Herr Dr. Rosenberg, eines der Schwerpunktthemen des diesjährigen Deutschen Röntgenkongresses
lautet Digitale Kommunikation in der Radiologie. Wie viel Kommunikation steckt in
der Radiologie?
Eine Menge! Bilddaten und anhängender Befund zu einer ärztlich-radiologischen Leistung
werden in digitaler Form transportiert, das ist Kommunikation. Die Inhalte dieses
Pakets patientenspezifisch in einen medizinischen Kontext zu stellen, ist mindestens
genauso wichtig. Diese Kommunikation – nennen wir sie Kontextkommunikation – findet
gegenüber dem Patienten und/oder mitbehandelnden Kollegen statt. In der Sache unterscheidet
sich hier das ambulante Setting, also ein Arztnetzwerk, nicht vom klinischen Setting,
z. B. einer multidisziplinären Tumorkonferenz.
Dr. Christian Rosenberg
Was genau versteht man unter Teleradiologie?
Im weiteren Sinne bedeutet Teleradiologie, dass Komponenten dieser radiologischen
Leistung räumlich getrennt stattfinden, also Teile der Untersuchung bzw. Befundung,
der Befundkommunikation oder der Kontextkommunikation. Die Mitbeurteilung von Bildern
durch Kollegen einer anderen Fachdisziplin – anstelle einer direkten Kommunikation
mit dem befundenden Radiologen – kann mit teleradiologischen Mitteln erfolgen. Ebenso
die Zweitbeurteilung durch einen fachkundigen Radiologen, z. B. im Rahmen einer orts-
und zweckgebundenen Spezialfragestellung. Nichts Anderes findet statt, wenn im Rahmen
einer standortübergreifenden interdisziplinären Videokonferenz sachbezogen radiologische
Bilddaten auf einem geteilten Bildschirm aufgerufen und fachkundig beurteilt werden.
Teleradiologie im engeren Sinne meint die Durchführung einer Untersuchung ohne körperliche
Anwesenheit eines fachkundigen Radiologen am selben Ort. Diese Form der Teleradiologie
ist nur als Ausnahme von der Regel erlaubt und für Verfahren mit Nutzung ionisierender
Strahlen im Strahlenschutzgesetz geregelt. Ein an anderem Ort befindlicher fachkundiger
Radiologe steht in Echtzeit und durch telekommunikative Mittel mit den Akteuren vor
Ort in Verbindung, er trägt und behält die unmittelbare Untersuchungsverantwortung.
Nachvollziehbarerweise gewinnt die Gewährleistung einer suffizienten Kontextkommunikation
in diesem Setting eine besondere Bedeutung.
Wann macht Teleradiologie überhaupt Sinn und für wen?
Teleradiologie macht zweifellos Sinn, wenn durch sie eine unvermeidbare örtlich oder
zeitlich begrenzte Unterversorgung von Patienten kompensiert werden kann. Diese medizinisch-radiologische
Unterversorgung kann absolut sein – der Einsatz eines fachkundigen Radiologen vor
Ort ist nicht möglich, oder sie kann die Versorgungsqualität betreffen – wenn z. B.
in einem übergeordneten STROKE-Netzwerk die erforderliche Fachexpertise mit teleradiologischen
Mitteln in die regionale Peripherie gebracht wird, um eine unnötige Verlegung des
Patienten zu verhindern. Sie kann helfen, mehrere Standorte eines Versorgungszentrums
zu vernetzen und dadurch einer übermäßigen Zentralisierung der Gesundheitsversorgung
entgegenwirken. Teleradiologie ist, zumindest aus medizinischer Sicht, immer dann
nicht sinnvoll, wenn Personaleinsparung im Rahmen von Rationalisierungsmaßnahmen,
die Gewinnmaximierung Dritter oder Fehlplanung bei der Nachwuchsausbildung den primären
Impuls zu ihrer Implementierung darstellen.
Eine standortübergreifende Tumorkonferenz im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau
mit KollegInnen der Evangelischen Lungenklink Berlin. © M. Tennert
Welchen konkreten Nutzen bietet die Teleradiologie also für den Patienten?
Bei einer sinnvollen Strukturanpassung der Medizinlandschaft ist der Patient der Hauptnutznießer
jeder Teleradiologie; vielmehr sollte der unmittelbare Nutzen für den Patienten ein
verpflichtender Maßstab für jede systematische Einführung von Teleradiologie sein.
Der Vorteil für den Patienten kann in einer Anhebung der allgemeinen und individuellen
Versorgungsqualität bestehen, sicher aber in einer Einsparung unnötiger Wege für den
Patienten, seine persönlichen Daten und auch für die behandelnden Ärzte – das hat
Potential zur nachhaltigen Kosteneinsparung. Als Bremse für eine versorgungspolitisch
unsinnige übermäßige Zentralisierung von Gesundheitsversorgung kann Teleradiologie
zum Erhalt einer heimatnahen Erreichbarkeit von Gesundheitszentren beitragen.
Wie hat man sich den Prozess dahinter genau vorzustellen, z. B. im Rahmen der Notfallversorgung?
Die typische Konstellation ist ein kleineres Haus mit CT und Rettungsstelle. Ein radiologischer
Nacht- oder Wochenenddienst wird nicht vorgehalten. Mit Hilfe eines vertraglich gebundenen
Teleradiologen kann die Rettungsstelle 24/7 betrieben werden. Die technische Durchführung
erfolgt durch eine fachkundige MTRA. Rechtfertigende Indikation, Untersuchungsverantwortung,
Befundung und Befundkommunikation übernimmt der Teleradiologe.
Wie sieht die Arbeitsteilung aus und welche Qualifikationen sind im Einzelnen erforderlich?
Der diensthabende Arzt in der Notaufnahme spielt eine Rolle. Gemäß vertraglicher Bindung
übernimmt er im Auftrag seines Arbeitgebers die Erstuntersuchung des zuzuführenden
Patienten und teilt seine Informationen mit dem Teleradiologen. Sein Zuständigkeitsbereich
für vitale und andere akute Notfälle wird auf die CT-Suite ausgedehnt. Er benötigt
zertifizierte Grundkenntnisse im Strahlenschutz, je nach Bundesland zusätzlich eine
Teilfachkunde in Teleradiologie. In der Regel übernimmt er die Untersuchungsaufklärung.
Ob diese ausreicht oder ob beispielsweise eine Aufklärung durch den Teleradiologen
per Videokonferenz erfolgen muss, ist juristisch umstritten – in einer echten Notfallsituation
nachgeordnet. Nach Beauftragung durch den (derzeit voll fachkundigen) Teleradiologen
führt die fachkundige MTRA die indizierte Untersuchung technisch durch und übermittelt
den Bilddatensatz an den Teleradiologen. Dieser erstellt den schriftlichen Befund
und übermittelt diesen in geeigneter Form.
Ist Teleradiologie nicht technisch sehr aufwändig und mitunter störanfällig? Schließlich
werden ja große Datenmengen bewegt und dies insbesondere im ländlichen Raum mit einem
tendenziell anfälligeren Leitungsnetz?
Die technischen Anforderungen lassen sich organisieren, die Zuständigkeiten müssen
klar geregelt sein. Ein Ausfall der Technik ist dennoch nie vollständig ausgeschlossen.
Wie wird verhindert, dass patientenbezogene Daten nicht in die Hände Dritter gelangen?
Die Anforderungen des Datenschutzes sind technisch lösbar. Jede Kooperation basiert
auf einem vertraglichen Fundament, das vorher durch die Datenschützer abgenommen wird.
Teleradiologie kann je nach Organisationsstruktur die Patientenautonomie stärken,
dem Patienten nachhaltig die Hoheit über seine eigenen Daten sichern.
Was passiert eigentlich, wenn teleradiologische Leistungen nicht abgerufen werden
können, z. B. aufgrund technischer Probleme. Ist dann gewährleistet, dass ein Radiologe
trotzdem schnell verfügbar ist?
Es gibt im Strahlenschutzgesetz das sogenannte Regionalprinzip, das vorschreibt, dass
der Teleradiologe in angemessener Zeit – nach Gesetzesauslegung innerhalb von 45 Minuten
– den Untersuchungsort erreichen kann. Zukünftig soll der Teleradiologe zusätzlich
eine dienstliche Verbindung mit der versorgten Einrichtung dokumentieren, z. B. durch
eine regelmäßige Vorort-Präsenz.
Wie viele teleradiologische Dienstleister gibt es in Deutschland bzw. wer bietet überhaupt
solche Leistungen an?
In einer Vielzahl von Spielarten gibt es landesweit regionale Versorgungsstrukturen,
in denen größere medizinische Versorgungseinheiten 24/7-Versorgung vorhalten und kleinere
Einheiten außerhalb regulärer Dienstzeiten teleradiologisch mitversorgen. Dem jeweiligen
Bedarf angepasst, erfolgt diese Kooperation zwischen Kliniken unterschiedlicher oder
gleicher Trägerschaft. Mit fallender Bevölkerungsdichte steigt dabei die zentripetale
Bedeutung des Leistungsanbieters. Darüber hinaus gibt es eine Anzahl von Anbietern,
häufig überregional als Privatunternehmen oder MVZ organisiert, die sich auf das Angebot
teleradiologischer Leistung spezialisiert haben.
Teleradiologie bedeutet ja neben der radiologischen Befundung eines Patienten durch
einen Radiologen, der nicht vor Ort ist, auch die digitale Übertragung von Röntgen-
und CT-Aufnahmen und den fachlichen Austausch zur Beurteilung der Befunde. Die sogenannte
„telekonsiliarische Befundbeurteilung“ von Röntgenaufnahmen ist durch das E-Health-Gesetz
auch Teil der vertragsärztlichen Versorgung. Haben sich Telekonsile in der Versorgungspraxis
bereits etablieren können?
Ja, die Kontextkommunikation ist sehr wichtig. Jeder Radiologe nimmt dieses Element
seiner ärztlichen Tätigkeit sehr ernst. Gerade jüngere Kollegen können sich hierdurch
nachhaltig profilieren. Die fragestellungsbezogene Zweitbeurteilung von Fremdaufnahmen
ist schon immer Bestandteil der Praxis. Die entsprechende Würdigung im vertragsärztlichen
Tarifsystem ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch sind Fragen der Abrechenbarkeit
weiterhin ungeklärt. Ungeklärt ist auch eine analoge Abrechnung im Rahmen der sektorenübergreifenden
Versorgung, z. B. für ambulante Patienten in einer klinischen Tumorkonferenz. Wie
ist bei der ebenfalls aus dem E-Health-Gesetz abgeleiteten „Zweitmeinung“ vor wichtigen
Eingriffen die fachkundige radiologische Mitbeurteilung gesichert? Wie ist die Einbindung
klinischer Spezialisten geregelt?
Ist die Teleradiologie in ihren unterschiedlichen Ausprägungen mit Blick auf die demografische
Entwicklung und den Fachärztemangel in strukturschwachen Regionen alternativlos?
Sicherlich nicht. Ist Mangel oder Strukturschwäche Ursache für die Implementierung
mithin sogar einer zeitlich begrenzten Primärversorgung durch Teleradiologie, so sollten
Politik und Fachverbände im Patienteninteresse geeignete Maßnahmen ergreifen, um diesem
Mangel entgegenzuwirken. Wo Teleradiologie zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität
führt, wo sie sinnvolle Synergien in der regionalen Gesundheitsversorgung trägt, ist
sie alternativlos.
Veranstaltungstipps
9. Mai 2018
Highlight 101: Teleradiologie nach RöV – oder geht doch noch mehr?
Vorsitz/Moderation: Prof. Dr. Gerald Weisser (Mannheim), Prof. Dr. Dr. Reinhard Loose
(Nürnberg)
14:45 bis 16:15 Uhr, Raum Rieder
MTRA 4: Digitale Kommunikation
Vorsitz/Moderation: Brigitte Olbrich (Greifswald)
17:00 bis 18:00 Uhr; Raum Kundt
10. Mai 2018
Highlight 204: Eröffnung der 99. Deutschen Röntgenkongresses
Vorsitz/Moderation: Prof. Dr. Peter Huppert (Darmstadt), Prof. Dr. Stefan Schönberg
(Mannheim)
11:00 bis 12:30 Uhr, Raum Röntgen
11. Mai 2018
Highlight 303: Röntgen-Vorlesung
Vorsitz/Moderation: Prof. Dr. Stefan Schönberg (Mannheim), Prof. Dr. Peter Huppert
(Darmstadt)
11:00 bis 12:30 Uhr, Raum Röntgen
SP 313: Radiologie und IT/Neuro IX – Teleradiologische Netzwerke in der Neuroradiologie
Vorsitz/Moderation: Dipl.-Phys. Roland Simmler (Zürich), Prof. Dr. Gerald Weisser
(Mannheim)
17:00 bis 18:30 Uhr, Raum Rieder