Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2018; 46(04): 229-240
DOI: 10.15653/TPG-180029
Originalartikel – Original Article
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfassung und Bewertung von akutem und chronischem Schmerz anhand ethologischer Merkmale bei weiblichen Merinofleischschafen[*]

Detection and assessment of acute and chronic pain in Meat Merino ewes using ethological parameters
Helena Fieseler
1   Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
,
Romy Weck
1   Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
,
Matthias Kaiser
1   Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
,
Hendrik Müller
1   Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
,
Joachim Spilke
2   Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Arbeitsgruppe Biometrie und Agarinformatik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
,
Norbert Mielenz
2   Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften, Arbeitsgruppe Biometrie und Agarinformatik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
,
Gerd Möbius
3   Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
,
Alexander Starke
1   Klinik für Klauentiere, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Eingegangen: 03 January 2018

Akzeptiert nach Revision: 13 March 2018

Publication Date:
24 August 2018 (online)

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Zusammenfassung

Ziel: Die Erkennung von Schmerz ist beim Schaf eine Herausforderung, denn als potenzielles Beutetier tendiert es instinktiv dazu, diesen nicht zu zeigen. Da sich Schmerz beim Tier nicht direkt erfassen lässt, werden seine Auswirkungen auf physiologische, biochemische und ethologische Prozesse mit diversen Methoden ermittelt. Die Beurteilung von Verhalten durch erfahrene Beobachter liefert gute Ergebnisse für die Schmerzevaluierung. Ziel der Studie war, Verhaltensmerkmale zu identifizieren, mit denen Schafe akute und chronische Schmerzen sowie Stress zum Ausdruck bringen. Methoden: Bei 36 Merinofleischschafen mit Läsionen einer Dermatitis interdigitalis contagiosa und 12 gesunden Kontrolltieren wurde das Verhalten in der Herde sowie während der Behandlung der Läsionen bzw. der Klauenpflege erfasst. Die beobachteten Merkmale wurden mit numerischen Scores bewertet. Das Vorliegen der Läsionen war als chronischer Schmerzreiz, das Freilegen dieser als akuter Schmerzreiz definiert. Zur Stressbeurteilung während der Behandlung wurden die Daten der gesunden Tiere herangezogen. Ergebnisse: Die deutlichsten Hinweise auf das Vorliegen chronischer Schmerzen lieferten Entlastungshaltung, Trippeln und Veränderungen im Gangbild. Zudem setzten erkrankte Schafe häufiger Harn ab. Vermehrtes Zähneknirschen trat bei diesen Tieren nur stressassoziiert während der Behandlung auf und nicht in der Herde. Während der Behandlung konnten Wedeln mit dem Schwanz und gesteigerte Abwehrbewegungen mit den Gliedmaßen als Ausdruck akuten Schmerzes identifiziert werden. Das Schlagen mit dem Kopf schien vor allem stressassoziiert durch die Rückenlage aufzutreten, dennoch wurde es unter akuten Schmerzen vermehrt ausgeprägt. Schlussfolgerung: Die genannten Merkmale erwiesen sich als geeignet, Schmerzen zu identifizieren. Die Beurteilung erfordert allerdings eine Beobachtung der Tiere durch eine trainierte Person.

Summary

Objective: The assessment of pain in sheep is a clinical challenge, because being a prey species, they tend to mask it. Since pain in animals cannot be measured directly, various methods are applicable to detect its effects on physiological, biochemical and ethological processes. Clinicians experienced in behavioural assessment are able to reliably determine the level of pain endured by an animal. The objective of this study was to identify behaviours that reflect acute and chronic pain as well as stress in sheep. Methods: The behaviour of 36 Meat Merino ewes with contagious footrot (contagious interdigital dermatitis) was analysed during normal activities in the flock and during footrot treatment, which included claw trimming to remove abnormal horn. The behaviour during treatment was compared with that of 12 healthy control sheep of the same breed during routine foot trimming. Grading of the observed behaviours was made using a numerical score. The occurrence of footrot was defined as, and equated with, chronic pain, and treatment was equated with acute pain. For the assessment of stress induced by the manipulative treatment, the data of the healthy sheep were taken as a comparison. Results: The strongest indications of chronic pain were non-weight bearing lameness of an affected limb, shifting of weight and abnormal gait patterns. Additionally, sheep with footrot urinated more frequently than healthy animals. Stress-related bruxism occurred in healthy and ill sheep during foot trimming, but not during normal activities in the flock. Tail wagging and strong defensive movements of all limbs commonly occurred during footrot treatment. Head shaking appeared to be primarily stress-related in association with dorsal recumbency on the tilt table, but was exacerbated by pain elicited by hoof trimming. Conclusion: The behaviours selected in this study were useful for the identification of chronic and acute pain in sheep; however, correct interpretation of behavioural changes requires an experienced individual.

* Herrn Prof. Dr. Klaus Doll (Justus-Liebig-Universität Gießen) zum Ausscheiden aus dem aktiven Dienst gewidmet.