPM gemeinsam definieren und besprechen konnten.

Dabei kam heraus, dass Frau Müller in einer eigenen kleinen Wohnung im Haus ihrer Tochter wohnte und gerne am heimischen Computer spielte. Sie formulierte den Wunsch, wieder regelmäßig an einer Tagesgruppe teilzunehmen. Zu dieser Zeit war ihr das nicht möglich: Sie schaffte es nicht, pünktlich zum Gruppengeschehen zu erscheinen, da sie immer wieder einzelne Schritte ihrer morgendlichen Routine vergaß. An diesem Punkt entschied die behandelnde Ergotherapeutin, HeadApp mit Frau Müller auszuprobieren. Denn: Mit dem Programm kann man unter anderem Lernstrategien anhand von Abläufen in einer Wohnung üben und vertiefen.


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Instrumentelle Alltagsaktivitäten erheben

Der Einstieg in das Programm ist einfach. Die Therapeutin legt eine Maske für einen Klienten an und hinterlegt persönliche Daten, zum Beispiel den Grund für die Therapie oder ob ein Neglekt vorliegt. Außerdem bietet HeadApp die Möglichkeit, einen IADL-Fragebogen (IADL = Instrumental Activities of Daily Living) mit Klienten auszufüllen. Die Benutzung eines Telefons, Einkaufen und Haushaltsführung sind einige der Betätigungen, die dort abgefragt werden. Wiederholt man diesen Fragebogen, dient er der Verlaufskontrolle bzw. Überprüfung des Therapieerfolgs.

Bei Frau Müller zeigte sich, dass sie in den IADL-Bereichen stets von ihren Angehörigen begleitet und angeleitet werden muss. Vor allem bei der Haushaltsführung und Zubereitung der Mahlzeiten.


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HeadApp als kognitives Training

HeadApp eignet sich für verschiedene Fachbereiche und trainiert Aufmerksamkeit, Konzentration, Fokus, Gedächtnis und die Sprache. Um die Vorlieben eines Klienten zu berücksichtigen, kann er eine Themenauswahl treffen, zum Beispiel Alltag, Tiere oder Sport. Diese bezieht sich auf die im Training angezeigten Inhalte und bleibt für jeden Klienten gespeichert. Darüber hinaus kann man Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit und Sprache (Deutsch, Englisch) einstellen.

HeadApp besteht aus zehn Modulen, die verschiedene kognitive Bereiche trainieren, zum Beispiel Gedächtnis oder Reaktionsgeschwindigkeit (HEADAPP). Schwierigkeitsgrad und Dauer des Trainings lassen sich jeweils anpassen. Durch Fotos und eine ansprechende Benutzeroberfläche lassen sich sowohl junge als auch ältere Klienten sehr gut motivieren.

Stellt die Therapeutin den Neglektmodus ein, erscheint auf der Hauptseite und während der Module eine sich bewegende Punktewolke im Hintergrund des Bildschirms. Diese soll die Aufmerksamkeit des Klienten auf die vernachlässigte Seite ziehen.

Bestimmte Module verfügen zusätzlich über einen Aphasie-Modus. Damit lernt der Klient, Gedächtnisinhalte von Bildern zu Worten und von Worten zu Bildern zu transferieren.


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Motivationsschub: Punktevergabe und Themenauswahl

Gemäß der Loci-Methode erhielt Frau Müller den Auftrag, sich verschiedene Stationen, die sie in einer fiktiven Wohnung in HeadApp durchlief, einzuprägen und in der richtigen Reihenfolge wiederzugeben: im Schlafzimmer aufstehen, sich im Badezimmer waschen, in der Küche frühstücken etc. ([ABB. 3], S. 36). Die Klientin kam schnell mit dem Programm zurecht und fand die freundliche Aufmachung sehr ansprechend. Da sie Schwierigkeiten beim Lesen der Textaufgaben hatte, ließ sie sich die Aufgabe über die Sprachausgabe vorlesen.

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ABB. 3 Mit HeadApp können die Klienten eine fiktive Wohnung durchlaufen und sich verschiedene Stationen einprägen.
Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG

Das Modul „Flip It“ richtet sich an die Gedächtnisleistung (HEADAPP). Ähnlich wie bei einem Memory musste sich Frau Müller hier Bilder einprägen und das richtige Paar finden. Für jedes gefundene Paar bekam sie Punkte – das motivierte sie sehr. Besonders gefiel ihr die Themenauswahl; sie entschied sich für Tiere, Pflanzen und Essen mit Fleisch.

Auch Frau Müllers Angehörige lernten HeadApp kennen. Die Therapeutin erklärte ihnen, wie sie das Programm downloaden, was es kostet, wie sie einen Account anlegen, Frau Müller bei Bedarf helfen und auf ihre Werte und Fortschritte zugreifen können.


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Für das Eigentraining geeignet

HeadApp ist in zwei Versionen erhältlich: für Therapeuten und für Klienten (STECKBRIEF, S. 36). Damit kann es zusätzlich zur Therapie im Eigentraining stattfinden. Beide Versionen eignen sich für den PC, das Tablet oder das Smartphone und können immer und überall genutzt werden, zum Beispiel als kurzes Training in der Mittagspause oder abends auf der Terrasse.

Anhand des digitalen Therapieverlaufs können Therapeuten über die Professional-Version auf die Daten der Klienten zugreifen, Trainingsintensität, erreichte Punktzahl und Fortschritte des Klienten einsehen und ggf. mit ihm besprechen.

HeadApp – Module und therapeutischer Nutzen

Pick It: Der Klient sucht aus einer Gruppe von Bildern das heraus, das mit dem Vergleichsbild identisch ist. Die Unterschiede nehmen mit steigendem Schwierigkeitsgrad ab, die Anzahl der Bilder nimmt zu.

  • eignet sich zum Training von Aufmerksamkeit, visuellem Scannen, Fokussierung

  • enthält einen Aphasiemodus


See It: Der Klient prägt sich eine Straßenszene mit visuellen und akustischen Reizen ein und beantwortet Fragen dazu.

  • eignet sich zum Training von Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Lesen und Verstehen


Match It: Die vier Trainingsmodi beinhalten Basics wie Zahlen und/oder Buchstaben, Bilder vergleichen, Rechenaufgaben lösen, Aufgaben mit Geld und Aufgaben zur mentalen Rotation.

  • eignet sich zum Training von visuellem Scannen und als visuelles Training von selektiver, geteilter und räumlicher Aufmerksamkeit

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Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG

Hit It: Der Klient reagiert bei einem Reiz (Bild) mit dem Drücken auf die Leertaste. Die Reize erscheinen je nach Schwierigkeitsgrad in konstanten oder unregelmäßigen Abständen. Das Programm zeigt außerdem an, ob die Reaktion auf die jeweilige Karte richtig und schnell genug war. Das Modul steigert sich auch dahingehend, dass man beispielsweise nur auf Karten mit roten Objekten reagieren darf.

  • eignet sich zum Training von Reaktionsgeschwindigkeit, Reaktionssicherheit, Impulskontrolle, Aufmerksamkeitsintensität


Learn It: Dieses Modul vermittelt Lern- und Gedächtnisstrategien mittels der Fünf-Schritte- und der Loci-Methode. Ziel ist es, sich mithilfe von interaktiven Möglichkeiten Dinge besser zu merken. Diese können dann optimal in den Alltag integriert werden.


Flip It und Pair It: Der Klient prägt sich in beiden Modulen Bilder und deren Position ein und wird dazu aufgefordert, sie wiederzufinden.

  • eignet sich zum Training von Aufmerksamkeit und Gedächtnis

  • beide Module enthalten einen Aphasie-Modus


Word It, Struct It, Sequence It und Reason It: Mit diesen Modulen trainieren Klienten mit erworbenen Sprachstörungen wie Aphasie Grammatik, Redewendungen und die Verwendung von Wörtern [2].

Nutzt ein Klient die Home-Version, kann die behandelnde Therapeutin mit dem Klienten festlegen, welche Module von HeadApp er zu Hause nutzen soll. Die Therapeutin kann auch bestimmte Bereiche für den Klienten einschränken oder die Dauer eines Moduls begrenzen, um eine Überforderung zu vermeiden.


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Ergänzt die ergotherapeutische Intervention

Frau Müller vereinbart mit ihrer Ergotherapeutin, dass sie mindestens 3-mal pro Woche für je 30 Minuten mit HeadApp trainiert. Dabei achten ihre Angehörigen darauf, dass sie die Lernstrategien auf ihren Alltag überträgt, indem sie ihre Morgenroutine zum Beispiel auf Papier visualisiert und diese, wie vorher mit dem Programm, verinnerlicht und im Alltag anwendet.

Zusätzlich kommt die Klientin weiterhin zur Einzelintervention. Dazu bringt sie die Auswertung von HeadApp mit, damit sie das Programm zusammen mit ihrer Therapeutin anpassen, die Lernstrategien vertiefen und ggf. erproben kann. Auf diese Weise lernt sie im Zeitraum von sechs Wochen, ihre Morgenroutine selbstständig durchzuführen. Dadurch kann sie wieder an der Tagesgruppe teilnehmen und hat somit ihr Betätigungsanliegen erreicht.


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Empfehlung für die Ergotherapie

In unserer Bachelorarbeit stellten wir uns die Frage, wie Ergotherapeuten die Anwendung von HeadApp in der Intervention bei Klienten mit mittleren kognitiven Einschränkungen erleben und wo sie den Transfer in den Alltag sehen [3]. Ihren Rückmeldungen zufolge würde die Mehrheit HeadApp weiter nutzen. Dabei heben sie besonders die einfache und schnelle Anwendung sowie die grafische Darstellung des Programms hervor. Insbesondere die Lernstrategien ermöglichen ihrer Meinung nach einen Transfer des am PC Gelernten in den Alltag. Die Home-Version fördert die aktive Rolle des Klienten in der Therapie, sodass er eigenverantwortlich an seinen kognitiven Defiziten arbeitet. Der einzige Schwachpunkt von HeadApp ist, dass man eine funktionierende Internetverbindung benötigt.

Digitale Medien und Programme kommen immer stärker in der Therapie zum Einsatz, und auch die Betätigungsziele der Klienten ändern sich dahingehend. Die Technologiebasierung als neue Säule der Ergotherapie führt uns bereits in die Richtung, die Klienten zum Gebrauch von digitalen Medien zu beraten und zu begleiten. Wirken Therapeuten auch an der Entwicklung, Durchführung und Evaluation neuer technischer Anwendungen wie HeadApp mit, stellen sie sicher, dass sich solche Programme in eine betätigungsorientierte Praxis integrieren lassen [4].

Steckbrief – HeadApp
  • Einsatzbereiche: Menschen mit erworbenen Hirnschäden wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutung, psychiatrischen Erkrankungen, Demenz, Morbus Parkinson, MS oder ADHS

  • Anwendung: stationär, ambulant, zu Hause

  • Kosten: Professional-Version für Therapeuten ab 10 Euro monatlich, Home-Version für Klienten einmalig ab 10 Euro

  • Endgeräte: Smartphone, Tablet, PC

  • Voraussetzungen: Windows- oder Apple-Gerät, WLAN und eine E-Mail-Adresse

  • Kognitive Trainingsbereiche: Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Fokus, Konzentration, Sprache

  • Besonderheiten: Neglektmodus, Trainingsbereich für Menschen mit Aphasie

  • Video: http://bit.ly/HeadApp_erste_Schritte

  • Firma: HelferApp AG, www.headapp.com, info@helferapp.com


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ABB. 1 Da ist für jeden etwas dabei: Bilder und Themen lassen sich in HeadApp altersentsprechend auswählen.
Abb.: HelferApp AG
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ABB. 3 Mit HeadApp können die Klienten eine fiktive Wohnung durchlaufen und sich verschiedene Stationen einprägen.
Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG
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Abb.: vivat/fotolia.com; HelferApp AG