Schlüsselwörter
Menstruation - Menstruationsaktivismus - Menstruationsgerechtigkeit - Menstruationsgesundheit
- Menstruationsprodukte
Key words
menstrual health - menstrual justice - menstrual products - menstruation - menstruation
activism
Jeden Monat menstruieren weltweit knapp zwei Milliarden Menschen [
1
] ([UNICEF 2023]). Die Bedingungen, unter denen sie das tun, variieren je nach Kulturkreis, Religion,
Arbeitsplatz und Familie. Insbesondere im globalen Süden führen schlechte Hygienebedingungen
und Tabuisierung (d. h. mangelnde Besprechbarkeit) dazu, dass viele Mädchen während
der Monatsblutung nicht zur Schule gehen können. Auch im globalen Norden bzw. in einkommensstarken
Ländern wird über hohe Kosten für Hygieneprodukte und über Stigmatisierung (d. h.
Abwertung und Ausgrenzung) geklagt ([Barrington et al. 2021]). Eine aktuelle Befragung ergab, dass etwa 50 % der Frauen in Deutschland ihre Menstruation
akzeptieren und 50 % damit hadern ([Plan International und WASH United 2022]). Die große Mehrheit der Menstruierenden berichtet, dass es für sie äußerst unangenehm
und peinlich wäre, wenn durch Menstruationsartikel, Gerüche oder Blutflecke ihre Periode
für Dritte bemerkbar wäre ([Thomas und Melendez-Torres 2024]). Neben körperlichen Menstruationsbeschwerden sind es insbesondere die mit dem Menstruationsstigma
verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen an eine jederzeit perfekt diskrete Handhabung
der Blutung, die zu Stress und Scham bei Menstruierenden führen. Stigmatisierung der
Menstruation steht in kulturhistorischem Zusammenhang mit männlicher Vorherrschaft,
da die Blutung als Anlass bzw. Vorwand dienen kann, Mädchen und Frauen Unreinheit
und Unzurechnungsfähigkeit zuzuschreiben und sie von bestimmten Aktivitäten und Orten
auszuschließen ([Tan et al. 2017]).
Vor allem Aktivist*innen aus dem globalen Süden haben durch ihr beständiges Engagement
erreicht, dass im Jahr 2022 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Menstruationsgesundheit
als zentrales Gesundheits- und Menschenrechtsthema anerkannt hat ([Hennegan et al. 2019]; [WHO 2022]). Mit dem Konzept der menstruellen Gesundheit und Rechte (engl. menstrual health and rights) wird die Monatsblutung in einen positiven Bedeutungsrahmen gestellt: Menstruationsgesundheit
meint das maximal erreichbare physische, psychische und soziale Wohlbefinden rund
um die Monatsblutung. Man spricht auch vom Ziel der gesunden, sicheren und menschwürdigen
Menstruation (engl. healthy, safe, and dignified menstruation). Die WHO fordert alle Staaten auf, die für individuelle Menstruationsgesundheit
notwendige Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen bezüglich a) Menstruationsaufklärung,
b) Menstruationsprodukten, sowie c) medizinischer Menstruationsversorgung.
Diese Betrachtungsweise entspricht dem allgemeinen WHO-Verständnis von sexuellen und
reproduktiven Rechten und impliziert, dass die Menstruation als Thema normalisiert
wird. Schließlich lässt sich die Monatsblutung auch als Ausdruck reproduktiver Gesundheit,
guter Allgemeingesundheit und weiblicher Potenz betrachten ([Gille et al. 2021]). Dem Menstruationsstigma mit bejahenden Konzepten wie Periodenpositivität (engl.
period positivity) oder weiblicher Potenz zu begegnen, birgt jedoch wiederum Probleme, nämlich Weiblichkeit
auf biologische Faktoren zu verkürzen, Beschwerden und Störungen rund um die Menstruation
auszublenden, nicht menstruierende Frauen in ihrer Weiblichkeit abzuwerten sowie Menstruierende,
die sich nicht als Frauen identifizieren, zu exkludieren. Das Thema Menstruation ist
also nicht nur facettenreich, sondern auch spannungsgeladen angesichts konträrer Ansätze
der Entstigmatisierung. Sichtbar sind solche Spannungen nicht nur in Wortbeiträgen,
sondern auch in Bildbeiträgen zur Menstruation. Ein kurzer Blick in die führende Stockfoto-Datenbank
[
2
] Adobe Stock genügt, um zu erkennen, dass die Menstruation heutzutage sowohl blumig
als auch blutig dargestellt wird (siehe [
Abb. 1
]). Die Wahrnehmungen und Wirkungen unterschiedlicher Visualisierungen der Menstruation
sind bislang kaum erforscht.
Abb. 1 Visualisierungen der Menstruation in Stockfotos zwischen blumiger (links) und blutiger
(rechts) Binde. ((Quelle: © lavrenkova/stock.adobe.com/© Pixel-Shot/stock.adobe.com))
Der vorliegende Übersichtsbeitrag präsentiert den aktuellen Diskussionsstand zur Menstruationsgesundheit.
[
3
] Er greift auf Ergebnisse der interdisziplinären Menstruationsforschung, Praxisbeispiele
und Visualisierungen zurück. Im Einzelnen werden 20 menstruationsbezogene Themen im
Rahmen eines bio-psycho-sozialen Modells der Menstruationsgesundheit behandelt.
Konzeptuelle Modelle der Menstruationsgesundheit
Konzeptuelle Modelle der Menstruationsgesundheit
Menstruation, Mens, Menorrhoe, Monatsblutung, Regelblutung, Periode, Tage, Rote Woche,
Erdbeerwoche, Besuch von Tante Rosa, Falsche Zeit im Monat: Die fachlichen und alltagssprachlichen
Bezeichnungen für die Menstruation sind mindestens so vielfältig wie die verschiedenen
inhaltlichen Dimensionen des Phänomens. Zur Strukturierung der einzelnen Aspekte existieren
im Wesentlichen drei konzeptuelle Modelle:
-
Kausalmodell der Menstruationsgesundheit und Menstruationsgerechtigkeit mit drei Ebenen ([Hennegan et al. 2019]): Demgemäß bestimmen auf der ersten Ebene die gesellschaftlichen Verhältnisse (Menstruationsstigma,
Geschlechterrollen, aber auch Infrastruktur wie Wasserversorgung und ökonomische Faktoren
wie Verfügbarkeit von Hygieneprodukten) den auf der zweiten Ebene angesiedelten praktischen
Umgang mit der Menstruation (z. B. Fortsetzung der üblichen Alltagsaktivitäten im
Zuge von effizientem Menstruationsmanagement oder sozialer Rückzug), der sich dann
auf der dritten Ebene in mehr oder minder gut realisierter Menstruationsgesundheit
und -gerechtigkeit niederschlägt (z. B. physisches und psychisches Wohlbefinden der
Menstruierenden, gleichberechtigte Teilhabe an Bildung und Beruf).
-
Interaktionsmodell der Menstruation als gynäkologisches Thema mit Schnittstellen zu
fünf weiteren gesellschaftlichen Bereichen ([Ramaiyer et al. 2023]): Demgemäß ist die Menstruation als gynäkologisches Thema maßgeblich verbunden mit
1) der Psychologie (z. B. Stress als Folge der Menstruation), 2) der Bildung (z. B.
Menstruationsaufklärung), 3) der Wirtschaft (z. B. Entwicklung und Vermarktung neuer
Menstruationsprodukte), 4) der Gesetzgebung (z. B. Recht auf sog. Menstruationsurlaub)
und 5) der Kultur (z. B. religiöse Vorschriften im Umgang mit der Menstruation).
-
Bio-psycho-soziales Dimensionsmodell der Menstruationsgesundheit und ihrer Voraussetzungen ([WHO 2022]): Demgemäß sind im Zusammenhang mit Menstruationsgesundheit Aspekte auf drei Dimensionen
relevant: 1) biologische Dimension (z. B. Menstruationszyklus, Management der Blutung),
2) psychologische Dimension (z. B. Erleben der Menstruation zwischen Schmerz, Scham,
Stolz) und 3) soziale Dimension (z. B. Umgang mit der Menstruation im Kontext von
Arbeit, Sport, Sexualität).
Der vorliegende Beitrag verfolgt einen integrativen und interdisziplinären Ansatz.
Er greift das bio-psycho-soziale Dimensionsmodell der Menstruationsgesundheit auf
und unterlegt es mit 20 zentralen Aspekten, die in den anderen beiden Menstruationsmodellen
enthalten sind und in der aktuellen Menstruationsdebatte eine wichtige Rolle spielen
(siehe [
Tab. 1
]). Das Modell ordnet die einzelnen Aspekte schwerpunktmäßig je einer Dimension zu,
was jedoch nicht als exklusive Zuordnung zu verstehen ist, da es immer auch Interaktionen
mit den anderen Dimensionen gibt. So basieren beispielsweise Menstruationsstörungen
auf biologisch-organischen Ursachen, sie haben aber jenseits der biologischen Dimension
auch psychologische und soziale Dimensionen (z. B. psychosomatisches Erleben der Störung,
Umgang mit der Störung im sozialen Kontext). Die Strukturierung der Aspekte in einem
Dimensionsmodell ist nützlich, um z. B. bei einem interdisziplinären Forschungsprojekt,
einem sexualpädagogischen Bildungsprojekt oder bei einer Medieninhaltsanalyse zu entscheiden,
welche Aspekte ein- oder ausgeschlossen werden sollen.
Tab. 1
Bio-psycho-soziales Modell der Menstruationsgesundheit mit 20 Aspekten (eigene Darstellung).
Modelldimensionen
|
Biologisch
|
Psychologisch
|
Sozial
|
Themengruppen
|
Menstruation und Zyklus
|
Menstruations-management
|
Medizinische Menstruations-versorgung
|
Menstruationserleben
|
Menstruation im Kontext
|
Gesellschaftlicher Umgang mit Menstruation
|
Aspekte
|
1. Physiologie
2. Monitoring
|
3. Hormonelle Verhütungsmittel
4. Menstruations-produkte: Monatshygieneartikel und Schmerzmittel
5. Menstruations-kosten
|
6. Menstruations-störungen
7. Prämenstruelle Störungen
|
8. Menstruelle und prämenstruelle Beschwerden
9. Positives Menstruationserleben
10. Erste Menstruation (Menarche)
11. Letzte Menstruation (Menopause)
12. Genderdiverse Menstruierende
|
13. Freizeit und Sport
14. Ausbildung und Arbeit
15. Sexualität
16. Medien
|
17. Kultur und Religion
18. Aktivismus und Politik
19. Aufklärung und Bildung
20. Forschung
|
Menstruation und Zyklus
Die Monatsblutung ist Bestandteil des Menstruationszyklus. Zum grundlegenden Verständnis
der Menstruation gehören die Physiologie der Menstruation und des Zyklus (1) sowie
das Monitoring derselben mittels Kalender oder Smartphone-App (2). Diese beiden Aspekte
der Menstruation sind eng mit biologischen bzw. physiologischen Prozessen verbunden
und somit der biologischen Dimension des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet (siehe
[
Tab. 1
]).
Physiologie der Menstruation
Die Gebärmutter (Uterus) ist durch eine Schleimhaut (Endometrium) ausgekleidet, die
aus zwei Schichten besteht. Die untere Schicht (Basalis) bleibt konstant, die obere
Schicht (Funktionalis) verändert sich im Laufe des Zyklus. Die Monatsblutung (Menstruation)
ist die monatliche Abstoßung der oberen Schicht der Gebärmutterschleimhaut, die ausgeschieden
wird, wenn keine Schwangerschaft eingetreten ist. Dies zeigt sich durch eine Blutung
aus der Gebärmutter, die über die Vagina nach außen geleitet wird. Am ersten Tag der
Menstruation beginnt definitionsgemäß der Menstruationszyklus. Er dauert typischerweise
25 bis 35 Tage, wobei verschiedene Faktoren zu einer Verkürzung oder Verlängerung
des Zyklus führen können. Der Menstruationszyklus bereitet den Körper auf eine mögliche
Schwangerschaft vor.
Koordiniert wird der Menstruationszyklus vom zentralen Nervensystem ([Goeckenjan et al. 2024]): Der Hypothalamus als Teil des Zwischenhirns steuert die periodischen Vorgänge
im Körper (z. B. Schlaf-Wach-Zyklus, Menstruationszyklus) und produziert u. a. das
Gonadotropin-freisetzende Hormon (engl. gonadotropin releasing hormone; GnRH). Das GnRH stimuliert die Hirnanhangdrüse (Hypophyse), sowohl das follikelstimulierende
Hormon (FSH) als auch das luteinisierende Hormon (LH) freizusetzen. Stimuliert durch
die Hypophysenvorderlappenhormone LH und FSH werden in den Eierstöcken (Ovarien) die
Geschlechtshormone (Ovarialhormonoe) Östrogen und Progesteron gebildet. Am Menstruationszyklus
beteiligt sind also drei Organe, man spricht von der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse
(engl. hypothalamic-pituitary-ovarian axis).
In der ersten Zyklusphase reifen unter der Wirkung des FSH die Eibläschen (Follikel)
heran (Follikelphase des Zyklus). Sie produzieren Östrogen und die Gebärmutterschleimhaut
baut sich auf. Die Follikelphase endet, wenn als Folge des Anstiegs von LH ein Follikel
platzt und die Eizelle freigibt (Eisprung, Ovulation). Ab dem Eisprung steigt die
Basaltemperatur um 0.5 Grad Celsius. Die reife Eizelle wird vom Eileiter aufgenommen
und wandert über mehrere Tage durch den Eileiter zur Gebärmutter. Der leere Follikel
wandelt sich zum Gelbkörper und produziert das Gelbkörperhormon (Progesteron), das
den weiteren Aufbau und Unterhalt der Gebärmutterschleimhaut bewirkt (Lutealphase
des Zyklus). Kommt es im Eileiter zu einer Befruchtung der Eizelle, kann sie sich
in die vorbereitete Schleimhaut der Gebärmutter einnisten und weiterentwickeln. Eine
Schwangerschaft ist eingetreten und der Gelbkörper produziert zunächst das Gelbkörperhormon
weiter.
Wird die Eizelle nicht befruchtet, entwickelt sich der Gelbkörper zurück und der Progesteronspiegel
sinkt. Die Folge des abfallenden Hormonspiegels: Die aufgebaute obere Schicht der
Gebärmutterschleimhaut und die unbefruchtete Eizelle werden zusammen mit Vaginalsekret
und Blut wieder abgestoßen. [
4
] Diese Blutung gilt als Beginn des nächsten Menstruationszyklus. Das Abstoßen der
Gebärmutterschleimhaut geht mit einem mehr oder minder spürbaren, zum Teil schmerzhaften
Zusammenziehen der Gebärmutter einher. Der geringe Östrogen- und Progesteronspiegel
direkt vor und während der Menstruation kann zudem diverse körperliche und psychische
Veränderungen auslösen (z. B. Müdigkeit, Wassereinlagerungen, depressive Verstimmungen,
Heißhunger).
Bei Abwesenheit von Störungen dauert die Monatsblutung (Eumenorrhoe) drei bis sieben
Tage, wobei rund 50 bis 80 ml Blut bzw. Menstruationsflüssigkeit ausgeschieden werden.
Im Schnitt menstruieren Frauen heute über eine Zeitspanne von 40 Jahren hinweg (im
Alter von rund elf bis 51 Jahren). Sie durchleben dabei etwa 450 bis 480 Menstruationen
abzüglich Menstruationspausen durch Schwangerschaften und Stillzeiten oder medikamentöser
Unterdrückung der Blutung ([Wiegratz und Kuhl 2004]).
Eine detaillierte Darstellung der Physiologie des Menstruationszyklus bezüglich Hormonausschüttung,
Eireifung und Gebärmutterschleimhautaufbau einschließlich Monatsblutung findet sich
in gängigen Schulbüchern der Biologie (siehe [
Abb. 2
]). Hier erscheint die Menstruation eingebettet in den komplexen Menstruationszyklus,
dessen genaue Abläufe vermutlich nur einer Minderheit der Bevölkerung geläufig sind.
Wissen über den Menstruationszyklus ist indessen wichtig für die Menstruationsgesundheit,
für die Schwangerschaftsverhütung und für die Versorgung bei Menstruationsstörungen.
Abb. 2 Schematische Darstellung der Physiologie von Menstruation und Zyklus wie sie in ähnlicher
Form in Schulbüchern zu finden ist (LH: luteinisierendes Hormon; FSH: follikelstimulierendes
Hormon) ((Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U, Voll M, Wesker K. 5.4 Inneres
weibliches Genitale: Wandaufbau und Funktion des Uterus. In: Schünke M, Schulte E,
Schumacher U, Voll M, Wesker K, Hrsg. Prometheus LernAtlas – Innere Organe. 6., vollständig
überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme 2022; doi:10.1055/b000000614).)
Monitoring der Menstruation
Um Überblick über den Menstruationszyklus zu behalten, die Zeit um die Monatsblutung
vorauszuplanen oder ihr Ausbleiben zu bemerken, wird Menstruierenden für das Monitoring
ein Kalender empfohlen. Während dieser früher auf Papier geführt wurde, haben sich
im Digitalzeitalter Menstruations-Apps (auch: Menstruationskalender-Apps, Zyklus-Apps,
Zyklus-Tracker, Perioden-Tracker) etabliert als Teil des boomenden Marktes für FemTech (Female Health Technology), d. h. von Digitaltechnologien für die Frauengesundheit. Die Presse erstellt regelmäßig
Übersichten der populärsten Apps (z. B. FLO, Clue, MyNFP, Ovy, Period Tracker) mit
ihren Kosten und Funktionen (z. B. [Schirmer 2021]). Perioden-Tracker erlauben das Eingeben der Blutungstage. Die App gibt eine statistische
Vorausberechnung der nächsten Monatsblutung aus. Die Eisprungschätzung kann als Information
genutzt werden, wenn eine Schwangerschaft angestrebt wird. Weiterhin liefern manche
Apps zusätzliche Informationen zur Menstruationsgesundheit. Die führende Zyklus-App
FLO bietet auch die Option, die Zyklusdaten mit Partner*innen zu teilen, um etwa bei
Kinderwunsch die gemeinsame Zeitplanung zu unterstützen (https://flo.health/de).
Die Nutzung von Menstruations-Apps kann die Körperwahrnehmung fördern ([Levy und Romo-Avilés 2019]). Andererseits sind Datenschutzbedenken relevant, insbesondere in Ländern, in denen
der Schwangerschaftsabbruch illegalisiert ist ([Wimmer 2022]). Es wird empfohlen, die Datenschutzbestimmungen der Apps genau zu prüfen. Die meisten
Zyklus-Apps sind nicht zur Verhütung zugelassen, da die Kalendermethode zur Eisprungschätzung
zu ungenau ist ([DGGG et al. 2024]). Dennoch werden Zyklus-Apps immer wieder fälschlich zur Verhütung genutzt ([Hohmann-Marriott und Starling 2022]). Die Auswirkungen des Teilens von Zyklusdaten in Paarbeziehungen sind bislang unbekannt.
Menstruationsmanagement
Hormonelle Verhütungsmittel können die Blutung unterdrücken (1). Menstruationsprodukte
fangen das Blut auf und lindern Schmerzen (2). All das ist mit Kosten verbunden (3).
Diese drei Aspekte des Menstruationsmanagements drehen sich vor allem um den Umgang
mit dem körperlichen Prozess der Blutung. Sie sind daher der biologischen Dimension
des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet (siehe [
Tab. 1
]).
Hormonelle Verhütungsmittel
Die Pille und andere hormonelle Verhütungsmittel können Blutungen und Schmerzen reduzieren
bis zum völligen Ausbleiben einer Blutung. Andererseits können sich durch die Kupferspirale
Blutung und Schmerzen während der Menstruation intensivieren.
Die Verhütungspille besteht meist aus einer festen Kombination von Östrogen und Gestagen.
Das typische Einnahmeschema dieser Einphasen-Kombinationspille sieht nach 21 Tagen
täglicher Wirkstoffeinnahme eine siebentägige Einnahmepause vor, in der es zur Hormon-Entzugsblutung
kommt. Dieses Einnahmeschema ahmt den natürlichen Zyklus nach. Wird die Pille jedoch
ohne Pause durchgenommen (sog. Langzyklus, Langzeitzyklus), setzt die monatliche Entzugsblutung
aus ([Keck et al. 2019]). Prinzipiell sind alle Einphasen-Mikropillen für die Langphasen-Einnahme geeignet.
In Deutschland sind drei Pillen offiziell für den Langzyklus zugelassen (Seasonique,
Evaluna und Velmari). Bei den anderen oralen sowie nicht oralen (z. B. Hormonring,
Hormonpflaster) hormonellen Verhütungsmitteln gehört die Nutzung im Langzyklus zum
Off-Label-Gebrauch.
Die Notwendigkeit der Entzugsblutung bei Pilleneinnahme wird zunehmend infrage gestellt.
Die inzwischen erreichte hohe Anzahl an Lebenszeit-Monatsblutungen (ca. 450 bis 480
versus 160 noch vor 120 Jahren) wird sogar als potenzielles Gesundheitsrisiko betrachtet
([Thomas und Ellertson 2000]). Die medikamentöse Unterdrückung der Blutung entlastet von Hygienemaßnahmen und
kann bei Menstruationsbeschwerden wie Schmerzen und Stimmungsschwankungen, bei zyklusabhängigen
Erkrankungen wie Endometriose und Migräne sowie bei transmaskuliner oder nichtbinärer
geschlechtlicher Identität Erleichterung bringen ([Davis 2019]; [Ramaiyer et al. 2023]; [Wiegratz und Kuhl 2004]). Allerdings geht ein Langzeitzyklus mit einer erhöhten Hormonzufuhr einher, was
bei einigen Menstruierenden Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen sowie einer Entfremdung
vom natürlichen Zyklus aufwirft. Wenn die Option zur medikamentösen Unterdrückung
der Blutung zur neuen Norm würde, könnte sich das Menstruationsstigma verstärken.
Vor diesem Hintergrund divergierender Beurteilungen bedeutet Menstruationsautonomie, eigenständig eine informierte Entscheidung treffen und umsetzen zu können. Immer
wieder werden beispielsweise bei Menschen mit Behinderungen Verletzungen der sexuellen
und reproduktiven Selbstbestimmung beklagt, etwa wenn Frauen, die nicht sexuell aktiv
sind, ohne informierte Einwilligung die Pille im Langzyklus verabreicht wird, um die
Monatsblutung zu vermeiden und die Pflege zu erleichtern (vgl. [Draths 2022]).
Menstruationsprodukte: Monatshygieneartikel und Schmerzmittel
Es gibt eine Vielzahl von Artikeln der Monatshygiene (siehe [
Abb. 3
]) mit jeweils unterschiedlichen Vor- und Nachteilen, wobei Tampons und Binden in
Deutschland am weitesten verbreitet sind ([Plan International und WASH United 2022]: 12). Sie erfordern die Verfügbarkeit von Hygienebeuteln, Abfalleimern und Waschbecken
für eine problemlose Nutzung. Umweltbewusste Menstruierende suchen vermehrt nach nachhaltigen
Alternativen wie plastikfreien Bio-Tampons und Bio-Binden, waschbaren Menstruationsschwämmen
(sog. Soft-Tampons) und Stoffbinden. Weitere Optionen sind auswaschbare Menstruationstassen
und -scheiben aus Silikon, die in der Vagina getragen werden und es noch umfassender
als Tampons erfordern, sich selbst in die Vagina zu greifen. Periodenunterwäsche und
Periodenbadebekleidung aus besonders saugfähigem Material sollen Binden ergänzen oder
ersetzen. Alternativ dazu gibt es die Methode des Free Bleeding, die ganz ohne Hygieneprodukte auskommt. Beim Free Bleeding wird das in Intervallen
aus der Gebärmutter in die Vagina fließende Blut gezielt in die Toilette abgegeben,
sofern man den richtigen Zeitpunkt erspüren und die Alltagsabläufe auf häufige Toilettengänge
einstellen kann.
Abb. 3 Illustration von Produkten der Monatshygiene: Menstruationstasse, Tampon, Binde,
Periodenunterwäsche, Stoffbinde (von links nach rechts) ((Quelle: © Renata Sattler/stock.adobe.com).)
Soziale Normen verlangen im Sinne einer strengen Menstruationsetikette in vielen Kontexten
eine maximal diskrete Handhabung der Monatshygiene. Darüber hinaus bestimmen wirtschaftliche
und infrastrukturelle Faktoren (Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit, lokale Wasserversorgung)
die Wahl der Produkte. Nicht zuletzt spielen kulturelle Faktoren und individuelle
Präferenzen eine wichtige Rolle: So ist in Deutschland der sogenannte manuelle Tampon
fest etabliert, der mit dem Finger in die Vagina geschoben und mit dem Rückholfaden
wieder entfernt wird. In anderen Ländern werden nur Tampons mit Einführhilfe akzeptiert,
da die Benutzung des eigenen Fingers als unhygienisch oder unpassend gilt. In katholisch
geprägten lateinamerikanischen Ländern hat sich der Tampon bis heute nicht durchgesetzt,
da seine Einführung in die Vagina mit sexueller Penetration assoziiert wird: Mädchen
und Frauen, die Tampons nutzen, wird nicht selten zugeschrieben, dass sie keine Jungfrauen
mehr seien, wohl auch gern masturbieren und sich insgesamt promisk verhalten würden
([Tarzibachi 2022]). Vorbehalte gegen den Tampon gibt es auch in anderen kulturellen und religiösen
Kontexten, in denen Jungfräulichkeit als Wert propagiert wird.
Neben Hygieneartikeln benutzen Menstruierende noch weitere Produkte, insbesondere
verschreibungsfreie krampflösende Schmerzmittel [
5
] (z. B. Dolormin, Buscopan) und andere schmerzlindernde Mittel wie Wärmflaschen,
Wärmekissen, Wärmepflaster, Entspannungsbäder, krampflösende Tees usw. ([Plan International und WASH United 2022]). Eine ausreichende Versorgung mit Hygieneprodukten und bei Bedarf auch mit schmerzlindernden
Mitteln ist für Menstruierende wichtig, um während der Monatsblutung weitgehend ungestört
gewünschten Aktivitäten nachgehen zu können. Seit 2014 wird jedes Jahr am 28. Mai
der internationale Tag der Menstruationshygiene (engl. menstrual hygiene day; MHD) organisiert, um auf die Verfügbarkeit von Produkten der Monatshygiene als Menschenrecht
hinzuweisen.
Menstruationskosten
Zu den Menstruationskosten gehören die Kosten für die Hygieneprodukte und Schmerzmittel
sowie für Menstruations-Tracker; auch hormonelle Verhütungsmittel können dazugezählt
werden. Hochrechnungen gehen von Lebenszeit-Menstruationskosten aus, die zwischen
7000 und 17 000 Euro liegen (vgl. [Moss 2015]). Insbesondere für einkommensschwache Frauen stellen Menstruationskosten ein Problem
dar, das international als Periodenarmut (engl. period poverty) bezeichnet wird. In Deutschland gab 2019 knapp ein Viertel (23 %) der Frauen an,
die Menstruationskosten als finanzielle Belastung zu erleben und z. B. durch selteneres
Wechseln von Binden und Tampons Kosten einzusparen, was mit Komfortverlust und Gesundheitsrisiken
[
6
] einhergeht ([Plan International und WASH United 2022]).
Angesicht hoher Menstruationskosten und Periodenarmut wurde lange kritisiert, dass
auf Produkte der Monatshygiene in Deutschland 19 % Mehrwertsteuer entfallen. Eine
2015 gestartete Online-Petition an die deutsche Bundesregierung unter dem Titel „Die
Periode ist kein Luxus – senken Sie die Tamponsteuer!“ war mit knapp 200 000 Unterschriften
ein Erfolg. [
7
] Seit dem 1. Januar 2024 werden Produkte der Monatshygiene in Deutschland mit dem
verringerten Mehrwertsteuersatz von 7 % für Artikel des täglichen Bedarfs besteuert.
Inzwischen wird diskutiert, ob Periodenprodukte in Deutschland nicht gänzlich von
der Mehrwertsteuer befreit werden sollten, wie das z. B. in England und Irland bereits
der Fall ist. Steuersenkungen oder -befreiungen schützen indessen nicht vor Preisanhebungen
der Hersteller. Der globale Markt für Produkte der Monatshygiene hat ein Volumen von
rund 50 Milliarden Euro pro Jahr ([Statista 2024]), was die ökonomische Bedeutung dieses Industriezweigs unterstreicht.
Neben Steuersenkungen und -befreiungen wird gefordert, Hygieneprodukte in öffentlichen
Toiletten und Einrichtungen kostenfrei anzubieten, was teilweise bereits umgesetzt
wird. Pilotprojekte in verschiedenen Organisationen setzen jeweils eine Klärung der
Kostenübernahme sowie die Installation, Wartung und Befüllung der Tampon- und Binden-Spender
voraus. Seit 2020 läuft in Deutschland eine Online-Petition mit dem Titel „#Periodenarmut:
Freier Zugang zu Menstruationsprodukten in öffentlichen Einrichtungen“ [
8
], die bereits über 100 000 Unterschriften gesammelt hat. Die Petition fordert die
Bundesregierung auf, dem Vorbild Schottlands zu folgen, das als erstes Land der Welt
gesetzlich vorschreibt, Menstruationsartikel in öffentlichen Gebäuden und Bildungseinrichtungen
kostenlos bereitzustellen. [
9
] Damit wird allen Menstruierenden der Alltag erleichtert, insbesondere wenn sie unterwegs
von einer Blutung überrascht werden. Für unterversorgte (z. B. wohnungslose) Bevölkerungsgruppen
würden kostenfreie Tampon- und Bindenspender auf öffentlichen Toiletten das ermöglichen,
was im internationalen Diskurs als menschenwürdige Menstruation bezeichnet wird.
Medizinische Menstruationsversorgung
Medizinische Menstruationsversorgung
Für die Menstruationsgesundheit ist medizinische Versorgung wichtig, da behandlungsbedürftige
menstruelle (1) und prämenstruelle (2) Störungen auftreten können. Diese beiden Aspekte
werden der biologischen Dimension des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet, da die
Störungen biologisch-organische Ursachen haben (siehe [
Tab. 1
]).
Menstruationsstörungen
Von der störungsfreien Menstruation (Eumenorrhoe) mit der im Abschnitt zur Physiologie
beschriebenen idealtypischen Frequenz, Variabilität und Stärke der Blutung und allenfalls
geringen Beschwerden werden Menstruationsstörungen (Zyklusstörungen) abgegrenzt ([Moll et al. 2024]). Bei belastenden Regelschmerzen spricht man von Dysmenorrhoe. Primäre Dysmenorrhoe
bedeutet, dass die Regelschmerzen ab der ersten Menstruation auftreten, während die
sekundäre Dysmenorrhoe erst später auftritt und mit anderen Erkrankungen in Verbindung
stehen kann (z. B. Endometriose, Geschwulste und Entzündungen der Gebärmutter). Zudem
gehören zu den Menstruationsstörungen diverse Störungen der Blutungshäufigkeit und
der Blutungsstärke wie Amenorrhoe (seit sechs Monaten fehlende Blutung), Oligomenorrhoe
(seltener als monatliche Blutung), Polymenorrhoe (häufiger als monatliche Blutung),
Hypomenorrhoe (schwache Blutung), Hypermenorrhoe (sehr starke Blutung), Menorrhagie
(lang andauernde Blutung) sowie Zwischen- und Schmierblutungen. Menstruationsstörungen
können nicht nur die Lebensqualität erheblich einschränken, sondern sind mit weiteren
Risiken verbunden wie z. B. chronischem Östrogenmangel und Blutarmut (vgl. [Moll et al. 2024]). Bei unerfülltem Kinderwunsch werden oft Zyklus-Unregelmäßigkeiten gefunden, die
auf einen seltenen oder fehlenden Eisprung hinweisen können.
Zur Diagnose von Menstruationsstörungen gehören vor allem eine ausführliche allgemeine
Anamnese, genaue Angaben zum Zyklusverlauf und eine gynäkologische Untersuchung. Je
nach Situation kommen eine Ultraschalluntersuchung der Gebärmutter und der Eierstöcke,
Bestimmung des Hormonstatus, Chromosomen-Untersuchung oder Gebärmutterspiegelung,
Letztere verbunden mit einer Ausschabung (Abrasio) zur feingeweblichen Untersuchung
der Schleimhaut, zum Einsatz. Eine Menstruationsstörung kann Symptom einer anderen
Störung oder Erkrankung sein. So kann z. B. Amenorrhoe bei Untergewicht und Essstörungen
auftreten, aber auch in Stress-Situationen („Flucht-Amenorrhoe“). Leistungssportlerinnen
haben oft lange Phasen der Amenorrhoe. Weiterhin stehen Menstruationsstörungen in
Verbindung mit zyklusabhängigen Erkrankungen wie der Endometriose (führt oft zu Dysmenorrhoe)
oder dem polyzystischen Ovarialsyndrom (PCO) (führt oft zu Oligomenorrhoe und/oder
Hypermenorrhoe). Hier sind jeweils individuelle Untersuchungen und Behandlungspläne
notwendig. Dazu kann neben oder ergänzend zu anderen Interventionen auch ein medikamentöses
Menstruationsmanagement mit einer Verhütungspille gehören, um die Beschwerden zu lindern.
Prämenstruelle Störungen
In den Tagen unmittelbar vor der Menstruation kann es zu prämenstruellen Störungen
(engl. premenstrual disorders; PMDs) kommen ([Nappi et al. 2022]). Dazu gehören das prämenstruelle Syndrom und die prämenstruelle dysphorische Störung.
-
Vom prämenstruellen Syndrom (PMS) sind rund 20 bis 30 % der Menstruierenden betroffen ([Appleton 2018]). Es zeichnet sich durch eine Vielzahl an physischen und psychischen Symptomen aus
(z. B. Heißhunger, Hautunreinheiten, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Verdauungsstörungen,
Angstzustände, Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme). PMS wird
auf Hormonschwankungen, Schwankungen im Serotoninhaushalt, genetische Veranlagung
und Lebensstilfaktoren zurückgeführt.
-
Die prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS) ist eine schwere Form der PMS, die bei 3 bis 8 % der Menstruierenden auftritt
([Appleton 2018]). Der Leidensdruck bei PMDS ist sehr hoch und führt dazu, dass der Alltag nicht
mehr wie gewohnt bewältigt werden kann. Die Symptome ähneln denen einer Depression
und können mit Suizidgedanken und Suizidversuchen einhergehen. So ist bei PMDS die
Wahrscheinlichkeit für einen Suizidversuch um das Siebenfache erhöht (Prasad et al.
2022). Mehrere Studien unter strafgefangenen Frauen zeigten zudem, dass diese ihre
Straftaten überzufällig oft in der prämenstruellen Zyklusphase begangen haben und
vereinzelt wurde PMDS auch schon als mildernder Umstand vor Gericht anerkannt ([Langer 2012]). Bei PMDS ist eine medizinische Versorgung geboten, wobei das Behandlungskonzept
u. a. hormonelle Verhütungsmittel, Antidepressiva, Psychotherapie und Lebensstilanpassungen
beinhalten kann ([Dorn et al. 2023]).
Der Anerkennung von PMDS als klinische Störung gingen sehr kontroverse Debatten voraus.
Denn diese Diagnose scheint das Stereotyp der durch den Zyklus unzurechnungsfähigen
Frau zu bekräftigen. Andererseits deuten die Daten aber eben darauf hin, dass zumindest
eine kleine Teilgruppe der Menstruierenden in klinisch relevantem Maße mental belastet
ist, was im Extremfall zu Selbst- und Fremdgefährdung führen kann, wenn adäquate medizinische
Versorgung fehlt. Die Existenz von zyklusabhängigen Störungsbildern bedeutet indessen
nicht, dass Zyklus und Menstruation per se einen Krankheitswert haben.
Menstruationserleben
Das alltägliche Menstruationserleben ist für die meisten Mädchen und Frauen nicht
von klinisch relevanten Störungen geprägt, sondern von eher leichten Beschwerden (1).
Auch ein positives Menstruationserleben wird berichtet (2). Nicht zuletzt ist zu beachten,
dass das Erleben der ersten Menstruation (Menarche) (3) sowie der letzten Menstruation
(Menopause) (4) besondere Merkmale hat, ebenso wie das Erleben genderdiverser Menstruierender
(5). Diese fünf Aspekte des Menstruationserlebens werden hier schwerpunktmäßig der
psychologischen Dimension des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet (siehe [
Tab. 1
]).
Menstruelle und prämenstruelle Beschwerden
Die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut während der Monatsblutung geht mit unterschiedlich
starken Kontraktionen der Gebärmutter einher, die gar nicht, als leichtes Ziehen oder
als deutliche Krämpfe erlebt werden. Zudem kann der niedrige Östrogen- und Progesteronspiegel
unmittelbar vor und während der Menstruation zu Kopfschmerzen, Gereiztheit, depressiven
Verstimmungen, Müdigkeit, Heißhunger und Wassereinlagerungen führen ([Plan International und WASH United 2022]: 13). Die Intensität von Menstruationsbeschwerden variiert zwischen Personen sehr
stark und kann sich auch bei derselben Person über die Lebensspanne hinweg ändern,
da der Menstruationszyklus von vielen inneren und äußeren Faktoren beeinflusst wird.
Im Sinne der Menstruationsgesundheit ist es wichtig, keine unnötigen Ängste vor der
Monatsblutung zu schüren und diese auch nicht pauschal zu pathologisieren, da sie
ein normaler Bestandteil des Monatszyklus ist. So zeigte eine bevölkerungsrepräsentative
Befragung in Deutschland unter Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 55 Jahren, dass
die große Mehrheit von 76 % keine beeinträchtigenden Menstruationsbeschwerden angaben,
während 20 % leichte und 4 % schwere Beeinträchtigungen berichteten ([Häuser et al. 2014]). Menstruationsbeschwerden hängen mit niedrigerem Einkommen, anderen körperlichen
Symptomen und höherer Depressivität zusammen ([Häuser et al. 2014]). Etwa die Hälfte der betroffenen Personen hat ihre Menstruationsbeschwerden bereits
bei ärztlichen Konsultationen angesprochen, wobei nur die Hälfte sich angemessen beraten
fühlte ([Plan International und WASH United 2022]: 13). Darstellungen der Menstruation in Stock-Datenbanken betonen oft den Schmerz
(siehe [
Abb. 4
]).
Abb. 4 Medikalisierte Darstellung der Menstruation mit Fokus auf Schmerz ((Quelle: © Kaspars
Grinvalds/stock.adobe.com).)
Positives Menstruationserleben
In feministischen Debatten über Menstruationsgesundheit wird immer wieder eine Medikalisierung
der Menstruation kritisiert, welche die Monatsblutung hauptsächlich als gynäkologisches
Problem betrachtet und mit Symptomen und Störungen in Verbindung bringt. Es gibt Ansätze
für ein positives Menstruationserleben, die sich gegen diese Sichtweise wehren und
verschiedene Ausprägungen haben. Die im Ökofeminismus der 1970er- und 1980er-Jahre
verankerten Vorstellungen von Periodenpositivität assoziierten den weiblichen Menstruationszyklus
mit den Mondphasen, mit Spiritualität und göttlicher Weiblichkeit. Damit wurde die
Menstruation zum Inbegriff weiblicher Identität und Kraft stilisiert. Bis heute gibt
es Ansätze, die diese Form des Zyklusbewusstseins vertreten. Gleichzeitig steht eine
solche essenzialistische Überhöhung seit den 1990er-Jahren in der Kritik. Im „RosaMag“,
einem Online-Lifestylemagazin von und für afrodeutsche Frauen, wird die Umkehr von
Stigmatisierung in Huldigung der Menstruation folgendermaßen problematisiert ([Moka 2020]):
„Der Hype um spirituelle Bedeutsamkeit des weiblichen* Zyklus verleiht ihm eine positive
Konnotation. Frauen* werden also darin empowert, ihre Scham abzulegen und ihren Körper
mit all seinen Abläufen zu feiern. Wenn sie durch die Bewegung also leichter zu Selbstakzeptanz
und -liebe finden können, ist doch alles super, oder? Leider wird dabei leicht übersehen,
dass sich zwar die Bewertung des Zyklus von schamhaft/schlecht zu göttlich/wundervoll
ändert, aber in beiden Fällen der Wert von Frauen* über eine Körperfunktion verhandelt
wird. Überspitzt gesagt: ‚Du bist nichts, wenn du blutest, oder du bist alles, wenn
du es tust!‘ Der weibliche Zyklus ist für viele ein Bestandteil ihres Lebens und sollte
als etwas Natürliches begriffen werden können. Frei vom Stigma, sich dafür schämen
oder verstecken zu müssen. Aber auch frei vom Druck, deshalb als ‚Female Goddess‘
performen zu müssen, die jede Körperfunktion begeistert beweihräuchert.“
Dementsprechend gilt es, genauer zu untersuchen, inwiefern verschiedene Ansätze, die
ein positives Menstruationserleben fördern sollen, tatsächlich mit einem besseren
Körper- und Selbstbild einhergehen und wo sie womöglich sogenannte toxische Positivität
darstellen (also die Existenz negativer Empfindungen verleugnen oder tabuisieren).
Vielleicht reicht anstelle von Periodenpositivität oftmals auch einfach Periodenneutralität.
In der Tradition der in den 1970er-Jahren gegründeten Frauengesundheitsbewegung stehen
aktuelle psychosoziale Interventionen zum Menstruationserleben, die im Unterschied
zum Ökofeminismus keine spirituelle Überhöhung verfolgen, sondern eine konsequente
Selbstbestimmung und Entpathologisierung. Eine bekannte Vertreterin ist die australische
Gesundheitspsychologin Jane Ussher, die Frauen dabei unterstützt, zyklische Veränderungen
nicht als „Symptome“ (z. B. von PMS) anzusehen, sondern als normale, vorübergehende
Veränderungen, auf die man sich im Alltag ohne den kulturell üblichen Selbsthass („ich
habe PMS und bin schon wieder aufgedunsen, fett und unausstehlich“) einstellen könne,
was dann jenseits medizinischer Interventionen zu Entlastung und Empowerment führe
([Ussher und Perz 2020]).
Erste Menstruation (Menarche)
Das Alter der ersten Menstruation (Menarche) liegt in der westlichen Welt durchschnittlich
bei 13 Jahren (z. B. [Gottschalk et al. 2020]). Dabei gibt es jedoch große interpersonale Unterschiede und möglicherweise auch
eine biografische Vorverlegung. So zeigt die Trendstudie „Jugendsexualität“ der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung, dass sich der Anteil der Mädchen, die ihre erste Regelblutung
mit elf Jahren oder früher erleben, binnen vierzig Jahren von 8 % (1980) auf 16 %
(2019) verdoppelt hat ([Scharmanski und Hessling 2022]). Im Alter von 13 Jahren haben 84 % der Mädchen die Menarche hinter sich. Faktisch
bedeutet dies, dass die biologische Geschlechtsreife im Kindesalter eintritt, nicht
erst im Jugendalter.
Im Jahr 2019 berichteten 70 % der im Rahmen der Studie „Jugendsexualität“ befragten
Mädchen retrospektiv, dass sie auf die erste Regelblutung ausreichend vorbereitet
waren (etwa durch Menstruationsaufklärung in Elternhaus und Schule); dagegen wussten
23 % nichts Genaues und 7 % gar nichts, waren also völlig unvorbereitet ([Scharmanski und Hessling 2022]). Weiterhin ist zu beachten, dass aus medizinischer Sicht frühe Menarche mit einigen
gesundheitlichen Risikofaktoren zusammenhängt ([Lee et al. 2022]), was auch auf medizinischen Versorgungsbedarf hinweist. Ebenso sind starke Menstruationsschmerzen
in jungen Jahren verbreiteter als im späteren Lebensverlauf.
Die Menarche ist ein sichtbarer Meilenstein auf dem Weg zum Erwachsenwerden, der mit
inneren und äußeren Konflikten verknüpft sein kann. Psychoanalytische Deutungen gehen
davon aus, dass die erste Monatsblutung zuweilen wie eine Kastration erlebt wird,
als Bestrafung für aufkommende pubertäre Sexualwünsche, und dass unregelmäßige erste
Blutungen Ängste heraufbeschwören, innerlich verletzt zu sein oder nicht richtig zu
funktionieren ([Donmall 2013]). Mangelnde Menstruationsaufklärung und das gesellschaftliche Menstruationsstigma
können es begünstigen, dass die Menarche nicht begrüßt, sondern eher gefürchtet wird.
Laut Befragungen ist die erste Menstruation oft mit Angst vor Schmerzen, Ekel und
Sorgen über peinliche Situationen assoziiert, also mit einem negativem Körper- und
Selbstbild; das Erleben von Stolz und Bestätigung körperlicher Gesundheit, Reife,
Fruchtbarkeit und Weiblichkeit („ich bin jetzt eine Frau“) tauchen in Interviewstudien
seltener auf ([Chang et al. 2010]).
In manchen Kulturen wird die Menarche mit einem Initiationsritual oder Fest begangen,
da das Mädchen damit offiziell in den Kreis der erwachsenen Frauen aufgenommen wird.
Je nach kulturellem Kontext ist dies aber nicht unbedingt positiv. So berichtet die
Menschenrechtsaktivistin Musu Bakoto Sawo aus Ghana, wie sie selbst ihre ab dem Alter
von zwölf Jahren eingetretene Menstruation zwei Jahre lang vor der gesamten Familie
verheimlichte, um ihre Verheiratung hinauszuzögern. Denn trotz des Verbots von Kinderehen
werden in Ghana bis heute Mädchen ab der Menarche verheiratet ([Sawo 2020]). Dieser Aspekt verdeutlicht besonders eindrücklich, warum die Menstruation ein
Menschenrechtsthema ist.
Pubertierende Mädchen tauschen sich in unterschiedlicher Weise über die erste Menstruation
aus, etwa im Rahmen von lokalen Schulhof- und Toilettengesprächen sowie neuerdings
verstärkt auf globalen Sozialen Medien. Hier parodiert beispielsweise die Influencerin
@Jaezshecan zwei Typen von Mädchen bei der ersten Periode: die eine, die sie stolz
mit allen teilt und wortwörtlich mit Binden und Tampons um sich wirft, und die andere,
die sich lieber zwei Jacken um die Hüften bindet, damit keinesfalls ein Periodenfleck
sichtbar werden könnte. Das deutschsprachige TikTok-Video [
10
] vom April 2023 sammelte binnen eines Jahres rund 2.5 Millionen Aufrufe und 2 000
Kommentare. Insgesamt ist wenig darüber bekannt, wie Jugendliche im Alltag und in
Sozialen Medien über ihre Erfahrungen mit der ersten Menstruation kommunizieren ([Döring 2023]).
Letzte Menstruation (Menopause)
Bei der Menopause (letzte Menstruation, Wechseljahre) wird zwischen natürlicher Menopause
und chirurgisch (durch Entfernen der Eierstöcke) oder medikamentös induzierter Menopause
differenziert. Die natürliche Menopause tritt typischerweise im Alter zwischen 45
und 55 Jahren ein. Aktuelle Daten weisen in der westlichen Welt einen Altersmittelwert
von 53 Jahren nach, Tendenz steigend ([Gottschalk et al. 2020]). Einige Studien gehen der Frage nach, welche Faktoren (z. B. Alter bei der Menarche,
Nutzung hormoneller Verhütungsmittel, Anzahl der Schwangerschaften) mit einer früheren
oder späteren Menopause einhergehen. Visualisierungen der Menopause in Stock-Datenbanken
arbeiten mit dem Pausensymbol von Audio- und Videorekordern, zeigen Frauen mit Fächer
oder Ventilator, um Hitzewallungen anzudeuten, oder präsentieren Veränderungen im
Hormonspiegel in Schaubildern. Auf Bildern gelungener Menopause sind elegante, perfekt
frisierte, fitte Frauen beim Teetrinken oder in der Yogastunde zu sehen.
Das Erleben der Menopause ist zwiespältig. So können das Ende der Fruchtbarkeit und
der Übergang in das höhere Lebensalter negativ als Verluste (z. B. Empty-Nest-Syndrom)
und Belastungen erlebt und mit negativem Körper- und Selbstbild verbunden sein. Andererseits
berichten Frauen aber auch ein positives Gefühl der Erleichterung, Menstruationsbeschwerden
und die Notwendigkeit der Schwangerschaftsverhütung hinter sich zu lassen, Sexualität
damit unbeschwerter zu erleben und/oder im neuen Lebensabschnitt andere Ziele zu setzen
(vgl. [Ilankoon et al. 2021]). Ebenso wie bei der Menarche werden bei der Menopause eine bessere Sexuelle Bildung
und gynäkologische Versorgung angemahnt ([Cucinella et al. 2024]). Gleichzeitig konstatiert die Forschung eine stark gestiegene Sichtbarkeit der
Menopause in Medien und Öffentlichkeit, etwa durch Stellungnahmen von Prominenten.
Es ist gar von einer menopausalen Wende (engl. menopausal turn) die Rede – vom früheren Verschweigen zum heutigen intensiven Besprechen ([Jermyn 2023]), nicht nur am Welttag der Menopause (18. Oktober). Kritisch hinterfragt im Kontext
von Kommerzialisierung wird der Boom der Menopausen-Produkte von Tees bis zu Gesichtscremes
mit ihren irreführenden Versprechungen (Orgad und Rottenberg, im Druck).
Auch die Frage der hormonellen Behandlung wird immer wieder neu und kontrovers diskutiert:
Sollten Frauen hier eine bessere medizinische Versorgung zur Linderung von menopausalen
Beschwerden erfahren, etwa durch Normalisierung der Hormonersatztherapie? Oder sollten
sie umgekehrt besser vor einer Medikalisierung der Menopause geschützt werden, indem
altersbedingte hormonelle und sonstige körperliche Veränderungen normalisiert und
nicht zur behandlungsbedürftigen Krankheit erklärt werden? Eine Fülle von Einzelstudien
und Meta-Analysen liegt vor, die unterschiedliche Behandlungsmethoden (z. B. hormonell,
nicht-hormonell) mit unterschiedlichen Effekten (z. B. menopausale Beschwerden, Mortalität)
verknüpfen. Gleichzeitig werden methodische Einschränkungen dieser Studien beklagt
(z. B. Wattar et al. 2024).
Genderdiverse Menstruierende
Für genderdiverse Menstruierende wie nichtbinäre Personen, intergeschlechtliche Menschen
oder trans Männer ist es wichtig, dass genderinklusiv über Menstruation gesprochen
und eine entsprechende Versorgung angeboten wird. Die Blutung und ihre Konnotationen
von Weiblichkeit können Genderdysphorie verstärken ([Ramaiyer et al. 2023]). Genderdiverse Personen wünschen oft eine Unterdrückung der Blutung, z. B. durch
Testosteron, während die Einnahme der Pille eher abgelehnt wird ([Karrington 2021]). So berichtet der Influencer Luca, der sich selbst als trans Mann bezeichnet, auf
Rückfrage seines Publikums, dass kurz nach Beginn seiner Testosteroneinnahme die Blutung
aussetzte und er seitdem auch keine Periodenkrämpfe mehr habe. [
11
] Eine Analyse von 24 YouTube-Videos von nichtbinären und transmaskulinen Menstruierenden
sowie zugehörigen Publikumskommentaren hat ergeben, dass für Menstruation bewusst
neue inklusive (z. B. „queeriode“ statt „periode“) oder maskulin konnotierte Begriffe
(z. B. „manstruation“ statt „menstruation“) verwendet werden ([Kosher et al. 2023]). In Stock-Datenbanken finden sich kaum Visualisierungen dieses Aspekts.
Menstruation im Kontext
Der Umgang mit der Menstruation hängt stark vom situativen und Umweltkontext ab. Das
betrifft Freizeit und Sport (1), Ausbildung und Arbeitsleben (2), Sexualität (3) sowie
Medien (4). Diese vier Aspekte der Menstruation im Kontext sind schwerpunktmäßig der
sozialen Dimension des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet (siehe [
Tab. 1
]).
Menstruation in Freizeit und Sport
Für den Freizeitsport gilt, dass Mädchen und Frauen während der Monatsblutung alle
Sportarten weiterhin ausüben können, sofern sie sich wohlfühlen. Bewegung kann Menstruationsbeschwerden
sogar lindern. Beim Zyklus-orientierten Training (engl. cycle-oriented training) werden Trainingsbelastungen der Zyklusphase angepasst (z. B. schweres Muskeltraining
bevorzugt zwischen Menstruation und Eisprung). Forschung aus dem Leistungssport zeigt,
dass während der Monatsblutung die Athletinnen a) subjektiv ihre Leistungsfähigkeit
etwas schlechter einschätzen ([Swiss Olympic 2021]) und b) objektiv in Leistungstests auch geringfügig schlechter abschneiden ([McNulty et al. 2020]). Derartige Effekte sind jedoch insgesamt so gering und weisen so starke interpersonale
Schwankungen auf, dass sich kaum Kollektivempfehlungen ableiten lassen ([Meignié et al. 2021]). Vielmehr ist es wichtig, dass Athletinnen sich individuell mit ihren Coaches absprechen.
Doch die Menstruation kommt in Trainingskontexten oft gar nicht zur Sprache ([Srinivasa Gopalan et al. 2024]).
Das gilt auch für Wettkämpfe, wo es stets für weltweite Aufmerksamkeit sorgte, wenn
einzelne Athletinnen ihre Leistungen mit Bezug zur Periode kommentierten wie etwa
die chinesische Schwimmerin Fu Yuanhui ([Berres 2016]) oder die deutsche Skispringerin Anna Rupprecht ([Der Spiegel 2023]). Besonders gefeiert wurde die britische Triathletin Emma Pallant-Browne, die während
eines Wettkampfs ihre Periode bekam, was im Schritt ihres hellen Badeanzugs deutlich
sichtbar war (siehe [
Abb. 5
]). Sie postete das Foto mit dem sichtbaren Periodenfleck auf ihrem Instagram-Account
zusammen mit dem Kommentar, dass sie es falsch gefunden hätte, das Foto zu retuschieren.
Schließlich sei die Periode völlig normal und aufgrund ihrer eigenen Vorgeschichte
mit Essstörungen und Amenorrhoe sei sie besonders froh, wieder zu bluten ([Haddadian 2023]).
Abb. 5 Illustration von Menstruationsflecken in weißer Wäsche ((Quelle: © Monika Jurczyk/stock.adobe.com).)
Um Leistungssportlerinnen von dem Stress zu entlasten, mitten im Wettkampf sichtbare
Periodenflecken befürchten zu müssen, werden farbliche Kleidervorschriften inzwischen
kritisiert. Bei den Wimbledon Championships dürfen Tennis-Spielerinnen seit 2024 erstmals
dunkle Unterwäsche tragen. Der britische Fußballverband erlaubt neuerdings die Kombination
von weißen Trikots mit dunklen (statt weißen) Fußballshorts. Dass es hier nicht nur
um symbolische, sondern vermutlich um leistungsrelevante Veränderungen geht, deutet
eine Analyse aller Fußballspiele der letzten 20 Jahre (2002 bis 2023) bei Weltmeister-
und Europameisterschaften an ([Krumer 2024]): Frauen-Teams, nicht aber Männer-Teams, die in weißen Shorts spielen mussten, erzielten
statistisch signifikant schlechtere Leistungen, mutmaßlich weil sie durch die Angst
vor sichtbaren Periodenflecken abgelenkter waren. Es ist wichtig, den Umgang mit Menstruation
nicht nur im Sport, sondern auch bei anderen Freizeitaktivitäten zu betrachten, wie
beispielsweise auf Reisen.
Menstruation in Ausbildung und Arbeitsleben
In Ausbildung und im Arbeitsleben gilt es im Sinne der Menstruationsgesundheit und
-gerechtigkeit, menstruationsfreundliche Bedingungen zu schaffen. Dazu gehört an erster
Stelle die Sicherstellung von ausreichenden Toiletten mit Waschgelegenheiten, Umkleidemöglichkeiten,
Hygienebeuteln, Abfalleimern und Spendern für Artikel der Monatshygiene. Je nach Art
der Tätigkeit ist es zudem wichtig, auf flexible und ausreichende Pausenregelungen
zu achten, damit Menstruierende die Möglichkeit haben, regelmäßig für ihre Monatshygiene
zu sorgen. Weiterhin soll auf Menstruationsbeschwerden und -störungen Rücksicht genommen
werden: Je nach Ausbildungs- und Arbeitskontext können hier z. B. flexible Arbeitszeiten,
eigenständige Aufgabeneinteilungen und das Arbeiten im Home-Office Entlastungen bieten.
So berichten z. B. Menstruierende aus dem akademischen Arbeitskontext, dass sie an
Tagen mit intensiverer Blutung oder stärkeren Schmerzen lieber allein im Home-Office
tätig sind und lange Präsenz-Sitzungen möglichst verschieben ([Sang et al. 2021]). Bei starken Menstruationsbeschwerden kann man sich krankschreiben lassen, wobei
Arbeitnehmer*innen in Deutschland ab dem ersten Krankheitstag Lohnfortzahlung erhalten.
In anderen Ländern wird über sogenannten Menstruationsurlaub diskutiert, um bei starken
Beschwerden eine Freistellung mit Lohnfortzahlung zu erreichen.
Nicht zuletzt gehört zum menstruationsfreundlichen Ausbildungs- und Arbeitsklima eine
Offenheit für das Thema, sodass diskriminierende Witze und Sprüche („du hast wohl
deine Tage“) unterbleiben und gleichzeitig bei Bedarf die Möglichkeit besteht, auf
akute Menstruationsprobleme hinzuweisen, um situativ Unterstützung und Verständnis
zu erhalten. Eine solche Veränderung in Richtung Entstigmatisierung wird am ehesten
erreicht, wenn die jeweiligen Organisationsleitungen das Thema unterstützen und Maßnahmen
gemeinsam mit den Organisationsmitgliedern entwickeln ([Karin 2023]). Die 2014 gegründete schwedische Initiative „Mensen – Period Works!“ setzt sich
durch Schulungen und Zertifizierungen für menstruelle Rechte und menstruationsfreundliche
Arbeitsplätze ein (https://mensen.se/; [Olsen 2023]). Studien aus Schulen zeigen, dass hier bislang oft besonders unsensibel mit dem
Thema umgegangen wird ([Thomas und Melendez-Torrez 2024]): Meist sind die Toiletten nicht ausreichend mit Menstruationsprodukten ausgestattet,
Lehrkräfte tabuisieren das Thema und Jungen betreiben ungebremst Period Shaming. Manche Mädchen fehlen jeden Monat ein bis drei Tage wegen starker und schmerzhafter
Regelblutung. Denn sie können in der Schule oft nicht diskret für ihre Monatshygiene
sorgen, müssen etwa mit blutigen Fingern am Gemeinschaftswaschbecken stehen und können
sich bei Schmerzen nicht in Ruheräume zurückziehen. Andere fürchten die permanente
Konfrontation mit unangenehmen Situationen, etwa dass sie mit einem Blutfleck auf
der Sporthose oder einem Tampon in der Hand gesehen und ausgelacht werden. Daher bleiben
sie während der Periode dann lieber der Schule fern.
Menstruation und Sexualität
Unter Menschen aller Geschlechter und sexuellen Identitäten gibt es diejenigen, die
Periodensex unhygienisch und unsexy finden und diejenigen, die sich an der Blutung
nicht stören. Positive wie negative Einstellungen zum Menstruationssex hängen mit
unterschiedlichen Faktoren zusammen wie dem kulturellen und religiösen Kontext, der
Intensität von Menstruationsbeschwerden, Merkmalen der Paarbeziehung und situativen
Faktoren ([Ciarilli und Fahs 2023]; [Demirtaş und Oskay 2024]; [Fahs 2014]; [Van Lonkhuijzen et al. 2023]).
Eine internationale Online-Umfrage ergab, dass 15 % der befragten Frauen ihr Sexualleben
während der Blutung unverändert fortsetzten, bei den queeren Frauen waren es 21 %
([KI-CURT 2018]). Insgesamt gab aber auch jede fünfte Frau (21 %) an, während der Periode ganz auf
Sex zu verzichten. Transmaskuline Menstruierende erwähnten zudem, dass sie Sex während
der eigenen Menstruation eher meiden, sich an der Menstruation des Gegenübers aber
sexuell nicht stören ([KI-CURT 2018]).
Die meisten Frauen (64 %) teilten mit, dass sie sich während der Periode beim Sex
auf bestimmte Aktivitäten beschränken. Insbesondere verzichten sie öfter darauf, selbst
genital stimuliert zu werden, und befriedigen eher das Gegenüber. Populärkulturell
wird die Menstruation in heterosexuellen Kontexten daher zuweilen auch als Blowjob Week gehandelt. In Internet-Foren wird kontrovers diskutiert, ob das Konzept der Blowjob-Woche
primär Ausdruck sexueller Anspruchshaltung des Mannes und/oder eine von der Frau selbst
gewünschte Alternative darstellt. [
12
] Es existieren Internet-Memes, die das Konzept der Blowjob-Woche bestätigen wie auch
parodieren (siehe [
Abb. 6
]). Während der Menstruation wird weiterhin oft penetrativer Sex praktiziert. Die
während der Menstruation am stärksten gemiedene Praktik ist Cunnilingus ([KI-CURT 2018]).
Abb. 6 Internet-Meme zum Periodensex, das die Gleichsetzung der Menstruation mit der Blowjob
Week parodiert ((Quelle: Eigene Darstellung mit https://imgflip.com/memegenerator
und dem Motiv Futurama Fry).)
Im öffentlichen Diskurs ist Menstruationssex in den letzten Jahren sichtbarer geworden.
So gibt es zahlreiche Beiträge in der Presse, auf Online-Gesundheitsportalen, auf
Websites für Menstruationsprodukte sowie auf Portalen der Sexuellen Bildung, die Periodensex
ansprechen und praktische Tipps zur Umsetzung vermitteln: Der Tenor ist hier durchgängig,
dass Periodensex völlig normal ist, wenn alle Beteiligten ihn wollen. Dabei wird oft
betont, dass manche Menstruierende keine Lust auf Sex verspüren, während bei anderen
die Lust gesteigert ist. Sexuelle Aktivitäten und Orgasmen werden als wohltuend gegen
Menstruationsbeschwerden beschrieben. Hingewiesen wird darauf, dass auch während der
Menstruation eine Schwangerschaft entstehen kann und somit bei Bedarf Verhütungsmittel
anzuwenden sind. Zudem wird daran erinnert, dass Barrieremethoden (Kondom, Lecktuch)
beim Periodensex wichtig sind, da bei vorliegender Infektion über das Menstruationsblut
Hepatitis und HIV [
13
] übertragen werden können. Zur Vermeidung sichtbarer Blutflecke werden dunkle Bettwäsche
und dunkle Handtücher zum Unterlegen sowie Aktivitäten unter der Dusche oder in der
Badewanne erwähnt. Hygieneprodukte, die intravaginal getragen werden (Tampon, Menstruationstasse),
verhindern sichtbaren Blutfluss, sogenannte Soft-Tampons (Menstruationsschwämme) können
auch während der Penetration getragen werden.
Menstruation und Medien
Ganz im Sinne von Gesundheit und Gleichstellung ist die Menstruation in den letzten
Jahren medial deutlich sichtbarer geworden. Insbesondere Informationsmedien wie Nachrichten
und Dokumentationen greifen viele der oben bereits behandelten Aspekte der Menstruation
auf: Von Tipps für Menstruationssex, Aufklärung über die Menopause bis zu Diskussionen
über Periodenarmut. Die halbstündige Filmdokumentation „Period. End of Sentence” (2018)
erzählt die Geschichte der Frauen aus dem indischen Dorf Kathikhera bei Delhi, die
lernen, mit einer Maschine nachhaltige Binden herzustellen und zu vermarkten (https://thepadproject.org/period-end-of-sentence/). Diese Emanzipationsgeschichte wurde zum Welterfolg: Die Dokumentation gewann zahlreiche
Filmpreise und einen Oscar.
Die Werbung für Monatsbinden hat nach langjähriger Kritik an der Verwendung blauer
Flüssigkeit, die eher an Scheibenreiniger oder Mundwasser als an Menstruationsblut
erinnert, inzwischen auf rote Flüssigkeit umgestellt. Das wird als positives Signal
gegen Period Shaming verstanden. Stock-Fotos von Binden meiden ebenfalls die blaue
Farbe, idealisieren das Blut aber oft mit Blütenblättern, Glitzersteinchen, Vogelfedern
oder Herzchen (siehe [
Abb. 1
]). Eine Auswertung von Internet-Memes zum Thema Menstruation (auffindbar z. B. auf
Instagram über den Hashtag #periodmemes) zeigte sowohl eine fortgesetzte Stigmatisierung
als auch die humorvolle Dekonstruktion der Stigmatisierung ([Tomlinson 2021]). Eine ältere Analyse der Presseberichterstattung über Menstruationsmanagement mit
der Pille im Langzyklus moniert, dass hier die Monatsblutung zu einseitig negativ
dargestellt wird ([Johnston-Robledo et al. 2006]), ein Vergleich mit der aktuellen Berichterstattung wäre aufschlussreich. Die seit
den 1960er-Jahren praktizierte Menstruationskunst, bei der z. B. mit Menstruationsblut
gemalt wird oder Bildmotive mit Menstruationsblut fotografiert werden, ist heute in
Sozialen Medien gut sichtbar.
Was fiktionale Mediendarstellungen betrifft, so wird als größtes Manko verzeichnet,
dass zahlreiche Romane und Filme zwar Mädchen und Frauen als Protagonistinnen darstellen,
diese aber so gut wie nie menstruieren, während andere Körpervorgänge (z. B. schlafen,
essen, trinken, urinieren) durchaus gezeigt oder angedeutet werden ([Rosewarne 2012]). Wenn die Menstruation in Filmhandlungen auftaucht, dann am ehesten die erste Menstruation
([Metreveli 2023]). Jüngst wagten sich Regisseurinnen in ihren Filmen auch an blutige Cunnilingus-Szenen.
So zeigt der Film „Saltburn“ (2023, Regie: Emerald Fennell) eine nächtliche Verführungsszene
im Garten. Sie: „Es ist die falsche Zeit im Monat!“. Er: „Meinst du, das stört mich?“.
Was folgt, ist wegen der blutigen Küsse als „Vampir-Szene“ bekannt geworden. Der Film
„Fair Play“ (2023, Regie: Chloe Domont) beginnt mit der leidenschaftlichen Cunnilingus-Szene
eines verliebten Paares im Bad auf einer Hausparty. Angesichts ihrer plötzlich einsetzenden
Menstruation wird die Szene recht blutig, was das Paar mit unbeschwerter Ausgelassenheit
quittiert. Beide Szenen gehören zu den meistdiskutierten Inhalten der jeweiligen Filme.
Während die Filmkritik teilweise Anstoß nahm an den vermeintlichen Schock-Szenen,
lobten vor allem Frauen die Erotik und Romantik dieser medialen Darstellung von Menstruationssex
mit seinen Konnotationen von Hingabe, Innigkeit und Intimität (vgl. [Bergeson 2023]).
Gesellschaftlicher Umgang mit Menstruation
Gesellschaftlicher Umgang mit Menstruation
Der gesellschaftliche Umgang mit Menstruation ist von Tabuisierung und Stigmatisierung
geprägt, die in Kultur und Religion verankert sind (1). Gleichzeitig gibt es einen
Menstruationsaktivismus, der sich für kulturellen Wandel und politische Veränderungen
einsetzt (2). Die Menstruationsaufklärung zielt darauf ab, das Verständnis menstrueller
Gesundheit und Rechte im Kontext Sexueller Bildung zu fördern (3). Die Menstruationsforschung
hat weiterhin viele offene Fragen zu beantworten (4). Diese vier gesellschaftlichen
Aspekte werden der sozialen Dimension des bio-psycho-sozialen Modells zugeordnet (siehe
[
Tab. 1
]).
Die Menstruation in Kultur und Religion
Mythische Erzählungen über die Menstruation sind aus der Menschheitsgeschichte und
den antiken Kulturen bekannt: In diversen Mythen, Sagen und Legenden wird das Menstruationsblut
als heilig, als Geschenk der Götter oder als Strafe für Sünden beschrieben, dabei
ist es fast immer magisch und mächtig ([Tan et al. 2017]). Bis heute halten sich mythische Vorstellungen von der Menstruation, etwa dass
sie den Mondphasen folge (hier sind die Zusammenhänge schwach und komplex: [Helfrich-Förster et al. 2021]; [Wehr und Helfrich-Förster 2021]) oder dass sich die Blutung zusammenlebender Frauen synchronisiere (dies ist vermutlich
eine Fehleinschätzung, die jedoch der Solidarisierung unter Menstruierenden dient;
[Fahs et al. 2014]). Zum Aberglauben gehört auch, dass menstruierende Frauen nichts einkochen oder
einmachen dürfen, da das Ergebnis verderben würde. Dieser Aberglaube ist vermutlich
verbunden mit dem Mythos, dass die Menstruation eine innere Selbstreinigung sei, bei
der Giftstoffe ausgeschieden werden.
Die meisten Weltreligionen betrachten die Menstruation – in unterschiedlichem Ausmaß
– als Problem, sehen sie als Zeichen von Unreinheit und als Gesundheitsgefahr ([Ramaiyer et al. 2023]; [Tan et al. 2017]). Deshalb werden menstruierende Frauen isoliert und während der Blutung in mehr
oder minder starkem Maße vom religiösen, gesellschaftlichen und familiären Leben ausgeschlossen.
Das umfasst auch Sexualverbote. Menstruierende Frauen sollen andere Menschen mit ihrem
unreinen Blut nicht krank machen und die heiligen Stätten nicht verunreinigen. Manche
Religionen verlangen am Ende der Monatsblutung ein Reinigungsritual von den Frauen,
bevor sie wieder am religiösen und sozialen Leben teilnehmen dürfen. Für gläubige
Menschen spielen religiöse Sichtweisen auf die Menstruation bis heute eine wichtige
Rolle. Aber auch in säkularisierten Kontexten besteht eine Stigmatisierung teilweise
in dem Sinne fort, dass eben die Menstruation als unangenehmes Thema und das Menstruationsblut
als unhygienisch und eklig empfunden werden ([Tan et al. 2017]).
Die kritische Betrachtung kultureller und religiöser Normen rund um die Menstruation
ist wichtig, muss aber differenziert erfolgen und sollte nicht dazu führen, Mädchen
und Frauen aus bestimmten Kulturen und Religionen pauschal zu Opfern zu erklären ([Winkler 2021]). Ebenso gehört zur kulturhistorischen Auseinandersetzung mit der Menstruation auch
die Anerkennung der Vorläufer zeitgenössischer Emanzipationsbewegungen und positiver
Menstruationsrituale.
Menstruationsaktivismus und Politik
Der Menstruationsaktivismus ist eine soziale, politische, ökologische und kulturelle
Bewegung, die sich gegen das Menstruationsstigma, für Menstruationsgesundheit und
für Menstruationsgerechtigkeit einsetzt. Menstruationsaktivismus war bereits in den
1960er- und 1970er-Jahren ein wichtiges Thema der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung
und hat im aktuellen Feminismus der dritten Welle neuen Aufwind bekommen ([Bobel 2010]). Der Menstruationsaktivismus wird von einer Vielzahl von Organisationen und Aktivist*innen
auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene getragen (z. B. https://period.org/). Er ist u. a. durch Hashtag-Kampagnen auf Sozialen Medien sichtbar (z. B. #MenstruationMatters,
#PeriodPositive) sowie durch Demonstrationen, Kulturaktionen und Online-Petitionen.
Aus dem Menstruationsaktivismus haben sich eine Reihe von Unternehmen entwickelt,
etwa das Sozialunternehmen Erdbeerwoche.com für nachhaltige Periodenprodukte aus Österreich
sowie diverse FemTech-Startups, die digitale Technologien für Frauengesundheit (einschließlich
Menstruations- und Menopausengesundheit) entwickeln ([Misha 2023]).
Diese und andere Strömungen im Menstruationsaktivismus verzeichnen deutliche Erfolge,
die sich u. a. in der Anerkennung der Menstruationsgesundheit als zentrales Thema
durch die WHO niederschlagen sowie in vielen nationalen politischen Veränderungen
(z. B. Maßnahmen gegen Periodenarmut und für menstruationsfreundliche Arbeitsplätze).
Dennoch werden einzelne Maßnahmen und Strömungen im Menstruationsaktivismus kritisch
hinterfragt, etwa mit Blick auf unterschiedliche Problemlagen im globalen Norden und
Süden ([Winkler 2021]). Der Menstruationsaktivismus mit seinem Diktum der Period Positivity weist zudem Verbindungen zu anderen feministischen Strömungen auf wie z. B. den Bewegungen
der Sex Positivity und Body Positivity. Parolen aus dem Menstruationsaktivismus werden in unterschiedlichen Kontexten verbreitet,
auch in Stock-Bildern (siehe [
Abb. 7
]).
Abb. 7 Stock-Bilder greifen in gefälligem Design Parolen aus dem Menstruationsaktivismus
auf ((Quelle: © WinWin/stock.adobe.com).)
Menstruationsaufklärung und Bildung
Im Rahmen der Förderung von Menstruationsgesundheit und -gerechtigkeit ist eine evidenzbasierte
und zielgruppenorientierte Menstruationsaufklärung als Bestandteil professioneller
Sexueller Bildung wichtig, wobei diese in schulischen und außerschulischen Kontexten
gefragt ist (siehe [
Abb. 8
]). Da die Menarche mehrheitlich vor dem Jugendalter einsetzt, teilweise im Alter
von sieben oder acht Jahren, gehört Menstruationsaufklärung in die Grundschule. Eine
vom Menstruationsprodukte-Unternehmen Erdbeerwoche.com (2017) durchgeführte Befragung unter 1 100 Jugendlichen im Jahr 2017 zeigte, dass
60 % der Mädchen der Periode negativ gegenüberstanden und 70 % der Jungen das Thema
„unwichtig“ und „peinlich“ fanden. Diese negativen Einstellungen lassen sich als Ausdruck
des Menstruationsstigmas verstehen. Daher gehören zu den Zielgruppen der Menstruationsaufklärung
nicht nur Mädchen und genderdiverse Menstruierende, sondern auch Jungen bzw. nicht
menstruierende Personen. So wurde der Period Pain/Cramp Simulator zum viralen Social-Media-Hit, der Menstruationsschmerzen induzieren und so für Nichtmenstruierende
erfahrbar machen soll. [
14
] Menstruationsaufklärung ist dabei nicht nur ein Thema für Kinder und Jugendliche,
sondern auch für Erwachsene, etwa im Kontext der Menopause.
Abb. 8 Stock-Foto der Menstruationsaufklärung mithilfe eines Modells des Reproduktionsapparats
((Quelle: © megaflopp/stock.adobe.com).)
Die wachsende Menge an Online-Informationen zur Menstruationsgesundheit ist hilfreich,
stellt aber auch neue Anforderungen an die Online-Gesundheitskompetenz, um digitale
Informationen richtig einordnen zu können. Das gilt etwa, wenn Frauen sich gegenseitig
Tipps zur Menstruation in Facebook-Gruppen geben ([Gaybor 2022]). Jugendliche berichten, dass sie Menstruationsinformationen aus verschiedenen Online-
und Offline-Quellen beziehen und dabei sowohl Faktenwissen von Fachleuten schätzen
als auch Erfahrungswissen aus dem nahen Umfeld ([Clark und Southerton 2024]; [Döring und Lehmann 2023]). Menstruationsinformationen, die von Fachkräften aus Journalismus, Medizin oder
Sexualpädagogik bereitgestellt werden, existieren online in diversen Formaten. So
gibt es fachlich geprüfte Broschüren zur Menstruation ([pro familia Bundesverband 2023]), die auch in Leichter Sprache angeboten werden ([pro familia Landesverband NRW 2021]; [pro familia Landesverband Sachsen 2020]). Weiterhin existieren zahlreiche YouTube-Videos, Instagram-Posts und TikTok-Clips.
Eine systematische Inhalts- und Qualitätsanalyse dieses Materials steht noch aus ([Döring 2023]). Ebenso fehlen Inhalts- und Qualitätsanalysen der Antworten, die Chatbots der Künstlichen
Intelligenz (z. B. ChatGPT) auf Fragen zur Menstruationsgesundheit geben.
Menstruationsforschung
International kann seit den 1960er- und 1970er-Jahren von einer boomenden interdisziplinären
Menstruationsforschung mit zahlreichen Publikationen, Fachzeitschriften und eigenen
wissenschaftlichen Fachgesellschaften (z. B. Society for Menstrual Cycle Research:
https://www.menstruationresearch.org/) gesprochen werden, während die Forschungsaktivitäten in Deutschland deutlich begrenzter
sind ([Bauer 2022]). In den letzten Jahren sind englischsprachige Sammelbände (z. B. [Bobel et al. 2020]; [Standing et al. 2024]) und breite Übersichtsartikel (z. B. [Critchley et al. 2020]) zur Menstruationsforschung erschienen. Ein Teil der Menstruationsforschung versteht
sich ausdrücklich als „kritisch“ in dem Sinne, dass der Umgang mit Menstruation im
Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen betrachtet wird. Damit sind Geschlechterungleichheiten
in Verbindung mit weiteren Ungleichheitsdimensionen gemeint (z. B. soziale Klasse,
Ethnizität, Behinderung) sowie kritische Perspektiven auf Kommerzialisierung, Medikalisierung
und Biologisierung der Kategorie Frau ([Bauer 2022]). Methodisch werden in der Menstruationsforschung qualitative, quantitative und
Mixed-Methods-Designs eingesetzt. Es existieren erste Forschungssynthesen, die zu
ausgewählten Fragestellungen alle verfügbaren qualitativen (z. B. [Hennegan et al. 2019]; [Thomas und Melendez-Torres 2024]) oder quantitativen (z. B. [McNulty et al. 2020]; [Prasad et al. 2021]) Einzelstudien aggregieren.
Fazit
Der vorliegende Beitrag hat entlang eines bio-psycho-sozialen Modells der Menstruationsgesundheit
insgesamt 20 Aspekte des Phänomens anhand von aktuellen Forschungsergebnissen, Praxisbeispielen
und Visualisierungen vorgestellt – mit Fokus auf die Verhältnisse in Deutschland bzw.
Mitteleuropa. Dabei ist der Strukturierungsvorschlag (siehe [
Tab. 1
]) als vorläufig zu verstehen. Verfeinerungen und Weiterentwicklung sind notwendig,
um das Modell für unterschiedliche Bildungs- und Forschungszusammenhänge fruchtbar
zu machen. So sind bestimmte Aspekte (z. B. technische und rechtliche) in der aktuellen
Darstellung nicht als separate Punkte benannt, sondern in anderen Themen eingeschlossen
(z. B. technische Aspekte beim Monitoring der Menstruation mit Smartphone-Apps, rechtliche
Aspekte beim Umgang mit Menstruation im Arbeitsleben), was auch anders gestaltet werden
könnte.
Mit Blick auf die Sexualforschung wäre es beispielsweise wünschenswert, den Menstruationssex
in seiner Praxis und medialen Repräsentation noch genauer unter die Lupe zu nehmen.
Ebenso scheinen die sexuellen Konnotationen der Nutzung intravaginal getragener Menstruationsprodukte
in unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Altersgruppen ein relevantes Thema zu
sein. Bezüglich Menstruationsaufklärung wäre es nützlich, in einem partizipativen
Ansatz mit unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen zeitgemäße Curricula und Materialien
für die Sexuelle Bildung zu erarbeiten und deren Akzeptanz und Wirksamkeit empirisch
zu untersuchen.