Abkürzungen
C:
Cholesterin
HDL:
High-Density Lipoprotein
LDL:
Low-Density Lipoprotein
PCSK9:
Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9
SOP:
Standard operating Procedure
Einleitung
Primäres Ziel bei der Behandlung von Fettstoffwechselstörungen ist es, das Risiko
für kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren.
Auf das Vorliegen einer Fettstoffwechselstörung sollten untersucht werden:
-
Patienten mit stattgehabtem kardiovaskulärem Ereignis,
-
Patienten mit weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren,
-
Frauen ≥ 50 Jahre (oder postmenopausal),
-
Männer ≥ 40 Jahre.
Neben der Familienanamnese (Fettstoffwechselstörungen, vorzeitige kardiovaskuläre
Erkrankungen?) kann auch die klinische Untersuchung (Xanthelasmen, Xanthome, Arcus
corneae?) bereits Hinweise auf das Vorliegen einer Fettstoffwechselstörung liefern.
Die laborchemische Untersuchung kann dann am nicht nüchternen Patienten erfolgen.
Bestimmt werden:
-
LDL-Cholesterin (LDL-C), HDL-Cholesterin, Gesamtcholesterin, Triglyzeride,
-
bei Personen mit vorzeitiger kardiovaskulärer Erkrankung, familiärer Hypercholesterinämie,
positiver Familienanamnese für vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen und/oder Hyperlipoproteinämie
(a), rezidivierenden kardiovaskulären Ereignissen trotz lipidsenkender Therapie oder
insgesamt erhöhtem kardiovaskulärem Risikoprofil: Lipoprotein (a) (genetisch determiniert,
somit einmalige Bestimmung i. d. R. ausreichend).
Anhand der jeweils erhöhten Lipidfraktion werden dann im Wesentlichen fünf verschiedene
Entitäten voneinander abgegrenzt ([Tab. 1]).
Tab. 1 Fettstoffwechselstörungen: praxisbezogene Einteilung.
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Gesamtcholesterin
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Triglyzeride
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LDL-C
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HDL-C
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C: Cholesterin, HDL: High-Density Lipoprotein, LDL: Low-Density Lipoprotein, ↑: erhöht,
↓: erniedrigt, -: unverändert
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LDL-Hypercholesterinämie
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↑
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–
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↑
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–
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Hypertriglyzeridämie
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↑
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↑
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–
|
↓
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gemischte Hyperlipoproteinämie
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↑
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↑
|
↑
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↓
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HDL-C-Erniedrigung
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–
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–
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–
|
↓
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Lipoprotein-(a)-Erhöhung
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1. isoliert
2. kombiniert mit anderen Fettstoffwechselstörungen
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Merke
Fettstoffwechselstörungen können sekundäre Folge anderer Erkrankungen sein (z. B.
Hypothyreose, Cushing-Syndrom, Lymphome). Hier muss primär zunächst die Grunderkrankung
therapiert werden.
Umfang dieser SOP
In dieser SOP beschränken wir uns im Wesentlichen auf Empfehlungen zur Absenkung des
LDL-C. Der Hintergrund ist, dass:
-
ein kausaler Zusammenhang zwischen LDL-C und dem Risiko für die Entwicklung einer
atherosklerotischen Erkrankung bzw. ihrer Progression besteht [1],
-
eine Absenkung des LDL-C mit einem verringerten Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis
einhergeht [2],
-
LDL-C nach den aktuell gültigen Leitlinien (deshalb) weiterhin als primärer Lipidmarker
für Screening, Risikostratifizierung, Diagnosestellung und Therapiekontrolle empfohlen
wird [3].
Erläuterungen
Im Folgenden erläutern wir die wichtigsten Punkte, die im abgebildeten Algorithmus
mit den entsprechenden Ziffern markiert sind ([Abb. 1]).
Abb. 1 Algorithmus medikamentöse LDL-C-Senkung.
CV: kardiovaskulär
LDL-C: Low-Density Lipoprotein-Cholesterin
PCSK9: Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9
SOP: Standard operating Procedure
-
Eine Indikation zur LDL-C-Senkung besteht bei Patienten mit bereits stattgehabtem
kardiovaskulärem Ereignis immer, d. h. unabhängig vom LDL-C-Ausgangswert [3]. Ansonsten wird eine cholesterinsenkende Therapie in Abhängigkeit des LDL-C-Ausgangswerts
und des individuellen kardiovaskulären Gesamtrisikos empfohlen ([Tab. 2]).
-
Lebensstilmodifizierende Maßnahmen (bedarfsgerechte Anpassung der Ernährung, regelmäßige
und vermehrte körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion, Rauchstopp) sind Grundlage
der Therapie von Fettstoffwechselstörungen, da sie das kardiovaskuläre Risiko reduzieren
können. Eine suffiziente LDL-C-Reduktion kann jedoch häufig bei Patienten mit erhöhtem
kardiovaskulärem Risiko nicht allein nichtmedikamentös erreicht werden, sodass in
der Regel eine medikamentöse Therapie eingeleitet wird. Hier stellen Statine, aufgrund
prognoseverbessernder Ergebnisse in Interventionsstudien einerseits und aufgrund hoher
Sicherheit andererseits, nach wie vor den evidenzbasierten Standard dar [4]. Die größte LDL-C-Reduktion wird mittels Atorvastatin bzw. Rosuvastatin erreicht,
sodass diese Statine bevorzugt zum Einsatz kommen sollten [5]. Bei einer inkompletten Statinintoleranz wird zumindest mit der vom Patienten vertragenen
Statindosis therapiert oder das Statin probatorisch gewechselt. Liegt eine komplette
Statinintoleranz vor oder bestehen Kontraindikationen für eine Statintherapie, so
sollten alternative Optionen zur medikamentösen LDL-C-Absenkung erwogen werden [3]. Zur weiteren Diagnostik und Therapie ist dann die Anbindung des Patienten an eine
Lipidsprechstunde sinnvoll.
-
Der individuelle LDL-C-Zielwert richtet sich nach dem kardiovaskulären Gesamtrisiko
des Patienten ([Tab. 2]). Zudem gilt: Bei Patienten mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko, aber
nur gering oder moderat erhöhten Ausgangswerten, ist eine Reduktion des LDL-Cholesterins
um mindestens 50% anzustreben ([Tab. 2]), denn der kardiovaskulär präventive Effekt einer LDL-C-Senkung wird weitestgehend
durch die absolute LDL-C-Senkung bestimmt [6]. Außerdem ist ein LDL-C-Spiegel, bei dessen Unterschreitung kein weiterer kardiovaskulär
präventiver Effekt mehr auftritt bzw. dessen Unterschreitung möglicherweise schädlich
sein könnte, nicht bekannt [7].
-
Wird trotz mindestens 4 Wochen bestehender Statintherapie in maximal verträglicher
Dosis der LDL-C-Zielwert überschritten, sollte eine Erweiterung der medikamentösen
Therapie um Ezetimib 10 mg täglich erwogen werden, insbesondere bei Patienten mit
sehr hohem kardiovaskulären Risiko [3]. Dieses Vorgehen wird durch die Ergebnisse der IMPROVE-IT-Studie unterstützt, in
welcher die zu Simvastatin und Ezetimib randomisierten Patienten nach akutem Koronarsyndrom
gegenüber den zu Simvastatin und Placebo randomisierten Patienten im Beobachtungszeitraum
signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse erlitten [8].
-
Ergebnisse großer Endpunktstudien zeigen, dass bei Hochrisikopatienten mit bereits
bestehender Statintherapie (mit oder ohne zusätzlicher Ezetimibtherapie) eine LDL-C-Reduktion
mittels monoklonaler Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9-(PCSK9-)Antikörper
(durchschnittlich um etwa 60%) das Auftreten nicht tödlicher kardiovaskulärer Ereignisse
reduziert [9], [10]. Der LDL-C-Schwellenwert beschreibt dasjenige Ausmaß der LDL-C-Erhöhung, ab welcher,
in Abhängigkeit einer definierten Risikokategorie und trotz bereits mindestens 4 Wochen
bestehender Statin- und Ezetimibtherapie, eine PCSK9-Hemmung erwogen werden sollte
(wohingegen der LDL-C-Zielwert das Target der Therapie beschreibt) ([Tab. 3]) [11], [12]. Zur Indikationsstellung bzw. Initiierung einer PCSK9-Hemmer-Therapie sollte die
Vorstellung des Patienten in einer Lipidsprechstunde erwogen werden.
Tab. 2 Risikokategorien, Indikation zur LDL-C-Reduktion und LDL-C-Zielwerte [3].
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kardiovaskuläres Risiko
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Definition
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Indikation zur LDL-C-Reduktion
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LDL-C-Zielwert
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CV: kardiovaskulär, CVD: kardiovaskuläre Erkrankung, MI: Myokardinfarkt, ACS: akutes
Koronarsyndrom, ACVB: operative Koronarrevaskularisation, PCI: interventionelle Koronarrevaskularisation,
NA: Nikotinabusus, HTN: arterielle Hypertonie, HLP: Dyslipidämie, NI: Niereninsuffizienz,
GFR: glomeruläre Filtrationsrate, SCORE: Systematic coronary Risk Estimation (www.heartscore.org), TC: Gesamtcholesterin, FH: familiäre Hyperlipoproteinämie, DM: Diabetes mellitus,
LDL-C: Low-Density Lipoprotein-Cholesterin
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sehr hoch
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-
CVD (MI, ACS, PCI, ACVB), Schlaganfall/TIA, PAVK
-
DM mit Endorganschaden oder weiterem Risikofaktor (NA, HTN, HLP)
-
schwere NI (GFR < 30 ml/min/1,73 m²)
-
SCORE ≥ 10%
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CV-Ereignis: unabhängig vom LDL-C-Ausgangswert
kein CV-Ereignis: LDL-C-Ausgangswert > 70 mg/dl
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< 70 mg/dl
oder
LDL-C-Reduktion um mindestens 50%, wenn der LDL-C-Ausgangswert zwischen 70 und 135 mg/dl
(1,8 und 3,5 mmol/l) liegt
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hoch
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-
deutlich erhöhte einzelne Risikofaktoren, insbesondere TC > 310 mg/dl (z. B. FH) oder
RR > 180/110 mmHg
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DM (welcher nicht die obigen Kriterien erfüllt, jüngere Patienten mit DM Typ I haben
möglicherweise ein moderates oder niedriges Risiko)
-
moderate NI (GFR 30 – 50 ml/min/1,73 m²)
-
SCORE ≥ 5% und ≤ 10%
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LDL-C-Ausgangswert > 70 mg/dl
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< 100 mg/dl (1,8 mmol/l)
oder
LDL-C-Reduktion um mindestens 50%, wenn der LDL-C-Ausgangswert zwischen 100 und 200 mg/dl
(2,6 und 5,2 mmol/l) liegt
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moderat
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SCORE ≥ 1% und ≤ 5%
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LDL-C-Ausgangswert > 100 mg/dl
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< 115 mg/dl (1,8 mmol/l)
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niedrig
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SCORE ≤ 1%
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LDL-C-Ausgangswert > 190 mg/dl
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< 115 mg/dl (3,0 mmol/l)
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Tab. 3 PCSK9-Hemmer – aktueller Stand und LDL-C-Schwellenwerte [11], [12].
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PCSK9-Hemmer – aktueller Stand
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KHK: koronare Herzerkrankung, LDL-C: Low-Density Lipoprotein-Cholesterin, pAVK: periphere
arterielle Verschlusskrankheit, PCSK9: Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9
* hierzu zählen: familiäre Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus mit Endorganschaden
(z. B. Proteinurie) oder einem weiteren deutlichen Risikofaktor (z. B. Hypertonie
≥ 160/100 mmHg), schwere atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (z. B. 3-KHK
oder KHK mit Hauptstammbeteiligung), rasch progrediente atherosklerotische kardiovaskuläre
Erkrankung
§ hierzu zählen: Diabetes mellitus mit Endorganschaden (z. B. Proteinurie) oder einem
weiteren deutlichen Risikofaktor (z. B. Hypertonie ≥ 160/100 mmHg), Lipoprotein (a)
> 50 mg/dl, Nikotinabusus, Hypertonie ≥ 160/100 mmHg, Alter > 40 Jahre (ohne vorbestehende
lipidsenkende Therapie), positive Familienanamnese für vorzeitige atherosklerotische
kardiovaskuläre Erkrankungen (weiblich < 60 Jahre, männlich < 55 Jahre)
5 siehe Erläuterungen, Punkt 5.
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bisher zwei zugelassene PCSK9-Hemmer:
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Alirocumab (Praluent®)
-
Evolocumab (Repatha®)
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subkutane Injektion, Dosierung:
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Risikokategorie5
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LDL-C-Schwellenwert5
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Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (KHK, symptomatische pAVK, ischämischer Schlaganfall)
– ohne zusätzliche Risikomarker*
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> 140 mg/dl, unter bestehender maximal verträglicher Statintherapie und Ezetimib
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Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (KHK, symptomatische pAVK, ischämischer Schlaganfall)
– mit zusätzlichen Risikomarkern*
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> 100 mg/dl, unter bestehender maximal verträglicher Statintherapie und Ezetimib
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Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie ohne atherosklerotische kardiovaskuläre
Erkrankung
– ohne zusätzliche Risikomarker§
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> 180 mg/dl, unter bestehender maximal verträglicher Statintherapie und Ezetimib
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Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie ohne atherosklerotische kardiovaskuläre
Erkrankung
– mit zusätzlichen Risikomarkern§
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> 140 mg/dl, unter bestehender maximal verträglicher Statintherapie und Ezetimib
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Fazit
Primäres Therapieziel bei Patienten mit Fettstoffwechselstörung ist die Absenkung
des LDL-Cholesterins; dabei stehen lebensstiloptimierende Maßnahmen am Anfang der
Therapie. Statine bilden den evidenzbasierten Goldstandard bei der medikamentösen
Prävention kardiovaskulärer Ereignisse. Mit Ezetimib und PCSK9-Hemmern stehen weitere
sichere Optionen zur LDL-C-Reduktion zur Verfügung. Ihr Einsatz sollte bei Patienten
mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko und trotz Statintherapie in maximal verträglicher
Dosis weiterhin erhöhten LDL-C-Werten erwogen werden.